vergangene woche freitag gebe ich meine arbeitsmittel bei meinem exarbeitgeber im ruhrpott ab. am abend dann die rückfahrt mit der bahn nach hamburg.
wir starten superpünktlich um 19.00 uhr. ich bin entzückt, da ich so gegen 22:30 uhr tatsächlich in hamburg sein könnte.
ich wähle ein einzelabteil. darin sitzt schon ein mann in meinem alter und tippt mit kopfhörern über den ohren in sein laptop. er blickt kurz auf und nickt flüchtig, als ich frage, ob der platz gegenüber noch frei sei. aha, ein workaholic, denke ich bei mir.
ich setze mich, döse ein bisschen und schrecke wieder auf, als eine zugbegleiterin die abteiltür aufreißt und nach getränkewünschen fragt. mein sitznachbar nimmt die kopfhörer von den ohren, lächelt ein überraschend gewinnendes lächeln und bestellt ein bier. ich wähle eine apfelschorle.
die getränke kommen subito. der sitznachbar prostet mir mit seinem pils zu. dann nimmt er die kopfhörer, überlegt einen moment - und packt sie in seine tasche. "jetzt ist feierabend", sagt er zu mir. "diese buchhaltung kann einen echt auffressen!"
buchhaltung und workaholic passen für mich zunächst nicht zusammen, dann aber fällt der groschen: "biste selbstständig?" frage ich.
"ja", sagt der typ. er erzählt mir, dass er unternehmensschulungen für diverse softwares veranstaltet. ich höre interessiert zu, dann geben wir für einander ein paar anekdoten zu thema "als mein kunde mal nicht zahlen wollte" zu besten.
plötzlich gehen alle lichter aus und der zug macht eine vollbremsung. ich greife flugs nach dem bierglas meines abteilgenossen, das in meine richtung fliegt. dann kommen wir auf freier strecke zum stillstand.
"verdammt, das war ein kurzschluss", sagt mein begleiter. "das ist schlecht. jetzt können wir uns für die nacht hier einrichten."
"echt? meinst du?" frage ich entsetzt.
"wenns die oberleitung war, auf jeden fall. aber auch sonst ist ein kurzschluss nicht besonders gut. wahrscheinlich müssen sie uns abschleppen und dann müssen wir den zug wechseln. ist ja noch eine ganze weile bis hamburg."
"ach du liebe zeit", sage ich.
"naja, könnte mir schlimmeres vorstellen", sagt er und blinzelt mir verschwörerisch zu. "jedenfalls hast du super reflexe."
"hm", sage ich. mir gefällt die situation auf anhieb nicht ganz so gut, weil mir gleich so unangenehme dinge einfallen wie die elektrisch verriegelten türen, die elektrisch gesteuerte toilettenspülung und begrenzte mengen an nahrungsmitteln. "ich geh mal schnell noch auf toilette, bevor die schüssel voll ist", sage ich. mit der handytaschenlampe hangle ich mich den flur entlang.
als ich auf toilette sitze, gehen plötzlich die lichter wieder an. die crew hat das notstromaggregat aktiviert. ich kann problemlos spülen und hände waschen.
dann endlich eine durchsage: es habe leider einen kurzschluss im triebwagen gegeben, nichts genaueres wisse man. es könne eine unbestimmte zeit dauern, bis es weitergehe.
ich eile zu meinem abteil zurück. dort ist mein mitreisender gerade dabei, seinen geldbeutel zu zücken.
"ich besorg uns mal noch mehr bier, bevor alles ausverkauft ist", sagt er. "trinkst du auch was mit?"
"oh, dankeschön", sage ich. "aber dann komm ich gleich mal mit und kaufe noch was zu essen."
die crew im speisewagen hat alle hände voll zu tun, denn wir sind nicht die einzigen mit der idee, uns ein paar kleine vorräte zu verschaffen. homo homini lupus est. mein begleiter ordert vier bier, ich kaufe zwei sandwiches und ein wenig schoki. andere speisen werden nicht mehr ausgegeben. aus gründen.
wir kehren in unser abteil zurück und unterhalten uns weiter. inzwischen sind 45 minuten vergangen. plötzlich ruckelt es. "oh, das war die bremse", sagt mein abteilgenosse. "das wäre ein gutes zeichen. vielleicht gehts doch gleich weiter."
tatsächlich setzt sich der ice langsam in bewegung. eine weitere durchsage ertönt: dem lokführer sei es gelunden, das problem zu beheben. man sei nun guter hoffnung, es bis zum zielbahnhof zu schaffen.
