Samstag, 28. Oktober 2023

naivschaf-dasein

ich bin ein dämliches naives schaf. ich wurde loyal und hilfsbereit erzogen und folge dem ideal der universellen liebe. ich bin und tue das gerne, erwarte aber auch, dafür etwas zurückzubekommen, zum beispiel ein höflich-belangloses dankeschön oder im bestfall ein wenig echte wertschätzung. tage wie dieser zeigen mir jedoch: ein naivschaf zu sein hat deutlich mehr nach- als vorteile.

der frust beginnt schon am frühen morgen. wie jedes wochenende möchte der luxus-mann, dass ich brötchen hole. womit ich kein problem hätte, würden wir uns damit abwechseln. wir gehen beide nicht gerne morgens raus und stehen auch nicht gerne beim kleinen bäcker in der endlosen schlange für mittelmäßige brötchen zu kackstadt-typisch astronomischen preisen. aber in der regel bleibt das brötchenholen doch an mir hängen. weil ich zu nett bin. und weil ich als psychisch kranke person keine kraft habe, jedesmal darüber eine stunde lang zu streiten. schon gar nicht im morgendlichen serotonin-low.

heute ist ein tag, an dem ich ungebremst wütend werde, pms sei dank. naturgemäß vor allem auf mich, weil ich mich einfach nicht genug schütze und abgrenze. aber heute bahnt sich mein zorn den weg doch zu einem teil nach außen. als ich vom brötchenholen zurückkomme, schleudere ich die tüte stinksauer auf den küchentisch und erwische eine brennende kerze. die auch gleich umkippt und sauerei produziert. der luxus-mann mault, ich maule zurück. "nächstes mal hole ich keine brötchen. lieber hungere ich", fauche ich. ich nehme es mir ganz fest vor, wirklich auch nicht mehr nachzugeben, egal wie sehr mich der kampf darum dann wieder belastet.

die stimmung ist angeknackst. der luxus-mann wirft mir vor, unangemessen theater zu machen. ich werfe dem luxus-mann vor, ein fauler und misogyner boomer zu sein. dann packe ich meine sachen und fahre zu mir. wenigstens in der diskussion ums zusammenleben habe ich mich final durchgesetzt - und bin auch heute mal wieder ungeheuer froh, dass ich jetzt nicht mit dem luxus-mann in einer gemeinsamen wohnung herumsitzen und aufeinander sauer sein muss.

zuhause wartet schon meine direkte nachbarin vor der tür auf mich. sie ist alt, hat rheuma und kann nicht mehr gut gehen. sie braucht oft hilfe. sie ist zwar herzensgut, heult aber wegen jeder kleinigkeit und macht aus einer winzigkeit ein riesendrama. so auch heute: eine schreckliche katastrophe, jammert sie, das display ihres festnetz-telefons sei kaputt. ich gehe mit ihr in die wohnung und inspiziere das telefon. dann sage ihr, dass offenbar die akkus nicht mehr laden und sie neue brauche. sie weint und sagt, sie wisse gar nicht, was das sei und wo man sowas kaufen kann. 

zack, schlägt mein naivschaf-gen voll zu. ich renne also rüber in die drogerie und kaufe akkus. kein großes ding. dann komme ich zurück und schiebe die akkus ins telefon. danach erkläre ich der nachbarin, dass sie jetzt ein paar stunden warten müsse, bis die akkus geladen seien. aber sie wolle doch jetzt mit ihrem sohn telefonieren, jammert sie. ob sie nicht mal schnell bei mir telefonieren könne. aber natürlich.

dann sitzt die nachbarin, die ja nicht unnett ist, in meiner wohnung und heult erstmal eine halbe stunde. wie schlimm das mit dem telefon sei. und dass sie nicht mehr leben wolle. eigentlich höchst beunruhigend, aber da sie ständig und wegen jeder pillapallescheiße ihren tod prophezeit, kann ich das nicht mehr ernstnehmen. ich sage ihr irgendwann, dass ich ihr nicht helfen kann, und dass das irgendwie auch der job ihres sohnes sei, sich zu kümmern. es folgen weitere litaneien, warum der sohn sich nicht kümmern könne (er wohnt gut angebunden in derselben stadt). nach einem kurzen telefonat mit besagtem sohn geht sie zum glück zurück in ihre wohnung.

