seit letztem sommer warte ich auf eine gelegenheit, meine familie wieder zu sehen. dies wäre nicht nur notwendig, um meine immer irrationaler werdenden eltern davon abzuhalten, ihr vermögen aufzulösen und in form vom bargeld im keller zu lagern. es ist auch sehr anstrengend, wenn papa einem permanent hinterhertelefoniert, weil "da ist so ein graues kästchen auf dem pc, da weiß ich jetzt nicht". (werbung, papa, wegklicken und weitermachen!)
just in diese hoffnungslosigkeit hinein funkt mein cousin, der mich die tage in meinem wirtschaftsasyl besuchen kommen möchte. ich freue mich unendlich und habe eine idee:
"kommst du mitm auto? weil dann könntest du mich ja mit zurücknehmen. dann besuche ich gefahrlos meine eltern. die heimreise werde ich dann schon irgendwie überleben."
"eigentlich wollte ich fliegen, aber wenn du das möchtest, nehm ich das auto! ist vielleicht auch besser wegen der ansteckung."
mein cousin ist unkompliziert und sehr entgegenkommend, worin er sich vom rest meiner familie stark unterscheidet.
als ich meinen vater anrufe, um ihm von meiner genialen idee zu berichten, ist er überhaupt nicht begeistert:
"das geht nicht, da wird deine mutter operiert."
ich falle aus allen wolken: "operiert?! wieso? was ist los? davon weiß ich ja gar nix!"
"ach, sie wollte sich doch schon so lange die knie opieren lassen. wegen der x-beine."
"hat sie denn so schlimme schmerzen auf einmal?"
"nein, gar nicht. aber sie will das jetzt eben."
"gib mir mal die mama, bitte", sage ich konsterniert.
meine mutter ist fröhlich und aufgeräumt am telefon.
"versteh ich das richtig, du willst dir aus kosmetischen gründen JETZT künstliche gelenke einsetzen lassen?"
"naja, manchmal scheuert das schon ein bisschen inzwischen! so nach dem aufstehen..."
"aber du hast keine schmerzen?"
"naja, schmerzen.... das nun nicht."
"also kosmetische gründe. und warum jetzt? ist dir bewusst, dass du möglicherweise nicht so gut versorgt wirst, wenn es bei deiner op eine komplikation gibt und du auf die intensivstation musst? du bist über 70, das ist nicht soooo unwahrscheinlich bei einer so großen op!"
"naja..."
"was sagt denn der arzt dazu? der muss doch auch sehen, dass das eine nicht wirklich medizinisch nötige große operation bei einer älteren frau mit vorerkrankungen ist!"
"der war SO nett zu mir!"
"das ist ja schön, aber der zeitpunkt scheint mir falsch."
"der arzt hat gesagt, dass es genau die richtige zeit dafür ist!"
"ja, das kann ich mir vorstellen. für ihn ist das der perfekte zeitpunkt, weil er wegen covid gerade nicht so viele ops machen kann und er unheimlich gern mit einer privatpatientin dick kohle machen würde!"
"das glaub ich nicht! der war SO NETT!"
ich seufze und sehe ein, dass ich gegen die meinung des nettes arztes nicht anstinken kann.
"kannst du dich wenigstens vor der op impfen lassen?"
"das weiß ich nicht."
"hast du da mit dem ach so netten arzt nicht drüber gesprochen?"
"nein. darum gings doch gar nicht. und vielleicht geht das ja auch gar nicht, also impfung UND op."
"mama, sowas muss man doch vorher abklären! beziehungsweise ist es die unbedingte pflicht des arztes, dich umfassend über dieses thema zu informieren! allein daran siehst du schon, was für ein geldgieriger quacksalber das ist!"
"du kannst ja gerne wannanders kommen", meint meine mutter dann großzügig-versöhnlich.
"wannanders geht nicht, weil ich dann keine mitfahrgelegenheit habe. aber das ist jetzt auch zweitrangig. ich hab einfach kein gutes gefühl dabei, wenn du dich jetzt operieren lässt. du hast danach auch reha. da kommst du wieder mit vielen menschen zusammen."
"die mach ich ambulant!"
"trotzdem kommst du da täglich mit anderen patienten und den physiotherapeuten in kontakt!"
"ich kann doch eine maske aufsetzen."
ich gebe auf.
"und was sagt dein alltagsbewanderter gatte dazu, wenn er eine woche alleine zuhause ist? der kann sich doch nicht mal ein spiegelei braten!"
"ich hab schon gesagt, der soll sich dann essen bestellen. so im internet! so wie du immer!"
ich freue mich unendlich. es stehen mir also nun auch noch stundenlange telefonate bevor, bei denen ich meinen vater erkläre, wie man im internet essen bestellt. und vor allem, warum danach keine schwerverbrecher vor der haustür aufkreuzen und warum die daten auch nicht sofort an böse hacker weitergegeben werden, die ihm das konto leerräumen.
"ich muss dann mal weitermachen", sage ich.
"was musst du denn machen", fragt mich meine mutte nicht uninteressiert.
"arbeiten, mama. wie immer."
"ach ja! dann ist es ja vielleicht gut, wenn du gar keinen urlaub nehmen musst wegen uns!"
ich verschweige, dass ich noch 12 tage resturlaub aus 2020 habe und lege auf.
die nächsten wochen könnten nun sehr, sehr anstrengend werden. ich hoffe nur, dass sie nicht auch noch sehr, sehr traurig werden.