Samstag, 14. September 2024

empathy not agony

mitgefühl ist bekanntlich eine gute sache, mitleid(en) hingegen eher nicht. mitgefühl bedeutet, das leid des anderen kognitiv nachvollziehen zu können. mitleid bedeutet, selbst in den gemütszustand des anderen zu verfallen - mit allen negativen folgen.

bislang dachte ich, ich sei ganz gut in sachen mitgefühl. ich kann mir probleme anderer anhören, relativ rational darüber nachdenken und lösungen vorschlagen - oder in fatalen fällen behutsam dosierten galgenhumor einsetzen und grundsätzliches da-sein signalisieren. zumindest wenn ich selbst stabil laufe, fällt mir es nicht schwer, mich nicht zu sehr emotional zu involvieren.

aktuell leidet der luxus-mann stark unter den nachwirkungen seiner op, die - wenn man seinem arzt glaubt - auch nicht ganz gewöhnlich sind. eine lösung ist derzeit nicht in sicht, vor allem keine schnelle. das alles deprimiert den luxus-mann sehr und provoziert bisweilen sogar suizidale unkenrufe. und ich weiß nicht, ob es an den seit juli abgesetzten psychopharmaka oder der eigenen unsicheren lebenssituation liegt: ich leide mit. die inzwischen seit drei wochen stark gedrückte luxus-stimmung hat mich regelrecht infiziert. 

das verursacht mir schuldgefühle. denn der luxus-mann braucht jetzt dringend eine ordentliche portion zupackende zuversicht, radikale akzeptanz und besagten galgenhumor. auf jeden fall die sicherheit, dass ich ungebrochen und tatkräftig an seiner seite bin und wir das kind gemeinsam schon schaukeln werden. aber nein. ich verfalle lieber in depressive anspannung, rast- und schlaflosigkeit. fieberhaft arbeitet sich das hirn tags wie nachts ab, was zu keinerlei sinnvollen ergebnissen führt. was wiederum das gefühl lähmender hilf- und nutzlosigkeit befeuert.

heute ist der luxus-mann in seinen alljährlichen kumpel-urlaub geflogen, den er desmal vor lauter frust und beschwerlichkeiten beinahe gecancelt hätte. und ich? nach einem wohlig-entspannten nachtschlaf erlebe ich einen wahren produktivitätsschub. ich stehe früh auf, führe mir die letzten fortbildungskapitel zu gemüte, absolviere recht souverän ein bewerbungsgespräch, verschicke eine weitere bewerbung, mache die wohnung klar schiff und besuche später noch meinen englischkurs. dann bin ich erschöpft, aber auf eine gute art. ich merke, wie es mir gefehlt hat - dieses mich-um-mich-kümmern. das war vor lauter mitleid viel zu kurz gekommen.

und ich stelle wieder einmal fest: mehr ich bedeutet nicht weniger liebe, sondern ein stärkeres und unabhängigeres wir anstelle diffus verschmolzener (ver)wir(r)-gefühle. so zu denken fühlt sich vielleicht manchmal ein wenig egoistisch an, ist aber wohl eine sehr gesunde sache, stelle ich fest.

der luxus-mann ruft mich am zweiten abend an. er klingt zufrieden und meint, es sei gut, dass er mitgefahren ist - und bedankt sich, weil ich ihn angesichts seiner zweifel dazu ermuntert hatte. "manchmal hast du schon recht, auch wenn ich sonst natürlich immer recht habe", foppt er mich.

Mittwoch, 4. September 2024

negativitissimus

am ersten september 1939 begann der zweite weltkrieg. irgendwie irritierend, dass dieses unrühmliche jubiläum mit den landtagswahlen in sachsen und thüringen zusammenfiel.

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moderne politik dient parteiübergreifend nicht mehr zum nachdenken und gestalten, sondern nur noch der unterhaltung. emotional-inhaltslose phrasen und lügen befriedigen dabei zweierlei: die sucht nach entertainment und die bequemlichkeit, in der persönlichen komfortzone verharren zu können.

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warum einem beim lesen der "welt" die ganze trostlosigkeit des deutschen journalismus bewusst wird.

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die jobsuche war erfolgreich. leider. es wird ein furchtbarer job, noch viel schlimmer als der alte: 50 % reisen, 50% präsenzarbeit, kein homeoffice, keine überstundenregelungen, ein gesetzliches minimum von urlaub, dumpinglohn. ich muss ihn annehmen. was bleibt mir schon anderes übrig? höchstens der strick, denn im marketing herrscht immerzu arbeitgebermarkt. 

geht niemals ins marketing, ich bitte euch! werdet lieber altenpfleger, da bleibt mehr würde - und auch nicht weniger geld übrig. (ich überlege mir das mit dem strick noch.)

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"es gibt echt nichts, was du nicht scheiße findest", sagt der mann manchmal anklagend. damit könnte er recht haben, denn meine enttäuschung ob der menschheit und der ganzen welt ist schier grenzenlos. "mit so einer grundlos dauerfröhlichen stinotante kämst du aber doch gar nicht klar", erwidere ich. womit ich recht haben könnte, gibt der mann zu. kleinste gemeinsame nenner sind so wertvoll!

Mittwoch, 28. August 2024

kriminalität um 80 % reduzieren - und zwar langfristig

warning! ein für sehkrank-verhältnisse extrem feministischer text, der in seiner radikalität nicht ganz humorbefreit konsumiert werden sollte! verständnis für ironie und bewusstes polarisieren sollte vorhanden sein, bevor sie jetzt weiterlesen. sonst gehen sie bitte. danke.

ereignisse wie in solingen rufen nach konsequenzen. fest steht, wir haben ein problem. und zwar mit männern. und das nicht erst seit gestern und seit der verstärkten zuwanderung aus staaten mit etablierter macho-kultur.

statistiken untermauern diese tatsache: ohne männer hätten wir rund 80 % weniger kriminalität im land, denn frauen sind deutlich seltener kriminell als männer. beim delikt mord ist der geschlechtliche unterschied am größten: "... es gibt beispielsweise (fast) keine amokläuferin, sexualmörderin, raubmörderin oder massenmörderin. männliche gewalt ist der gesellschaftlich akzeptierte maßstab für normverletzungen und unterdrückung, die tötende frau hingegen ist der betörende und verstörende gegenentwurf. (...) in konkreten zahlen heißt das: nur 15 prozent der bei mord überführten täter sind frauen, bei den delikten totschlag und tötung auf verlangen sind es lediglich 12 prozent."

vielleicht denken einige nun: die armen männer können aber doch gar nichts für ihren hang zu kriminalität und gewalt. die haben schließlich viel mehr testosteron als frauen! die können sich leider nicht so im zaum halten. entsprechend muss man ihnen das eben nachsehen, wenn ihnen mal die faust oder das messer ausrutscht. oder auch der erigierte penis.

oder etwa nicht?

das institut für kriminologie der universität heidelberg geht davon aus, dass der überhang männlicher delikte vorwiegend eine frage persönlicher werte ist: "männer sind gewalttätiger als frauen, weil sie in größerem umfang delinquenz fördernde werte präferieren und delinquenz hemmende werte ablehnen." kurzum, kriminalität und gewalt sind eine bewusste persönliche entscheidung und keineswegs determiniert. soweit, so traurig. und so anspruchsvoll hinsichtlich der übernahme von verantwortung.

was mich persönlich dabei am meisten stört, ist die tatsache, dass die gesellschaft diese auffallend übermäßig ausgeprägte männliche kriminalität offenbar ganz ok so findet und sie quasi als naturgegeben hinnimmt. der großmäulige macker, der unreflektiert draufhaut, ist immer noch das standardmodell, während ein mann, der sich zurückzunehmen weiß, schnell als lahmer lutscher gilt. die evolution des mannes hinsichtlich gesellschaftlicher verträglichkeit geht insgesamt nur langsam vonstatten - und scheint momentan sogar rückläufig, wenn man beispielsweise die gestiegenen zahlen von häuslicher gewalt betrachtet. oder eben die von messerattacken.

verstehen sie mich nicht falsch. ich liebe die meisten männer von ganzem herzen - für ihre häufig naive ehrlichkeit, ihre unverstelltheit sowie ihre spontane und vielseitige energie. ich ziehe ihre gesellschaft deshalb oftmals der von frauen vor. ich bin auch keine anhängerin von frauenquoten und sonstigem regulativen quatsch. aber männer machen ein land - statistisch betrachtet und speziell in hinblick auf friedlichkeit, harmonie und sicherheit - leider nicht unbedingt besser. zumindest nicht derzeit. das ist ein großes defizit, das uns nicht nur innere sicherheit, sondern auch jede menge geld kostet. riesige polizeiaufgebote, komplexe überwachungsmaßnahmen, unzählige gerichtsprozesse und die kosten für bau und unterhaltung von gefängnissen - all das sind ausgaben, die sich unsere patriachalistische gesellschaft ohne nachzufragen leistet, während anderswo haufenweise geld fehlt. was mich persönlich fassungslos macht.

strengere gesetze, messerverbotszonen oder schnellere abschiebungen sind nicht mehr als ein medien- und publikumswirksames pflaster zur symptombekämpfung. die beendigung des selbstverständlichen hinnehmens von männern als täter hätte hingegen ein potenzial von theoretisch bis zu 80 % reduktion der gesamtkriminalität. 

just saying. 

zum glück hat die alte aber ja auch nix zu melden, denken jetzt sicherlich einige. aber wartet mal ab - zukunftsforscher tristan horx sagt das zeitalter der frauen voraus. zumindest rein theoretisch und immerhin auf sehr diplomatische art und weise. 

p.s.: die schreiben doch hier ab!


 

Freitag, 2. August 2024

müffelalarm und fortschreitender geistiger verfall

auf heimatbesuch. mit vatern geht es weiterhin bergab. das laufen ist nicht mehr sooo viel schlechter geworden, er kann sich noch mühsam mit dem rollator fortbewegen. aber es scheint fast permanent ein nebel in seinem kopf zu wabern. ähnlich wie das objekt lebt er in zuständen endloser tagträumerei unter verlust des zeitgefühls. mein vater kann den tag nicht strukturieren, lebt von mahlzeit zu mahlzeit und von toilettengang zu toilettengang. dazwischen sitzt er auf dem sofa, starrt vor sich hin oder schläft.

zwischendurch gibt es seltene helle momente. immer dann, wenn ihn etwas interessiert - zum beispiel sein auto. als er neue reifen braucht, organsiert er das so flugs wie früher, läuft sogar ohne rollator zur garage und wieder zurück in einem für ihn schier unfassbarem tempo. wir sind verblüfft: wie geht das? meine mutter, inzwischen vollkommen verbittert über meinen vater, spekuliert, dass er simuliert, um sich weiterhin alles anreichen lassen zu können. ich bezweifle das, kann mir aber psychologische komponenten dieses merkwürdigen krankheitsbilds immer besser vorstellen.

sonst braucht er mittlerweile hilfe bei fast allem. auch alleine anziehen geht nicht mehr. soll er beispielsweise in ein t-shirt schlüpfen, zieht er es dreimal falsch herum an. dann hängt es irgendwo oberhalb seines dicken bauchs, weil er nicht versteht, dass er sich mit dem rücken kurz von der stuhllehne lösen muss, um das t-shirt über den bauch bis nach unten ziehen zu können. meine mutter zieht und zerrt derweil an ihm und schimpft dabei.

neu ist, dass mein vater stinkt - und das nicht zu knapp. das liegt vor allem an seiner inkontinenz und dass er seine einlagen zu lange trägt, da er volle einlagen stante pede zum mülleimer bringen soll. ein gang, den man sich natürlich auch sparen kann, wenn man in kauf nimmt, dass die vollgesogene einlage in kleidung und polstermöbel suppt. meine mutter verteilt überall handtücher und alte sitzauflagen, um das schlimmste zu verhindern, und putzt und wäscht den lieben langen tag. trotzdem riechen alle räume, in denen sich mein vater länger aufhält, wie ein obdachlosenheim. 

ich habe mich gefragt, wie urin so schrecklich stinken kann. aber vermutlich liegt es daran, dass mein vater kaum trinkt. am schlimmsten ist es nachts. wenn er nachts auf toilette war, muss man mindestens eine halbe stunde warten und alle fenster aufreißen, damit der gestank wieder abziehen kann. ich selbst nehme meist die toilette im zweiten stockwerk, die er nie benutzt, da ich sonst vor lauter ekel nicht mehr einschlafen kann. dort liegen auch keine versifften einlagen herum, die ja eigentlich in den mülleimer sollen, aber leider selten dort landen. oftmals sind es nette souveniers für denjenigen, der das bad nach meinem vater benutzt.

eine weitere ursache des stinkens ist auch, dass mein vater beim duschen kein duschgel nimmt, sondern nur ein bisschen wasser über sich laufen lässt. laut eigener aussage hat er das immer so gemacht, aber das kann unmöglich stimmen. bis vor ein paar jahren roch mein vater nach dem duschen immer taufrisch nach seife. fast täglich benutzte er rasierwasser oder parfums. nun stinken vor allem die füße  schlimmer als harzer käse. sämtliche aufklärungsmaßnahmen zu diesem thema sind gescheitert. ich habe vorgeschlagen, eine pflegekraft hinzuziehen, die ihn duscht, aber mein vater hat erst pflegestufe 1. meine eltern bekommen nur 40 € monatlich für hilfsmittel.