kaum habe ich einmal durchgeatmet, ruft mein vater an. seit der betrugsgeschichte ist er noch verwirrter als sonst und erzählt alles drei- und viermal in maximal unzusammenhängenden spiralen. quintessenz des halbstündigen telefonats: er würde gerne seinen nach der betrugsattacke plattgemachten und mit windows 11 neu bespielten pc hochfahren und mit dem internet verbinden. "nichts leichter als das, einschaltknopf drücken, wlan-stecker in die dose und dann bei netzwerkverbindungen den netzwerkschlüssel eingeben", sage ich. "hast du doch schon ein paar mal gemacht."

mein vater beschreibt ausschweifend seine verwirrung und seinen verwirrtheitsbedingten gedächtnisverlust ob all dem, was den computer betrifft. dann äußert er den wunsch, dass während des einschaltens möglichst jemand neben ihm sitzen solle. wie er sich das vorstelle, frage ich, wegen eines einschaltversuchs setze ich mich schließlich nicht 6,5 stunden in den zug oder nehme am ende gar urlaub.

mein vater möchte daraufhin, dass ich mich virtuell auf seinen computer aufschalte. ich erkläre ihm, dass er ihn dafür zuerst einschalten und mit dem internet verbinden müsse. was er ja theoretisch einfach mal ausprobieren könne. aber ich rede wie schon befürchtet gegen wände an. mein vater hat 843623075 ausreden, warum er unmöglich alleine den einschaltknopf betätigen kann. wir verabreden deshalb, dass er nun seinen it-affinen nachbarn anruft, der dann an einem bestimmten termin gemeinsam mit ihm am computer sitzen und den hochgefährlichen einschaltknopf drücken soll.

zwei stunden später rufe ich noch mal bei vaddi an und frage, wann er sich mit dem nachbarn treffen werde. denn mir sind ein paar sachen eingefallen, die man vielleicht nützlicherweise wieder auf dem computer installieren sollte. diese, schlage ich vor,  könne ich dem nachbarn dann beim gemeinsam-den-einschaltknopf-drücken-termin telefonisch durchgeben. so im sinne von mehreren fliegen und derselben klappe.

mein vater antwortet mir, dass er den nachbarn nicht angerufen habe. was ihn hindert, will ich wissen. er meint, er habe ja nächste woche schon einen termin mit der bank wegen seiner kreditkarte. "das hat doch damit nichts zu tun", sage ich. "jetzt ruf den an, du hockst doch sowieso bloß auf dem sofa und versimpelst."

mein vater verspricht erneut, den nachbarn anzurufen. ich höre an seiner laschen art allerdings ganz genau, dass das vor weihnachten nicht mehr passieren wird. ich ärgere mich zum x-ten male maßlos über seine trägheit - und natürlich darüber, dass ich mich so sehr aufregen muss. aber mein nervliches kostüm sendet nicht ganz unberechtigt alarm, denn ich weiß, dass ich die ganze kacke dann höchstwahrscheinlich wieder während meines nächsten urlaubs abarbeiten muss. und naturgemäß würde ich statt dankbarkeit und freude höchstens kritische rückfragen ernten: ob das denn wirklich so richtig sei, ob man das auch wirklich wirklich brauche, und warum das alles so furchtbar entsetzlich kompliziert ist. 

