Sonntag, 25. Mai 2025

entlassen und verlassen

eine psychisch kranke frau sticht wahllos mehrere menschen am hauptbahnhof in hamburg nieder. inzwischen ist bekannt, dass die messerstecherin am tag vor ihrer tat aus der geschlossenen psychiatrie entlassen wurde - und keinen festen wohnsitz hatte. man nehme also eine labile person ohne schützenden rückzugsort, die in die öffentlichkeit gespült wird und dort - mit vermutlich psychotischem hintergrund - auf eine vielzahl von triggern trifft. vor allem beim unterlassen der medikamenteneinnahme (was bei aktuten psychosen gerne mal passiert) sind die folgen fast vorhersehbar.

ich erinnere mich noch gut an meinen eigenen kleinen fünftägigen psychiatrieausflug vor gut 11 jahren, den man alles in allem als unterlassene hilfeleistung zusammenfassen könnte: aggressive, unfreundliche und des deutschen nicht mächtige pflegekräfte, bis auf eine einzige stunde kunst keinerlei therapie - und lediglich zwei etwa 10-minütige gespräche mit ärzten, denen man überdeutlich anmerkte, dass sie null bock hatten und froh waren, dass ich sie belog und behauptete, ich hätte nach drei tagen überhaupt keine suizidabsichten mehr.

bei meiner entlassung hatte ich nichts an der hand - keinen medikamentenplan, keine ambulante therapeutische weiterbetreuung, keine adresse einer selbsthilfegruppe, keine tipps für den fall weiterer potenzieller krisen. ich war zwar froh, dem wahnsinn entkommen zu sein, aber auch komplett orientierungslos und alleine. alles, was ich damals wusste: im falle suizidaler absichten würde ich mich in keinem fall ein zweites mal auf ein stationäres psychiatrisches angebot einlassen. horror statt hilfe, das hatte ich schon in meinem eigenen kopf. dann lieber gleich schluss machen.

in meinen augen ist es kein wunder, dass dinge wie die messerstecherei am hamburger hauptbahnhof passieren. 

es ist jedoch nicht das problem fehlender polizeipräsenz oder lückenhafter sicherheit im öffentlichen raum. ursache ist der profunde mangel eines zielführenden, durchdachten und engmaschig ausgerichteten psychiatrischen angebots in diesem land. es ist das problem einer konstanten, sich verschlimmernden unterversorgung psychisch erkrankter - bei gleichzeitig zunehmender stigmatisierung durch den leistungsimpetus in einer kapitalistischen gesellschaft. ich könnte an dieser stelle die zwangssterilisierungsfantasien meiner ex-chefin wiedergeben, aber das kennen sie sowieso schon alles aus dem dritten reich.

für mich steht derweil fest: auch wenn wir künftig ganze hundertschaften an polizisten in unserem engen, stinkenden, verwarzten bahnhof positionieren: solche vorfälle können damit nicht ansatzweise verhindert werden. dieses ganze polizei- und sicherheitsaufgebot hat in wirklichkeit nur eine einzige funktion: die täuschung der bevölkerung, dass sich von staatlicher seite gekümmert würde. in wirklichkeit ist es das eingeständnis vollumfänglichen versagens unseres gesundheitssystems in psychiatrischen angelegenheiten. 


Donnerstag, 15. Mai 2025

leben und sterben mit adhs: nadja abd el farrag

vielleicht haben sie es mitbekommen, auch wenn sie so nicht promi-geil sind: vor kurzem verstarb hier nadja abd el farrag mit nur 60 jahren. was zu diesem frühen tod beitrug? vielleicht nicht nur leberzirrhose und organversagen, sondern auch toxische beziehungen, alkohol, armut - sowie eine disposition, die wahnsinnig empfindlich und gleichzeitig wahnsinnig empfänglich für alles mögliche (leider eben auch schlechtes) macht: adhs.

vieles, was nadja abd el farrag erlebt hat, kenne auch ich. zum beispiel die neigung, sich mit seinem adhs-bedingt kleinem selbstwertgefühl vermeintlich "starken" und "erfolgreichen" männern an den hals zu werfen und brav zu ihrem geschwafel zu nicken, weil man gerne geliebt werden würde. 