ärztlicher rat bleibt aus. demenz, parkinson, vaskuläre oder wirbelsäulenschäden? all das steht nach wie vor im raum und scheint doch nicht für alle symptome auszureichen. wir bestürmen meinen vater, sich doch einmal für zwei oder drei wochen in eine reha zu begeben, wo intensiv mit ihm gearbeitet wird. schon allein, um meine mutter zu entlasten, die kurz vorm nervenzusammenbruch steht. aber er weigert sich beharrlich. es sei ja alles nicht so schlimm, meint er, im alltag klappe doch alles. zwischen seiner wahrnehmung und der realität klafft ein weltall.

vor zwei wochen war er bei einem rudimentären demenztest, der überraschend gut ausfiel. wenn er sich keine blöße geben will, funktioniert tatsächlich viel. wieder rätseln wir: ist es wirklich eine krankheit? oder doch nur faulheit? und wenn es eine krankheit ist, wie viel anteil trägt die faulheit an ihrer permanenten verschlechterung?
"kannst du es nicht besser - oder ist es dir einfach egal?", frage ich immer wieder. "niemand wird dir vorwürfe machen, wenn du etwas einfach nicht mehr kannst. aber du musst uns helfen, damit wir dir helfen können!" meine vater kann oder will diese frage nicht beantworten. 

morgens geht es ihm am schlechtesten, insbesondere psychisch. er hat mehrfach verschiedene antidepressiva verordnet bekommen, die seinen antrieb steigern und ihn aus seiner totalen passivität holen sollen. ich hatte fast gejubelt, als mir meine mutter sagte, sie hätten endlich ein rezept dafür bekommen. mein vater weigert sich jedoch, auch nur ein medikament zu versuchen. "du kommst aber doch morgens vor lauter depressivität kaum aus dem bett", sage ich. nein, er habe keine depressionen, behauptet mein vater dann.

meine bereitschaft zu helfen schwankt. ich versuche, meinen vater zum spazierengehen und anderen bewegungsarten zu motivieren. gehe kleine strecken mit ihm, lobe und treibe ihn an. bringe ihm ein paar kniffe am computer bei, die er sich sogar überraschenderweise merkt. doch immer wieder übernehmen auch verzweiflung und wut das ruder. als ich wieder einmal über vollgepisste einlagen und unterhosen stolpere, explodiere ich. sage ihm, wie ich mich für ihn schäme und dass ich niemanden mehr in dieses haus mitbringen könne. dass ich gottfroh sei, dass der luxus-mann keinen urlaub bekommen hat und anders als geplant in kackstadt geblieben ist. eine zumutung sei das, überall seine exkremente herumfliegen zu lassen, und dass er doch sonst schon keinen finger rühren müsse. mein vater wirkt erst zerknirscht, dann wieder vollkommen unbekümmert. mir ist klar, dass er das ereignis sofort wieder ausblendet. ich mache mir indes vorwürfe: ich reagiere schon so zickig und entnervt wie meine mutter! wie kann ich nur einen alten, kranken mann so behandeln!

montag geht es wieder zurück in den norden. fortbildung beantragen, bewerbungsgespräch wahrnehmen, steuererklärung machen, den luxus-mann wiedersehen. mehr als genug zu tun. normalerweise bin ich immer traurig, wenn ich wieder in kackstadt bin. diesmal bin ich fast erleichtert, obwohl ich hier und heute mein elternhaus wahrscheinlich zum letzten mal besucht habe. das stimmt mich wehmütig. längst denke ich nicht mehr in jahren, sondern in monaten. ich lasse meine blicke sehr lange durch mein altes kinderzimmer streifen, überlege, was ich weggebe und was ich mitnehmen werde und wie ich den transport dafür organsiert bekomme. und immer wieder, was wir mit dem haus machen könnten. wahrscheinlich werde ich es nicht halten können, allein die nebenkosten sind höher als meine spätere monatliche rente. so gerne ich hier alt werden würde - die finanzielle situation erlaubt eigentlich nur einen verkauf.

der gefühlsmix aus wehmut, ungewiss, mitleid und zorn wühlen mich auf und verwirren mich. seit drei wochen nehme ich keine antidepressiva mehr, da ich ohne kackjob kaum mehr psychische probleme habe. diese realitäten erlebe ich jedoch ungefiltert und unschön. mal sehen, wie lange ich sie ertrage.

Samstag, 27. Juli 2024

beinig an outsider: die jahre am gymnasium

therapeutisches schreiben, klappe die 2. 

als ich in die fünfte klasse ans gymnasium wechselte, war es zunächst für mich, als könne ich neu anfangen. die meisten kinder aus meiner grundschulklasse gingen auf die haupt- oder realschule. ich beschloss daher, dass ich ab sofort anders sein würde: cool und lustig und vor allem keine streberhafte einser-schülerin mehr.

ich hatte aber auch horror vorm gymnasium, das eine riesige schule mit integrierter realschule war. ein enormer kasten aus beton mit einem ziemlich großen einzugsgebiet an schülern. einige aus meiner alten klasse gingen auf das kleine, sehr renommierte gymnasium im nachbarstadtteil. dort hätte ich mich vermutlich wohler gefühlt. 

doch dann erzählte mir a. - eine 17-jährige aus meinem turnverein, die ich zu meiner großen wahl-schwester auserkoren hatte - dass sie auch auf meinem gymnasium sei. "wenn was ist, kommst du in der pause einfach zu mir", sagte sie aufmunternd. das fand ich toll und half mir sehr bei meinem start. gleichzeitig lockte es mich wieder in die falle. denn was machte ich natürlich? ich stand in den pause mit a. und den anderen zwölftklässern herum, anstatt mich mit den leuten aus meiner klasse zu befassen.

zu a.s clique gehörte einmal ihr freund, der riesengroß und spindeldürr war. für ihn war ich wie eine kleine schwester. außerdem war da eine hübsche blonde, die genauso hieß wie ich. sie konnte irrsinnig gut zeichnen. als ich wieder einmal neben ihr saß und vor bewunderung sabbernd beobachtete, wie sie den stift übers papier fliegen ließ, erzählte sie mir, ihre kleine schwester i. sei eigentlich noch viel talentierter. sie habe das große michelangelo-gemälde gemalt, das die schulaula zierte. ich staunte noch viel mehr und brannte natürlich darauf, i. kennenzulernen. 

i. war ein jahr jünger als ihre schwester und ging in die elfte klasse. in meinen augen war sie eine verheißung. sie trug ihr hellblondes haar knallrot, was ihre leuchend blauen augen und ihre helle haut noch mehr strahlen ließ. sie ging fast immer barfuß, wenn es das wetter auch nur ansatzweise erlaubte. das beste war ihre kleidung: sie trug lange, schwingende röcke aus verschiedenen stoffmustern. sie nähte sie alle selbst. sie war in meinen augen das schönste mädchen der schule und das auffälligste noch dazu.

anfangs war i. wenig begeistert, dass ich ihr fortan hinterherlief. ich war zehn, von mutti spießig eingekleidet und auf den ersten blick einfach nur ein langweiliges kind. aber wir kamen in den flow - und da ihr zuhause auf meinem weg lag, gingen wir oft zusammen, wenn wir mittags zur gleichen zeit aus hatten. ich lernte wahnsinnig viel von i.: wie man haare mit henna färbt. wie man coole bilder malt. wo man gute stoffe für selbstgenähte kleidung bekommt. sie interessierte sich auch für philosophie, woraufhin ich mir zu weihnachten "sophies welt" von jostein gaarder wünschte.

das alles fand ich sehr viel spannender als das, was mir beispielsweise meine banknachbarin so erzählte. sie war in einen der sitzenbleiber in unserer klasse verknallt, den ich oberpeinlich und superdämlich fand, und sie hörte michael jackson, während ich klassische musik bevorzugte. trotzdem nahm ich sie öfter mit zu mir, wenn sie eine schlechte note geschrieben hatte. schlechte noten bedeuteten für sie zuhause prügel, und das tat mir leid.

die anderen mädchen in meiner klasse blieben eher entfernte bekannte für mich. ich beschäftigte mich wenig mit ihnen. ab und an bekam ich mit, dass sie über mich lästerten, aber das fand ich nicht so schlimm. meist ließen sie mich in ruhe. die jungs waren da weniger zimperlich. sie zogen alle register: sie verunglimpften meinen namen, versteckten meine sachen oder warfen mein fahrrad in die böschung, wenn ich morgens vergaß, es an den ständer zu schließen.

ich ertrug es relativ stoisch, da ich einfach keinen wunsch hegte, mich mit ihnen in irgendeiner form abzugeben. den klassenclown hatte ich ebenfalls nur kurze zeit gespielt. diese wenig interessanten menschen waren es mir nicht wert, meine guten noten zu gefährden oder mir sonstigen ärger einzuhandeln.

was mich wesentlich mehr belastete, spielte sich in der siebten und achten klasse ab. ich war damals 12 bzw. 13 und keine schönheit. ich trug immer noch eine feste zahnspange, inzwischen auch noch eine brille und hatte schlimme akne. darüber hinaus trug ich bevorzugt alte kleidung aus den jugendjahren meiner eltern und großeltern - in wilden und absolut nicht stilsicheren kombinationen. 

auf meine sichtbare absonderlichkeit sprang eine gruppe jungs aus der elften klasse an. sie waren in der regel zu dritt: ein anführertyp mit vorlauter klappe, ein zweiter typ, der den anführer unterstützte, und ein schüchterner, der vermutlich ebenfalls eher ein opfer war. der anführertyp kam eines tages kurz nach der pause in unser klassenzimmer zu mir und bat mich recht höflich, doch bitte mal mitzukommen. draußen vor der tür standen die anderen beiden. der anführer behauptete, der schüchterne typ sei in mich verliebt. der schüchterne wollte weglaufen, aber der unterstützer-typ hielt ihn fest - und der anführer-typ mich. wir sollten uns küssen. wir wehrten uns natürlich. irgendwann kam ein lehrer und die typen musste abzischen.

ich war komplett verstört, da ich mit jungs noch nichts am hut hatte. der schüchterne war sicherlich überhaupt nicht in mich verliebt war, allenfalls ein mitläufer und wollte vermutlich auch nur seine ruhe. aber die beiden anderen waren fies. ich ahnte, dass dies nicht unsere letzte begegnung war - und sollte recht bekommen.

fortan wurde ich regelmäßig in der pause oder nach der schule abgefangen, festgehalten, verspottet und manchmal auch bedroht. ähnlich wie in der grundschulzeit suchte ich alternative wege, die schule zu verlassen, versteckte mein fahrrad, damit die jungs nicht sahen, wo ich parkte, oder versuchte, an der seite eines lehrers zu entkommen. aber die jungs wussten, wo ich wohnte und welche straßen ich nutzen würde, um nachhause zu kommen. sie passten mich ab und versperrten mir den weg. 

das ging locker ein jahr so. die jungs wurden des spiels nie müde. irgendwann, als sie mir wieder einmal mit ihren rädern den weg versperrten, gab ich gas. ich krachte heftig ins vorderrad des teuren rennrads des anführers, konnte mich dabei aber im sattel halten und fuhr stolz wie eine königin davon, während der anführer bedröppelt guckte und sein vorderrad begutachtete. ich hoffe, dass er nun den fettesten achter der welt darin hatte.

