Montag, 30. Mai 2022

never always alone

einsamkeit ist ein viel diskutiertes thema seit corona. ich glaube jedoch nicht, dass uns die pandemie einsamer gemacht hat. ich denke, sie hat uns lediglich gezeigt, dass wir falsch fokussieren und zu viele schein-beziehungen führen, die ohne tiefe sind.

ich persönlich habe unter corona kein bisschen gelitten. menschenansammlungen hasse ich ohnehin, und ich pflege aus prinzip keine freundschaften zu kollegen, denn kollegen sind immer konkurrenten. arbeiten hat exakt einen sinn für mich: geld verdienen, nicht mehr und nicht weniger. ich habe nicht die leiseste absicht, in der job-zwangsgemeinschaft mehr zeit als unbedingt nötig zu verschwenden.

auch veranstaltungen wie partys betrachte ich inzwischen geläutert und mit abstand. 2012 hörte ich depressionsbedingt auf, wochenends ständig in clubs zu rennen. dabei zeigte sich schlagartig, dass meine "freunde" dort alles nur partypeople waren, die mich ratzfatz fallen ließen, als die ewige feierei für mich erstmal vorbei war. diese desillusionierung - so gesund und nötig sie sicherlich war - machte mich furchtbar einsam. 

de facto war ich gar nicht so wahnsinnig alleine, sondern hatte nur den falschen fokus gesetzt. nämlich, dass mich die wochendlichen partys mit alkohol und drogen für all die sinnlosen qualen von montags bis freitags entschädigen würden. taten sie natürlich nicht, und dafür konnten sie nichts.

seit rund fünf jahren bin ich in der glücklichen situation, eine ganze reihe echter, tiefer und wertvoller verbindungen zu haben. dazu zählen neben meiner partnerschaft zum luxus-mann ein kleiner kreis an menschen in und um hamburg, ein etwas größerer kreis in meiner heimat sowie einzelne personen in anderen städten.

das beste dabei ist, dass der kreis jeweils gar kein kreis ist. vielmehr es sind unabhängige einzelkontakte. das heißt, ich laufe nicht gefahr, dass, falls es zu konflikten mit einer dieser personen kommt, gleich wieder der komplette kreis wegbricht. (das empfehle ich allen, die der ansicht sind, sie bräuchten unbedingt eine clique: bullshit!)

damit erfüllende kontakte entstehen, braucht es natürlich auch eine gewisse offenheit. als treudoofes naivschaf, das das herz auf der zunge trägt, habe ich da natürliche gewisse vorteile. es birgt allerdings auch immer die gefahr, verletzt oder ausgenutzt zu werden. 

deshalb, so habe ich für mich gelernt, sind emotional schwache und bedürftige phasen keine guten zeitpunkte, um kontakte zu knüpfen. denn kommt es dann zu einer verletzung, trägt man sehr lange daran. 

darüber hinaus ist man bedürftig meist kein guter gesprächspartner. man quatscht zu viel ichbezogene soße und verschreckt das gegenüber dadurch. geht so der kontakt deshalb wieder verloren, bestärkt dies das gefühl, dass man ewig einsam bleiben wird.

ich bin sehr dankbar, dass ich mich aktuell nicht mehr einsam fühle. seit dem so ist, kann ich eine sache wieder in vollen zügen genießen: das alleinsein. ich erlebe momente mit mir inzwischen mindestens als ebenso erfüllend wie einen abend mit einer guten freundin oder dem partner. 

und das, denke ich, ist im grunde genommen sehr gesund.

Samstag, 14. Mai 2022

fünf bis sechs himmelsrichtungen

ich bin mit dem luxus-mann verabredet, weil er mir netterweise in meinem elend beim einkaufen helfen will. 

viertel nach zwei. ich bin sehr pünktlich, da der mann unpünktlichkeit auf den tod nicht ausstehen kann. (das zieht sich übrigens durch alle meinen längeren beziehungen: männer mit pünktlichkeitswahn, oft auch mit putzfimmel. fast immer erwische ich die mit der schlechten analen phase!)

doch diesmal kommt der luxus-mann zu spät. eine ganze viertelstunde. als er endlich um die ecke kurvt, beschließe ich, ihn zu parodieren: ich fuchtle wild mit den armen, hämmere mit dem zeigefinger auf ein imaginäres ziffernblatt am handgelenk und führe einen rumpelstilzchentanz auf - sehr zur belustigung der umstehenden.

der luxus-mann ist zerknirscht, muss aber angesichts meiner performance grinsen: "ja, irgendwie... war ich jetzt länger nicht mehr hier auf der ecke. hab vorhin die falsche straße genommen und ab da sah dann alles irgendwie gleich aus."

der fehlende orientierungssinn ist ein großes manko am luxus-mann. immerhin wohne ich nun seit fast drei jahren in dieser gegend, aber er schafft es immer noch, sich zu verfahren. gerät er fatalerweise in eine falsche der vielen altbau-kopfsteinpflaster-sträßlein hier, ist er lost - ganz egal ob mit oder ohne navi.

