weil es im vergangenen post in den kommentaren zur sprache kam, hier ein kleiner ausflug in meine weniger schönen kindheitserinnerungen.
am tag meiner einschulung war ich stolz wie bolle: ich trug mein rosa rüschenkleidchen und lackschühchen mit weißen kniestrümpfen. dazu eine schultasche mit bunten herzen, mit passendem federmäppchen und turnbeutel. sogar meine schultüte hatte dieses design. es war alles genau nach meinem geschmack: ein 1000%-iger mädchen-traum. süß, lieb, rosarot.
ich konnte bei meiner einschulung bereits lesen und freute mich insgesamt sehr auf die schule und das lernen. ich mochte auch meine klassenlehrerin auf anhieb, eine sehr kleine, ältere dame mit einem strengen gesicht. sie strahlte keine große herzenswärme aus, aber das versprechen auf weisheit. ich verspürte bei ihr - wie so oft bei erwachsenen - sofort den drang, mich mit ihr zu unterhalten und sie in meine kleinen naturwissenschaftlichen und kinderliterarischen entdeckungen einzuweihen.
die kinder aus meiner klasse waren für mich weniger interessant. spielen mit anderen kindern fand ich schon im kindergarten langweilig. ich bevorzugte den kontakt mit meinen erzieherinnen, half in der teeküche und band den jüngeren kindern die schleifen ihrer schuhe, wenn sie nach draußen wollten. die erzieherinnen hatte meine hilfsbereitschaft und fürsorglichkeit immer begeistert. heute würde man kinder wie mich wahrscheinlich eher zum psychologen schicken.
ich weiß nicht mehr, wann es das erste mal passierte. vielleicht nach ein paar tagen oder auch wochen, nachdem die jungs mich genauer abgecheckt hatten. gesehen hatten, dass ich im unterricht mühelos mitkam und fast immer die richtige antwort wusste. verstanden hatten, dass ich wirklich immer meine rosa mädchenklamotten und niemals jeans trug. herausgefunden hatten, dass ich insgesamt eher langsam, vorsichtig und manchmal recht ungeschickt war und grundsätzlich weniger dazu neigte, in einem sich formenden freundeskreis aufzugehen.
irgendwann nach schulschluss war es soweit. sie waren zu viert oder zu fünft, meist mit zwei zweitklässern im schlepptau. sie lauerten mir hinter der turnhalle auf und stürzten sich auf mich wie löwen auf der jagd. sie zerrten mir die schultasche herunter und warfen sie in den dreck. sie rissen an meinen kleidern, schubsten mich umher und schlugen mich grün und blau.
ich war zu schockiert von dieser brutalität, um mich zu wehren. ich war vor angst und schreck erstarrt und begann schnell zu weinen. das war natürlich eine grandiose einladung fürs nächste mal.
und dann ging es richtig los. ich war in keiner pause mehr sicher. und wenn die glocke zum schulschuss läutete, war mir kalt vor angst. ich überlegte mir jedesmal andere wege und möglichkeiten, wie ich der gang entkommen konnte - das schulgelände durch den hinterausgang oder mit der lehrerin zusammen verlassen, oder mich im schulgebäude zu verstecken, bis die angreifer keine lust mehr hatten, auf ihr opfer zu warten. manchmal klappte es. oft auch nicht. die jungs waren zu mehreren, sie konnten sich aufteilen und mich aufspüren.
meiner mutter entging nicht, was los war. wenig amüsiert über verdreckte und zerrissene kleidung begab sie sich zu meiner lehrerin in die sprechstunde. da könne sie nichts machen, sagte diese, das müssten die kinder unter sich regeln.
meine mutter beschloss daraufhin, mich von der schule abzuholen. doch wenn sie glaubte, ihre anwesenheit würde die jungs davon abhalten, auf mich loszugehen, dann lag sie falsch. sie waren zu mehreren und scherten sich nicht weiter, dass eine erwachsene person daneben stand und hilflos "aufhören!" kreischte, während sie mich vermöbelten.
meine mutter zog ihren letzten joker. sie besuchte die mutter des anführers der gang und bat sie, ihrem sohn ins gewissen zu reden. doch die anführer-mutti war eine zarte alleinerziehende mit stressigem vollzeitjob, die keinerlei authorität besaß und ihrerseits meine mutter vollheulte, dass ihr ihr sohn nur auf der nase herumtanzte.
