Freitag, 31. Januar 2020

grateful

als ich durch die dörfer gurke, um das objekt zu besuchen, ruft der luxus-mann an, um zu fragen, ob ich später vorbeikommen und mit ihm und seiner tochter spielen möchte. ich sage spontan zu - mit vorbehalt, denn wenn mich der besuch traurig machen sollte, möchte ich vielleicht lieber alleine sein.

vor ort ist es ein durchschnittlicher tag. der aufenthaltsraum ist mittel voll, mittel viele besucher, mittel viel trouble, mittel viel stress für die pfleger. für das objekt ist es ein eher schlechter tag. die erinnerung hakt, es erkennt mich erst nicht, kann aber mit meinem namen etwas anfangen. ich habe begonnen, unsere begegnung vom ersten tag an haarklein zu papier zu bringen und lese ihm wieder vor.

"und wie ist das, wenn die frau, der du das herz geklaut hast, ihre memoiren über dich schreibt wie über einen berühmten star?" frage ich zwischendurch.
"schööööööööön..." macht das objekt indifferent und guckt wieder wie ein kleinkind im buggy, wenn sich ein fremder drüber beugt. interessiert, neugierig, gut unterhalten, aber ohne richtige emotionale verbindung.
"obwohl, könnte auch peinlich werden, wenn deine mutter dann irgendwann liest, wie ich dir einen blase", kichere ich.
schweinereien findet das objekt immer noch klasse und es lacht schallend.

ich kann erinnerungen wecken, aber ich kriege das objekt heute nicht ganz. ich merke es an den blicken, die mir signalisieren, dass der kopf gleich heißläuft, weil die erinnerungen eher blass sind und das objekt alles gibt, um in den hintersten ecken des gedächtnisses zu kramen. ich fühle es außerdem in seiner umarmung, die nicht so lang und leidenschaftlich ist wie sonst.

"ich... bin.... müde", sagt das objekt angestrengt nach 45 minuten.
"du guckst auch ganz glasig", sage ich. "soll ich wieder gehen?"
"ja."
"ok, dann hau ich mal ab, damit du schlummern kannst."
ich stehe auf und hole die jacke.
"nein", stoppt mich das objekt.
ich halte inne:
"soll ich bleiben?"
"ja!"

ich setze mich wieder.
"ist das gut, dass ich heute gekommen bin oder nervt dich das eher?" frage ich.
"gut", sagt das objekt und lächelt.
ich bin erleichert, zur höflichen notlüge fehlt ihm gottseidank die berechnung.
"dann bleib ich jetzt noch ein halbes stündchen, ok? ruh dich doch ein bisschen aus."
das objekt nickt und macht die augen zu.
dann macht es die augen wieder auf und guckt mich gestresst an.
"alles klar bei dir?" frage ich.
"nein."
"was ist denn? bist du traurig?"
"müde..."

es hat keinen sinn. wenn ich da bin, versucht das objekt mit gewalt, wach zu bleiben.
also packe ich doch meine sachen und drücke das objekt ein letztes mal.

der dorf-bus ist gerade vor einer minute abgefahren. ich habe die wahl, eine stunde warten oder 50 minuten laufen. ich entscheide mich fürs laufen, weil es gerade mal nicht regnet. am bahnhof stehe ich noch mal eine ewigkeit herum, weil der zug richtung hamburg verspätung hat. ich sehne mich nach wärme und einem sitzplatz.

dann bin ich endlich zuhause. schnell duschen, tasche umpacken und loshetzen zum luxus-mann. eigentlich hab ich jetzt überhaupt keinen bock auf kind, aber so kurzfristig absagen finde ich doof. die kleine freut sich außerdem total auf mich. das merke ich daran, wie sie den summer ein ewigkeit lang drückt, als ich klingle. dann werde ich auch schon ohne punkt und komma vollgeblubbert: dass ihr bruder heute doch nicht kommt, weil er erkältet ist, und dass wir deswegen nur zu dritt spielen, und was wir jetzt alles an spielen spielen könnten.

ich setze mich erstmal in die küche. ich habe das gefühl, ich bekomme fieber. der kopp glüht und wiegt eine gefühlte tonne. der luxus-mann schaut mich kritisch an:
"na, wie wars? irgendwelche fortschritte?"
ich schüttle den kopf.
"war heute wieder schwierig. erinnerung schleppend, und saumüde war er."

"wer denn?" kräht die luxus-tochter, die in die küche geschossen kommt.
"die morphine besucht immer ihren behinderten freund", fasst der luxus-mann die situation lakonisch zusammen.
"wie behindert ist der denn?" fragt die tochter fasziniert.
"behindert ist ein scheißwort", sage ich. "der ist nicht doof oder so."
"naja, doch!" wirft der luxus-mann ein.
"er versteht alles, was man ihm erzählt, und das ist dann für mich nicht doof."

