Mittwoch, 29. April 2020

zentrale fragen zum mittwoch

"si on s'aime pas qui nous aimera?"

man sucht sich menschen, die einen nicht lieben können. die es vielleicht gerne würden, es aber nicht schaffen.


zwischen jetzt und der zeit, in der ich dieses lied in schleife hörte, liegen 10 oder 15 jahre.
und die zentralen borderliner-fragen.

eine zeit erfüllt von der leidenschaft für alles, was erfüllt. und doch immer eine leere hinterlässt.
von der leidenschaft für die leere. und der unfähigkeit, sie dann zu ertragen.

vielleicht ist mir der spagat gelungen und ich habe im tiefsten widerspruch irgendwie einen, anderthalb, zwei füße auf den boden bekommen.

habe ich diesen boden tatsächlich selbst gefunden? oder hat mir irgendetwas oder jemand einen schemel untergeschoben? in letzter sekunde, als ich längst nicht mehr daran geglaubt hätte?

bisweilen stellt sich mein mann gerne als held dar. der widerspenstigen zähmung ist ihm seiner meinung nach gelungen. allerdings zu dem preis, dass er sich zutiefst infrage lassen stellen muss, weil ich ihn und seine normalität ironisch betrachte. oder wie das objekt es einst ausdrückte: du bringst mein ganzes system zum wanken.
 
das hält man aus oder nicht. es ist immer eine gratwanderung.
aber ich liebe gratwanderungen.

kannst du es aushalten? und ist es, wenn es geradezu unerträglich wird, nicht auch wunderschön?

ich bin aufgeregt, wie ich mir diese fragen in einigen jahren beantworten werde.
und fasziniert, dass ich tatsächlich meine zukunft erleben möchte.
wer hätte das damals gedacht?

Freitag, 24. April 2020

der fluss der verlorenen erinnerung

im garten meiner eltern rinnt ein bächlein, das von einem kind bewacht wird.
der bach ist der ursprung des flusses der verlorenen erinnerung, sagt das kind. ich könne damit in meine, aber auch in die erinnerung anderer menschen reisen.

ich entscheide mich dafür, dass ich mehr über das objekt erfahren will. also steige ich das brackige rinnsal, das aber bald breiter und klarer wird.

zuerst tauche ich in meine eigene erinnerung.

in dieser flirte ich auf einer party mit einem typ. den finde ich eigentlich nicht wirklich interessant. in der erinnerung wird mir das erstmals so richtig bewusst. ich hebe den kopf und entdecke das objekt. es starrt mich über die köpfe der anderen hinweg an - und ich fühle mich sehr stark verbunden.

plötzlich verstehe ich, dass auch ich mich selbst nie wirklich für das objekt entschieden habe. stattdessen habe ich ihm gegenüber totale unabhängigkeit proklamiert und das mit willkürlichem ficken untermalt. das stimmt mit dem überein, was mir das objekt oftmals vorgeworfen hat: immer, wenn man dir näher kommt, gehst du, zumindest innerlich.

anschließend tauche ich in die erinnerung der mutter der drittefreundin ab. die drittefreundin stammt aus dem engeren freundeskreis um das objekt und ist - wie der name sagt - die freundin des dritten. der dritte hatte das objekt und mich einst zum dreier verführt - der startschuss unserer liason. wie ich auf die mutter komme, weiß ich nicht, im real life kenne ich sie nicht einmal.

in dieser erinnerungssequenz richtet die drittefreundin-mutter eine geburtstagsfeier für ihre tochter aus. auch das objekt ist eingeladen. beim feiern erwischt das objekt eine überdosis drogen. die mutter - in diesem fall ich, weil ich ja in ihrer erinnerung stecke - versucht, den notruf zu wählen. am anderen ende ist ein vollkommen demotivierter mitarbeiter. der sagt, dass erst in 45 minuten ein krankenwagen kommt. das objekt stirbt mir unter den händen weg.
ich durchlebe neben furchtbarer panik das gefühl diese seltsamen mischung aus verantwortung und ohnmacht, dass ich seit dem objektiven unfall mit mir herumtrage.

in der dritten sequenz reise ich in die erinnerung der objektmama. diese erinnerung spielt auf einem truppenübungsplatz an der polnischen grenze. das objekt will ständig desertieren. seine mama - also wiederum irgendwie ich in diesem fall - versucht, ihn zu bleiben und durchhalten zu bewegen. auch hier gibt es parallelen zur wirklichkeit: zum einen ist das objekt zu wehrpflichtzeiten tatsächlich desertiert - eine geschichte, die es vor vielen jahren mal zum besten gab. zum anderen ist es schon öfter mit dem rolli aus seiner einrichtung ausgebüxt. es ist eben auch ein freiheitsliebendes wesen.