mir ist bewusst, dass ich mich somit auch in meinem urlaub wieder unfassbar ärgern und gleichzeitig drückende schuldgefühle entwickeln würde. weil ich meinen vater doch eigentlich schätzen und lieben will. ganz grundsätzlich und nicht nur wegen weihnachten und weil er von meiner mutter schon genug anschiss bekommt. ein äußerst strapaziöser gefühlsmix ist also vorprogrammiert. anderseits fragt mein vater auch nie, was ich so mache oder wie es mir geht. fast alle telefonate drehen sich um seine"probleme", also in der regel um den computer. manchmal bin ich nicht sicher, ob ich ihm nicht einfach scheißegal bin.

am ende dieses tages fühle ich mich leergesaugt und müde. ich vermisse jemanden, bei dem ich mich ab und an mal anlehnen und ausruhen darf. jemand, der vielleicht sogar ein ganz klein wenig interesse daran hat, mir das gefühl zu geben, dass ich nicht nur nützliches naivschaf, sondern auch mensch bin. aber diesen jemand gibt es nicht mehr.

Sonntag, 22. Oktober 2023

wege neuer gelassenheit

donnerstag war ich zum ersten mal im schlunzigen home-pulli beim bewerbungsgespräch. der job war sowieso nur semi-interessant, denn wie immer bei unternehmen, die mit "homeoffice" und "teilzeitmöglichkeit" werben, steckt dahinter ein scheinheiliges pack, das mitarbeiter trotz anderslautender tariflicher regelung zu 40 wochenstunden präsentismus zwingen will. 

nächstes mal werde ich jogginghose tragen. so geht die luxus-tochter auch zur schule, und man darf sich der moderne ja nicht verschließen.

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auch wenn ich die eskalationen in nahost gelassener als andere betrachte, da man unverbesserlichen fanatikern jedwelcher couleur eben nunmal nicht helfen kann: gerne würde ich alle propagandisten in deutschland ungeachtet ihrer ausrichtung in eine uniform stecken, wumme in die eine hand, one-way-ticket in die andere, und dann tschüssikowski und viel spaß da unten. denn wer das maul aufreißt, kann auch einen abzug drücken oder sich sonstwie nützlich machen, notfalls als nichtpflanzlicher dünger. 

ich muss unbedingt ein tiktok-rekrutierungsvideo drehen.

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gestern einen neuen club mit einem an sich sehr vielversprechendem musikalischen konzept unsicher gemacht. das tollste an diesem event war, dass uns der hvv zweimal fast 15 minuten zeit schenkte, um den hamburger u-bahn-mäusen beim umherflitzen und mümmeln zuzusehen. gegen dieses highlight konnten zwei unspirierte dj-sets und alte menschen in alberner verkleidung schlichtweg nicht anstinken. 

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der luxus-neffe hat große angst vor bären - und davor, dass ein besonders mordlustiges exemplar dieser gattung plötzlich in seinem kinderzimmer auftauchen könnte. seit ich ihm kürzlich sagte: "wenn einer in dein zimmer kommt, dann darfst du ihn behalten. dann bist du der einzige junge in deiner klasse, der einen bären hat", hat er diese furcht komplett verloren - und womöglich sogar in eine art hoffnung verwandelt.

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ich scheiße bekanntlich zu jeder jahreszeit und ganz besonders im sommer auf den sommer. gibt es ein schöneres geräusch als regen? ja: regen bei 6 grad celsius, der vom sturm ans fenster gepeitscht wird. 




Montag, 16. Oktober 2023

abgezockt

vergangenes wochenende erhielt ich einen anruf von meinem vater. er war derart aufgeregt, dass er erstmal immens stotterte und keine worte fand, um sein anliegen zu beschreiben.

