Freitag, 27. Januar 2023

künstlerdasein

seit einiger zeit habe ich eine neue nachbarin, die man zwar nie sieht, die sich aber konstant durch laute musik, nächtliche streits mit lovern im treppenhaus sowie durch das nichterledigen der treppenhausordnung ins vordere bewusstsein aller mitwohner drängt.

da ich direkt über ihr wohne und den meisten lärm abbekomme, wagte ich es neulich, ein machtwort zu sprechen. die nachbarin meinte, das ginge nicht anders, sie studiere kunst. als künstlerin müsse sie sich entfalten, sonst werde sie krank. aber das könne ich als alte frau natürlich nicht verstehen.

als sie das künstlerargument brachte, musste ich laut lachen, weil mich das sehr an mein studium erinnerte. einführungskurs neue deutsche literatur im jahr 2002: die hälfte der kursteilnehmer behauptete in der vorstellungsrunde entweder, dass man schriftsteller sei, oder dass man diese profession zumindest in zukunft mit tausendprozentiger sicherheit äußerst erfolgreich ausüben werde. diese kurshälfte war dann die, die den einführungskurs zügig abbrach, um fortan für viele jahre irgendwas mit taxifahren oder kellnern zu machen.

heute sehen wir selbsternannte künstler, influencer und andere z-promis im dschungelcamp beim madenfressen. das mag sicherlich lukrativer sein als das gemeine künstlerdasein, sicherlich auch lukrativer als mein job. aber das öffentliche zurschaustellen von komplexen, dummheit und hässlichkeit ist in meinen augen dann doch eher weniger kunst. es hat auch nicht den anspruch der schlichten arbeit einer toilettendame oder eines müllsortierers am fließband. es ist einfach nur ein sehr trauriges abbild eines bodensatzes unserer gesellschaft.

kunst hat demnach in ungefähr 99,5 % der fälle überwiegend mit einbildung und falscher selbsteinschätzung zu tun. kurzum: mit einer mischung aus komplexen und fehlender persönlicher größe. besonders nervtötend kommt so etwas in partnerschaften zum tragen. auch ich hatte ab und an mal lover oder partner, die der meinung waren, in ihnen stecke eigentlich ein ganz großartiger künstler. ich mag nicht abstreiten, dass im einen oder anderen falle eine gewisse begabung vorhanden war, die durch langes und hartes arbeiten daran und seelischer reife einschließlich der fähigkeit zur selbstkritik durchaus zu etwas mittelgroßem hätte erblühen können. doch in der regel wurde auch hier kunst banal zur selbstdekoration missbraucht und dazu, komplexe zu hegen und zu pflegen und besagte selbstkritik nicht entwicklen zu müssen.

selbstverständlich interessiert sich meine neue nachbarin nicht dafür, was ich eigentlich mache. ein wenig würde es mich in dieser situation natürlich reizen, ihr unter die nase zu reiben, dass ich hauptsächlich mit schreiben meinen lebensunterhalt bestreite. wobei ich mich weder als schriftstellerin noch als autorin noch als textkünstlerin o.ä. bezeichnen würde - wie sehr viele meines fachs es gerne tun. ich bin eine hure und verkaufe meine seele, um dinge zu bewerben, die kein mensch braucht. damit andere schlampen diese nutzlosen dinge besser verkaufen können. oder wieder einkaufen, um noch unbedeutenderen mist daraus zu machen. oder aber um als zuhälter über andere zu wachen, damit diese brave huren bleiben und den straßenstrich des kapitalismus am laufen halten.

wenn ich nicht gerade herumhure, bin ich derzeit mit lärmprotokollen und vermieter-disputationen beschäftigt, damit die künstlerin vielleicht bald in eine wilde kommune oder einfach dahin, wo der pfeffer wächst, abwandern muss. es bleibt also wenig zeit für l´art pour l´art und ähnlich aufgeblasenes gedöns.