am nächsten tag nach schulschluss war mein fahrrad verschwunden. ich wusste nicht mehr, ob ich es angeschlossen hatte oder nicht. ich hatte zuerst die jungs aus meiner klasse im verdacht, aber da diese dumm und unkreativ waren, fand ich mein rad sonst berechenbarerweise in der böschung neben den fahrradständern wieder. diesmal war dem nicht so. davon abgesehen passte die aktion viel zu gut zum vorfall am vortag. 

zuhause bekam ich wegen des verschwundenen fahrrads ärger. für meine eltern war sonnenklar, dass ich die sache verschuldet hatte, weil ich mein rad nicht ordentlich abgeschlossen hatte. mich überkam nackte verzweiflung. ich hasste die ganze schule und meine eltern ebenfalls. ich schrieb schlechtere noten als sonst, da ich nachts wachlag und grübelte, wie ich aus der situation herauskommen könnte. ohne fahrrad war ich jetzt dummerweise auch noch langsamer und die jungs hatten ein noch leichteres spiel. 

irgendwann im frühsommer der achten klasse kam die unerwartete wende. ich traf den unterstützer-typen auf dem nachhauseweg alleine an. er sagte höflich hallo und machte keine anstalten, fies zu werden. ich nutzte seine friedlichkeit und beschuldigte ihn, mein fahrrad gestohlen zu haben. er versicherte mir, dass dem nicht so sei. sie hätten es nur woanders hingebracht - in das wäldchen auf der anderen seite des schulgeländes. ich würde es bestimmt wiederfinden. für mich läuteten alle weihnachtsglocken. am nächsten tag fand ich mein rad tatsächlich wieder. es war unversehrt und ordentlich an einen baum gelehnt. 

als ich den unterstützer einige tage später noch einmal alleine traf, wollte ich von ihm wissen, warum sie mich verfolgten. "das war doch nur spaß", meinte er. "das war nicht so gemeint." ich vermutete, dass in dieser antwort viel wahrheit steckte und dass sich mobbing und ähnliche aktionen auf diese weise im allgemeinen gut erklären lassen: es ist für die täter einfach ein riesenspaß - und sie machten sich keinerlei gedanken darüber, wie es dem opfer dabei ging.

noch etwas sehr merkwürdiges passierte an diesem nachmittag: ich fand den unterstützer-typen plötzlich heiß. er war groß, blond und athletisch - und jetzt sogar irgendwie nett zu mir. vielleicht war ihm tatsächlich klar geworden, dass sie zu weit gegangen waren. ich träumte, dass er mich künftig vor dem anführer beschützen würde. meine ersten romantischen kleinmädchen-fantasien!

tatsächlich ebbte das nachstellen ab. das lag allerdings wohl weniger am engagement meines schwarms als vielmehr daran, dass die jungs in die kollegstufe kamen. dies bedeutete an unserem gymnasium individuelle stundenpläne bis zum späten nachmittag - und somit selten gemeinsamer schulschluss um 13 uhr. nach der neunten klasse sah ich keinen der drei jungs wieder. 

bis zum abitur hatte ich das schlimmste hinter mir. meine klasse und ich wurden nie freunde, auch wenn mich ein schüleraustausch mit den usa mit einigen von ihnen näher zusammenbrachte. zu beginn der kollegstufe lernte ich dann meine erste große liebe kennen, was mich zutiefst entspannte. endlich liebte mich jemand - da konnte mich der rest der welt mal am arsch lecken.

Donnerstag, 18. Juli 2024

teased and bullied: mobbing in meiner kindheit

weil es im vergangenen post in den kommentaren zur sprache kam, hier ein kleiner ausflug in meine weniger schönen kindheitserinnerungen.

am tag meiner einschulung war ich stolz wie bolle: ich trug mein rosa rüschenkleidchen und lackschühchen mit weißen kniestrümpfen. dazu eine schultasche mit bunten herzen, mit passendem federmäppchen und turnbeutel. sogar meine schultüte hatte dieses design. es war alles genau nach meinem geschmack: ein 1000%-iger mädchen-traum. süß, lieb, rosarot.

ich konnte bei meiner einschulung bereits lesen und freute mich insgesamt sehr auf die schule und das lernen. ich mochte auch meine klassenlehrerin auf anhieb, eine sehr kleine, ältere dame mit einem strengen gesicht. sie strahlte keine große herzenswärme aus, aber das versprechen auf weisheit. ich verspürte bei ihr - wie so oft bei erwachsenen - sofort den drang, mich mit ihr zu unterhalten und sie in meine kleinen naturwissenschaftlichen und kinderliterarischen entdeckungen einzuweihen.

die kinder aus meiner klasse waren für mich weniger interessant. spielen mit anderen kindern fand ich schon im kindergarten langweilig. ich bevorzugte den kontakt mit meinen erzieherinnen, half in der teeküche und band den jüngeren kindern die schleifen ihrer schuhe, wenn sie nach draußen wollten. die erzieherinnen hatte meine hilfsbereitschaft und fürsorglichkeit immer begeistert. heute würde man kinder wie mich wahrscheinlich eher zum psychologen schicken.

ich weiß nicht mehr, wann es das erste mal passierte. vielleicht nach ein paar tagen oder auch wochen, nachdem die jungs mich genauer abgecheckt hatten. gesehen hatten, dass ich im unterricht mühelos mitkam und fast immer die richtige antwort wusste. verstanden hatten, dass ich wirklich immer meine rosa mädchenklamotten und niemals jeans trug. herausgefunden hatten, dass ich insgesamt eher langsam, vorsichtig und manchmal recht ungeschickt war und grundsätzlich weniger dazu neigte, in einem sich formenden freundeskreis aufzugehen.

irgendwann nach schulschluss war es soweit. sie waren zu viert oder zu fünft, meist mit zwei zweitklässern im schlepptau. sie lauerten mir hinter der turnhalle auf und stürzten sich auf mich wie löwen auf der jagd. sie zerrten mir die schultasche herunter und warfen sie in den dreck. sie rissen an meinen kleidern, schubsten mich umher und schlugen mich grün und blau. 

ich war zu schockiert von dieser brutalität, um mich zu wehren. ich war vor angst und schreck erstarrt und begann schnell zu weinen. das war natürlich eine grandiose einladung fürs nächste mal.

und dann ging es richtig los. ich war in keiner pause mehr sicher. und wenn die glocke zum schulschuss läutete, war mir kalt vor angst. ich überlegte mir jedesmal andere wege und möglichkeiten, wie ich der gang entkommen konnte - das schulgelände durch den hinterausgang oder mit der lehrerin zusammen verlassen, oder mich im schulgebäude zu verstecken, bis die angreifer keine lust mehr hatten, auf ihr opfer zu warten. manchmal klappte es. oft auch nicht. die jungs waren zu mehreren, sie konnten sich aufteilen und mich aufspüren.

meiner mutter entging nicht, was los war. wenig amüsiert über verdreckte und zerrissene kleidung begab sie sich zu meiner lehrerin in die sprechstunde. da könne sie nichts machen, sagte diese, das müssten die kinder unter sich regeln. 

meine mutter beschloss daraufhin, mich von der schule abzuholen. doch wenn sie glaubte, ihre anwesenheit würde die jungs davon abhalten, auf mich loszugehen, dann lag sie falsch. sie waren zu mehreren und scherten sich nicht weiter, dass eine erwachsene person daneben stand und hilflos "aufhören!" kreischte, während sie mich vermöbelten.

meine mutter zog ihren letzten joker. sie besuchte die mutter des anführers der gang und bat sie, ihrem sohn ins gewissen zu reden. doch die anführer-mutti war eine zarte alleinerziehende mit stressigem vollzeitjob, die keinerlei authorität besaß und ihrerseits meine mutter vollheulte, dass ihr ihr sohn nur auf der nase herumtanzte.

mein glück war, dass eine familie in die straße nebenan zog, die einen für sein alter recht großen, bulligen sohn hatten. der kam in meine klasse und war sehr nett. mein vater - recht clever - sprach ihn eines tages an und erzählte ihm von meinen problemen. der junge war überraschend schnell bereit, mir zu helfen. mit seinen beiden schmächtigen kumpels waren wir fortan zu viert. das half, dass sich die gang nicht mehr an mich herantraute. hin und wieder konnte ich ihnen natürlich nicht entkommen und ich bekam meine abreibung. aber insgesamt wurden die attacken seltener. mein vater hatte hier eine wirklich kluge, vom glücklichen zufall befeuerte lösung gefunden.

ein echtes ende dieses mobbing-kapitels zeichntete sich in der zweiten klasse ab. wir bekamen eine neue mitschülerin. sie war dick und trug eine irrsinnig starke brille. instinktiv wusste ich, dass ich nun aufatmen konnte - und ich lag richtig. fortan war die neue das ziel der jungs. da sie hochnäsig und unfreundlich war, entwickelte ich auch kein großartiges helfersyndrom. ich hatte mich zudem inzwischen mit einigen der anderen mädels lose angefreundet und war somit mehr teil der gemeinschaft geworden. zumindest in den pausen spielten wir zusammen verstecken und gummitwist oder kästchen-hüpfen.

ein weiterer glücksfall war, dass der gang-anführer so dumm war, irgendwann ein messer mit in die schule zu bringen. das flog schnell auf und führte zu einem verweis. weniger später musste er die schule verlassen.

in der zweiten hälfte der vierten klasse begannen erneut probleme, allerdings anders geartet. diesmal hatten mich zwei jungs aus der zwei straßen entfernten hauptschule als opfer auserkoren. sie verprügelten mich nicht, klettteten aber nach schulschluss regelmäßig an mir und machten blöde sprüche über meine kleidung oder meine zahnspange. sie waren schon zwölf bzw. 13, ich erst neun. eine zeitlang hatte ich große angst, bis ich eines tages den einen der beiden alleine antraf. er wohnte auf meinem nachhauseweg. alleine machte er keine dummen sprüche, sondern war sehr nett zu mir. er war etwas dick und nerdig, und ich vermute, dass er sich deswegen einen "starken" kumpel gesucht hatte, mit dem er gemeinsam den bad boy spielen konnte. dieses kapitel endete, als ich aufs gymnasium kam und mittags nicht mehr an der hauptschule vorbeimusste.

obwohl ich äußerlich betrachtet also heil aus meiner grundschulzeit herausgekommen war, hatte ich meine lektion gelernt: ich war definitiv falsch. und dieses falschsein musste ich vor anderen kindern künftig dringend besser verbergen. am liebsten hätte ich mich ganz geändert, äußerlich und innerlich. aber da ich nicht recht wusste, was dieses "falschsein" genau ausmachte, was mich also so hassenswert machte, war tarnung nicht ganz einfach. ich machte letztlich das, was ich auch zuhause tat: mich möglichst total anpassen. je nach laune meiner mutter war ich vollständig unsichtbar, vordergründig lustig und fröhlich oder aber fleißig, mitfühlend und eine stütze im haushalt. so verhinderte ich meist recht erfolgreich wutausbrüche und sicherte mir lob und zuneigung. kein sehr empfehlenswerter weg, um sich selbst, seine wünsche und seine grenzen kennenzulernen und auch durchzusetzen.

was mir angesichts meiner fehlerhaftigkeit kraft und trost gab, waren meine träume. in meinen tagträumen konnte ich mich komplett von der welt abkoppeln. ich bekam nicht mit, wie die zeit verflog oder wenn meine eltern mich riefen. in mir war meine perfekte zuflucht. was, wie ich später erfuhr, sehr typisch für mädchen mit adhs ist.

bis heute tauche ich gerne in diese geistige welt ab - je größer die äußeren widerstände, desto intensiver. das funktioniert am besten, indem man sich ein komplett unrealistisches projekt sucht und dort sämtliche sehnsüchte hineinprojiziert. dazu ist der passende soundtrack wichtig und eine strecke, die man als hyperaktiver mensch schnell gehen oder rennen kann. nach ein bis zwei stunden tritt so etwas wie ein leichtes, schwebendes glücksgefühl ein, das nichts und niemand so schnell antasten kann. körpereigene drogen at its best.

meine träume haben mir immer unheimlich geholfen, die realität zu überleben. sie sind aber auch nicht ungefährlich, weil sie dazu führen, dass sich mein leben nicht weiterentwickelt, weil ich grundsätzlich wenig interesse an der realität habe. das hatte mir einst auch das objekt angekreidet - womit es leider wie so oft ins schwarze traf. bis heute muss ich mich zwingen, nicht zu flüchten, sondern wirklichkeit aktiv zu gestalten - und träume so behutsam wie drogen zu dosieren.

soweit für heute. vielleicht schreibe ich noch ein kapitel zum thema mobbing in meiner gymnasialzeit. bis dahin könnt ihr mir gerne auch eure erfahrungen und gedanken schildern.

