Sonntag, 8. Dezember 2024

drama statt zuversicht: wie man aus kindern panikhäschen macht

ich habe mich oft gefragt, warum ich so wenig stressresistent bin und grundsätzlich dazu neige, mir größere sorgen als nötig zu machen. beim nachdenken darüber fällt mir immer wieder ein, wie schwierig es für mich war, mich bei problemen meinen eltern anzuvertrauen. denn meine eltern sind weder gute zuhörer und noch konstruktive problemlöser. 

positiv ist zwar, dass sie an meinem wohlergehen grundsätzlich interessiert sind, damals wie heute. das bedeutet, ich darf probleme immer adressieren, ohne dass ich zurückgewiesen werde. 

allerdings ist die reaktion meiner eltern so ziemlich die kontraproduktivste, die man sich vorstellen kann. noch beim schildern meines problems erfolgen dramatische ausrufe ("wie furchtbar!")  und wirre zwischenfragen. so kann man sich weder etwas zusammenhängend von der seele reden, noch erfährt man eine linderung der ängste und sorgen. ganz im gegenteil: zumindest als kind erlebt man seine angst so als mehr als berechtigt. das problem scheint in der tat ungeheuer groß, wahrscheinlich größer als angenommen, möglicherweise sogar unlösbar.

in phase zwei folgt dann die übertragung der verantwortung für das persönliche wohlergehen. meine eltern schildern dann wiederholt und sehr ausführlich, wie furchtbar sie sich wegen mir sorgen, dass sie beispielsweise nicht schlafen können wegen mir oder dass meine mitteilung für sie gesundheitliche auswirkungen hatte.

als reaktion meinerseits werden fürsorge, trost und sogar dankbarkeit für diese verquere form der anteilnahme erwartet. meine aufgabe ist es dann, zu erklären und zu beruhigen und zu versichern, dass alles gar nicht schlimm sei und mir selbst das problem eigentlich gar nichts ausmache. am besten ist es zu behaupten, dass ich schon eine lösung gefunden habe und sicherlich in kürze alles wieder eitel sonnenschein sein werde. kurzum, ich kümmere mich um das wohlergehen meiner eltern und nicht umgekehrt - und mein (mir jetzt noch größer scheinendes) problem löse ich ganz alleine.

passiert es, dass ich wegen meines problems kräftemäßig gerade nicht zur verbreitung von guter laune und zuversicht in der lage bin, folgt phase drei: die beleidigte-leberwurst-phase bzw. emotionale erpressung. das bedeutet, man gibt sich eingeschnappt, weil man für das sorgen-aufblasen und dramatisieren nicht die gewünschte einfühlsame rückmeldung erhielt. es wird also eine belastungssituation in einer belastungssituation geschaffen - und ich muss mich nicht nur um mein hefekuchenartig aufgeblasenes problem, sondern auch noch um den schiefen haussegen kümmern. 

all das war mir als kind selbstverständlich nicht bewusst. aber ich fühlte mich immer fürchterlich schuldig, dass ich so schlimmes kind war, das seinen eltern so schreckliche qualen bereitete.

seit ich nicht mehr zuhause wohne, versuche ich, meine sorgen und ängste ausschließlich mit mir selbst auszumachen. allerdings verhindert mein elterlich fehlgeprägtes über-ich vielfach souveräne reaktionen. es macht mir bei kleinsten unsicherheiten die hölle heiß, lässt mich nächtelang wachliegen und verursacht mir verspannungen und kopfschmerzen. 

das steht offenbar im kontrast zu meinem auftreten. denn viele menschen behaupten interessanterweise, ich wirke äußerlich sehr vernünftig und aufgeräumt. doch das ist nur eine gut funktionierende maske. meine tiefsitzende allgemeine lebensangst und daueranspannung kennen nur personen, denen ich wirklich nahe bin.

vielleicht kann diese kleine geschichte eine warnung sein: bitte schenken sie ihren kindern nicht nur aufmerksamkeit, sondern immer auch zuversicht - und unterstützen sie es möglichst ruhig und konstruktiv bei problemen. halten sie ihre eigenen eventuell dabei aufsteigenden ängste von ihrem kind fern und besprechen sie diese lieber in ruhe mit ihrem partner. es ist sicherlich normal, dass sich eltern die sorgen ihrer kinder manchmal sehr zu herzen nehmen und sich auch mal verzweifelt und hilflos fühlen. aber ihr kind sollte niemals für ihr persönliches seelenheil geradestehen müssen. diese verantwortung liegt ganz und alleinig auf ihrer seite, zumindest bis das kind selbst erwachsen ist.

4 Kommentare:

  1. Danke für deine Erlebnis-Perspektive, die ich so nicht kannte.

    Ich kenne es eher so: Die Eltern begatellisieren die kindlichen Probleme, sodass das Kind denkt, dass es sich die ganzen Schmerzen womöglich nur einbildet, dass die eigenen Gefühle nicht wichtig sind, etc. ... Auch nicht schön.

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    1. ja, das wäre dann quasi der gegenentwurf. schädlich ist sicherlich beides...

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  2. Bei mir war das so zweigeteilt, ein überfürsorgliches, liebes Elternteil und eins, was bis heute nur mit seinen Problemen beschäftigt ist und so gut wie nie ein offenes Ohr hat oder gar nicht merkt, dass was im Argen ist. Geprägt hat mich das auch.

    Es ist für mich sehr schwer, mit jemandem umzugehen, der Deine oder ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Es braucht sehr viel Einfühlungsvermögen, Verständnis und Geduld, diese Muster zu durchdringen und positiv irgendwie darauf einzuwirken. Das tut mir im Herzen weh, weil ich oft machtlos bin und diese Sicherheit nicht vermitteln kann.

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    1. so trägt jeder sein päckchen. insgesamt habe ich mit meinen eltern-erlebnissen sicherlich noch glück gehabt. trotzdem ist es viel aufarbeitungsarbeit, die mir etwas mehr elterliche reflektion und souveränität sicherlich erspart hätte.

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