Montag, 30. September 2024

it´s simply home

nicht mehr regelmäßig, aber ab und an zieht mich die nacht noch in ihr glitzerleben. insbesondere alleine in der heimat sind meine kleinen expeditionen voller aufregender und schöner momente. denn hier gibt es nicht nur eine vielfältigere und interessantere subkultur, sondern ich treffe fast überall auch unverabredeterweise alte freunde und bekannte.

so begegnete mir samstagnacht auf einem kleinen minimal-festival der wahnsinnige doc, der trotz wahnsinn, drogen-experimentierfreude und seiner allgemeinen unberechenbarkeit altersgeläutert eine sehr angenehme und etwas vernünftigere persönlichkeit entwickelt hatte. als ich die tanzfläche kreuzte, tippte er mich an und wir fielen uns in die arme. 

der wahnsinnige doc fragte mich sogleich nach meinen eltern, denn das familiendrama war zuletzt das größte gemeinsame thema zwischen uns gewesen. ich fasste den status quo kurz zusammen - schlecht, ohne große veränderungen und vor allem auch ohne jeglichen willen zu irgendeiner positiven veränderung. dann erfuhr ich, dass sich mama doc einen oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte.

"ohje, aber dann ist es ja gut, dass ein arzt in der familie ist", sagte ich leichthin.
"nee", erwiderte der wahnsinnige doc. "die braucht keinen arzt, die braucht pflege. und die bekommst du nicht, wenn du sie dringend brauchst."
"dein papa kann nicht helfen, oder? der ist ja auch schon recht tüdelig meines wissens?" fragte ich.
"mein vater hat quasi überhaupt kein kurzzeitgedächtnis mehr", sagte der doc und fuhr dann fort: "für deinen vater brauchst du auch unbedingt eine pflegestufe. organisiert das mal rechtzeitig!" 
"er hat schon eine. aber als der mdk da war, lief das alles ziemlich schief, weil sich meine eltern natürlich vorher nicht wie von mir geheißen mit den fragen befasst hatten. da hieß es dann, jaja, ach, das können wir alles noch, das geht schon. als ich den fragetest machte, kam pflegestufe drei heraus, aber der mdk hat nur pflegestufe eins vergeben. jetzt bedränge ich sie die ganze zeit, das noch mal zu beantragen, weil sich der zustand ja sowieso verschlechtert hat. und sie sollen am besten einen termin machen, bei dem ich dabei sein kann. ich kenne die fragen und ich kann auch die verschlechterungen besser beurteilen, weil ich mehr abstand habe. aber da heißt es dann immer, jaja, warten wir mal ab, was passiert."
"jedenfalls solltest du dir das mit der demenz am besten mit einem ärztlichen attest bescheinigen lassen."
"das kann ich gerne so weitergeben, aber ich glaube nicht, dass meine eltern das anleiern werden."

"und wann kommst du zurück", fragte der wahnsinnige doc dann. die frage traf mich wie eine kleiner freundlicher punch in die magengrube. ich musste einmal kurz schlucken.
"ich habe mich so in den gedanken verliebt, meine rente hier zu verbringen."
"ist doch super. dann hast du das haus deiner eltern."
"du weißt nicht, wie wenig rente ich mal kriege. die reicht wahrscheinlich gerade mal für die nebenkosten. ich weiß nicht, ob ich das haus halten kann. ich bin ja zur sanierung verpflichtet, und dann muss ich es für 20 jahre oder so gut vermietet kriegen."
"dann vermietest du einfach ne etage, wenn du wieder einziehst. dann geht das schon. oder du verkaufst das haus und ziehst in ein zelt", schlug der doc vor.
"genau, ich wohne dann im zelt im stadtpark und du kannst morgens vorbeikommen und mir ein paar almosen vorbeibringen. ne warme decke und nen kaffee oder so."

"warum willst du denn eigentlich bis zu deiner rente warten?" fragte der doc.
"mein freund lebt halt schon immer in kackstadt und will da nicht weg."
"warum das denn? wenn er gar nichts anderes kennt?"
"seine kinder wohnen da, und besonders sein sohn ist sehr familien-affin. und ich glaube, inzwischen ist er geistig auch zu unflexibel, sich etwas anderes wirklich vorzustellen. also hab ich mir gesagt, ich halte das bis 67 durch, dann ist er über 80. dann weiß er wahrscheinlich eh nicht mehr da, wer ich bin."
"genau. dann schiebst du ihn einfach in seinem rollstuhl auf die straße und gehst."
ich musste ein wenig kichern, was mir die wehmut nahm, dass ich in wenigen tagen wieder im zug richtung wirtschaftsasyl sitzen würde.

"ich muss gleich los", sagte der doc. "ich bin morgen auch leider schon verabredet. sonst hätten wir uns weiter unterhalten können."
"ich bin tatsächlich auch schon recht ausgebucht bis zu meiner abreise. aber ich sag dir bescheid, wenn ich das nächste mal da bin. vielleicht trinken wir nen kaffee irgendwo oder gehen auf ein konzert.“
"ja, mach das. und wenn du irgendwie mit irgendwas hilfe brauchst... sag bescheid."
 
der doc umärmelte mich und ich fühlte mich dankbar, so unendlich dankbar, dass ich in meinen jungen jahren so tolle und wichtige menschen wie den wahnsinnigen doc kennengelernt hatte - und dass diese menschen noch heute fest und loyal zu mir stehen. der freundeskreis in meiner heimat ist und bleibt mir ein fels in der brandung. 

4 Kommentare:

  1. Eine gute Geschichte.
    Und mache deinen Eltern klar, das die Bude inkl. Garten und Keller wie "Hulle" aussehen muss, wenn der MDK das nächste Mal kommt. Und wenns um die Bezuschussung der Gartenarbeit geht: Vater/Mutter sind immer dabei und rupfen und zupfen immer noch ein wenig mit ...
    Gruß Jens

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    1. gartenarbeit: du meinst diesen entlastungsbetrag?
      haus und garten sehen schon nicht mehr so gepflegt aus wie früher. insbesondere der zaun ist echt komplett verrottet, sodass ich mich schon etwas schäme...

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  2. Aus jeder zweiten Zeile trieft Heimweh nach dem Ort, der mal daheim war.

    Ich fühle mit Dir. Sehr.
    Erst seit ich wieder hier bin weiß ich, wie sehr das gefehlt hat.

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    1. der luxus-mann fragte mich neulich mal, ob ich auch immer so ein zuhause-gefühl habe, enn ich durch meine straße gehe und das haus mit meiner wohnung so von außen sehe. und war erstaunt, als ich sagte: nö. das ist eine von vielen vorübergehenden unterkünften, die ich hier hatte, jede hatte irgendwie irgendwas und war nicht allzu schlecht, aber ZUHAUSE bin ich hier nicht.

      und ja, ich habe immer noch heimweh. nicht mehr so schlimm wie zu anfang, wo mir der vermeintliche partner jedes ankommenwollen zur hölle machte. aber es gibt nichts, einfach nichts, was mich in dieser stadt hält außer dem luxus-mann. und manchmal bin ich auch nicht sicher, ob mir das reicht. ob die abstoßung nicht irgendwann überwiegen wird. zumal mir auch keine echte gemeinsame zukunft vorschwebt. es ist alles schön und gut so, aber mehr möchte ich auch nicht. vielleicht von niemandem.

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