Samstag, 13. Juli 2024

befreiungsschlag

als ich gestern schon wieder verzweifelt und den tränen nahe im büro saß und zu arbeiten versuchte, nachdem mir erneut wichtige informationen vorenthalten und sogar falsche zugespielt und infolge dessen mein entsprechend fehlerhafter entwurf für die neue website in der luft zerrissen worden war, rief mich der chef zu sich.

wie es denn geht, wollte er wissen. schlecht, sagte ich, es ist immer dasselbe und es wird zunehmend schlimmer, da die angriffe durch mein team mehr und mehr auf persönlicher ebene erfolgen und ich das inzwischen als mobbing empfinde. der chef nickte wissend, er kannte die gegenseite natürlich bereits von meinem team, das wohl regelmäßig über mich herzog.

"mit den anderen beiden teams ist alles fein, das läuft, da darf ich nicht klagen", ergänzte ich, "einige setzen sich sehr für mich ein in der aktuellen situation und haben sogar die teamleitung darüber informiert, wie unfair ich behandelt werde. aber die zusammenarbeit mit meinem team ist wirklich eine qual, und innerhalb dieses unternehmens wechseln kann ich ja nicht. jeder rät mir entsprechend zu gehen. ich habe auch bereits angefangen, mich anderweitig zu bewerben."

der chef überlegte und schlug dann vor, meinen vertrag zu kündigen. er sah mich dabei so vorsichtig an, als müsse er gleich vor einer hochemotionalen reaktion in deckung gehen. aber alles, was ich empfand, war grenzenlose erleichterung - und ich stimmte zu. nur weg, einfach weg! sich dieser beständigen herablassung und demütigung bloß nicht mehr aussetzen müssen!

"gut", meinte der chef. "ich kann ja nichts negatives über dich über dich sagen. daher habe ich überlegt, ob nicht eine andere, soeben freigewordene stelle zu dir passen könnte." er fasste kurz zusammen: bildungsbereich, pionierarbeit, mehr projektleitung, weniger marketing. es hörte sich hochspannend an, passte aber strenggenommen nicht auf mein profil. ich verwieß auf dieses qualifikationsdefitzit, aber der chef meinte, er würde mich trotzdem vorschlagen, wenn ich interesse hätte - immerhin sei er dort im vorstand. also erlaubte ich ihm, dass er meinen lebenslauf an die hr-abteilung dort senden dürfe. ich rechnete mir rein fachlich keine großen chancen aus, aber wenn der chef an mich glaubte und sich so für mich einsetzte, würde ich ihn natürlich auf keinen fall daran hindern.

"hast du eigentlich noch resturlaub?" wollte der chef dann wissen. "den kannst du natürlich noch nehmen, der steht dir ja zu."

wir rechneten durch und stellten fest, dass ich - zahlreicher überstunden sei dank - im prinzip direkt gehen konnte. "das ist doch jetzt gut so, dann musst du dich jetzt auch nicht mehr mit den anderen herumärgern. soweit ich das richtig verstanden habe, ist das hier für dich kein großes vergnügen", schmunzelte der chef. "mach einfach deine übergabe und reiche das urlaubsformular ein, meine mündliche freigabe dafür hast du." "ich bin in der tat dankbar für jede stunde, in der ich nicht mehr mit meinem team zusammen sein muss", erwiderte ich frank und frei.

jetzt habe ich also einen langen spontanurlaub. und bin bald arbeitslos. aber kein bisschen träurig für den moment. ich werde durchatmen, neue möglichkeiten sondieren, mich währenddessen möglichst intensiv fortbilden - und auf bessere zeiten hoffen.

Freitag, 5. Juli 2024

macht endlich euren job!

profillosigkeit und bürokratie kosten der politik inzwischen viel ansehen und zugleich bares geld. denn manchmal muss man auch auf den ersten blick unangenehme entscheidungen treffen und sich akzeptanz in der bevölkerung ERARBEITEN. 

ein beispiel für eine solche unangenehme entscheidung wäre die wiedereinführung der vermögenssteuer, unter helmet kohl (cdu) im jahr 1996 ausgesetzt. 380 milliarden euro fehlen dadurch aktuell in der staatskasse. summen, die dieses land dringend braucht. summen, die investiert werden und gerechtigkeit sicherstellen könnten - für zufriedenere bürger.

aber das wort "arbeit" kennen politiker ja nicht. nur vom steuerzahler, auf dessen kosten man sein bequemes gala-leben finanziert, wird stets unendlicher fleiß gefordert. 

schade, denn unangenehme, aber glasklare gesetze und regeln für eine nachhaltige zukunft könnten der politik wieder den respekt verschaffen, den sie zum regieren nötig hätte. ich kann tatsächlich verstehen, wenn die öffentlichkeit zunehmend aggressiv auf politiker reagiert - obwohl ich solche übergriffe natürlich sehr bedenklich finde. aber sie auch nicht ganz unverdient. damit meine ich nicht unbedingt die aktuelle regierung, denn die probleme liegen überwiegend an fehlentscheidungen der vergangenen 20 jahre.

fakt ist aber: die politik muss auf die bürger zugehen, denn für diese trägt sie die verantwortung. nicht umgekehrt. und schon gar nicht ist politik dazu da, um sich bei privilegierten grüppchen wie superreichen oder lobbyisten anzubiedern. solange die politik jedoch diesen schritt auf den bürger zu nicht geht, bewegen wir uns umso rasanter richtung 1933.

also, liebe politiker: macht endlich euren scheiß job! und zwar mit eiern in der hose! und wenn ihr ihn nicht machen wollt: verpisst euch aus der politik. denn die ist nicht dazu da, sich auf tiktok mit grillwürsten oder seiner aktentasche zu präsentieren. das ist nur lächerlich und armselig - und scheißlangweilig noch dazu.

Freitag, 28. Juni 2024

when i´m dead and gone

der luxus-mann und ich wandern über unseren lieblings-friedhof. 

"wie isn das eigentlich, wenn ich nicht in der kirche bin, kann ich dann trotzdem ein grab auf einem friedhof haben? also wenn ich mich verbrennen lassen will?" will der mann wissen.
"klar. ist ja nur eine frage der kosten. wenn du verbrennung nimmst, kannst du in eine urnenwand gehen oder in so ein kleines urnengrab."
"urnenwand klingt langweilig. ich würde schon gern ein richtiges grab haben. musst mir auch keine blumen draufmachen. aber ein cooler grabstein, das wär was. kannst du das bitte mit meinen kindern so ausmachen?"
"sag das denen doch selber", finde ich. "ich hab da ja nicht viel zu bestimmen."
"ja, mal schauen, muss ich mal machen."

wir wandern weiter durch das kleine grüne paradies, in dem wir heute fast komplett alleine sind.

"weißte, was mich manchmal echt beschäftigt?", setzt der mann wieder an. "dass ich so rein gar nichts erreicht habe im leben. ich meine jetzt nicht unbedingt beruflich... das ist mir schnuppe. aber dass nichts von mir bleibt!"
"geht wohl den meisten so. deshalb auch immer dieser eifer, sich mit irgendwas zu schmücken, und sei es noch so peinlich. nur ganz wenige menschen schaffen tatsächlich etwas, das sie überdauert. gestern beispielsweise hab ich ein klavierkonzert gesehen mit einer 83-jährigen pianistin... die war so inspiriert, so lebendig... die weiß genau, wofür sie das alles macht. und sehr viele menschen werden sich noch lange an sie erinnern, weil sie ein erlebnis mit ihr hatten. ich hingegen... ich hab keine ahnung, wofür ich lebe. leben ist für mich wie eine graue, undurchdringbare wand... ich bin immer irgendwie draußen. ich weiß nicht, wie mich jemand groß bemerken oder sich gar an mich erinnern sollte."
"so ganz so trist empfinde ich das nicht. aber jetzt, wenn ich bald nicht mehr arbeite, da häng ich dann den ganzen tag zuhause rum. ich hab dann nicht mal mehr was, was ich widerwillig machen muss."
"das fehlt mir auch sehr. irgendeine form von sinn... oder befriedigung. in mir ist alles leer. du hast wenigstens deine kinder."
"die brauchen mich ja nicht."
"aber die kommen wenigstens an dein grab. das tut bei mir mal keiner. ich bin die letzte, ich bleibe übrig, ich werde ganz alleine sterben und niemanden haben, der mich in seiner erinnerung liebt. und manchmal macht mir das echt angst."
 
"vielleicht müssen wir das mal regeln. ich brauch auch unbedingt eine patientenverfügung. das wird jetzt echt zeit", findet der luxus-mann.
"ja, unbedingt. da wir ja auch nicht verheiratet sind, kann ich im ernstfall nichts für dich entscheiden. ich müsste dann zwar deinen kindern sagen, was du dir gewünscht hast. aber die haben vielleicht noch ganz eigene interessen."
"die würden schon auf dich hören."
"aber es wäre schon praktischer, wenn du das vorher genau regelst."
"ja, ich weiß."
 
wir kommen zu einer wiese, auf der junge menschen begraben liegen. auf dem grabstein eines 17-jährigen lesen wir: "es war seine entscheidung."
"krass, der hat sich bestimmt umgebracht", sagt der luxus-mann.
"ziemliches brett, so eine aufschrift", erwidere ich. "also recht anklagend. das hätte ich als seine eltern anders gemacht."
"finde ich auch. kannst du mir bitte was schöneres draufschreiben lassen?"
"sowas wie 'beim anblick von spinnen hat er stets lustig schreckhaft gequiekt'?"
"schreib doch gleich drauf: von milch musste er immer furzen."
 
ich lache und lege den arm um meinen mann.
"wär das ok für dich, wenn ich mit in dein grab komme? so anstatt heiraten und gemeinsames eigenheim und all das?"
"klar. hauptsache du nervt dann nicht rum da drin. aber das tust du ja eigentlich nie", sagt der luxus-mann mit einem weichen, fast zärtlichen unterton.
"vielleicht sterbe ich ja aber auch vor dir", sage ich. "dann hast du noch ein paar lustige jahre, bevor du zu mir ins grab kommst und ich rumnörgle, wo du solange geblieben bist."
"mit deinen ganzen krankheiten kann das durchaus passieren."
"und was schreibst du dann auf meinen stein?"
"das muss ich mir noch überlegen. aber ich hoffe, das hat noch etwas zeit."

Freitag, 14. Juni 2024

48 stunden

wenn sich die helligkeit des morgens durch die geschlossenen lider presst, ist die noch unsichtbare welt ganz rosarot. fleischwurstrosarot, mit einer feinen prise satreschen ekels. die ersten gedanken haben die konsistenz von kühlschrankkaltem, säuerlichem wackelpudding, geschmacksrichtung mundgeruch.

der hals fühlt sich an wie nach einer langen partynacht, trocken und rau vom zigarettenrauch. dann wandert immer mehr kalt-muffige gedankengötterspeise richtung frontallappen und erinnert dich, dass du ja gar nicht mehr rauchst. dass du kaum mehr partys besuchst. und dass du nun eigentlich aufstehen musst, um den neuen arbeitstag abzureißen wie ein kalenderblatt, mit der üblichen geringschätzigen geste.

während du noch daliegst und der wunsch aufkommt, es möge etwas dazwischenkommen, meldet der körper fieber und schnodder. ein wunderbarer grund, die bettdecke bis unters kinn zu ziehen, sich noch einmal umzudrehen und die realität zum arschlecken abzukommandieren.

der fiebrige halbschlafkopf macht sich derweil auf, bühne fantastischer bewegtbilder zu werden. längst begrabene tagträume kehren kraftvoll zurück: wirklichkeitsferne wohltaten, durch körpereigene drogen befeuert. ein 48-stündiger trip, den sogar das gewissen schweigend genießt, die sonst so vorlaute fresse mit einem gelben schein gestopft.

