Freitag, 25. Juli 2025

es klopft bei morphine in der nacht

halb ein uhr nachts. ich liege längst im bett, als es klingelt. ich denke mir nichts - wahrscheinlich wieder irgendein besoffener assi oder jugendliche mit schlichtem humor, die so ihre sommerferien einläuten (haha). business as usual im großstadtidiotendschungel.

es klingelt noch einmal etwas eindringerlicher. ich rapple mich nun doch auf und linse durch den spalt der vorhänge. dank der vielen bäume und hecken vor dem haus erkennt man aber niemanden. dann geht unten im haus der summer und ich höre, wie jemand durch die haustür kommt. hatte da etwa einer seinen schlüssel vergessen?

die schritte kommen die treppe hoch. stimmen sind zu hören. dann hämmert jemand an meine tür. mein herzschlag beschleunigt auf maximum. ich schleiche auf zehenspitzen in den flur, da poltert es schon wieder gegen die tür. eine stimme ruft energisch: "aufmachen, polizei!"

das ist ja wie in einem schlechten krimi! aber kommt die polizei wirklich einfach so mitten in der nacht? was, wenn das gar keine polizisten sind? wäre ja eine schlaue masche, so als mordlustiger einbrecher-clan: man macht auf notfall und verschafft sich so zutritt zum späteren tatort! 

ich gucke vorsichtig durch den spion. da steht eine junge frau in uniform. also stimmt das mit der polizei wohl tatsächlich. ich habe zwar nur shirt und slip an, aber nun gut, erstens ist es eine frau, und zweitens, wer weiß, ob die hier sonst nicht gleich mit dem rammbock auflaufen. also dalli.

ich schließe auf und schaue durch den spalt: "ja, bitte?". 
blöd, dass ich als einzige mieterin keine türkette habe. vielleicht sollte ich da mal nachrüsten, überlege ich.
"kann ich bitte reinkommen?" fragt die polizistin.
ich beschließe, sie darf. 
 
ich bitte sie, in der küche platz zu nehmen, aber sie steht lieber:
"haben sie in letzter zeit eine auseinandersetzung hier im haus beobachtet?" schießt sie ihre erste frage ab.
"nein" sage ich wahrheitsgemäß. "wir haben eigentlich eine gute hausgemeinschaft." 
"sie haben also kein aggressives verhalten festgestellt? streit oder auch eine körperliche auseinandersetzung?"
ich verneine.
"ist ihnen sonst etwas aufgefallen? gibt es beipielsweise mieter, die drogen nehmen oder öfter betrunken sind?" 
ich überlege angestrengt, worauf sie wohl hinauswill. da fällt mir etwas ein:
"geht es etwa um den neuen nachbarn mit den psychischen problemen?" 
 
es stellt sich heraus, dass ich ins schwarze getroffen habe. offenbar ist dies auch schon der zweite polizeieinsatz in wenigen wochen. den ersten habe ich gar nicht mitbekommen. 
angeblich lägen hinweise vor, berichtet die polizistin.
"was denn für hinweise?" will ich wissen.
"dass er eventuell bereit ist, eine straftat zu verüben."
"oh. und was machen sie jetzt?"
"wir werden da gleich reingehen. es kommen noch zwei männliche kollegen dazu." 
"nehmen sie ihn dann mit?"
"nein, das ist nicht so einfach. aber wir fragen mal."
"was fragen sie denn?"
"ob alles ok ist."
"ob alles ok ist, soso. und was soll er da drauf antworten? ja, alles super, hier gucken sie mal, meine messersammlung, nachher gehe ich damit durch die straße und schlitze allen die kehle auf, die mir begegnen?"
"wir würden das im gespräch schon merken, wenn was nicht stimmt."
 
ich habe harte zweifel. denn wer nicht vollkommen doof ist, kann seine psychischen probleme gut maskieren. mit keepsmiling-schauspielerei habe ich selbst jahrzehntelange erfahrung. weil ich den nachbarn eher für intelligent halte, ist die wahrscheinlichkeit hoch, dass er die polizei mühelos um den finger wickeln wird. einmal scheint ihm das ja bereits gelungen zu sein. und wer weiß, was danach passiert - und ob so ein erneuter polizeieinsatz nicht dazu führt, dass er noch viel mehr paranoia und damit auch mehr lust auf "straftaten" bekommt?
 
