vielleicht haben sie es mitbekommen, auch wenn sie so nicht promi-geil sind: vor kurzem verstarb hier nadja abd el farrag mit nur 60 jahren. was zu diesem frühen tod beitrug? vielleicht nicht nur leberzirrhose und organversagen, sondern auch toxische beziehungen, alkohol, armut - sowie eine disposition, die wahnsinnig empfindlich und gleichzeitig wahnsinnig empfänglich für alles mögliche (leider eben auch schlechtes) macht: adhs.
vieles, was nadja abd el farrag erlebt hat, kenne auch ich. zum beispiel die neigung, sich mit seinem adhs-bedingt kleinem selbstwertgefühl vermeintlich "starken" und "erfolgreichen" männern an den hals zu werfen und brav zu ihrem geschwafel zu nicken, weil man gerne geliebt werden würde.
schwierigkeiten im beruf kenne ich ebenfalls zu genüge, und das meine ich nicht auf meine aktuelle situation bezogen. ich lasse mich zu gern in allenfalls mittelmäßigen jobs von miesen chefs kleinmachen und ausnutzen, immer in der hoffnung, irgendwie zu gefallen und endlich nicht mehr außenseiterin sein zu müssen - sondern geschätzt oder wenigstens ebenbürtig. nadja abd el farrag hat sich lange zeit in fragwürdigen shows von fragwürdigen leuten verheizen lassen, die ihrem image eher schadeten als nutzten - vermutlich aus einem ähnlich dringlichen wunsch nach anerkennung. sicherlich hat sie so zeitweise gut geld verdient, aber eben nur temporär und nicht in einem strukturierten, sicherheits- und sinnstiftendem arbeitsverhältnis. hinzu kam ihr schlechtes finanzmanagement. auch das ist nicht ungewöhnlich bei adhs. da hilft nicht immer ein schuldnerberater, weil es bei adhs auch viel um impulskontrolle geht. (dieser kelch ging glücklicherweise an mir vorbei.)
davon abgesehen habe auch ich ein nach wie vor riskantes konsumverhalten. manchmal erschrecke mich am ende eines tages, wenn mir auffällt, dass ich versehentlich psychopharmaka und schmerzmittel kombiniert und darauf vielleicht noch einen feierabenddrink gegossen habe. ob ich so bei meiner insgesamt eher schwachen gesundheit sehr viel länger als bis 60 lebe, ist fraglich.
ich erinnere mich noch gut, als mein chef im vorletzten job in den raum warf, die naddel sei ja so abgebrannt, ob man der nicht einen billo-job bei uns anbieten solle. telefonistin oder so, auf mindestlohn-basis. weil das ja irgendwie lustig wäre, wenn leute anrufen - und dann wäre da die alte suff-nudel vom bohlen an der strippe. mangels des bekannten fehlenden durchhaltevermögens der frau abd el farrag haben wir das nie näher in erwägung gezogen. dabei weiß ich heute, dass menschen mit adhs einfach nur die chance brauchen, etwas zu machen, was sie wirklich interessiert, damit sie am ball bleiben - und das ganze möglichst störungsfrei (wenig lärm, wenig ablenkung, wenig übertriebenes multitasking) und unter halbwegs menschenwürdigen bedingungen (ein bisschen wertschätzung, ein bisschen struktur und kein psychopathisches chef-verhalten).
skurril finde ich, wie die medien jetzt über nadja abd el farrag berichten. plötzlich alle ganz seriös. nicht mehr nur auf skandal-hurerei und billiges clickbaiting aus. im gegenteil, man überbietet sich fast in ernsthaftigkeit und würdigkeit: eine feierliche mediale beerdigungszeremonie.
es wird nie mehr gelogen als auf beerdigungen.
fakt ist, die versorgung neurodiverser und/oder psychisch kranker menschen ist bis heute unterirdisch - mit weiter absteigender tendenz. einen therapieplatz zu ergattern ist für kassenpatienten nahezu unmöglich. stattdessen wird man mit tabletten vollgestopft, teils ohne viel ahnung und rücksicht auf komorbiditäten - wie im fall meiner herzerkrankung. und ich frage mich, welcher arzt nadja abd el farrag allen ernstes ahds-medikamente verschrieb, wenn sie bekennenderweise ein alkoholproblem hatte? falls dem tatsächlich so war, müsste man so jemanden eigentlich wegen fahrlässigkeit verklagen.
fakt weiterhin ist, dass die gesellschaft nach wie vor stigmatisiert - nicht nur wegen der diagnose, die psychisch kranke haben, sondern auch wegen ihres wesens, das manchmal nicht ins enge gesellschaftliche korsett vermeintlicher normalität passt. man muss dafür mal nicht lallend oder schwankend aus dem rahmen fallen, es genügt schon, schnell und viel zu reden, zu still zu sein, zu zappelig zu wirken oder zu zurückhaltend - oder in der aufregung den faden zu verlieren. durchgefallen, unsouverän! oder bei frauen: hysterisch!
fakt ist ebenso, dass neurodiverse und/oder psychisch kranke überdurchschnittlich oft im beruf scheitern, nicht weil sie dumm oder unwillig wären, sondern weil die arbeitsbedingungen meist unflexibel und wenig erquicklich sind - sodass selbst "normale" sie nur ertragen, indem sie sich jeden tag total zusammenreißen und zwingen. und sich abends dann einen hinter die binde kippen (was ok ist, weil sie ja "normal" sind, dann ist das nur "genuss").
zwar gibt es neuerdings mehr aufmerksamkeit für neurodiverse menschen mit beispielsweise adhs oder autismus. also menschen, die als nicht ganz so schlimm gestört gelten. aber das ist allenfalls ein anfang. der im augenblick leider auch wieder zurückgedreht wird durch die aktuelle politik, die nichts anderes gelten lassen will als den total konformen leistungsmenschen. und die jeden, der ein wenig abseits dieser norm tickt, als lästigen kostenfaktor wertet - anstatt sich durch die aktive gestaltung einer neuen, modernen und digitalen arbeitswelt endlich dessen vorhandenes potenzial zunutze zu machen.
manchmal frage ich mich, wie leute über mich sprechen werden, wenn ich mal tot bin. so ganz ohne aufgesetzt-würdiges beerdigungssprech, weil ich ja kein promi bin. achja, die komische blogger-tante. ganz nett schreiben konnte die, aber hat auch nix geschafft im leben. ein psycho-wrack, hat alles mögliche in sich hineingestopft, gesoffen und rumgehurt, und dann ist ihr noch dieser kerl verunglückt, an dem sie so hing. tragisch, ja. natürlich war sie aber auch an allem selber schuld - wer studiert schon germanistik! die war vielleicht nicht total dumm, aber einfach nicht leistungsfähig - und schon gar nicht leistungswillig. so eine querulantin eben, die immer dachte, die gebratenen tauben fliegen ihr in den hals, wenn sie lange genug einen auf linksgrün-versifften gutmenschen macht.
whatever, ein glück, dass ich nicht in die zukunft schauen kann. und welch ein glück für nadja abd el farrag, dass sie sich um eine irdische zukunft in dieser verkorksten gesellschaft keinerlei sorgen mehr machen muss. ich wünsche ihr, dass es im jenseits kein musik von dieter bohlen gibt.
r.i.p.