Dienstag, 4. Juni 2024

nuthouse, nächstes kapitel

über mein gespräch mit dem oberchef darf ich nichts negatives sagen. großes verständnis für alle meine im voraus schriftlich ausgearbeiteten argumente und vorschläge. geradezu herzliche bestätigung dafür, dass ich nicht alles wissen und verstehen kann, wenn mir keiner was erklärt. 

ja, der chef ist in der tat ok. hab ich mich im vorstellungsgespräch damals doch nicht geirrt. er versucht sein bestes, was schwierig ist, weil er so rein gar nichts aus dem alltag im nuthouse mitbekommt. zum beispiel, wie ich mit herablassung und arroganz anstatt fairer unterstützung klarkommen muss. wie viele meiner fragen einfach nur mit einem oberlehrerhaft-genervten "das haben wir doch alles schon besprochen" gekontert werden, während ich auf ein wenig konkretion hoffte, um meine aufgabe nicht wieder komplett unterirdisch abzuschließen.

immerhin: eine richtige kleine fortbildung habe ich herausgeholt - für das gesamte team bzw. alle, die das entsprechende wissen benötigen. wenig, aber besser als nichts. vonseiten des teams keine große freude - man ist ja ohnehin überlastet. aber ohne mehr wissen wird die überlastung nun mal auch nicht weniger.

nach dem gespräch mit cheffe kurzzeitig erleichterung verspürt: man erwartet offenbar gar nicht so viel von mir. was sich aber tagsdrauf schon wieder relativierte, weil einer meiner kollegen mal wieder seine überforderung an mich weitergab, indem er ziemlich fies wurde. schlagartig wurde mir klar, dass mir der theoretische rückhalt von cheffe im alltag wahrscheinlich kaum etwas nützen würde.

mittags schnell eine bewerbung geschrieben. für eine stelle, bei der ich auf linkedin sehen konnte: bereits über 100 bewerbungen eingegangen. ja, interessante und menschenwürdig bezahlte jobs im marketing sind rar, eine ganze branche ist quasi permanent in bewegung. keine zeit und kein raum, schon gar nicht für empfindliche seelchen mit extra-wurst-wünschen wie mich: sei nett, zahle mir ein normales gehalt und ermögliche mir vielleicht sogar ab und an homeoffice!

die möglichkeit der kündigung immer als letzten rettungsanker vor augen. zugleich wissen: dann wird das bewerben wahrscheinlich erst richtig schwierig. alternativen erwägen, eine längere krankschreibung zum beispiel. meine psychiaterin hatte mir das letzte mal die option gelber schein angesichts meines vollkommen aufgelösten zustands fast aufgedrängt. doch probleme lösen sich nicht, indem man sie umgeht. trotzdem könnte eine krankschreibung in der zukunft ein kluger schachzug sein: im ersten schritt krank statt arbeitslos - und sich im zweiten schritt kündigen lassen anstatt zu kündigen.

so oder nicht so oder auch komplett anders. der kopf ist ein wilder eintopf aus ideen, verwirrung und sehr schwerer, zähflüssiger grundangst.

Sonntag, 2. Juni 2024

schauplatz hochwasser

liebe politiker, die ihr gern zu überflutungs-schauplätzen reist, um dort betreten-dümmlich oder wahlweise feist lachend in die kameras zu glotzen: wir haben euch so satt. spart euch die kohle und die co2-emissionen und macht lieber echte, knallharte und nie dagewesene klimapolitik. damit wäre allen geholfen. sogar denjenigen, die bloß keine flüchtlinge mehr wollen.

danke (für nichts bis jetzt).

Freitag, 24. Mai 2024

another day in the nuthouse

auch wenn meine kollegen mehr als nur motivtiert sind, laufen sie am limit. die nerven liegen permanent blank, deshalb wird viel gemeckert und schnell genervt reagiert. 

heute jedoch kam es trotz der allgemeinen zuvorkommenden höflichkeit zur ersten größeren eskalation, die ich live miterleben durfte. so bezichtigte die hr-abteilung einen meiner vorgesetzten eines fehlers bei der reisekostenabrechnung. der rastete daraufhin komplett aus und schrie ein wenig in den fluren herum, wobei er sich unter anderem über das starke auseinanderklaffen seiner leistung und seiner bezahlung beschwerte - und dass man ihm jetzt bloß nicht auch noch mit irgendeiner ver*ten abrechnung kommen solle.

ich versuchte, die gemüter zu beschwichtigen und ergriff für den vorgesetzten, dessen exorbitantes arbeitspensum ich kenne, partei. ich merkte an, dass alle einschließlich meiner wenigkeit unter einer nachtschlaf- und gesundheitsgefährdenden belastung stünden, unter anderem ausgelöst durch fehlendes wissen über grundlagen sowie allgemeines chaos und kurzsichtige sparmaßnahmen.

das tag endetete damit, dass ich (nicht etwa der vorgesetzte) im kommenden monat zu einem offiziellen termin in die chefetage einbestellt wurde. entweder werde ich dann für meine offenheit abgestraft und gekündigt, oder die kleine eskalation hatte interesse an aufklärung zur folge. 

mir ist das alles egal. es kann ja nicht mehr schlimmer kommen. 

Dienstag, 21. Mai 2024

das empathie-genie

ich war einst davon ausgegangen, dass beziehungen sich maximal drei bis fünf jahre lang entwickeln, bis es dann entweder einfach sehr ereignisarm-beschaulich wird, oder man sich doch trennt, weil man die negativen seiten am partner definitiv nicht mehr ertragen kann. ich bin immer wieder mehr als erstaunt, dass und wie sehr ich mich damit geirrt habe. 

in der tat muss ich zugeben, dass die luxus-beziehung in den letzten monaten noch einmal besser wurde als sie je zuvor war. gerade in der aktuellen sehr schwierigen beruflichen situation steht der luxus-mann zu mir wie kaum ein mann je zuvor. er ermutigt mich immer wieder, den job hinzuschmeißen, wenn es nicht mehr geht, und ist darüber hinaus zuversichtlich, dass ich trotzdem nicht für immer in der arbeitslosigkeit stranden werde. er hört sich die traurigen demenz- und parkinsongeschichten über meinen vater an und bestätigt mir, dass es ok ist, wenn ich weder meinen vater heilen noch das tiefe zerwürfnis zwischen meinen eltern lösen kann. ich spüre immer wieder, wie sehr er sich wünscht, dass ich glücklich bin - auch in vollkommen unscheinbaren, auf den ersten blick bedeutungslosen momenten.

so gingen wir neulich über einen flohmarkt, wo ich ein stofftier entdeckte, das lustig mit dem kopf wackelte. 
"hihi, das sieht aber witzig aus", sagte ich.
"kauf das doch", meinte der luxus-mann.
"auf gar keinen fall! dann steht da wieder ein staubfänger mehr im regal!"
 der luxus-mann war anderer ansicht:
"ich würde es an deiner stelle mitnehmen."
"nee, komm, wirklich nicht. ich bin nicht meine mutter, ich will keinen blödsinnigen krimskrams in meiner wohnung ansammeln!"
 
wir drehten noch eine runde. währenddessen klangen die luxus-worte in mir nach und ich wurde unsicher.
"meinste wirklich, ich soll das ding kaufen?" fragte ich.
"wieso denn nicht? das ist lustig, und es ist doch cool, wenn man gerade eher schlecht drauf ist... und wenn man dann so was witziges hat und sich drüber freuen kann... das tut doch deiner seele gut!"
 
der luxus-mann betrachtete das stofftier also nicht einfach als skurrilen kauf, sondern vielmehr als investition in mein wohlbefinden. und er setzte noch einen drauf:
"soll ich mal mit dem verkäufer verhandeln? ich mach das für dich! du handelst doch nicht gern. oder ich kauf das für dich!"
"es geht mir nicht ums geld, sondern um die sinnlosigkeit des ganzen!"
"aber wenn du freude dran hast, ist das doch absolut sinnVOLL."
 
ich blickte meinen mann verblüfft an. er hatte einfach nur recht. und ich beschloss, die konsequenz daraus zu ziehen:
"dann lass uns zurückgehen. ich kauf das jetzt."
 
zwei minuten später war das ding mein. der luxus-mann nahm mir das vieh aus der hand, begutachtete es von allen seiten und sagte:
"ein bisschen fleckig, aber doch ein lustiger kauf!"
"ein bisschen fleckig, aber doch ein lustiger kauf!" sagte das stofftier da.
 wir guckten uns an.
"alter, das ding kann sprechen", sagte ich verzückt.
"alter, das ding kann sprechen", wiederholte das stofftier. 
wir lachten uns halb tot. das stofftier gab unser gelächter ein wenig verzerrt wieder - und wir mussten noch viel mehr lachen.

ich fand den off-schalter an der unterseite.
"ich kenn das doch, sowas haben wir im letzten sommer im urlaub gesehen", fiel mir ein. "das ist so ein labertier, das alles nachquatscht. weißt du noch? das gab es in diesem souvenirshop... diese sprechende möwe!"
"ich erinnere mich, die war echt cool", antwortete der luxus-mann.
"ich hatte damals sogar darüber nachgedacht, ob ich dir das nicht schenke", sagte ich. "weil du das so lustig fandest. ich hatte so ein ding als sensenmann mit sichel bei ebay gefunden, das hätte perfekt zu dir gepasst. aber ich war nicht sicher, ob du das dann nicht doch kindisch und blöd findest, und neu sind schon ziemlich teuer."
"und jetzt hast du so eins für nur einen euro, das ist doch super", meinte der luxus-mann.

zuhause probierten wir alles mögliche aus und ließen das vieh sprechen, singen, pfeifen und viele andere geräusche nachahmen. und es stimmte, was der luxus-mann prophezeit hatte: obwohl ich wie jeden sonntag schon mit maximalem grusel an den büro-montag dachte, verschwand beim lachen kurzzeitig meine beklemmung.

"tut mir leid, dass ich immer gesagt habe, deine emotionale intelligenz läge im nicht messbaren bereich", meinte ich, als ich später im luxus-arm im bett lag. 
"ich fürchte, du musst meine weisheit und überlegenheit doch endlich ankennen", frotzelte der mann. "auch wenn es dir schwerfällt."
ich kniff ihn noch ein wenig in die seite für seine frechheit, dann drehte sich der mann auf seine schlafseite. während ich wie jeden sonntag noch lange wachlag, lauschte ich seinen tiefer werdenden atemzügen - und schätzte mich unendlich glücklich, dass ich diesem menschen begegnet war.

Mittwoch, 15. Mai 2024

all is lost

gestern - nach einem ultra schlimmen bürohöllentag mit besonders viel gemecker - fällt in mir der entschluss zu kündigen.

auch ohne neuen job, denn nicht eine sekunde länger halte ich diesen laden aus.

ich spreche den einzig halbwegs vernünftigen vorgesetzten drauf an, der daraufhin ein gespräch vorschlägt: große runde, oberboss, meine vorgesetzte s. und er.

"wir brauchen dich doch", sagt er.

"nein", sage ich. "ich kann - so wie es läuft - nichts vernünftiges beisteuern. mein team ist genervt, ich bin absolut frustriert. niemand hat was davon."

peinlicherweise muss ich ein bisschen heulen, aber ich kann es nicht ändern. fix und alle bin ich. erschöpft von der schlaflosigkeit, von der überforderung, der erfolglosigkeit. der vorgesetzte erzählt daraufhin von seiner eigenen zeit, als er in dem laden anfing, und dass es ihm nicht ganz unähnlich ging, denn alles sei einfach sehr komplex, sehr veraltet und sehr chaotisch.

sein vorteil: er muss nicht in dem team arbeiten, in dem ich arbeiten muss. er gibt zu, dass dieses team sehr schwierig ist. kann ich mir so auch nichts von kaufen, aber immerhin leide ich offenbar nicht unter einbildung.

ich lasse mich breitschlagen, werde das gespräch noch abwarten. aber innerlich steht der entschluss bereits.