schwierigkeiten im beruf kenne ich ebenfalls zu genüge, und das meine ich nicht auf meine aktuelle situation bezogen. ich lasse mich zu gern in allenfalls mittelmäßigen jobs von miesen chefs kleinmachen und ausnutzen, immer in der hoffnung, irgendwie zu gefallen und endlich nicht mehr außenseiterin sein zu müssen - sondern geschätzt oder wenigstens ebenbürtig. nadja abd el farrag hat sich lange zeit in fragwürdigen shows von fragwürdigen leuten verheizen lassen, die ihrem image eher schadeten als nutzten - vermutlich aus einem ähnlich dringlichen wunsch nach anerkennung. sicherlich hat sie so zeitweise gut geld verdient, aber eben nur temporär und nicht in einem strukturierten, sicherheits- und sinnstiftendem arbeitsverhältnis. hinzu kam ihr schlechtes finanzmanagement. auch das ist nicht ungewöhnlich bei adhs. da hilft nicht immer ein schuldnerberater, weil es bei adhs auch viel um impulskontrolle geht. (dieser kelch ging glücklicherweise an mir vorbei.)

davon abgesehen habe auch ich ein nach wie vor riskantes konsumverhalten. manchmal erschrecke mich am ende eines tages, wenn mir auffällt, dass ich versehentlich psychopharmaka und schmerzmittel kombiniert und darauf vielleicht noch einen feierabenddrink gegossen habe. ob ich so bei meiner insgesamt eher schwachen gesundheit sehr viel länger als bis 60 lebe, ist fraglich.

ich erinnere mich noch gut, als mein chef im vorletzten job in den raum warf, die naddel sei ja so abgebrannt, ob man der nicht einen billo-job bei uns anbieten solle. telefonistin oder so, auf mindestlohn-basis. weil das ja irgendwie lustig wäre, wenn leute anrufen - und dann wäre da die alte suff-nudel vom bohlen an der strippe. mangels des bekannten fehlenden durchhaltevermögens der frau abd el farrag haben wir das nie näher in erwägung gezogen. dabei weiß ich heute, dass menschen mit adhs einfach nur die chance brauchen, etwas zu machen, was sie wirklich interessiert, damit sie am ball bleiben - und das ganze möglichst störungsfrei (wenig lärm, wenig ablenkung, wenig übertriebenes multitasking) und unter halbwegs menschenwürdigen bedingungen (ein bisschen wertschätzung, ein bisschen struktur und kein psychopathisches chef-verhalten). 

skurril finde ich, wie die medien jetzt über nadja abd el farrag berichten. plötzlich alle ganz seriös. nicht mehr nur auf skandal-hurerei und billiges clickbaiting aus. im gegenteil, man überbietet sich fast in ernsthaftigkeit und würdigkeit: eine feierliche mediale beerdigungszeremonie.

es wird nie mehr gelogen als auf beerdigungen. 

fakt ist, die versorgung neurodiverser und/oder psychisch kranker menschen ist bis heute unterirdisch - mit weiter absteigender tendenz. einen therapieplatz zu ergattern ist für kassenpatienten nahezu unmöglich. stattdessen wird man mit tabletten vollgestopft, teils ohne viel ahnung und rücksicht auf komorbiditäten - wie im fall meiner herzerkrankung. und ich frage mich, welcher arzt nadja abd el farrag allen ernstes ahds-medikamente verschrieb, wenn sie bekennenderweise ein alkoholproblem hatte? falls dem tatsächlich so war, müsste man so jemanden eigentlich wegen fahrlässigkeit verklagen.

fakt weiterhin ist, dass die gesellschaft nach wie vor stigmatisiert - nicht nur wegen der diagnose, die psychisch kranke haben, sondern auch wegen ihres wesens, das manchmal nicht ins enge gesellschaftliche korsett vermeintlicher normalität passt. man muss dafür mal nicht lallend oder schwankend aus dem rahmen fallen, es genügt schon, schnell und viel zu reden, zu still zu sein, zu zappelig zu wirken oder zu zurückhaltend - oder in der aufregung den faden zu verlieren. durchgefallen, unsouverän! oder bei frauen: hysterisch!