"kennst du sowas im internet", fragte er irgendwann nach mehreren anläufen. "trojaner oder so?"
"ja", sagte ich, "warum, hast du einen?"
"ja!" sagte vaddi aufgeregt. "und dann war da so eine nummer..."
"was denn für eine nummer?"
"telefonnummer, die haben die eingeblendet."
"wer hat die eingeblendet?"
"die, die mir helfen wollten. leute von microsoft oder so."
 
nach einigem hin und her fand ich heraus, dass mein vater beim surfen im internet eine pop-up-einblendung erhalten hatte, dass sein computer angeblich von einem trojaner befallen sei und er deshalb die im pop-up angezeigte rufnummer wählen solle.
 "jetzt weiß ich, was du meinst", sagte ich. "klick das weg, das ist nur spam. irgendwelche abzock-scheiße."
"aber ich hab da schon angerufen."
 
oh nein.
"die wollten doch bestimmt geld von dir, oder?" fragte ich. hoffentlich war papa nicht so dumm gewesen und hatte irgendwas bezahlt.
"neinnein. die haben mir eine liste geschickt von den dateien, die befallen sind. und dann haben die den trojaner entfernt. der war nämlich auch auf den bankkonten."
 ich schnappte nach luft:
"du hast du denen nicht etwa zugang zu deinen konten gegeben?! also deinen benutzernamen und passwort?"
"äh, ja. anders konnten die den trojaner nicht entfernen."
 
jetzt war polen in not.
"okay, papa, hör zu. das waren betrüger und du musst sofort deine konten sperren."
"meinst du?"
"mensch papa, man gibt doch niemandem seine kontodaten! das weißt du doch! und jetzt zackig, ruf die hotline deiner bank an und lass sofort die konten sperren."
mein vater legte ohne weiteren kommentar auf. ich hoffte, um die leitung frei für das gespräch mit der bank zu haben.
 
dann rief mich meine mutter über ihr handy an, ebenso aufgeregt. ich wiederholte, was sache war und fragte sie, ob mein vater jetzt mit der bank telefonierte. 
"die bank hat keine hotline. wir müssen so eine notruf-nummer wählen, das hab ich mir gemerkt,  als wir das konto eröffnet haben."
gut, der sperr-notruf würde es auch tun, sagte ich mir.
"aber jetzt findet der seine kontonummer nicht!" jammerte meine mutter. "der idiot weiß wieder nicht, wo er seine unterlagen abgelegt hat!"
"steht auch auf kontoauszügen", versuchte ich zu helfen, aber dann brabbelte mein vater etwas im hintergrund, meine mutter keifte auf ihn ein, und das gespräch war erstmal beeendet.

"was ist denn los", fragte der luxus-mann irritiert, der neben mir saß und an seinem samstagsabend-drink nippte.
"mein vater hat seine kontodaten an so online-betrüger gegeben. login und passwort."
"alter, ist nicht wahr, oder? dein vater ist mir ja ne nummer! vielleicht solltet ihr mal testen lassen, ob der nicht schon etwas tüddelig ist."
"ich hoffe nur, die sind nicht irgendwie an kohle gekommen."
"glaub ich nicht",  sagte der luxus-mann tiefenentspannt, "dafür brauchen die schließlich ne tan, und dein vater war doch sicher nicht so bescheuert und hat denen das auch noch gegeben."

guter einwand, der raum für neue eventualitäten eröffnete!
 ich rief noch einmal bei meinen eltern an und fragte, ob vaddi auch tans herausgerückt hatte. 
"äh, ja", gab mein vater zu.
"wie viele tans?"
"äh... so vier?"
"alter! wie bitte kommst du auf die idee, irgendwelchen fremden deine tans hinterherzuwerfen?"
"die sagten, sie brauchen die."
"klar brauchen die die. weißt du auch, was die damit machen? die machen sich damit eine authorisierte überweisung! eine tan ist eine elektronische unterschrift! das geld siehst du nie wieder!"
"das glaube ich nicht, wir sind doch versichert", sagte mein vater seelenruhig.
"versichert? gegen was denn?"
"na, 100.000 €."
"du meinst die einlagensicherung. die tritt nur dann ein, wenn deine bank pleite geht. aber die haftet nicht für persönliche dummheit."
"das glaube ich nicht", bekräftigte vaddi seine theorie.