mein glück war, dass eine familie in die straße nebenan zog, die einen für sein alter recht großen, bulligen sohn hatten. der kam in meine klasse und war sehr nett. mein vater - recht clever - sprach ihn eines tages an und erzählte ihm von meinen problemen. der junge war überraschend schnell bereit, mir zu helfen. mit seinen beiden schmächtigen kumpels waren wir fortan zu viert. das half, dass sich die gang nicht mehr an mich herantraute. hin und wieder konnte ich ihnen natürlich nicht entkommen und ich bekam meine abreibung. aber insgesamt wurden die attacken seltener. mein vater hatte hier eine wirklich kluge, vom glücklichen zufall befeuerte lösung gefunden.
ein echtes ende dieses mobbing-kapitels zeichntete sich in der zweiten klasse ab. wir bekamen eine neue mitschülerin. sie war dick und trug eine irrsinnig starke brille. instinktiv wusste ich, dass ich nun aufatmen konnte - und ich lag richtig. fortan war die neue das ziel der jungs. da sie hochnäsig und unfreundlich war, entwickelte ich auch kein großartiges helfersyndrom. ich hatte mich zudem inzwischen mit einigen der anderen mädels lose angefreundet und war somit mehr teil der gemeinschaft geworden. zumindest in den pausen spielten wir zusammen verstecken und gummitwist oder kästchen-hüpfen.
ein weiterer glücksfall war, dass der gang-anführer so dumm war, irgendwann ein messer mit in die schule zu bringen. das flog schnell auf und führte zu einem verweis. weniger später musste er die schule verlassen.
in der zweiten hälfte der vierten klasse begannen erneut probleme, allerdings anders geartet. diesmal hatten mich zwei jungs aus der zwei straßen entfernten hauptschule als opfer auserkoren. sie verprügelten mich nicht, klettteten aber nach schulschluss regelmäßig an mir und machten blöde sprüche über meine kleidung oder meine zahnspange. sie waren schon zwölf bzw. 13, ich erst neun. eine zeitlang hatte ich große angst, bis ich eines tages den einen der beiden alleine antraf. er wohnte auf meinem nachhauseweg. alleine machte er keine dummen sprüche, sondern war sehr nett zu mir. er war etwas dick und nerdig, und ich vermute, dass er sich deswegen einen "starken" kumpel gesucht hatte, mit dem er gemeinsam den bad boy spielen konnte. dieses kapitel endete, als ich aufs gymnasium kam und mittags nicht mehr an der hauptschule vorbeimusste.
obwohl ich äußerlich betrachtet also heil aus meiner grundschulzeit herausgekommen war, hatte ich meine lektion gelernt: ich war definitiv falsch. und dieses falschsein musste ich vor anderen kindern künftig dringend besser verbergen. am liebsten hätte ich mich ganz geändert, äußerlich und innerlich. aber da ich nicht recht wusste, was dieses "falschsein" genau ausmachte, was mich also so hassenswert machte, war tarnung nicht ganz einfach. ich machte letztlich das, was ich auch zuhause tat: mich möglichst total anpassen. je nach laune meiner mutter war ich vollständig unsichtbar, vordergründig lustig und fröhlich oder aber fleißig, mitfühlend und eine stütze im haushalt. so verhinderte ich meist recht erfolgreich wutausbrüche und sicherte mir lob und zuneigung. kein sehr empfehlenswerter weg, um sich selbst, seine wünsche und seine grenzen kennenzulernen und auch durchzusetzen.
was mir angesichts meiner fehlerhaftigkeit kraft und trost gab, waren meine träume. in meinen tagträumen konnte ich mich komplett von der welt abkoppeln. ich bekam nicht mit, wie die zeit verflog oder wenn meine eltern mich riefen. in mir war meine perfekte zuflucht. was, wie ich später erfuhr, sehr typisch für mädchen mit adhs ist.
bis heute tauche ich gerne in diese geistige welt ab - je größer die äußeren widerstände, desto intensiver. das funktioniert am besten, indem man sich ein komplett unrealistisches projekt sucht und dort sämtliche sehnsüchte hineinprojiziert. dazu ist der passende soundtrack wichtig und eine strecke, die man als hyperaktiver mensch schnell gehen oder rennen kann. nach ein bis zwei stunden tritt so etwas wie ein leichtes, schwebendes glücksgefühl ein, das nichts und niemand so schnell antasten kann. körpereigene drogen at its best.