fakt ist ebenso, dass neurodiverse und/oder psychisch kranke überdurchschnittlich oft im beruf scheitern, nicht weil sie dumm oder unwillig wären, sondern weil die arbeitsbedingungen meist unflexibel und wenig erquicklich sind - sodass selbst "normale" sie nur ertragen, indem sie sich jeden tag total zusammenreißen und zwingen. und sich abends dann einen hinter die binde kippen (was ok ist, weil sie ja "normal" sind, dann ist das nur "genuss").

zwar gibt es neuerdings mehr aufmerksamkeit für neurodiverse menschen mit beispielsweise adhs oder autismus. also menschen, die als nicht ganz so schlimm gestört gelten. aber das ist allenfalls ein anfang. der im augenblick leider auch wieder zurückgedreht wird durch die aktuelle politik, die nichts anderes gelten lassen will als den total konformen leistungsmenschen. und die jeden, der ein wenig abseits dieser norm tickt, als lästigen kostenfaktor wertet - anstatt sich durch die aktive gestaltung einer neuen, modernen und digitalen arbeitswelt endlich dessen vorhandenes potenzial zunutze zu machen.

manchmal frage ich mich, wie leute über mich sprechen werden, wenn ich mal tot bin. so ganz ohne aufgesetzt-würdiges beerdigungssprech, weil ich ja kein promi bin. achja, die komische blogger-tante. ganz nett schreiben konnte die, aber hat auch nix geschafft im leben. ein psycho-wrack, hat alles mögliche in sich hineingestopft, gesoffen und rumgehurt, und dann ist ihr noch dieser kerl verunglückt, an dem sie so hing. tragisch, ja. natürlich war sie aber auch an allem selber schuld - wer studiert schon germanistik! die war vielleicht nicht total dumm, aber einfach nicht leistungsfähig - und schon gar nicht leistungswillig. so eine querulantin eben, die immer dachte, die gebratenen tauben fliegen ihr in den hals, wenn sie lange genug einen auf linksgrün-versifften gutmenschen macht.

whatever, ein glück, dass ich nicht in die zukunft schauen kann. und welch ein glück für nadja abd el farrag, dass sie sich um eine irdische zukunft in dieser verkorksten gesellschaft keinerlei sorgen mehr machen muss. ich wünsche ihr, dass es im jenseits kein musik von dieter bohlen gibt.

r.i.p.

Montag, 12. Mai 2025

auf tauchgang im haifischbecken

mein daily business besteht seit wenigen wochen wieder darin, mich auf stellenausschreibungen zu bewerben, die auf linkedin nach weniger als 24 stunden über 100 bewerbungen erhalten.

heute ist es sonntag, 10 uhr. ich sitze beim luxus-mann am küchentisch und starre angewidert in die linkedin-joblisten. eine für mich prinzipiell infrage kommende stellenanzeige wurde vor 7 stunden veröffentlicht. erst 57 bewerber haben darauf geantwortet. bewerber, die sich dafür wohl extra den wecker so auf nachts um 3 uhr gestellt haben - was schon bände spricht, mit welcher sorte mensch wir es da zu tun haben: diese spezifische kreuzung aus narzisst und masochist, die es nur im marketing gibt. arschlöcher, aber eben sehr streberhafte arschlöcher, mit denen du nicht mal zusammen tot überm zaun hängen willst. (die haben nämlich selbst in totenstarrre noch den reflex, nach dir zu treten.)

trotzdem, 57 bewerber bedeutet, dass ich vielleicht eine winzigkleine chance habe, wenn ich mich jetzt sofort innerhalb der nächsten 30 minuten ebenfalls bewerbe. meine bewerbungsunterlagen habe ich immer in meiner cloud bei mir, darüber hinaus ein formatiertes anschreiben, das ich eben noch etwas individualisieren muss. was man aber in 30 minuten locker schafft, notfalls mit ki, harhar.