"sind die konten denn jetzt gesperrt?"  fragte ich.
"drei sind gesperrrt."
"und wie viele konten habt ihr?"
"drei. äh, nein, vier."
"was denn nun, drei oder vier?"
"vier."
"gut, dann los, die müssen alle gesperrt werden! auch das vierte!"

mein vater übergab mich wieder meiner mutter, um die kontonummer des vierten kontos zu suchen. meine mutter machte derweil ihrem ärger luft: "ich sitze hier im wohnzimmer und hör die ganze zeit, wie dein vater im arbeitszimmer rumtelefoniert und lacht und schäkert... bestimmt 20 minuten lang! ich dachte erst, der spricht mit dir. aber dann kommt der hier an und erzählt mir diese story vom trojaner... wie kann man so blöd sein! den stecker hätt ich herausgezogen, wäre ich dabei gewesen! und jetzt räumen die uns hier die konten leer!"
"das mit den tans ist wirklich problematisch. damit bekommt ihr keine wiedergutschrift. dagegen gibts auch keine versicherung, anders als papa denkt. wie hoch ist denn euer tageslimit für überweisungen?"
"2.000 €."
ich hatte mehr befürchtet.
"das geht ja noch."

"dann rechnen mal", meinte der luxus-mann, der mitgehört hatte. "eine der vier tans haben die schon für einloggen verbraten. bleiben drei..."
"also 6.000 € schaden ist möglich, meinst du?"
der luxus-mann schaute vorsichtig:
"nicht unbedingt. wenn die da viel geld auf den konten gesehen haben und schlau waren, haben die eine der tans genutzt und das tageslimit damit hochgesetzt."
"wie hoch kann man ein tageslimit denn setzen?"
"das kommt ein bisschen auf die bank an."
 noch einmal rief ich zuhause an:
"wisst ihr, was euer maximales tageslimit ist?"
mein vater behauptete 10.000 €, meine mutter 50.000 €.
 
"wissen die nicht sicher", sagte ich dem luxus-mann. "im schlimmsten fall 50.000 €."
"hm, wenn solche beträge fließen, schaut die bank dann meist schon mal genauer hin... was aber nicht heißt, dass solche überweisungen absolut unmöglich sind. kommt wieder auf die bank an... also rechnen wir noch mal: drei tans verbleiben nach dem einloggen. eine weitere brauchen die, um das tageslimit hochzusetzen. das muss man normalerweise für jedes konto einzeln machen... also überweisen die sich einmal den maximalbetrag. bleibt noch eine tan. damit würden die sich noch mal den maximalbetrag von einem anderen konto holen...  also 2.000 €, weil sie da das tageslimit nicht mehr verändern können, mangels weiterer tans... dann hast du nen worst case von 52.000 €."
mir wurde ganz schwindelig.
"haben deine eltern denn so viel geld?"  fragte der luxus-mann.
"weiß nicht, vielleicht. das haus ist abbezahlt.... und außer für essen und vielleicht mal klamotten oder einen kleinen innerdeutschen urlaub haben die keine ausgaben. also keine teuren hobbys oder so. mein vater hat ja ne gute rente und ist dabei grundsätzlich recht sparsam."

der luxus-mann als erfahrener ex-investmentbanker überlegte weiter.
"weißt du, was für konten das sind? wenn das zum beispiel festgeld ist, kann man davon nichts abheben oder überweisen, das ist immer ein laufender vertrag."
"meines wissens haben die sowas nicht."
"oder ein depot? dann müssten die betrüger zuerst die wertpapiere verkaufen, wofür sie auch tans bräuchten."
"ganz sicher nicht."
"deine eltern lassen ihr geld also unverzinst herumliegen?"
"ja, leider."
"schlecht, in diesem fall ganz besonders."