"das ist irgendwie komisch bei mir", gibt der luxus-mann zu. "das war schon als kind so. kennst du dieses gläserne labyrinth auf dem dom, wo man zwischen den scheiben die türen finden muss? ich war da als kleiner junge mal mit meiner familie drin. alle waren schon längst draußen, auch meine kleine schwester - nur ich bin immer wieder wie so eine hummel irgendwo gegen ne glasscheibe gelaufen."

später dann, erzählt er mir, mit mitte zwanzig, fuhr er mit seiner damaligen freundin nach einem restaurantbesuch aus irgendwelchen gründen in getrennten autos zurück nach altona. "b. wohnte damals in diesem gelben haus in der barnerstraße, so richtig mittendrin also. es war winter und schon dunkel... und da bin ich wieder in die falle getappt. ich bin bestimmt über eine halbe stunde durch diese ganzen kleinen nebenstraßen gegurkt, durch diese immer gleichen jugendstil-häuserfronten. und weil schnee lag, sah alles noch viel gleicher aus. ich dachte, ich werde irre!" 

seine freundin war zu dem zeitpunkt längst zuhause angekommen und stinksauer, weil sie dachte, der luxus-mann sei - seinem damaligen temperament folgend - noch irgendwo in einer bar versumpft.

"schon lustig mit dir", sage ich. "aber manchmal auch ziemlich nervtötend."

"vielleicht hat meine matrix halt einfach ein paar mehr himmelsrichtungen als eure", grinst der luxus-mann. 

"du meinst, so fünf bis sechs?"

"in etwa. und das verwirrt mich dann, weil ihr hier alles auf vier eingerichtet habt."

"soso", sage ich. "vielleicht lebe ich ja dann in einer anderen zeitmatrix und komme deswegen manchmal drei minuten zu spät. das musst du dann bitte auch entschuldigen."

Donnerstag, 12. Mai 2022

kompliziert krank

als ich letzten freitagabend bei einer freundin sitze und mir gerade die zweite whisky cola einschenken lasse, überkommt mich ein merkwürdiges gefühl. so als müsste ich gleich vom barhocker fallen.

"du guckst so komisch", sagt meine freundin.
"ich glaub, ich bin einfach müde", sage ich.
zuhause im bett bin ich sofort weg.

am nächsten morgen steht der luxus-mann auf der matte. wir wollen seine eltern besuchen, mutti wird ihre 5.000-kalorien-mahlzeiten kochen und ich kann die rhodelander-damen wiedersehen. ich fühle mich wie von der dampfwalze überfahren, raffe mich aber auf. mutti hasst absagen.

nach dem mittagessen gehen wir spazieren, weil ich auch noch kühe streicheln muss, was mir der derzeit sehr verliebte mann gerne ermöglicht. leicht belustigt steht er am zaun, während ich verzückt die mädels kraule und ihren dicken schlabberzungen ausweiche.

zum kaffee bei mutti gibt es blaubeertorte mit selbst gesammelten blaubeeren. eigentlich würde ich jubeln, aber diesmal bin ich merkwürdig appetitlos.

"ich habe kopfschmerzen", sage ich zu meinem mann.
"soll das die einleitung sein, dass du heute lieber nicht ficken willst", grinst der.
"nee, ich hab wirklich welche", sage ich. "und der hals kratzt mir jetzt plötzlich auch irgendwie."
"dann lass uns fahren."

zuhause lege ich mich hin. der kopf summt wie ein bienenschwarm, nur dass die bienen offenbar aus blei sind, so schwer ist der schädel. außerdem ist mir kalt. der luxus-mann lacht, als ich mir meine winterdecke aus dem kinderzimmer hole.

sonntagmorgen dann ist alles vorbei. der hals ist dick geschwollen, ich kriege kein wort mehr raus. außerdem habe ich fieber und schüttelfrost.

der mann bringt mich nachhause und wartet noch eine viertelstunde, bis ich einen coronatest gemacht habe. negativ. das ist schon mal gut, aber es geht mir mies. montag, sage ich mir, muss ich zum arzt.

montagmorgen beginnt dann der immer gleich anstrengende hausarzt-marathon, weil es auf meiner ecke nur drei mittelmäßige ärzte gibt und man oftmals tage braucht, um dort überhaupt jemanden ans telefon zu bekommen. zwei stunden später habe ich es aber schon geschafft: ich habe einen video-sprechstundentermin, weil ich mit erkältungssymptomen natürlich nicht in die praxis darf.

über das verschwommene video diagnostiziert frau doktor dann eine eitrige mandelentzündung. 10 tage penicillin, sagt sie. oh nein, denke ich. penicillin heißt ja immer flitzekacke. außerdem ist gar nicht sicher, ob die diagnose stimmt, denn frau doktor hat natürlich auch keinen abstrich gemacht. trotzdem habe ich keine wahl.

das gute an der mandelentzündung ist die krankschreibung. die bekomme ich nicht sofort, sondern sie wird mir vom apothekenboten gebracht, der auch meine medikamente liefert, weil ich selbstverständlich nicht in eine apotheke darf. 

der apothekenbote ist ein blonder teenie, der nicht so recht weiß, wie er die übergabe machen soll, weil "kontaktlose lieferung" als vermerk dabeisteht. wir einigen uns, dass er die tüte ins treppenhaus stellt und ich mich einmal rausquäle, um sie zwei minuten später zu holen.

drei tage bleibe ich im bett und habe im dämmerschlaf merkwürdige träume und kindheitserinnerungen. und anderen von einem lied, zu dem ich vierjährig einst durch den kindergarten tanzte.

heute ist tag vier der penicillin-kur. ich bin noch immer covid-negativ. der magen routiert, aber sonst wird es langsam besser. ich habe kleine kraftproben gemacht wie wäschewaschen und müll rausbringen. 

einkaufen lasse ich lieber. einen tag und einen weiteren schnelltest warte ich noch ab mit menschlichen kontakten. man weiß ja nie. einen pcr-test bekomme ich nicht, und zahlen werde ich den ganz bestimmt nicht, solange ich schon ungeimpften partybrandbirnen kostenfreie schnelltests finanzieren muss.

auf jeden fall ist kranksein mit corona eine komplizierte sache geworden.