"kann er denn nicht laufen", will die luxus-tochter wissen.
"nee", sage ich. "und auch nicht schlucken. das heißt, er kann auch nicht essen. und er kann sich an manches nicht mehr erinnern."
"dann ist er schon ein kleines bisschen behindert", sagt die luxus-tochter ernsthaft und diplomatisch.
ich muss lachen.
"dann ist dein papa aber auch behindert, so viel, wie der immer vergisst."
"jaaahaha, das stimmt", kichert die luxus-tochter.
"ey", sagt der luxus-mann. "ich esse meine schokoküsse hier gleich alle alleine."
und er stellt zu unserem entzücken eine schachtel schaumküsse auf den tisch.

als ich mich später neben dem mann ins bett kuschle, spüre ich eine tiefe ambivalenz. der tag war schön und anstrengend und deprimierend zugleich. ich bin erschöpft, aber ohne leer oder verzweifelt oder hoffnungslos zu sein. ich habe viel gegegeben, bin aber auch beschenkt worden, weil ich die zwei wichtigsten menschen in meinem leben um mich haben durfte.
ich bin dankbar dafür, auch wenn ich mir oft wünsche, dass es dem objekt endlich besser geht, oder dass der luxus-mann mal ein bisschen einfühlsamer ist. aber ich darf diese menschen kennen, und sie lieben mich. das ist wunderbar.



Freitag, 24. Januar 2020

schüchterne tage

ich ziehe frühmorgens aus luxushausen los, weil ich einen arzttermin habe. die titte fällt ab oder so ähnlich, jedenfalls tut da was weh, und der onkel frauendoc soll da mal seine kühlen hände draufpatschen, da das ja sonst sowieso niemand mehr tut. ich gehe gerne, da der luxus-mann schon um 7 uhr so ansteckend schlechte laune hat, dass es nicht zu ertragen ist.

ich bin zu früh dran und muss obendrein pinkeln, also gehe ich zum bäcker an der ecke, der hat auch eine café-lounge und ein klo. drei minuten später bin ich wieder draußen, körperlich erleichtert, hab kaffee und brötchen bei mir und stehe etwas dumm herum.

da sehe ich ihn.

er sitzt lässig da, ziemlich aufrecht und dreht eine zigarette.

im profil hat er ähnlichkeit mit dem objekt. hellhäutig, vollbärtig, rote haare und eine ein bisschen zu femine stupsnase. er wirkt ziemlich groß und breit, obwohl er an einen pfeiler gelehnt sitzt, seinen körper soweit wie möglich unter einer etwas strohig aussehenden decke vergraben.

mein herz macht einen sprung und trippelt dann gleich wieder zurück.
das ist doch ein bettler, oder?
diese decke.
und das gerümpel unter der decke, auf dem er da sitzt.

aber er wirkt sonst gar nicht so!
es fehlt der obligatorische kaffeebecher zum kleingeldsammeln.
die demütige haltung.
das aktive gegucke nach menschen, die ein weiches herz haben könnten und die die frage nach dem euro vielleicht nicht durch weggucken abschmetttern.

er aber sitzt da einfach nur und dreht seine zigarette.
ich habe das bedürfnis, hinzugehen und etwas zu sagen.
aber was sagt man da?
"hallo, bist du ein bettler?"
oder eher: "brauchst du geld?"

er sieht so stolz und ruhig und unangreifbar aus.
ich will ihn nicht demütigen und mich selbst auch nicht.

geh doch einfach mal hin und frag ihn freundlich, ob du ihn zum bäcker einladen darfst, sagt mein vernünftiges alter ego.
der denkt dann bloß, die komische milf mit der fauligen titte will mir an die wäsche, werfe ich ein. ich stinke doch zehn meter gegen den wind nach chronischer unterficktheit.
darum gehts doch gar nicht!
neeeeiiiiiin, natürlich nicht. sei doch mal ehrlich! den würdest du schwer von der bettkante schubsen, wenn er wollte, und wenn es nur drum geht, das objektschema zu erfüllen. außerdem dauert das mit dem kaffee eh zu lang, der onkel frauendoc wartet schließlich auf die kaputte titte.

und weil die zeit tickt und meine diversen inneren stimmen zu keinem schluss kommen, gehe ich schließlich irgendwann einfach weiter.
sehr unglücklich mit mir selbst und äußerst widerwillig.

wenn du wiederkommst und er ist noch da, ist es ein zeichen, sage ich mir.

doch als ich nach einer halben stunde zurückkehre, ein rezept für eine packung titten-antibiotikum in der tasche, ist der typ weg.