mein vater rief zurück und verkündete, dass nun alle konten gesperrt seien.
 der luxus-mann gab mir ein zeichen, dass ich ihm mein handy reichen möge. dann sprach er mit meinem vater.
"an eurer stelle würde ich montagmorgen in der hauptgeschäftstelle anrufen und fragen, ob überweisungen von heute zu sehen sind", sagte der luxus-mann in seiner klaren, ruhigen art. "gleich ganz früh morgens, wenn die erreichbar sind. das wochenende könnte uns zeit verschaffen... da passieren nämlich keine transaktionen. vielleicht entdecken die am montag noch nicht ausgeführte überweisungen und können die stoppen. dafür wäre es wahrscheinlich gut, wenn ihr den betrug irgendwie... nachweisen könnt, zum beispiel, indem ihr bis dahin schon mal anzeige erstattet." 
mein vater brabbelte etwas.
"nein, die polizei selber kann da nichts machen", sagte der luxus-mann. "die können nicht in euere konten schauen. das dürfen die auch gar nicht. und für den fall, dass euch mal jemand anruft und sagt, er sei von der polizei und brauche eure kontodaten - niemals drauf eingehen! auch euer bankberater fragt euch nie nach kontodaten oder gar nach tans."
 
der luxus-mann legte auf und schaute mich zweifelnd an.
"ich hab so das gefühl, wenn jemand deinen vater noch mal nach kontodaten fragt... der würde die ihm geben. das prinzip online-banking hat der so überhaupt nicht verstanden. ein wunder, dass da nicht schon früher was passiert ist."
"scheint mir auch so. vor allem mit seiner theorie, dass die einlagensicherung greift, wenn er fahrlässig überweisungen authorisiert..."
"ich würde empfehlen: kein online-banking mehr für vaddi", meinte der luxus-mann. "er kann ja ein online-girokonto behalten, wo er einen kleinen betrag drauf hat. aber den kompletten rest würde ich anders anlegen. die sollen sich am besten ein festgeld-konto holen, es gibt doch auch wieder schöne zinsen inzwischen."

ich suchte für meine eltern die rufnummer der hauptgeschäftsstelle ihrer bank heraus und recherchierte die öffnungszeiten. dann rief ich meine mutter an, denn ich fühlte mich wohler, wenn sie das in die hand nahm.
"ich hab dir die nummer geschickt, die du brauchst. die kannst du montagmorgen um 8 uhr erreichen. gleich um 8 uhr da anrufen... nein, hinfahren brauchst du nicht persönlich. dann sagst du denen, dass ihr opfer von internetbetrügern geworden seid und dass alle noch nicht ausgeführten überweisungen vom samstag gestoppt werden müssen. und morgen fahrt ihr erstmal in ruhe zur polizei und erstattet anzeige. lasst euch da am besten eine vorgangsnummer oder so geben, falls die bank sowas braucht. aber das weiß die polizei sicher auch alles."
 
dann harrten wir der dinge, die da kommen würden.
 
am montag bekam meine mutter einen nervenzusammenbruch, wohl aufgrund der allgemeinen anspannung. sie hatte aber morgens punkt acht bei der hauptgeschäftsstelle angerufen und wie besprochen gebeten, alle überweisungen aufzuhalten. aktuell waren zwei dreistellige beträge abgegangen, die auch nicht mehr zurückgeholt werden konnten.

später am vormittag rief sie mich erneut an, um mir mitzuteilen, dass zwei weitere überweisungen auf dem weg gewesen wären, die die bank aber noch gestoppt hatte. diesmal hätte der schaden mehrere tausend euro betragen, doch die bank konnte die transaktion nach dem anruf meiner mutter abfischen. 
im weiteren tagesverlauf passierte dann glücklicherweise nichts mehr.

"vielen dank für eure hilfe", sagte meine mutter am abend. "auch an den luxus-mann, das war ein super tipp von ihm, da anzurufen. ohne euch hätten wir überhaupt nicht gewusst, was wir machen sollten."
"keine ursache. und macht das am besten so, wie der luxus-mann sagte, trennt euch vom online-banking und legt euer geld lieber fest an." 
"ja, wir haben diese woche gleich einen termin dafür vereinbart."

so ging diese geschichte letzten endes glimpflich aus. auch wenn meine eltern das verlorene geld nie wieder sehen würden, bewegt sich der verlust im noch verschmerzbaren bereich. eine lehre würde ihnen das erlebnis ohnehin sein - so hoffe ich zumindest.