am ende der dritten erinnerungsreise kehre ich zurück zum kind am fluss der erinnerung. es sagt, du kannst wählen zwischen hier und drüben. ich fackle nicht lange und beschließe, wieder nach drüben in die welt der erinnerung zu gehen und dort zu bleiben.

am morgen bin ich noch immer beeindruckt von diesem traum - und vor allem von meiner entscheidung am ende. tatsächlich hänge ich sehr stark an der erinnerung. bisweilen sind meine tagträume so intensiv, dass ich nichts mehr um mich herum mitbekomme. manchmal mache ich mir sorgen, dass ich deshalb wichtige chancen und entscheidungen im hier und jetzt verpasse, oder aber gefahren übersehe.

aber die erinnerung trägt mich wie eine kugelsichere weste. sie ist meine form von spiritualität und transzendenz, eine sichere dimension in einem unübersichtlichen multiversum.

Montag, 6. April 2020

früheste erinnerung

ich bin 2 oder 3 jahre alt, es ist ein sehr warmer und sonniger tag, und ich sitze alleine unten vor unserem mehrfamilienhaus im vorstadtgetto. ich befinde mich am rand zwischen wiese und dem komischen blumenbeet, wo gar keine blumen, sondern nur stachelige sträucher wachsen. dort gibt es ein paar ganz runde, glatte steine, mit denen ich gern spiele.

in den oberen stockwerken gießt jemand in diesem moment seine blumenkästen, und das wasser rinnt über den waschbeton der balkons hinunter bis auf meine steine, vor denen ich sitze.

das wasser erzeugt dabei diesen ganz speziellen geruch, der nur dann entsteht, wenn es langsam über warmen, sonnenbeschienenen waschbeton rinnt. und ich werde diesen geruch auf ewig mit diesem moment und unserer wohnung in der hochhaussiedlung verbinden, mit dem sommer 1983 oder 84, mit dem gefühl absoluter geborgenheit und aufgeregtheit auf das leben - und alles, was da noch kommt.


Sonntag, 5. April 2020

das große fressen

am freitag begab es sich, dass ich erneut an mein fortschreitendes alter erinnert wurde. das ereignis war insofern für mich recht nebensächlich, da wegen corona sowieso keine party anstand. zudem wartete ich seit über einer woche auf meine regel, während mein körper mich mit übelster pms quälte: die titten quollen schmerzhaft aus dem bh, der bauch tat mir weh, mir war übel und gedanklich war ich mit der planung eines ausgedehnten amoklaufs beschäftigt.

da der festtag jedoch zugleich das vierjährige luxus-jubiläum war, war leider keine zeit für amoklaufen. stattdessen hatten wir ein kleines feierliches mahl in heimelig-häuslicher isolation geplant: forelle mit kräuterkruste, gemüse und kartoffelgratin. das weib sollte sich um fisch und gemüse kümmern, der mann wollte das gratin machen.

"und freust du dich schon auf schön kochen und essen?" wollte der luxus-mann wissen, als wir am donnerstagabend bei einem drink auf der couch saßen.
"so minus unendlich freu ich mich", knurrte ich übellaunig. "und wenn ich an den fraß denke, den wir da wieder zusammenbrutzeln, möchte ich jetzt schon kotzen."
"aber wir wollten es doch einfach mal versuchen..."
"jaja, ist ja gut, wir machen es ja", fauchte ich, und der mann zog belustigt die augenbrauen hoch.

an meinem ehrentag schließlich zeigte sich die gebärmutter großmütig und leitete die purpurnen flüsse ein. es war herrlich, da die brustschmerzen endlich vorbei waren, mein körper gefühlt drei liter wasser in zwei stunden abbaute und meine laune sich zunehmend verbesserte. ich hatte sogar wieder ein klitzekleinbisschen lust auf geburtstagfeiern und essen, was den luxus-mann sehr freute.

am mittag stand ich dann im fischladen, um die forellen zu holen. ich beobachtete den fischmann, der zwei regenbogenforellen zerlegte. die forellen zogen schleimige fäden wie erigierte penisse, die ihre lustropfen abseilten. ich ekelte mich. totes getier mag ich nicht anfassen - zumindest nicht, wenn ich es später essen soll. ich überlegte, ob ich die dinger einfach direkt aus der tüte in die pfanne flutschen lassen könnte bzw. ob der luxus-mann tough genug war, schleimige penisse anzufassen.