es dauert jedoch nur ungefähr 20 minuten, dann gibt es den nächsten kurzschluss. wieder stehen wir in finsterer nacht auf freier strecke. das zugpersonal meldet sich und berichtet, dass das problem leider erneut aufgetreten sei. man hoffe, den zug noch mal fit zu bekommen. danach wäre allerdings der nächste bahnhof der endbahnhof. von dort aus sollen wir in einen neuen zug umsteigen.
ich finde das ganze inzwischen fast amüsant und insgesamt recht spannend. das liegt nicht an der situation, sondern an meinem charmanten sitznachbarn sowie der großen menge bier, die inzwischen durch unsere blutbahnen schwappt.
tatsächlich schafft es der lokführer, den ice ein zweites mal zum weiterfahren zu bringen. die crew prognostiziert derweil umsteige- und weiterfahrt-möglichkeiten am kommenden bahnhof, der gleichzeitig unsere verfrühte endstation werden soll.
"mist, mein anschlusszug ist natürlich schon weg", sagt mein abteilgenosse, während er alternative verbindungen mit seinem handy recherchiert. "und sonst fährt da auch nichts mehr. so eine scheiße."
"das ist aber jetzt keine verblümte bitte, dass ich dich mit zu mir nachhause nehmen soll", kichere ich.
"um gottes willen", sagt mein mitreisender. "ich würde mich niemals aufdrängen."
"was würde denn deine frau sagen?"
"die schläft schon. die beschwert sich aber garantiert morgen, wenn ich heute nicht mehr nachhause komme."
"nicht, weil du bei einer fremden frau schlafen würdest?"
"da sind wir eigentlich recht entspannt."
"soso. mein freund wäre da nicht so gechillt."
"jedenfalls hat er echt glück, mit einer frau wie dir."
"danke für die blumen."
als wir schon die lichter der herannahenden stadt unseres endbahnhofs sehen können, wird es zum dritten mal dunkel um uns. wir warten auf die nächste durchsage, die da lautet: leider sei es nun zum irreversiblen defekt gekommen. man habe zwei dieselloks angefordert, die unseren zugs in den nächsten bahnhof schleppen sollen. das würde allerdings nun wieder einige zeit dauern.
nach rund einer stunde beginnt sich unser defekter zug ruckelnd in bewegung zu setzen. kurz nach 1 uhr nachts kommen wir schließlich am vorläufigen zielbahnhof an.
"was machste denn nun", frage ich meinen mitfahrer.
"ich werd mir ein taxi nehmen. das müsste die bahn ja zahlen."
"gute idee."
"lieber würde ich mir ja ein hotelzimmer nehmen", grinst der abteilgenosse frech.
"aber?"
"ich will ja nichts herausfordern."
"nee, besser ist das", sage ich. "außerdem sieht das ganz so aus, als käme ich doch noch nachhause. da soll ja in 20 minuten ein neuer ice bereitgestellt werden."
der mitfahrer wartet mit mir, bis der versprochene frische und funktionsfähige zug einfährt.
beim abschied fragt er nach meiner telefonnummer.
"wir können doch mal in kontakt bleiben", sagt er verlegen.
"ist ja kein verbrechen", sage ich geschmeichelt.
dann steige ich in den zug.
gegen 3 uhr nachts komme ich schließlich todmüde am hauptbahnhof an. ich nehme mir ein taxi - und krieche gegen halb vier zum luxus-mann in die federn.
"was warn los?!" murmelt der im halbschlaf.
"kurzschluss im triebwagen", sage ich. "dreimal in folge, so wie ich dir geschrieben habe."
"und war da was mit dem typ?"
"nee, quatsch, der sitzt jetzt im taxi nachhause zu frau und kindern."
"das eine schließt das andere ja nicht aus, und bei dir weiß man nie."
ich stupse und kitzle den offenbar verstimmten luxus-mann ein wenig und spüre dann seine erektion.
"oh lala. ein bisschen fremdflirten scheint ja recht belebend zu wirken."
"gar nicht", beschwert sich der luxus-mann.
"anscheinend doch."
"egal, noch ein bisschen ficken?"
"wenn du mich dabei nicht dauernd fragst, ob ich an den typ denke."
und damit endete eine odyssee, die insgesamt gar nicht so schrecklich war, aber ein recht typisches licht auf die zustände der deutschen bahn wirft.