Samstag, 7. Oktober 2023

soziale substanz

der mensch sei ein soziales wesen, hört man ständig. die meiste zeit bewegt er sich unter seinesgleiches, unweigerlich, oftmals in viel zu großer nähe - vor allem, wenn man in einer überfüllten großstadt wie hier in kackstadt lebt.

mein menschenekel ist allseits bekannt, unter männern auch mein "immenses freiheitsbedürfnis" alias alleinsein-bedürfnis, das sich zuverlässig einstellt, sobald ich in etwas beziehungsartigem ende. in der tat halte ich kontakte zu artgenossen in 99 % der fälle für überflüssig, allen voran berufliche. selbst wenn es karrieretechnisch nicht unnütz wäre, vermeide ich es, mehr als die unbedingt nötige lebenszeit mit jobscheiße und den ebenfalls darin gefangenen anderen kapitalismus-sklaven zu verschwenden. 

das bedeutet nicht, dass ich soziale kontakte komplett ablehne. in seltenen fällen begegnen mir menschen, die ich als angenehm empfinde. manchmal kommen sie sogar auf mich zu, was ich besonders beachtenswert finde - und wofür ich dem schicksal oder wem auch immer dann sehr dankbar bin.  

womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, als ich meine heimat verließ: wie schwierig es ist, diese kontakte zu halten. 

das liegt zum einen an der allgemeinen unverbindlichkeit der großstädter, zum anderen aber auch an mir. ich brauche eine gewisse intensität. intensität entsteht bei mir entweder durch ein geteiltes schicksal - wie es bei meiner freundin m. der fall ist, die ihre große liebe zu exakt demselben zeitpunkt ebenfalls durch einen motorrad-unfall verloren hat. wir sind verbunden, weil wir beide niemanden haben, der das trauma in dieser ähnlichkeit teilt, oder mit dem wir darüber sprechen könnten ohne die gefahr, zu langweilen - weil wir immer wieder darüber sprechen müssen, weil diese trauer schlichtweg nicht endlich ist.

in anderen fällen entsteht intensität durch eine art verbindendes interesse - und sei es die banale einsamkeit unter zugezogenen in einer nicht sehr freundlichen stadt. diese art der verbindung ist schwerer zu halten, weil die intensität abebbt, sobald der interesseauslösende faktor schwindet. beispielsweise, weil es plötzlich einen partner gibt, dem die gesamte aufmerksamkeit gewidmet wird, oder weil eine beziehungskrise überwunden ist. auch ein job- oder statdtteilwechsel kann eine solche art der freundschaft bereits (zer-)stören. einfach, weil die motivation, einander zu sehen, so gering wird, dass sie über eine distanz von mehr als zwei straßen oder die müdigkeit nach ein paar überstunden nicht mehr trägt.

ich spreche mit meiner neuen psychiaterin darüber, wie sehr ich einsamkeit suche und wie wenig ich sie aushalten kann. wie ich darunter leide, dass sich kontakte immer wieder zerfasern oder als nicht tragfähig erweisen. "ich habe 27 jahre in bayern gelebt und gearbeitet", erzählt mir meine psychiaterin. "wissen sie, warum ich nach hamburg zurückgegangen bin? weil ich in bayern keine echten freunde finden konnte. ich habe zwar - genau wie sie - immer viele menschen kennengelernt, sowohl im job als auch in meiner freizeit. aber es blieb einfach nichts von substanz. ich kann sie daher gut verstehen. und ich versichere ihnen, dass es nicht an ihrer so empfundenen eigenartigkeit oder fehlenden sozialen kompetenzen liegt."

wie immer wiegt das trennende für mich stärker als das verbindende. das führt dann dazu, dass ich selbst kontakte fallenlasse. abwenden, weitersuchen. 