Freitag, 10. Mai 2024

hafengeburtstag

münchen hat oktoberfest, hamburg hat hafengeburtstag. in beiden fällen handelt es sich um eine krankheit, bei der sich der bodensatz des massentourismus auf ausgewiesenen plätzen drängt und die schweißigen plautzen aneinanderreibt, um sich zu wurstbuden und bierausschank durchzuschubsen. zwischendurch werden die vollen blasen öffentlich entleert und abfall durch die gegend gefeuert, im takt zur billigen hintergrundbeschallung mit ein bisschen umpf-dada und hyper-hyper. 

wer sich nicht gerade an den buden drängelt, um überteuerten billigfraß zu ergattern, glotzt mit zermalmter wurstmatsche in der stumpfen fresse umher und hofft, zwischen unzähligen köpfen und schultern einen blick auf ein paar schöne titten, pardon, schiffe zu erhaschen. ansonsten ist aber auch herzlich egal, was dort in ruß- und dieselschwangerer atmosphäre vor sich geht, solange man feist grinsend und gröhlend noch ein paar promille-selfies knipsen kann, für die sich - sobald in den social media veröffentlicht - dann andere fürchtlich fremdschämen können.

zuhause wird man erzählen, boah, ich war auf dem 9.347.235. hafengeburtstag, er war genauso toll wie letztes jahr, als es genau dasselbe gab, so ähnlich wie eben auch auf jeder schlechten kirmes oder dorf-feuerwehr-fest, nur eben mit mehr arschlöchern und arschgrabschern. und natürlich mit so einem perfekten feinstaub-hauptereignis am abend, das sich das ultranachhaltige, supergrüne und immer so wahnsinnig umweltbewusste hamburg nicht nehmen lässt. 

Dienstag, 7. Mai 2024

zu viele ausrufezeichen in chats oder warum arbeitnehmer faul wirken

dass meine kollegen allesamt kleine schleimscheißer sind, die glauben, die welt würde sich ohne sie aufhören zu drehen, habe ich bereits erwähnt. im arbeitsalltag treibt diese mentalität beständig äußerst skurrile blüten, die ich dem geneigten leser keinesfalls vorenthalten möchte.

so hatten wir heute eine werbeveranstaltung in zoom. angesetzt dafür waren ursprünglich 60 minuten, was ich schon unendlich viel zu lange fand. schließlich sollte lediglich ein vertriebswichtel einer anderen firma uns sein mittelmäßiges, vollkommen überteuertes und für uns ausgesprochen begrenzt nützliches produkt vorstellen.

während ich nach 30 minuten nur noch physisch anwesend im wachkoma vor mich hindöste, feuerten meine kollegen permanent begeisterung in den chat: "tolles produkt!!!!" "wie cool!!!!"  "das ist super!!!!!!" "wahnsinn, was das kann!!!!" 

allesamt äußerungen, die den vertriebswichtel dazu anstachelten, noch weiter auszuholen und sich immer tiefer in nebensächlichkeiten zu verstricken. der termin dauerte auf diese weise über zwei stunden. ich muss nicht erwähnen, dass wir das produkt am ende nicht gekauft haben, weil es ohnehin und von vornherein gar nicht unser budget passte. aber wir haben selbstverständlich genug geld, dass sechs (!) leute mehr als zwei stunden ihrer arbeitszeit opferten, um sich so einen scheiß anzuschauen. und zwar mit maximaler begeisterung. und furchtbar vielen ausrufezeichen. 

ja, liebe bundesregierung, nun kann ich auch verstehen, wie dieser eindruck der arbeitnehmer-faulheit entsteht. darüber, was ich in dieser zeit alles nützliches hätte schaffen können, möchte ich nicht nachdenken.

Samstag, 4. Mai 2024

weltraumraketen ins schädelhirntrauma

meine worte an dich sind weltraumraketen, sie fliegen präzise routen, langsamer als licht, sanfter als schall.

dein universum voller erloschener sonnen wartet auf sie, ohne zu wissen, dass sie kommen, ohne zu ahnen, wie sie die dunklen räume für einen moment zum leuchten bringen. 

ich kann das aufblitzen in deinen augen sehen, wenn sie dich erreichen. kleine kometenschweife, die für die dauer von zwei oder drei sätzen am ereignishorizont gefräßigen vergessens rasen.

bevor, ja, kurz bevor es wieder danach sein wird. 



Montag, 29. April 2024

tired but not tired

wir können es noch. auch nach über acht jahren noch.

der schwanz in meiner hand, hart wie kruppstahl. auch wenn es erst 6:59 uhr an einem montag ist. beziehungsweise schon: eine minute vorm radioweckerklingeln.

eine eichel teilt meine schamlippen. hände unterm schlafshirt. die nippel hart wie stollen. 

"ich glaub, ich kann nicht abspritzen", flüstert der mann, als er andockt. "wenn ich komme, bin ich so im arsch, und ich hab doch diese beschissene vorstands-präsi heute."

aber es ist zu spät. die körper haben längst entschieden, wohin die reise geht. und in einer reihe heftiger stöße explodiert der mann in mir.

"boah, montagmorgen-sex, das ist ja ewig her", schnauft er, als er wieder zu atem kommt.

der wecker spielt derweil ungehört paul mc cartneys "hope of deliverance".

kein soundtrack erschiene mir passender.





Freitag, 26. April 2024

x

manchmal gucke ich noch ganz kurz auf x formerly known as twitter, denn 2008 war das mal ein echt cooles medium. inzwischen jedoch spürt man hier besonders stark, dass der iq der menschheit beständig sinkt.

nach meinen aktuellen stippvisiten bin ich stärker denn je davon überzeugt, dass wir tatsächlich in einer simulation leben. eine, in der unsere regisseure gehirnabsaugungen vornehmen. es sind nur keine außerirdischen, leider. die hoffnung, bald in eine intelligentere und überlegene welt entführt zu werden, ist also unangebracht.

x spiegelt wie tiktok den neuen durchschnitt der bevölkerung wider. man kann nur staunen, welche blutigen snufffilme durch die schädelhohlräume derer spuken, die sich über einen klimaschützer echauffieren, in der inbrünstigen überzeugung, so die deutsche wurst zu retten. ein gangbang-hardcore-rape-porno im nachmittags-kinderfernsehen erscheint mir brav und harmlos im vergleich zu dem, was minderjährige in den social media an brutalität und gewaltverherrlichung zu lesen und zu sehen bekommen. und wer nicht mindestens drei ausrufezeichen hintereinanderpackt und dabei eine schwarz-rot-goldene flagge im profil hat, ist kein echter deutscher und wird deshalb nach den nächsten bundestagswahlen von höcke persönlich remigriert. 

manchmal glaube ich, es wäre das beste, wenn die welt zentral duch ki regiert würde. ohne religionen, ohne links-rechts-mitte-ideologien und ganz ohne emotionen. ja, so eine kalte computer-welt erscheint mir wie ein paradies - verglichen mit dem, was sich gerade anbahnt.

Dienstag, 23. April 2024

ladensterben ist das beste, was uns passieren kann

die meisten innenstädte sind identisch langweilig und monoton: läden, läden, läden. billiger ramsch und überteuerte markenscheiße, die auswahl für konsumjünger ist immens. ich selbst gehe niemals in die innenstadt, denn allein das konzept bringt mich schon zum kotzen.

nun geben einige dieser läden auf, weil sie offenbar nicht mit schlechteren zeiten gerechnet haben. macht man als kaufmann nicht eigentlich einen businessplan oder bildet rücklagen, sobald man gewinne einfährt? oder reichen dafür die mathekenntnisse unserer bwl-genies nicht mehr aus? man weiß es nicht.

ich finde ladensterben jedenfalls großartig. zumindest einige menschen scheinen die überflüssigkeit von konsum erkannt zu haben. denn ob klamotten, kosmetik oder elektronische gadgets: auf das meiste kann man in der tat getrost verzichten. all das sind lediglich incentives für das belohnungszentrum, damit man es erträgt, am nächsten tag wieder stumpf im büro zu sitzen und sinnlosen bullshit nach schema f zu machen.

der einzelhandelsverband schlägt angesichts der lage geradezu melodramatische töne an: es entstünden "geisterstädte", wenn nicht gehandelt würde. kurzum, es wird natürlich gewünscht, was in schlechteren zeiten von wirtschaftsversagern immer gewünscht wird: dass papa staat die steuerzahler anzapft und hilfen locker macht. total logisch und selbstverständlich.

mir fielen ja auf anhieb 1000 sachen ein, die man mit leerstehenden geschäften veranstalten könnte. wohnraum schaffen beispielsweise, oder raum für kunst und kultur. auch die abrissbirne hieße ich herzlich willkommen, wenn anstelle der gräßlichen betonbunker grünflächen und parks entstünden. meinetwegen sogar mit kinderspielplätzen. oder auch gemeinnützige einrichtungen wie bibliotheken, schwimm- oder sporthallen. von all dem gibt es viel zu wenig.

warum also stadt nicht mal neu denken? nein, das geht natürlich nicht! der kapitalismus schreibt die absolute gleichförmigkeit von innenstädten vor. die menschen sollen kaufen, kaufen, kaufen, damit sie am ende des tages betäubt in die kissen sinken und zu shoppingmüde zum nachdenken oder für eine revolution sind. 

ich bin so angewidert von diesem land, das sich immer noch auf den lorbeeren der wirtschaftswunderjahre ausruht und sich in jeder hinsicht in feigheit übt. und  ich sage euch, diese pleitewelle ist das beste, was uns passieren kann. ein ground zero bedeutet ausreichend platz für die entfaltung konstruktiver und zukunftsträchtiger ideen. ideen, von denen alle etwas hätten - nicht nur wohlständler und konsumsüchtige.

natürlich wird das mit den pfeifen, die unser land regieren, nicht passieren. aber träumen darf man ja wohl noch.

Dienstag, 16. April 2024

s.kalationen

meine kollegin s. ist eine mehr als vorbildliche arbeitskraft. sie strahlt 24 stunden am tag vor eifer wie ein lecker uranbehälter, sitzt bis mitternacht im büro und hat stets eine meinung zu allem, welche sie gern öffentlich auf sämtlichen inhouse- und marketingkanälen kundtut. man weiß nicht, was genau sie eigentlich den ganzen tag macht, aber ihr profil in teams steht immer auf "beschäftigt". 

s. ist darüber hinaus meine direkte vorgesetzte. sie wäre prinzipiell die richtige, um mich ein wenig einzuarbeiten. aber dafür hat sie keine zeit. sehr oft habe ich fragen, die sie am besten beantworten könnte. aber in teams steht die ampel bei ihr immer auf rot. oft frage ich trotzdem, weil es einfach nicht anders geht. entweder bekomme ich dann keine antwort, oder aber so dermaßen auf den letzten drücker, dass ich - handlungsunfähig wartend -  bereits tausend stresstode gestorben bin. am ende kann ich meine arbeit so nicht ordentlich machen, weil die sache dann in aller eile schnell hingeklatscht werden muss.

in meiner not frage ich manchmal andere. mache ich es dann so wie mir von diesen geraten wurde, ist s. selten amused und meckert mich an. sie möchte, dass es bis ins detail so gemacht wird wie sie es sich vorstellt, auch wenn sie diese erwartungen selten kommuniziert. auch für den chef sehen meine halbgaren, wenig informationsbasierten last-minute-würfe sicherlich so aus, als wäre ich unfähig.

abgesehen davon hatte ich zuletzt den eindruck, dass s. mich bei cheffe schlechtmacht. so leistete der sich zweimal spitze bemerkungen, die auf unzufriedenheit schließen lassen. so genau kann man es allerdings nicht sagen, da sich cheffe tendenziell geheimnisvoll-kryptisch ausdrückt und es gern bei andeutungen belässt.

"pass bloß auf", sagt der luxus-mann. "du bist in der probezeit, die können dich ganz einfach feuern."
"weißte was, ich glaube, ich wäre fast erleichtert, wenns so wäre", erwidere ich. "dann wars das halt. dann fange ich eben wieder von vorne an. und wenn ich mich erstmal bei budni an die kasse setze oder bei edeka regale auffülle."
"schön blöd", findet der luxus-mann. aber der hört schließlich auch in drei jahren auf zu arbeiten und muss sich um gar nichts mehr sorgen machen.

wie hoch die anspannung ist, kann ich an meiner inzwischen sieben wochen währenden schlaflosigkeit ablesen. von sonntag bis donnerstag tue ich kein auge zu. nur am wochenende lässt mich der kopf ein wenig ausruhen.

innerlich kann ich mich zwischen flucht und amoklauf nicht recht entscheiden. zugleich würde ich als friedfertiges schaf weitere eskalationen gern vermeiden. dieser job scheint jedenfalls meine persönliche nahost-krise zu sein.