Donnerstag, 19. Januar 2023

klassenkampf

der kampf gegen den klimawandel ist auch ein klassenkampf. während ärmere menschen kaum co2 verursachen, sind reiche für einen großteil der emissionen verantwortlich.

daher bin ich für verbote. für weitreichende, massive einschränkungen im privat- und arbeitsleben. ein überleben weiter teile der menschheit ist aussschließlich durch eine mischung aus knallharten zwang und wohlüberlegte incentives erreichbar. denn freiheit bedeutet für 99 % der menschheit nichts weiter als das egomanische ausleben ihrer grenzenlosen dummheit zulasten dritter.

diese überzeugung teilen viele andere nicht. deshalb gibts selbstverständlich auch keine verbote. aber das ist auch nicht nötig, denn die überzeugungsarbeit leistet der klimawandel in kürze selbst. sogar reiche werden an seinen folgen sterben. oder noch viiieeel schlimmer: bettelarm werden.

lasst den strom in vielen ländern dieser welt ausfallen. lasst lieferketten großteils zusammenbrechen. was nützen dir deine millionen, wenn die regale in den supermärkten leer bleiben und kein trinkwasser mehr aus deiner goldverzierten leitung kommt? wenn niemand mehr bereit ist, deine klimananlage zu reparieren, weil geld wertlos geworden ist und es auf dem leergefegten markt sowieso keine ersatzteile gibt?

die reichen wähnen sich sicher, weil bislang mit geld fast alles käuflich war. sie glauben deshalb, das beträfe sie alles nicht, weil nur die weniger privilegierten sterben. das wird sich in sehr naher zukunft jedoch grundlegend ändern. so schnell gibts nämlich keine kolonien auf dem mond - auch wenn ich so einige dort sehr gerne dauerhaft sähe, oder noch lieber auf pluto.

vielleicht kehren wir in 100 jahren oder so zur tauschwirtschaft zurück, wenn nur noch wenige tausend menschen in der polarregion die erde besiedeln. dann gibt es keinen welthandel mehr, keine börse und kein bruttosozialprodukt. und vielleicht ist ein solch sehr bescheidenes dasein sogar lebenswerter als eines in der aktuellen kapitalistischen gesellschaft.

und gott gib, dass unsere urururururenkel dann einen zacken schlauer sind als wir heute. dass sie ihren hochmut und ihre gier vergessen, wenn es darum geht, diesen einmalig schönen planeten zu bebauen und zu bewahren. 

(falls es denn urururururenkel gibt. wenn nicht, dann ist auch gut.)

Freitag, 6. Januar 2023

frau am rande des nervenzusammenbruchs

seit meiner corona-erkrankung im august habe ich komische anfälle von herzklopfen, schwindel und übelkeit. zunächst kam dies immer in körperlicher belastung, zum beispiel beim zum-bus-rennen oder beim dem-luxus-ramboradler-hinterherstrampeln."normal", meinte der hausarzt. "das kann noch ein paar wochen dauern, dann sollte das aber wieder gut sein."

im oktober ging es mir tatsächlich besser. volle belastungsfähigkeit wiederhergestellt, 50 minuten joggen kein problem. dann aber kamen dieselben attacken in ruhe. ich saß beispielsweise am schreibtisch, arbeitete konzentriert aber entspannt vor mich hin, und plötzlich raste mein herz los. der schweiß brach mir aus und es wurde mir kotzübel und eiskalt. ein viertelstunde lang versuchte ich, ruhig zu atmen und nicht zu kotzen. dann wurde es langsam wieder besser, aber ich fühlte mich nach solchen attacken den rest des tages nicht sehr wohl.

ende november musste ich wieder zum hausarzt, da ich als happypills-konsumentin einmal jährlich eine blutprobe abgeben und ein ekg machen lassen muss. weil happypills natürlich immer auf leber und herz gehen können. ich war ganz froh, dass ich diesen termin hatte, denn die komischen anfälle waren mir suspekt.