Mittwoch, 15. Januar 2020

balance halten

auf arbeit läuft es nicht. nicht wegen mir, ich mache meinen job soweit gut. andere nicht. ich bin jedoch empfängerin der unzufriedenheit. wie bei vielen inhabergeführten unternehmen geht es bei uns extrem schnell sehr emotional zu. ich sitze zwischen geschäftsleitung, team und externen dienstleistern und fungiere als knautschzone.

im telefonat mit dem übermäßig gelassenen internet-dienstleister merke ich, wie ich selber hochkoche und dummerweise den satz sage:
"da müsst ihr euch jetzt was einfallen lassen, sonst gehen wir in ein paar monaten pleite."
der dienstleister lacht laut los und meint, mit hysterie käme ich auch nicht weiter.

leider hat er recht.
aber ich habe auch recht, wenn ihm vermitteln muss, dass er uns ein produkt verkauft hat, das zwar hübsch aussieht, aber weit unterhalb der erwartungen funktioniert.

ich setze noch mal an, ruhiger, klarer, komme mit meiner forderung (bitte umgehend einen plan entwickeln und mir diesen genauso umgehend mitteilen) unmissverständlich und direkt rüber, merke aber dennoch, ich komme nicht so ganz durch. der eine unbeachte satz hat aus mir, die ansagen machen muss, ein hysterisches frauchen gemacht, das sich künstlich aufregt bzw. auf sie übertragene künstliche aufregung weitergibt.

als ich auflege, bin ich kurz davor, mir eine zigarette anzuzünden. etwas, was ich seit oktober nicht mehr gemacht habe. (btw. gehöre ich offenbar zu der seltenen spezies, die immer nach dem aufhören krank wird und auch noch abnimmt.)

balance halten ist einfach unglaublich schwer.

letztendlich habe ich aber nicht geraucht. wenn, dann sterbe ich lieber direkt am stress-herzinfarkt.

Freitag, 10. Januar 2020

der königliche begleiter

in alten gefilden unterwegs, aber nicht alleine. an meiner seite ist ein zahmer löwe, der mir überall hin folgt und der auf seinen namen hört.

der löwe gehört mir nicht. ich habe daher respekt und immer ein bisschen angst, dass er mir nicht gut genug gehorcht und andere menschen anfallen könnte. manchmal ist der löwe auch ein bisschen lästig. du kannst nicht mit so einem großen tier einfach überall hineinspazieren. deshalb muss ich die raubkatze dann und wann parken. ich suche ihr dann ein gemütliches plätzchen im grünen und befehle ihr, sich nicht vom fleck zu rühren.

einmal komme ich zurück und kann den löwen nicht entdecken. eine welle der panik breitet sich aus, aber dann gehe ich einige schritte weiter in das dickicht hinein und rufe ihn. da kommt er sofort angesprungen. ich habe ihn offenbar einfach ein bisschen lange alleine gelassen. in seiner langeweile hat er das gelände erkundet, aber nicht, ohne zu vergessen, wo er auf mich warten sollte.
ich bin stolz und schreite mit dem löwen weiter durch die straßen.

als ein älterer schickimicki-herr eine abfällige bemerkung über meine no-name-hose macht, beißt ihn der löwe in den arsch.

aufgewacht.

nachtrag:

als ich später das objekt besuche, erzähle ich ihm den traum, weil ich weiß, dass das objekt sowas nicht für blödsinnige hirngespinste hält.
"ich frage mich, was der traum bedeutet", sage ich. "ich habe noch nie von einem löwen geträumt."
"du... bist... gut... beschützt", sagt das objekt lächelnd.
"offenbar. wobei mir dann nicht ganz klar ist, wer mich beschützt. weil ich im traum ja auch permanent das etwas anstrengende gefühl von verantwortung hatte. mitunter sogar misstrauen, weil ich mir so unsicher war, ob ich den löwen wirklich erfolgreich und ohne zwischenfälle betreuen kann."

"du", sagt das objekt in seiner kryptischen art.
ich überlege.
"du meinst, der löwe ist ein teil von mir?"
das objekt nickt wild.
"ich hatte schon sorge, dass der löwe für den luxus-mann steht. ein treuer begleiter, der mich aber auch anstrengt und nervt, weil er manchmal so umständlich und unselbstständig ist und immer so viel von mir erwartet. aber du könntest recht haben. vielleicht ist der löwe ja meine stärke, auf die ich ruhig vertrauen kann und die wirklich zu mir gehört, derer ich mir aber immer noch nicht sicher bin."
"stärke... und... wild", meint das objekt.
"meinen willen zur eskalation, meinst du", lache ich.
"ja. aber... das... geht... gut", stammelt das objekt.
"ja, überwiegend funktioniert eigentlich alles. vielleicht darf ich mir ruhig mehr zutrauen."

"wie... heißt... dein... löwe", fragt das objekt.
"ich versuch mich schon die ganze zeit zu erinnern. aber ich habe den namen vergessen. dabei war er beim aufwachen noch total präsent, weil ich ihn im traum so oft gebraucht habe, um den löwen zu rufen."

erst später, als ich eine stunde lang bei dunkelheit, sturm und regen durch die dörfer wandere, weil ich meinen bus zum bahnhof verpasst habe, fällt mir der name wieder ein.
mein löwe heißt simba.

zuhause sehe ich nach, was simba bedeutet.
es ist suaheli und heißt einfach "löwe".

wie klug mein traum diesen namen gewählt hat! hätte der löwe geheißen wie der luxus-mann, das objekt oder jemand anderes, den ich kenne, hätte das die interpretation viel zu fest in eine ganz bestimmte richtung und von mir selbst weg gelenkt. so bleibt simba, der löwe, einfach der löwe, und es ist sehr wahrscheinlich, dass das objekt recht hat.