Sonntag, 14. April 2024

händchenhalten

der luxus-mann und ich haben ein feier-wochenende hinter uns. wir hatten beide geburtstag, wobei mein geburtstag gleichzeitig unser kennenlerntag ist. acht jahre sind es jetzt, und alles in allem ist unser miteinander über weite strecken wunderbar - bzw. es wird noch immer besser. 

heute schlendern wir über einen flohmarkt, als ich meine hand in die luxus-jackentasche schiebe. 
"willst du mir nen hustenbonsche klauen?" fragt mich mein mann misstrauisch wie es seine art ist. 
"nö, aber meine hand ist so kalt." 
"soll ich die vielleicht ein bisschen in meine nehmen?" fragt der luxus-mann da fast schüchtern. 

ich muss grinsen, denn ähnlich wie umarmungen hasst der luxus-mann händchenhalten und andere "schleimige" gesten. aber er fragt, weil er mich liebt und möchte, dass es mir gutgeht. also lasse ich meine kalten finger in seine wie immer warme hand wandern - und genieße es, ein wenig gehalten zu werden.

beamtenhände, habe ich die unglaublich weichen luxus-hände einst einmal genannt, auch wenn der luxus-mann gar kein staatsdiener ist. 
"früher waren meine hände immer ganz rau und hart", erzählte er mir daraufhin. 
"weil du dauergeil warst und ständig gewichst hast", kicherte ich. 
der luxus-mann kniff mich in die seite: "von der arbeit auf dem hof meiner eltern, du doofe frau!"

später an einer ampel nutze ich den moment der rotphase und schlinge meine arme um die luxus-taille. "ich möchte, dass das nicht aufhört. und ich möchte bitte die zeit zurückdrehen auf freitag und das wochenende noch mal durchmachen!" "ja, das war echt richtig schön", antwortet der luxus-mann."aber nichts ist für ewig, sonst wär´s auch leider langweilig. trotzdem, mich gruselt es auch schon vor morgen, wenn ich wieder in das beknackte büro muss."

ich lächle ihm zu und spüre: dieser mensch ist ein echter anker zwischen mir und der welt, ein katalysator inmitten all der unstimmigkeiten von kackjob, suboptimaler wohnsituation und nervigen krankheiten. auch wenn wir uns nicht immer hundertprozentig verstehen und manchmal auch voneinander genervt sind, gibt es doch vieles, worin wir uns ähnlich sind - was bewirkt, dass ich mich insgesamt nur noch selten einsam fühle. 

seit dem objektiven unfall und dem gesundlichkeiten verfall meines vaters ist mir jedoch mehr als bewusst, wie fragil liebe und das menschliche leben an sich ist. ich möchte das, was wir haben, unbedingt auskosten. verschwenderisch lieben, um am ende sagen zu können: das hat sich gelohnt, mit jedem einzelnen atemzug. 

oft muss ich dabei an früher denken, wie ich nachts neben dem objekt lag und bewusst wachblieb, weil ich diesen mann so lange wie möglich ansehen, spüren und riechen wollte - so, als ahnte etwas in mir, dass unsere stunden bereits gezählt waren. 

heute weiß ich, dass all unsere stunden immer gezählt sind und ihre dauer allein vom zufall regiert wird. in diesem universellen chaos liegen tragik wie schönheit gleichermaßen, und ich bete dafür, am ende beides ertragen zu können.

Samstag, 6. April 2024

cannabislegalisierung absurd

dürfen wir jetzt alle kiffen? diese frage lässt sich mit einem eindeutigen jein beantworten.

du darfst kiffen:

- wenn du volljährig bist. 

- wenn du dich an die mengenbegrenzung hältst.

- wenn du den stoff in einem legalen laden bezogen hast. sowas gibt es nur eben leider nicht. legale läden sollen ab nächstes jahr kommen. also vielleicht. eventuell. es muss dazu natürlich erstmal ein großes, fettes bürokratiemonster geschaffen werden. ich rechne allerdings tatsächlich noch vor 2050 mit den ersten cannabis-shops in deutschland. dann kann man sich das eigene aussterben noch schönkiffen.

- wenn du in einem erlaubten bereich kiffst. in meinem stadtteil bspw. ist kiffen auf rund 95 % der fläche untersagt. man kann allenfalls in die tote reiche-pisser-gegend nebenan gehen, sich dort irgendwo mit einem klappstuhl vor eine der villen setzen und auf einen suv aschen. wäre ein experiment wert.

man kann aber auch einfach auf all die einschränkungen scheißen. gerade in kackstadt kann man sich in 99 % der fälle drauf verlassen, dass vebote ohnehin nicht kontrolliert werden. hat man schließlich in corona-zeiten gesehen: maskentragen war eine komplett freiwillige sache hier. auch sonst werden ordnungswidrigkeiten wie falschparken, mit-120-durch-die-gegend-rasen oder ruhestörung eigentlich nie geahndet, fachkräftemangel bei der polizei sei dank. es muss schon viel blut fließen oder ein toter herumliegen, damit da mal bewegung in einen uniformträger kommt.

ich für meinen teil habe noch glück: ein paar straßen weiter ist ein friedhof, der kein rot markiertes gebiet auf der bubatzkarte darstellt. vielleicht sollte ich dort später zwecks renten-zusatzverdienst einen cannabis-shop eröffnen. hilft sicherlich auch beim trauern - oder wenn man eine kleine seance abhalten möchte und sich spirituell ins richtige setting bringen will. eigentlich eine sehr geile geschäftsidee.

Samstag, 30. März 2024

weltretten durch flaschenfesseln

die eu hat beschlossen, umweltschutz endlich hardcore voranzutreiben. dafür hat sie etwas erfunden, was all unsere probleme in sachen plastikmüll sofort und radikal lösen wird: die verschlüsse von plastikflaschen sind jetzt durch eine kleine flaschenfessel unabreißbar mit der jeweiligen öffnung verdengelt. 

bestimmt ist es ihnen auch schon immer so ergangen: man öffnet zum beispiel beim spazierengehen so eine kleine erfrischende cola, und schwupps, manövriert sich der deckel zielsicher in die nächste hecke. auch in der wohnung haben alle deckel den unwiderstehlichen drang, sofort unter ein regal zu rollen, sich dort über die kommenden jahrhunderte klammheimlich zu zersetzen und sich dann als mikroplastik ins umfeld zu verflüchtigen. 

die mikroplastikbelastung der umwelt durch verschlussdeckel beträgt mindestens 90 prozent. vergessen sie plastiktüten, kunststoffe in bekleidung oder reifenabrieb von tonnenschweren suvs. vergessen sie tanker, die ganze mülldeponien ins meer kippen. all dies sind marginalitäten, wenn man mal verschlussdeckel betrachtet!

schauen sie sich diese verschlussdeckel nur an: 100 prozent reines plastik. das ist so pfui deibel wie putin, trump und hitler zusammen! und dann sind diese dinger auch noch rund, was ihnen maximale beschleunigung auf der flucht vor der zugehörigen flasche ermöglicht. studien haben nachgewiesen, dass sich ein rollender deckel schneller als max verstappen bei der formel 1 bewegt. gleichzeitig kann er sich wie bösartiger dämon vollständig unsichtbar machen.

mit der flaschenfessel hat die eu einer großer umweltkatastrophe mutig und rigide einen riegel vorgeschoben. ab sofort leben wir in einer besseren, verschlussdeckelmikroplastikfreien welt. und geben sie´s zu, nur das haben sie schon immer gewollt.

Mittwoch, 27. März 2024

daily jobwahnsinn

ich arbeite nun bereits einige wochen im unorganisiertesten unternehmen der welt. der alltag ist geprägt durch stundenlanges suchen wild in willkürlich bezeichneten ordnern auf unterschiedlichen servern abgelegter dokumente. hinzu kommen das fehlen jeglicher strategie, sinn- und endlose meetings sowie rohe chefgewalt bei beständig proklamierter gleichberechtigung. dabei soll man natürlich permanent freudig erregt springen und bei sämtlichen bis spätabends gehenden veranstaltungen und anderen dummschwätz-zusammenkünften gesicht zeigen (es ist immer freiwillig, daher sind es natürlich auch keine überstunden, aber WEHE du machst es nicht.)

kurzum, es ist ein alptraum. so verwirrt, alleingelassen und wütend habe ich mich selbst in meinem grauenvollen volontariat vor 16 jahren nur zeitweise gefühlt. 

mein alltag läuft in etwa so ab: ich bekomme eine aufgabe zugerufen und stelle erstmal fest, dass mir zugang/berechtigung/passwort fehlt. ich verbringe den halben tag damit, kollegen/der it hinterherzurennen, um an die nötigen daten zu kommen. dann mache ich mich an die aufgabe, die ich in der regel so noch nie gemacht habe. anleitungen gibt es in unserem unternehmen nicht. fragt man zwei leute, erhält man zwei verschiedene auskünfte. jeder macht seinen kram irgendwie, und irgendwie funktioniert es wohl auch, so für jeden allein. die häufigste antwort auf eine frage lautet: ja, da musst du mal schauen. sprich: viel spaß beim raten.

also mache ich meine aufgabe ebenfalls irgendwie und bitte jemanden, noch mal drüberzuschauen, bevor wir uns bspw. in den social media wegen meiner unkenntnis bis auf die knochen blamieren. in der regel kommt die rückmeldung erst dann, wenn es schon zu spät ist, oder sie bleibt ganz aus.

ich habe noch nie in meinem arbeitsleben so wenig gebacken bekommen. das macht mich vollkommen wuschig. auch wenn ich einen job kacke finde - ein bisschen ehrgeiz habe ich ja doch. ich muss nicht brillieren, aber blamieren will ich mich eben auch nicht unbedingt. es gibt auch zeiten, in denen ich einfach so dasitze und mich tatenlos langweile. zuständigkeiten gibt es nicht, einen teil meiner zeit verdödle ich sinnfrei, weil ich nicht überall proaktiv meine hilfe anbieten kann.

ich hatte schon viele arbeitgeber, bei denen der job die reinste qual war und tägliche selbstvergewaltigung erforderte. aber selbst in den miesesten agenturen hatte ich in der regel wenigstens noch ein angenehmes team, mit dem auch mal lachen konnte. hier arbeitet jeder verbissen, ohne leichtigkeit, ohne sich selbst oder den job mal aufs korn zu nehmen. das gros gehört zum typ übereifriger selbstverwirklicher, der sich pausenlos engagiert und bei jeder aufgabe "ich ich ich" ruft. grundsätzlich sind alle bis zum erbrechen pc, übermäßig höflich und furchtbar ernsthaft. jeder übt dabei durch seinen aktionismus subtilen druck auf den rest aus. komme ich überhaupt nicht mit klar. wenn meine kollegin montags reinspaziert und stolz verkündet: "ich bin heute open end da!" könnte ich sie steinigen für ihre dämliche wichtigtuerei.

von cheffe hört und sieht man oft tagelang nichts. manchmal kommt er in meetings hinzu und erteilt in seiner autistischen art und weise anweisungen, die selten ein grund zur freude sind. ich sitze in einem büro gegenüber von ihm, aber er hat es noch nicht geschafft, einen persönlichen satz an mich zu richten oder mich mal zu fragen, wie es mir als neuankömmling so ergeht. 

ich hatte mich eigentlich sehr auf den job gefreut, weil ich zum ersten mal in meinem leben einen super korrekten arbeitsvertrag habe, ein auf den ersten blick sehr anständiges gehalt und lauter extra-gedöns wie fahrkarte und altersvorsorge. das wirkte auf mich, als hätte ich endlich mal einen arbeitgeber erwischt, der zumindest grobe peilung von dem hat, was er tut und sich nicht permanent selbst geschäftsschädigt. aber irrtum. das war ein move vom regen in den gewitter-hagelsturm.

mittlerweile ist für mich klar, dass ich mich weiterbewerben werde. ein höflichkeitsjahr muss ich wohl für den lebenslauf abreißen, aber im herbst spätestens geht die jobsuche wieder los. hurrah, ich kotze.