ich grusle mich. 
"vielleicht sollte ich besser woanders schlafen", sage ich.
"nein, nein", findet die polizistin.
"warum nicht? wenn sie den jetzt mit der befragerei total triggern und er dann die nächsten stunden oder tage komplett durchdreht?"
"wir waren ja schon mal hier. danach ist doch auch nichts passiert."
"warum sind sie dann schon wieder hier - mitten in der nacht? da muss doch eine dringlichkeit vorliegen?"
darauf bekomme ich keine antwort. überhaupt ist die dame nicht besonders freundlich oder empathisch.
 
"wir sind verpflichtet, das so zu machen", sagt sie schließlich genervt.
so langsam werde ich stinkig. die ganze aktion ist ja wohl dümmer als die polizei erlaubt! 
"mit verlaub, aber das ist doch totaler blödsinn", sage ich. "sie könnten dadurch dritte gefährden. und wirklich sinnvoll scheint die aktion ohnehin nicht, da sie ja schon letztes mal erfolglos war. da muss man doch auch mal ein bisschen fingerspitzengefühl und gesunden menschenverstand walten lassen!"
 
ich bekomme einen weiteren sehr genervten blick. ok, nachtschicht und dann auch noch eine besserwisserin, das ist zu viel auf einmal. die junge dame will dienst nach vorschrift machen - der rest ist ihr egal, das merkt man deutlich. ich fackle also nicht mehr länger, packe schnell ein paar sachen und fahre richtung luxus-hausen.
  
der luxus-mann guckt verschlafen aus der wäsche, als ich ankomme, wie rumpelstilzchen durch den flur hüpfe und lauthals auf die dämlichen bullen schimpfe. 
"vielleicht macht es ja sinn, wenn du eine weile hier wohnst", meint er pragmatisch, als ich ihm die story erzähle. "obwohl ich finde, du solltest dein leben nicht von so einer type beeinflussen lassen. du hast auch so schon genug probleme."
"ich denke mal drüber nach. aber heute nacht wollte ich einfach nicht bleiben. wer weiß, was die mit ihrer dämlichen fragerei anrichten!"
 
da weder der mann noch ich so schnell wieder einschlafen können, beschließen wir, noch ein bisschen beavis & butthead zu gucken. danach pfeffere ich mir eine entspannungspille rein - und träume dann, dass ich auf der todesliste meines nachbarn stehe und durch einen dunklen wald um leben rennen muss. 
 
stay tuned für weitere brandheiße neuigkeiten aus dem irrenhaus. 

Sonntag, 20. Juli 2025

we(ni)ge(r) ins nichts

weniger ist der weg richtung nichts. und wenn nichts die ultimative freiheit bedeutet, ist weniger der weg zu mehr freiheit. 

mit 6 jahren habe ich begonnen, das weniger zu entdecken: ich bekam 70 pfennig taschengeld pro woche und legte möglichst 20 pfennig davon zurück. manchmal sogar 50. ich war irrsinnig stolz auf mich, wie sich die münzen in meiner kleinen zigarrenkiste stapelten. weniger auszugeben bedeutete: mehr zu haben - wann immer ich wollte. eine autonomie, die ich zutiefst genoss.

als studentin habe ich die sache perfektioniert. nur wenige dinge zu besitzen bedeutete nicht nur, weniger geld zu verbrauchen und unabhängiger von den eltern oder einem job zu sein. es hieß vor allem, kaum ballast und immer die möglichkeit zu haben, in kürzester zeit und ohne große umstände umziehen zu können.  