ich bin mir darüber im klaren, dass ich für den rest meines lebens suchen werde. früher fand ich aufregend. heute macht es mich eher müde. ich laufe gefahr, mich komplett zurückzuziehen oder nur noch nichtmenschliche gesellschaft zu suchen. als ich letzte woche mal wieder woanders wohnte und drei entzückende katzen sittete, hätte ich nichts und niemanden sonst auf dieser welt gebraucht. ich vermied sogar besuche beim luxus-mann, um mehr zeit mit den fellnasen zu haben. mir ist bewusst, dass ich die schlichte abhängigkeit von haustieren von einem dosenöffner nicht unterschätzen darf. fakt ist jedoch, ich habe mich zu keinem zeitpunkt einsam, sondern durchgängig zutiefst verbunden, beruhigt und geerdet gefühlt. 

im alter - sofern ich je ein rentenalter erreiche - wird mein glück vermutlich stark davon abhängig sein, wo ich lebe. und wie ich wohne - und ob dieses wohnen und meine finanzielle situation wenigstens das halten von haustieren ermöglicht.

Montag, 2. Oktober 2023

absurdität

nichts neues aus dem land der alpträume. ein paar mittelmäßige bewerbungsgespräche, aber keinerlei aussichten. entweder merkte ich schon beim nicht stattgefundenen begrüßungs-handshake, boah nee, genauso unsympathisch wie der aktuelle arbeitgeber. oder aber ich schleimte und biederte mich an nach allen regeln des bewerbungscoachings, während das gegenüber das manöver mühelos durchschaute und glasklar erkannte, dass ich krank, verrückt, instabil, inkompetent, verunsichert, absonderlich oder was weiß ich alles bin.

mit meinem selbstbild kann ich keinen blumentopf gewinnen, täuschung liegt mir nicht, ist nur dünne tarnung. mit meiner brüchigen fassade von professionalität und meiner stino-verkleidung wirke ich vermutlich einfach nur seltsam.

meine freundin m. hat sich mit botox unterspritzen lassen. an der stirn ist es noch ok, aber ohne krähenfüße kannste nunmal nicht mehr lächeln, egal wie sehr sich dein mund bewegt. hab ich ihr auch genau so gesagt. sie findet es dennoch ok - argument, sie sei ja keine schauspielerin, die mit ihrer mimik die kohle macht. aber jeder ist schauspieler. sie, indem sie ihr alter versteckt, ich, indem ich meinen wahnsinn verstecke die leistungsgesellschaft zwingt das individuum zu permanenter selbstverleugung.

dass ich voraussichtlich noch 25 jahre schlecht und halbherzig für eine zutiefst verachtenswerte gesellschaft schauspielern muss, versetzt mich in panik. zeitweise möchte ich wieder zur zigarette greifen, aber rauchen ist auch nichts weiter als ein suizidversuch für hosenscheißer. ein halbherziges vielleicht-vielleicht-auch-nicht-sterben, unter der flagge falsch verstandenen genusses. 

ich beobachte mich, wie ich wie ein besinnungsloser vollspießer samstags mit dem luxus-mann durch ein möbelhaus renne und später in einem restaurant fisch esse. abends sitzen wir dann auf der couch oder in einer bar, durchaus mit kurzweil und gut unterhalten. aber niemals verlässt mich das gefühl vollkommender absurdität.

ich kann das leben so nicht ernst nehmen. aber von spaß bin ich ebenfalls lichtjahre entfernt.

von zeit zu zeit frage ich mich, wie es wäre, wenn das objekt noch da wäre. dass das schicksal mir diese person genommen hat, kann ich ihm nach wie vor nicht verzeihen. mit dem objekt verschwunden ist auch mein naiver glaube an eine art gütige macht, eine ordnende kraft, eine nicht entschlüsselbare sinnhaftigkeit, möglicherweise sogar liebe. manchmal weiß ich nicht, was ich mehr vermisse: diesen menschen oder meinen kindlichen, aber hoffnungsvollen begriff von metaphysik.