als ich wieder in luxus-hausen ankam, waren die beiden nachbarskatzen draußen. sie freuten sich sehr über die fischig duftende tüte und verfolgten mich laut mauzend bis in die wohnung. ich bedauerte, ihnen nicht die fischköpfe mitgebracht zu haben.

wir begannen sodann mit den vorbereitungen.
ich putzte gemüse, der luxus-mann schälte seine kartoffeln. dann schichtete er alles in eine riesigen auflaufform.
"wie viele leute hast du denn eingeladen", frotzelte ich. "das reicht doch für mindestens fünf personen."
"quatsch", sagte der luxus-mann ruhig und überzeugt, während er drei becher sahne über sein schichtwerk kippte.
"hast du selbstmordfantasien", kicherte ich. "davon bekommen wir nen herzinfarkt!"
"wenn schon, denn schon."

dann bröselte der luxus-mann eine gewürzmischung darüber.
"was sind das denn für kräuter? das riecht nach oregano", sagte ich skeptisch.
"das IST oregano!"
"igitt!"
"was anderes hab ich nicht."
"mann! oregano passt zu pizza oder tomatensauce, aber doch nicht zu kartoffelgratin!"
"was soll da sonst dran?"
"salz, pfeffer und ne prise muskatnuss."
"ist doch egal, ob oregano oder muskat!"
"du bist wie meine mutter! so will ich das nicht! das soll ein besonderes essen werden!"
"ach komm."
"nee. den scheiß kannst du alleine fressen."
"du bist ne kleine grummelfrau", sagte der luxus-mann mit seiner affengeduld und tätschelte mich.

ich hatte zwischenzeitlich einen ganzen haufen gemüse geputzt, der nun vor sich hinbrutzelte. jetzt musste ich mich um den fisch kümmern. der luxus-mann erbarmte sich und übernahm den teil mit dem anfassen. währenddessen rührte ich die kräutermischung an, röstete nüsse und croutons und schichte anschließend alles auf die fische.

nach anderhalb stunden war alles fertig und wir waren es auch.
"das war sauanstrengend", fand ich.
"warte mal ab, wenn wir nachher die küche aufräumen. DAS wird anstrengend."
"oh nein.... stimmt. aber jetzt erstmal essen!"
"ich mach einen wein auf, ok?"
"unbedingt."

dann saßen wir vor unseren tellern, deren inhalt tatsächlich viel ähnlichkeit mit dem rezeptfoto hatte.
in der tat war der fisch überraschend gut gelungen und die kräuterkruste ganz exquisit. das gemüse war leider zu lange in der pfanne gewesen und viel zu labberig. der luxus-mann stellte zudem fest, dass er keine pastinaken mochte.
das gratin schmeckte nach nichts außer nach oregano. ich weigerte mich, es zu essen. das war jedoch nicht weiter schlimm, denn der luxus-mann fand seine kreation derart lecker, dass er den gesamten inhalt der auflaufform verschlang.

"weißt du, was ich an kochen so frustrierend finde?" sagte ich.
"was denn?"
"ich war in vier läden einkaufen, um alle zutaten zu bekommen. das hat ungefähr anderthalb stunden gedauert. dann standen wir beide noch mal anderthalb stunden in der küche. und jetzt sieht es da aus wie bei flodders unterm sofa und wir dürfen noch mal ewigkeiten aufräumen und saubermachen, wenn wir nicht in dem fischdampf schlafen wollen. und dafür haben wir jetzt 15 minuten oder so was gegessen, was so teilweise lecker war."
"bist du denn gar nicht so ein kleines bisschen stolz drauf?"
"nee. das war mittelmäßig. und so fühl ich mich jetzt auch - sehr mittelmäßig kulinarisch intelligent."

der luxus-mann grinste.
"ich seh schon, die frau wird mit kochen nicht so richtig warm."
"wenn ich jemand wäre, der das ganze entspannend findet, wäre das ja ok. aber so halt nicht."
"aber vielleicht lernst du das noch."
"glaub ich nicht. meine mutter hasst kochen auch, obwohl sie es jeden tag tut."
"ich muss zugeben, ich finde es auch nervig", gab der luxus-mann zu. "viel aufwand. aber ok, es mal gemacht zu haben. nächstes jahr gehen wir auf jeden fall wieder essen."

am abend taten wir das, was wir deutlich besser können als kochen, nämlich trinken. sehr blau schon gestanden wir einander dabei ein, dass wir uns rein theoretisch so prinzipiell ganz ok fanden. somit war der tag insgesamt gerettet und am ende doch noch sehr positiv geprägt.