seit über 10 jahren nehme ich, von einigen unterbrechungen einmal abgesehen, psychopharmaka. ohne bin ich keineswegs tiefdepressiv und suizidgefährdet, aber mit kann ich "normaler" leben. heißt: ich schlafe dann meist ganz gut, muss nicht drei wochen lang über irgendeinen dämlichen politiker-tweet grübeln und breche nicht vor wut in tränen aus, wenn ich im job mal wieder irgendeine grenzdebile scheiße machen muss. ich kann mich entspannt unter menschen bewegen, ohne die angst vor panikattacken in den öffentlichen verkehrsmitteln, und auch der permanente würgegriff der totalen sinn- und bedeutungslosigkeit meines daseins lockert sich ein wenig.
medikamente halte ich bei mir somit nicht für unbedingt notwendig, sondern eher für eine form von komfort, die mir den sinnbefreiten menschlichen alltag erleichtert. dafür stecke ich in einer abhängigkeit fest, die ich nicht mag. freiheit bedeutet mir bekanntlich alles, also will ich mich eigentlich nicht von einer kleinen weißen tablette unterjochen lassen.
der anstoß für den aktuellen absetzungsversuch kommt von außen. der hausarzt betrachtet mein ekg mit sorge und meint, das sei alles sehr grenzwertig, ich dürfe auf gar keinen fall die aktuelle dosis erhöhen. vielmehr möchte er, dass ich sie sogar möglichst noch reduziere.
"dann müsste ich meine tabletten vierteln, und dann habe ich staub", erwidere ich. "ich nehme ja schon nur ganz wenig."
der hausarzt hat keine ahnung von psychopharmaka und deren darreichungsformen. aber er ist internist und ich traue ihm zu, dass er eine drohende kardiologische gefahr richtig einordnet. zuhause dann fällt der entschluss: versuchen wirs halt mal wieder! ein bisschen beschissener leben für vielleicht ein bisschen länger leben. so what.
elf tage lang kann ich überhaupt nicht schlafen. tagsüber quälen mich schwindel, kopfschmerzen, übelkeit und die unfähigkeit, mich zu konzentrieren. weil es die geschäftsführung so will, habe ich ausgerechnet jetzt nervigen fisselpopisselkram auf dem zettel, der extrem gründliches und kleinteiliges arbeiten bedeutet. am donnerstag arbeite ich beim luxus-mann und fluche laut vor mich hin. das nervt ihn, also kommt er in die küche und fragt, ob ich mal die klappe halten könnte.
"das ist so ne nervtötende kacke, was ich gerade machen muss", lamentiere ich. "und dann die schlaflosigkeit und die anderen bekackten entzugserscheinungen... das macht mich völlig fertig."
"wieso das denn? dir geht es doch nicht schlecht."
ein satz wie ein benzinkanister, dessen inhalt in meine emotionalen glutnester schwappt.
ich pöble sofort los:
"wir sind jetzt fast sieben jahren zusammen und immer wieder muss ich mir dieselbe scheiße anhören! tausendmal habe ich dir erklärt, wie ignorant und verletzend solche sprüche sind! dass es mir daraufhin noch schlechter geht, weil ich mich dann auch noch wegen meines mich-schlechtsfühlens schlecht und schuldig fühle! machst du das eigentlich mit absicht oder mangelt es dir wirklich so sehr an intelligenz?"
und zack, haben wir handfesten streit. alles, was mein labiles nervenkostüm jetzt so dringend braucht. zum glück kühlen wir uns schnell wieder ab. der luxus-mann sagt mir zum x-ten male, dass er mich nicht versteht, und ich sage ihm, dass ich das verstehen kann, aber dass ich darauf bestehe, dass er sich nach so langer zeit ein paar grundregeln merkt. was man nicht checkt, muss man manchmal halt leider auswendig lernen.
gestern treffe ich meine freundin m., die ebenfalls depressionen hat.
"das kann ich doch wohl von ihm verlangen, dass er sich das abgewöhnt, auch wenn er mein seelenleben nicht versteht?" frage ich.
"klar, auch wenn er deine gefühle nicht nachvollziehen kann, kann er dich doch unterstützen. ich hab meinen freund übrigens neulich sogar mit zur therapie genommen."
"echt? wie cool, wie geht das denn?"
"hat meine therapeutin vorgeschlagen, weil ich ihr erzählte, dass h. auch immer sagt, er verstehe das alles nicht, was in meinem kopf vorgeht."
"und wie hast du ihn da hin gekriegt?"
"ich hab ihn gefragt und er hat ja gesagt."
"das ist so ein schöner liebesbeweis", sage ich voller neid.
"findest du?"
"ja. ich weiß noch, als sich das mit dem luxus-mann richtung beziehung entwickelte und wir immer wieder probleme hatten. da schlug meine psychiaterin eine angehörigen-sprechstunde vor. ich hätte das gut gefunden, aber der luxus-mann wollte nicht."
"schade, hatte er irgendwie angst davor?"
"keine ahnung, ich denke, das interessierte ihn damals einfach nicht. vielleicht auch, weil wir noch nicht abschätzen konnten, ob das eine zukunft mit uns hat."
m. guckt nachdenklich.
"da habe ich glück mit h. gehabt. der ist zwar sonst auch eher ein gefühlslegastheniker... aber sowas macht er einfach ohne lang zu fackeln. meinst du denn, dein mann wäre inzwischen nicht vielleicht doch offen für diese sprechstunde? fragst ihn halt noch mal."
"hat glaub ich wenig sinn."
am zwölften abend dann habe ich die schnauze voll. ich funke den luxus-sohn an und frage ihn, ob er mir gras besorgen kann, das richtig reinhaut. 20 minuten später klingt sein dealer an meiner tür. immer wieder praktisch, wenn man partner mit kindern hat.
in seligem andenken an das objekt ziehe ich mir zwei johnnys rein und trinke whiskey dazu. bei den letzten zügen bin ich dermaßen stoned, dass ich das gefühl habe, aus dem fenster zu fallen, weil die schwerkraft plötzlich nach vorne funktioniert. eine stunde später liege ich im bett, weine noch ein bisschen, weil mir das objekt so wahnsinnig fehlt, und penne dann 13 stunden.
clean leben und nicht scheitern funktioniert offenbar nicht für mich. but i try. and i try...