"du lebst immer noch wie eine studentin", sagen viele heute zu mir. aber ich kann es mir leisten: ich habe auf kinder verzichtet. ich brauche so nicht mehr als zwei zimmer - und habe außerdem mehr zeit, die ich nicht auf spielplätzen oder in eltern-whatsapp-gruppen verbringe. 

ich habe kein auto, ja, nicht einmal einen führerschein. solange ich laufen und radfahren kann oder in der nähe einer bushaltestelle lebe, ist ein auto überflüssig. ich bewege mich gerne. mein blutdruck ist im unteren normbereich, mein gewicht ebenfalls. theoretisch passe ich sogar noch in dieselben klamotten wie vor 25 jahren. 

ich sammle eindrücke und erlebnisse, allesamt an nichts gebunden, das man eine investition nennen dürfte. ich muss nicht viel erleben, um tief bewegt zu sein. mein bedürfnis zu reisen ist gering. ich brauche dabei keine sternehotels, kein festliches dinner, keine flüge in ferne länder. ich reise ständig in mir - und das ist mir genug. mein urlaub ist herzensurlaub und besteht darin, freundschaften, liebe und natur zu erleben, nachhause zu kommen, mich geborgen zu fühlen. 

materielles anzuhäufen vermeide ich. bücher oder kleidung gebe ich regelmäßig weg. meine achillesferse sind flohmärkte und verschenke-kisten an der straße. nicht immer kann ich mich davon abhalten, gar nichts mitzunehmen, denn dinge, die eine geschichte haben, erzählen geschichten. auch geschenke, selbst nutzlose, behalte ich tendenziell, weil sie mir als symbol einer persönlichen bindung dienen.

meine wohnung bleibt so aufgeräumt, übersichtlich und klar. kaum schnickschnack, aber doch genügend ästhetik, in geraden linien und fein abgestimmten farben. "du hast es aber schön", sagen andere, oft regelrecht überrascht - weil sie wenig erwartet haben.

behalten und bewahren will ich im leben vor allem das, was wirklich unbezahlbar ist und was mir keiner nehmen kann: schöne erinnerungen und beziehungen zu anderen menschen. mit meiner persönlichkeit ist letzteres ein schwieriges unterfangen. ich kann nicht alle halten, weil ich es ohne intensität nicht aushalte. manchmal muss ich bei allem auch die beziehung zu mir selbst voranstellen.

ich bin gespannt darauf, eines tages auch das wenige, das leben an sich noch loszulassen. ob mich dann das große, heilige nichts erwartet?

und falls es einen gott gibt, dann muss er genau das sein: nichts oder die unendliche freiheit. 

passend zu diesen gedanken hat ruben zimmermann ein buch geschrieben über das unpopuläre thema verzicht

Samstag, 12. Juli 2025

was ich mir nie hätte träumen lassen

der luxus-mann verhält sich in der letzten zeit äußerst rätselhaft und auffallend zurückhaltend. der letzte sex ist gefühlt monate her. und jedes mal, wenn ich anrufe und mich verabreden will, fallen dem luxus-mann tausend ausreden ein, warum er gerade keine zeit hat - weder für treffen noch für telefonate. das riecht verdächtig.

als ich nach ewigkeiten mal wieder in luxus-hausen aufschlage, fasse ich mir ein herz.
"du? jetzt mal butter bei die fische....warum hast du keinen bock mehr auf mich? du langweilst dich total mit mir, oder?"
"das stimmt doch gar nicht", wehrt der luxus-mann ab.
"doch. man könnte gerade meinen, du hast eine andere frau!"

der luxus-mann schaut ganz komisch und sagt nichts. 

"wie, hast du?" ich setze mich kerzengerade auf und nehme den mann genau ins visier. der dreht den kopf zur seite, will sich nicht anschauen lassen.
"hast du ne andere gefickt? jetzt sag schon!" fordere ich ihn noch nicht mal unfreundlich auf.
"ja, schon", meint der luxus-mann da.
"dann erzähl mir das doch, mensch. du weißt doch, ich bin da nicht so. aber das erklärt jetzt einiges für mich. wann war das denn?"
"so seit vier wochen."
"wie, seit? du meinst, vor vier wochen?"
"nö, ich treff die schon ne ganze weile", meint der luxus-mann so ruhig, als erzähle er mir, was er zu mittag gegessen hat. 
 