Mittwoch, 13. März 2024

es graut so grau

nachts, wenn ich stundenlang wachliege, schwirrt mein kopf voller gedanken. keiner ist greifbar. alles wuselt wie ein termitenbau. absolutes grauen ist das mächtigste gefühl, das ich in diesem ekelhaft lebendigem berg ausmachen kann.

ein gegenstand des grauens ist der job. der neue job ist kacke, und ich hatte es nicht kommen sehen. weil im bewerbungsgespräch gefühlt eine vollkommen andere stelle verkauft wurde. endlose meetings, endlose abendveranstaltungen - von all dem war nie die rede. doch wie verlässt man einen job, den man gerade erst angefangen hat?

ein zweites thema ist mein vater. seit meinem letzten besuch ist mir bewusster denn je, wie sehr unsere tage gezählt sind. das evoziert eine schlicht nicht enden wollende sehnsucht nach zuhause, dass ich nicht ein noch aus weiß. aber mit dem neuen kackjob habe ich mich noch mehr an kackstadt gebunden. nicht mal ein urlaub ist drin bis zum herbst.

ich flüchte mich viel zum luxus-mann, wandere dort nachts in der wohnung herum, weil ich mich dann ein klitzeklein weniger gottverlassen fühle. aber es ist das klammern an eine illusion, dass das leben weniger schrecklich wird, wenn nur jemand neben dir atmet. jemand, der deinen kummer kleinredet und dir sagt: dann steigere dich halt nicht so rein.

ein drittes großes thema ist das derzeitige psychiatrische chaos. im sommer hatte ich endlich ein medikament gefunden, das mich beruhigt und meine stimmung einigermaßen stabil hält. da sich aber meine herzproblematik unerwartet verschärft hat, darf ich es nun nicht mehr nehmen. bis zum kardiologentermin in vier wochen laufe ich auf grundeis. ich schütte unmengen alkohol in das schwarze loch, was vermutlich weder dem herzen noch der psyche guttut. aber was bleibt? um mein herz mache ich mir interessanterweise am wenigsten sorgen. ich habe keine beschwerden - somit scheint die gefahr nicht real. einziges symptom wäre ein herzstillstand. und damit hätte ich es hinter mir. 

aber ich träume ja noch immer. davon, dass ich eines tages zu arbeiten aufhöre. dass ich mit tieren um mich herum lebe, an einem ort, an dem ich mich endlich geborgen fühle. und etwas in mir will dem noch immer eine chance geben. 

etwas in mir will mir noch immer eine chance geben. ohne auch nur ansatzweise zu wissen, wie.

Freitag, 8. März 2024

eine zugfahrt, die ist lustig

vergangene woche freitag gebe ich meine arbeitsmittel bei meinem exarbeitgeber im ruhrpott ab. am abend dann die rückfahrt mit der bahn nach hamburg. 

wir starten superpünktlich um 19.00 uhr. ich bin entzückt, da ich so gegen 22:30 uhr tatsächlich in hamburg sein könnte.

ich wähle ein einzelabteil. darin sitzt schon ein mann in meinem alter und tippt mit kopfhörern über den ohren in sein laptop. er blickt kurz auf und nickt flüchtig, als ich frage, ob der platz gegenüber noch frei sei. aha, ein workaholic, denke ich bei mir.

ich setze mich, döse ein bisschen und schrecke wieder auf, als eine zugbegleiterin die abteiltür aufreißt und nach getränkewünschen fragt. mein sitznachbar nimmt die kopfhörer von den ohren, lächelt ein überraschend gewinnendes lächeln und bestellt ein bier. ich wähle eine apfelschorle. 

die getränke kommen subito. der sitznachbar prostet mir mit seinem pils zu. dann nimmt er die kopfhörer, überlegt einen moment - und packt sie in seine tasche. "jetzt ist feierabend", sagt er zu mir. "diese buchhaltung kann einen echt auffressen!"

buchhaltung und workaholic passen für mich zunächst nicht zusammen, dann aber fällt der groschen: "biste selbstständig?" frage ich.
"ja", sagt der typ. er erzählt mir, dass er unternehmensschulungen für diverse softwares veranstaltet. ich höre interessiert zu, dann geben wir für einander ein paar anekdoten zu thema "als mein kunde mal nicht zahlen wollte" zu besten.

plötzlich gehen alle lichter aus und der zug macht eine vollbremsung. ich greife flugs nach dem bierglas meines abteilgenossen, das in meine richtung fliegt. dann kommen wir auf freier strecke zum stillstand.

"verdammt, das war ein kurzschluss", sagt mein begleiter. "das ist schlecht. jetzt können wir uns für die nacht hier einrichten."
"echt? meinst du?" frage ich entsetzt. 
"wenns die oberleitung war, auf jeden fall. aber auch sonst ist ein kurzschluss nicht besonders gut. wahrscheinlich müssen sie uns abschleppen und dann müssen wir den zug wechseln. ist ja noch eine ganze weile bis hamburg."
"ach du liebe zeit", sage ich.
"naja, könnte mir schlimmeres vorstellen", sagt er und blinzelt mir verschwörerisch zu. "jedenfalls hast du super reflexe." 

"hm", sage ich. mir gefällt die situation auf anhieb nicht ganz so gut, weil mir gleich so unangenehme dinge einfallen wie die elektrisch verriegelten türen, die elektrisch gesteuerte toilettenspülung und begrenzte mengen an nahrungsmitteln. "ich geh mal schnell noch auf toilette, bevor die schüssel voll ist", sage ich. mit der handytaschenlampe hangle ich mich den flur entlang.
 
als ich auf toilette sitze, gehen plötzlich die lichter wieder an. die crew hat das notstromaggregat aktiviert. ich kann problemlos spülen und hände waschen. 
 
dann endlich eine durchsage: es habe leider einen kurzschluss im triebwagen gegeben, nichts genaueres wisse man. es könne eine unbestimmte zeit dauern, bis es weitergehe.
 
ich eile zu meinem abteil zurück. dort ist mein mitreisender gerade dabei, seinen geldbeutel zu zücken.
"ich besorg uns mal noch mehr bier, bevor alles ausverkauft ist", sagt er. "trinkst du auch was mit?"
"oh, dankeschön", sage ich. "aber dann komm ich gleich mal mit und kaufe noch was zu essen."
 
die crew im speisewagen hat alle hände voll zu tun, denn wir sind nicht die einzigen mit der idee, uns ein paar kleine vorräte zu verschaffen. homo homini lupus est. mein begleiter ordert vier bier, ich kaufe zwei sandwiches und ein wenig schoki. andere speisen werden nicht mehr ausgegeben. aus gründen.
 
wir kehren in unser abteil zurück und unterhalten uns weiter. inzwischen sind 45 minuten vergangen. plötzlich ruckelt es. "oh, das war die bremse", sagt mein abteilgenosse. "das wäre ein gutes zeichen. vielleicht gehts doch gleich weiter." 
 
tatsächlich setzt sich der ice langsam in bewegung. eine weitere durchsage ertönt: dem lokführer sei es gelunden, das problem zu beheben. man sei nun guter hoffnung, es bis zum zielbahnhof zu schaffen. 

es dauert jedoch nur ungefähr 20 minuten, dann gibt es den nächsten kurzschluss. wieder stehen wir in finsterer nacht auf freier strecke. das zugpersonal meldet sich und berichtet, dass das problem leider erneut aufgetreten sei. man hoffe, den zug noch mal fit zu bekommen. danach wäre allerdings der nächste bahnhof der endbahnhof. von dort aus sollen wir in einen neuen zug umsteigen.
 
ich finde das ganze inzwischen fast amüsant und insgesamt recht spannend. das liegt nicht an der situation, sondern an meinem charmanten sitznachbarn sowie der großen menge bier, die inzwischen durch unsere blutbahnen schwappt.  
 
tatsächlich schafft es der lokführer, den ice ein zweites mal zum weiterfahren zu bringen. die crew prognostiziert derweil umsteige- und weiterfahrt-möglichkeiten am kommenden bahnhof, der gleichzeitig unsere verfrühte endstation werden soll. 
 
"mist, mein anschlusszug ist natürlich schon weg", sagt mein abteilgenosse, während er alternative verbindungen mit seinem handy recherchiert. "und sonst fährt da auch nichts mehr. so eine scheiße." 
"das ist aber jetzt keine verblümte bitte, dass ich dich mit zu mir nachhause nehmen soll", kichere ich.
"um gottes willen", sagt mein mitreisender. "ich würde mich niemals aufdrängen."
"was würde denn deine frau sagen?"
"die schläft schon. die beschwert sich aber garantiert morgen, wenn ich heute nicht mehr nachhause komme."
"nicht, weil du bei einer fremden frau schlafen würdest?"
"da sind wir eigentlich recht entspannt."
"soso. mein freund wäre da nicht so gechillt."
"jedenfalls hat er echt glück, mit einer frau wie dir."
"danke für die blumen."
 
als wir schon die lichter der herannahenden stadt unseres endbahnhofs sehen können, wird es zum dritten mal dunkel um uns. wir warten auf die nächste durchsage, die da lautet: leider sei es nun zum irreversiblen defekt gekommen. man habe zwei dieselloks angefordert, die unseren zugs in den nächsten bahnhof schleppen sollen. das würde allerdings nun wieder einige zeit dauern.
 
nach rund einer stunde beginnt sich unser defekter zug ruckelnd in bewegung zu setzen. kurz nach 1 uhr nachts kommen wir schließlich am vorläufigen zielbahnhof an.
"was machste denn nun", frage ich meinen mitfahrer.
"ich werd mir ein taxi nehmen. das müsste die bahn ja zahlen."
"gute idee."
"lieber würde ich mir ja ein hotelzimmer nehmen", grinst der abteilgenosse frech.
"aber?"
"ich will ja nichts herausfordern."
"nee, besser ist das", sage ich. "außerdem sieht das ganz so aus, als käme ich doch noch nachhause. da soll ja in 20 minuten ein neuer ice bereitgestellt werden."

der mitfahrer wartet mit mir, bis der versprochene frische und funktionsfähige zug einfährt. 
beim abschied fragt er nach meiner telefonnummer. 
"wir können doch mal in kontakt bleiben", sagt er verlegen. 
"ist ja kein verbrechen", sage ich geschmeichelt.
dann steige ich in den zug.
 
gegen 3 uhr nachts komme ich schließlich todmüde am hauptbahnhof an. ich nehme mir ein taxi - und krieche gegen halb vier zum luxus-mann in die federn. 

"was warn los?!" murmelt der im halbschlaf.
"kurzschluss im triebwagen", sage ich. "dreimal in folge, so wie ich dir geschrieben habe."
"und war da was mit dem typ?"
"nee, quatsch, der sitzt jetzt im taxi nachhause zu frau und kindern."
"das eine schließt das andere ja nicht aus, und bei dir weiß man nie."
 
ich stupse und kitzle den offenbar verstimmten luxus-mann ein wenig und spüre dann seine erektion.
"oh lala. ein bisschen fremdflirten scheint ja recht belebend zu wirken."
"gar nicht", beschwert sich der luxus-mann.
"anscheinend doch."
"egal, noch ein bisschen ficken?"
"wenn du mich dabei nicht dauernd fragst, ob ich an den typ denke."
 
und damit endete eine odyssee, die insgesamt gar nicht so schrecklich war, aber ein recht typisches licht auf die zustände der deutschen bahn wirft.

Mittwoch, 6. März 2024

first week in the new job

ich weiß ja noch nicht.

kollegen? nice, aber tendenziell überengagiert. der druck verteilt sich auf die schwächsten schultern.

viel chaos und zu viele meetings mit zu viel raum für dampfplauderer. nächste woche spreche ich das an. überheblich kann ich, und wer mich feuern will, soll das tun.

panikmache bei jedem projekt. kann ich null ernst nehmen. nur mein körper reagiert: nachtschlaf endet um 5 a.m.

zeit? rar. ich habe diese woche weder einkaufen noch putzen noch wäschewaschen können. phasenweise fehlte die zeit zum essen und zum trinken und um kacken zu gehen.

homeoffice? bis jetzt nicht.

anspruch? hoch. gefällt mir.

lernen? ja, immer, gefällt mir ebenfalls.

personalities? bieder. niemand, mit dem ich auch nur eine kleinigkeit gemein hätte. der chef gefällt mir am besten, der hat was.

ja. mal sehen, was kommt.