"sie haben ein latent verzögertes qt-intervall", sagte der hausarzt diesmal, woraufhin ich wie bereits erwähnt beschloss, die happypills abzusetzen, da diese möglicherweise dafür verantwortlich waren. und schließlich endet ein verzögertes qt-intervall gerne mal im herzstillstand.

doch die anfälle blieben. und häuften sich. kurz vor weihnachten dann saß ich erneut beim hausarzt, weil ich es langsam aber sicher mit der nackten angst zu tun bekam. er machte erneut ein ekg,  und die werte hatten sich verschlechtert - trotz absetzen der medikamente. der arzt war beunruhigt, fragte mich nach weiteren symptomen wie erschöpfung und brustschmerzen, was ich verneinte. dennoch wollte er ein eiliges blutbild machen, um einen herzinfarkt auszuschließen.

das blutbild war komplett unauffällig. normale troponinwerte, schilddrüse ok, elektrolyte super, und auch meine anämie hatte sich verbessert. ich könne gerne in meinen weihnachtsurlaub fahren, hieß es, allerdings solle ich unbedingt zügig zum kardiologen, denn es könne eine herzmuskelentzündung sein. außerdem solle der frauenarzt meine hormone checken.

weihnachten bei meinen eltern wurde alles noch schlimmer. ich wachte nachts mit herzzrasen und atemnot auf und war schweißgebadet. meine mutter rief den notarzt. als er ankam, ging es mir jedoch wieder besser. auch der notarzt machte ein ekg und meinte, alles in ordnung. ich fragte nach dem qt-intervall, was aber sein kleines mobiles ekg nicht aufzeichnete.

tagsüber war mir permanent schwindelig und schwach. ich machte mir riesige sorgen und fing selbstverständlich an, im internet zu recherchieren. ein verlängertes qt-intervall sei mit zahlreichen einschränkungen verbunden, las ich, allein das erschrecken durch weckerklingeln beispielsweise könne eine tödliche tachykardie auslösen. alles, was auch nur ansatzweise anstrengt oder stresst, müsse unbedingt vermieden werden. dazu gehöre auch sport, kälte und ggf. der  job. langfristig sei das implantieren eines herzschrittmachers nötig.

das alles schockte mich noch viel mehr. die anfälle häuften sich nun, vor allem nachts. nach einiger zeit kam ich jedoch auf den trichter, dass ich mit erblühter depression, psychopharmaka-entzug und den beunruhigenden symptomen möglicherweise einfach zusätzlich panikattacken entwickelt hatte. tatsächlich konnte ich die beschwerden oftmals mit atemübungen, akupressur und benzos gut lindern. gegen den schwindel half mir das atmen in eine tüte. ich begriff, dass ich aufgrund der permanenten panik wohl nicht mehr richtig atmete und entsprechend sauerstoffüberschuss im blut hatte. möglicherweise hatten herzrasen, schwindel und übelkeit also mehr mit stress als mit einer herzerkrankung zu tun. 

heute war ich bei meinem tatsächlich großartigen frauenarzt, um meine hormone checken zu lassen. "ich glaube nicht, dass sie in den wechseljahren sind", sagte dieser. "das wäre mir aber lieber als eine herzmuskelentzündung!" erwiderte ich lachend. 

ruhig und einfühlsam wie immer erklärte mir der doc dann, dass meine angst völlig normal und in ordnung sei. auch die panikattacken seien verständlich in meiner situation, schließlich handle es sich um eine potenziell tödlich erkrankung. er bestätigte mir zudem, dass mein verzögertes qt-intervall auf keinen fall angeboren sein könne, wie das bei den meisten dieser patienten der fall ist. "vielleicht gibt es sich also auch wieder von selbst",  meinte er. "schauen sie mal, sie haben 10 jahre psychopharmaka genommen. ihr körper ist sicherlich noch vollkommen durcheinander vom entzug. serotonin- und dopaminspiegel müssen sich erst einpendeln. das kann auch das herz mal durcheinander bringen."

ein wenig beruhigter ging ich wieder nachhause. 

am dienstag habe ich den alles entscheidenden termin beim kardiologen. daumendrücken ausdrücklich erlaubt.