meine träume haben mir immer unheimlich geholfen, die realität zu überleben. sie sind aber auch nicht ungefährlich, weil sie dazu führen, dass sich mein leben nicht weiterentwickelt, weil ich grundsätzlich wenig interesse an der realität habe. das hatte mir einst auch das objekt angekreidet - womit es leider wie so oft ins schwarze traf. bis heute muss ich mich zwingen, nicht zu flüchten, sondern wirklichkeit aktiv zu gestalten - und träume so behutsam wie drogen zu dosieren.
soweit für heute. vielleicht schreibe ich noch ein kapitel zum thema mobbing in meiner gymnasialzeit. bis dahin könnt ihr mir gerne auch eure erfahrungen und gedanken schildern.
Ich glaube, zum ersten Mal gemobbt wurde ich im Kindergarten. Ich fühlte mich in der Großstadt eigentlich wohl, hatte aber meinen "Bauerndialekt" noch nicht abgelegt. In der Grundschule ging es, im Gymnasium fing das Mobbing wieder an. Richtig übel wurde es im Beruf. Zur Zeit gibt es einen Kollegen, der mir fachlich nicht gewachsen ist, was er mit Mobbing kompensiert, wobei er tatkräftige Unterstützung von seiner Clique und unserer gemeinsamen Vorgesetzten erhält. Vor einiger Zeit wurde ich an eine andere Abteilung "ausgeliehen". Obwohl ich da nicht richtig eingearbeitet war, erinnere ich mich gerne an die Zeit als "Leiharbeiterin". Der dortige Chef ist ein Mensch und stärkt mir heute noch den Rücken, wenn nötig.
AntwortenLöschenIch glaube, um Mobbingopfer zu werden, reicht es, "anders" zu sein.
ich stehe dieser "anders sein"-theorie immer etwas zwiegespalten gegenüber. mir wurde immer von meiner mutter eingeredet, dass ich anders sei, nämlich wie sie, und dass ich deshalb bestimmte dinge nicht könne oder schaffe. wie beispielsweise gut in mathe zu sein oder auto zu fahren. ich habe dann mal gelesen, dass kinder, denen das eingeredet wird, sich auch so selbst sehen - und sich so verhalten. zu ihrem eigenen nachteil.
Löschenein dialekt oder eine hautfarbe oder eine brille wären für mich ein objektives "anderssein". das ist einfach ein schwer veränderbares äußeres merkmal. so ein objektives anderssein ist sehr wahrscheinlich ein plausibler grund für mobbing.
auf mich trifft das alles weniger zu. ich habe nie verstanden, warum ich als "anders" oder "schlechter" wahrgenommen werde. viele menschen sagen mir, ich sei "auffällig". keine ahnung warum, ich versuche mich optisch eigentlich anzupassen und habe im büro beispielsweise sogar brav bluse getragen, um nicht gleich irgendwie verrücktheit zu zeigen. herausragend schön oder hässlich bin ich auch nicht. durchschnitt, würde ich sagen.
es gibt auch leute, die behaupten, ich sei besonders intelligent, wobei abi und studium jetzt ja absolut nichts besonderes sind und ich es auch im leben ja zu nichts tollem gebracht habe, was intelligente menschen sonst irgendwie auszeichnet. ich empfinde mich auch hier eher als mittelmaß. nicht komplett doof, aber auch nicht unbedingt ein einstein. da ich auch nicht besonders realitätszugewandt oder lebenfreudig bin, bleibe ich leistungstechnsich vielleicht sogar etwas unter dem durchschnitt. also nichts, was neid oder große bewunderung auslösen könnte.
trotzdem scheint irgendwas an mir zu polarisieren - auch ohne dass man mich näher kennt. eine sache ist möglicherweise mein mangelndes interesse an anderen menschen, das könnte mich arrogant wirken lassen. liegt vielleicht in meinem blick oder in meinem gesichtsausdruck. mehr fällt mir aber ehrlich gesagt auch nicht ein.