mir klappt die kinnlade auf die brust.
"moment mal! ich hab ja wirklich kein problem damit, wenn man mal... sagen wir... mit jemandem abstürzt, vielleicht im suff. so eine einmalige geschichte, die aber ohne bedeutung ist. aber du erzählst mir gerade, dass du seit einem monat eine andere frau datest? also so richtig zeit mit ihr verbringst? zeit, die du mir verweigerst?"
"ja", sagt der luxus-mann ganz gelassen. "ich mag die, die ist richtig toll."
"toll findeste die sogar?! wie alt ist die denn?"
"30."
 
ich schnappe empört nach luft: was für ein klischee! da wird man als ü40-frau von seinem deutlich älteren partner mal eben durch ein 14 jahre jüngeres exemplar ersetzt! damit macht der luxus-mann direkt hp baxxter konkurrenz: die schöne und der greisenhafte spacko oder so. und überhaupt, was für eine unfassbare frechheit, das nicht zu sagen. nicht einen tag länger werde ich mir das antun!
 
"das wars dann wohl mit uns", sage ich also sehr barsch - auch ein wenig in der hoffnung, den luxus-mann zu schocken. denn laut eigener aussage war ihm das mal furchtbar wichtig: mich im falle eines seitensprungs nicht zu verlieren.
"wenn du meinst", antwortet der aber nur ganz heiter und gelassen.
 
mit dieser coolness bringt er das emotionale fass final zum überlaufen. ich hole mit der rechten aus, um zuzuschlagen - und zwar mit schmackes. doch mein schlag landet nicht richtig: ich berühre die luxus-wange nur federleicht und zart wie ein windhauch. ich versuche es erneut, aber trotz richtig viel schwung und wütender energie streife ich wieder nur ein wenig seine haare. danach nehme ich die fäuste, will ihm regelrecht den schädel einschlagen - aber auch das funktioniert irgendwie nicht. 
 
der luxus-man lächelt derweil nur amüsiert. dann beginnt er zu lachen. mich auszulachen. 
 
und endlich, endlich werde ich wach.
 
what. the. fuck. ich bin noch den halben morgen lang vollkommen geschockt und kann mich gar nicht richtig auf meine 147. probearbeit für meine 3-millionste bewerbung konzentrieren. 
 
denn der ganze alptraum ist eigentlich überhaupt kein thema bei uns. der luxus-mann war laut eigener aussage nie untreu. außerdem ist er grundehrlich - und ich vermute, er würde mir es mir sogar sagen, wenn er nur den wunsch verspürt, eine andere frau zu daten. 
 
was ich hingegen besser verstehen kann: mein unbewusstes sagt mir mit dem traum, wie schwer der luxus-mann oftmals zu erreichen ist. wenn ich ein bedürfnis habe, werde ich damit nie automatisch gesehen so wie einst vom objekt. ich muss meinen wunsch vielmehr sehr laut und deutlich aussprechen und dabei am besten auch das warum und wieso erläutern. und das ganze dreimal in folge, weil beim luxus-mann das meiste links rein und rechts wieder rausgeht. ein umstand, der mich manchmal zur weißglut treibt - der aber in sehr vielen langen partnerschaften in ähnlicher form zu bestehen scheint, wenn man den erzählungen anderer glauben schenkt. das y-chromosom installiert wohl eine art sehr groben filter im männlichen gehirn, der für 90 % dessen, was frauen den lieben langen tag so erzählen, durchlässig ist. möglicherweise eine art überlebensmodus in den augen vieler männer.
 
als ich dem luxus-mann den traum erzähle, lacht er sich halbtot. 
"übrigens, neulich beim hausarzt, da war so eine junge arzthelferin mit total knackigem arsch, ich glaube, die hätte mich rangelassen", grinst er. "die war richtig verliebt in mich!" 
ich deute nur mit zeige- und mittelfinger erst in meine, dann in seine augen.
"ich bin jetzt gewappnet und gewarnt!", sage ich.