Der wirkliche Grund, warum ein bestimmter Mensch, genau dieser, drangsaliert (Mobbing, diesen Begriff gab es zu meiner Kindheit noch nicht) wird, lässt sich schwer erfassen. Zu meiner Kindheit waren es tatsächlich Scheidungskinder, zugezogene Kinder, Kinder deren Eltern nicht in die damalige Vorstellung von einem Familienverhältnis gepasst haben. Vor allem aber auch stille Kinder. Sie wollten ihre Ruhe. Das konnten die anderen Kinder damals nicht einordnen und deren Eltern haben die anderen Kinder dann einfach "abgestempelt".
AntwortenLöschenein stilles kind war ich vermutlich auch.
LöschenOh danke, ich habe ja unten auch schon kommentiert - da erkenne ich einiges, wenn auch nicht alles wieder. Ich war auch besonders angezogen, und das wollte ich so, weil ich schon auch stolz war auf meine Mutter, die alles selber genäht hatte! ABER - dass das furchtbar uncool war und ich irgendwie immer die falschen Sachen trug (Adidas wenn Puma das einzig wahre war usw.) und dann auch noch viel zu schnell Dinge erfasste und mich langweilte im Unterricht und dann auch noch eine Niete in Sport war und immer als letzte in die Manschschaft gewählt wurde (aua) - wurde ich dann halt auch einige Male mit Gürteln geschlagen oder mit kleingeschredderten Kies beinhaltenden Schneekugeln eingeseift. Ach ja, die Juckpulver Hagebutten im Rücken ... Als sich dann meine Mutter einmischte und sich mein Vater zum Elternsprecher wählen lies ging es total nach hinten los. Zum Glück habe ich die Schule gewechselt und ab der 7. hatten wir eine ziemlich coole Klassengemeinschaft. Der ich nicht traute. Und bis heute Probleme habe zu vertrauen. Denn in den Mobbingjahren setzte die Hauptmobberin eine Untergebene bzw einen Fan von ihr auf mich an, mein Vertrauen zu erschleichen und alles aufzuschreiben, was ich ihr anvertraute, um es der ganzen Klasse vorzulesen. Ja, Psychoterror traf es ganz gut. Kinder können grausam sein.
AntwortenLöschenIch glaube, du hast jetzt eine gute Chance - eben gerade, weil da dein (Ex?)-Chef ist und DER hat recht. NICHT die Mobbenden. Und: du bist nicht allein.
au backe, das klingt ja auch mega übel! vor allem das mit dem vertrauen-erschleichen und dann der verrat... sehr grausam. wie kinder auf solche ideen kommen, frag ich mich immer. sowas denkt man sich ja nicht aus, das muss man sich doch irgendwie abschauen?
Löschenich hatte gestern ein sehr schönes erlebnis. ich hatte ja während meines jobs ein eigenes projekt, für das ich nicht mit meinem team, sondern mit einem anderen unternehmen zusammenarbeiten musste. dieses unternehmen hat von meiner kündigung erfahren und sich bei mir gemeldet, dass man die kündigung sehr bedauere und dass man das auch meinem arbeitgeber so mitgeteilt habe. und dass sie die zusammenarbeit mit mir "menschlich wie fachlich als sehr gut" beurteilen. das hat mich unheimlich gefreut. und für den fall, dass die mir diese arschgeigen jetzt noch ein übles zeugnis schreiben, bin ich schon mal gewappnet.
Oh ja - als K vorlas, was ich B über K im Vertrauen erzählte vor der ganzen (5.) Klasse und mich lächerlich machte, war ich vermutlich das erste Mal so richtig depressiv, machtlos und völlig am Boden. Ich habe keine Ahnung, woher K als Rädelsführerin DAS hatte. B war ausführende, wollte in die Clique von K und wäre womöglich vom Dach gesprungen, wenn K das verlangt hätte. Später, in der anderen Schule, in der 7. lasen wir 'die Welle' - ja, so passiert das.
LöschenZu deiner Projektpartnerfirma: Oh wie schön! Das freut mich mit! Haben DIE nicht einen Job für dich?
das wär schön - das ist aber im endeffekt nur ein paar, also eine one-man-one-woman-show. ;-) die brauchen keine extra marketingfachkraft. aber vielleicht springt mal was freies raus.
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