aber so einfach ist es mal wieder nicht. denn als ich die bewerbungsmaske des arbeitgebers nach unten scrolle, sehe ich: der arschloch-, äh arbeitgeber möchte nicht nur anschreiben, lebenslauf und zeugnisse sowie zertifikate. er hätte darüber hinaus gerne eine "überzeugende mappe" mit "relevanten" arbeitsproben. das ganze ist auch noch ein pflichtfeld, heißt, ohne bombastische hochglanz-mappe geht die bewerbung gar nicht raus.

ich kenne das spiel und habe schon einige male versucht, es mitzuspielen, indem ich solche "mappen" in form von präsentationen erstellt habe. für die auswahl der belege und das mühselige zusammenbasteln in ppt habe ich jedes mal fast einen halben tag gebraucht. entsprechend macht es gar keinen sinn, mich auf diese stelle zu bewerben. denn bis ich zuhause bei meinen uralten arbeitsproben bin und eine versendungswürdige ansprechende "mappe" zusammengestellt habe, haben sich längt 500 leute beworben. klar sind da bestimmt auch 490 vollpfosten dabei. aber wenn unter den ersten 100 nur 2-3 volllprofis sind, bin ich schon weg vom fenster.

abgesehen davon und ist es mit einer solchen mappe ja nie getan. nach dem erstgespräch, sofern die hochglanz-mappe ausreichend durch die blindfisch-bewerbungen durchschimmern konnte, wollen arbeitgeber heutzutage immer eine probearbeit. die ist dann die eintrittskarte in die zweite runde. und die hat es erfahrungsgemäß in sich. briefings für probearbeiten sehen in etwa so aus: "entwerfen sie eine marketing-strategie für dieses jahr unter berücksichtigung unserer social media-kanäle. verfassen sie dann für die social media und den unternehmensblog einen redaktionsplan für die kommenden 6 monate sowie einen exemplarischen blog-text von 500 wörtern zum thema xyz. zuletzt sehen sie sich bitte unsere website an und analysieren sie stärken und schwächen. machen sie dann einen strategieplan, was wir unter berücksichtigung von seo und ux verbessern können! belegen sie ihre vorschläge mit den aktuellen entwicklungen im webdesign!" 

unter den probearbeit-aufgabenstellungen stehen manchmal noch lustige zeitangaben. so soll man bspw. den 500-wörter-text (zu einem wohlgemerkt in der regel vollkommen fremden thema) in 20 minuten verfasst haben. jut, eine erste grundlage liefert ki. aber das ergebnis kann man so ja nicht abschicken, angesichts der scheiße, die ki fachlich betrachtet oft liefert. alle fakten müssen immer geprüft werden. suchmaschinenoptimierung kriegt ki auch noch nicht ordentlich hin, hier muss man mühsam nachhelfen. summasummarum sitze ich an so einem probetext am ende so schnell 2 stunden. in das gesamtkonzept und all den anderen mist kann man dann noch mal locker 2-3 tage hineininvestieren.  

dazwischen versuche ich krampfhaft, mich auf eventuelle gespräche vorzubereiten. der arbeitgeber erwartet 2025, dass man perfekte kenntnisse seiner unternehmensgeschichte, seiner produktpalette, der website mitsamt allen unterseiten sowie den social media-inhalten der letzten 24 monate in all ihren details hat. 

schon im erstgespräch finde ich die meisten unternehmen derart unsympathisch rückständig, pathologisch überheblich und asozial unfreundlich, dass es mir bei dem gedanken an eine festanstellung sämtliche zehennägel hochrollt. in den marketing-chefpositionen sitzen zudem häufig die schon anderweitig beschriebenen widerlichen mannweiber, die ihr fehlendes selbstwertgefühl durch herrschsucht und soziale kälte wettzumachen versuchen und besonders auf weiblichen kolleginnen herumhacken. 

also habe ich mal was ganz verrücktes versucht: arbeiten mit verrückten, also quasi mit mir selbst. tatsächlich habe ich eine - unfassbar nette - einladung zum erstgespräch ergattert. nicht, dass ich mir davon viel erwarte. ich kann das ja alles überhaupt nicht und hab dem unfassbar netten vorstand gegenüber nur unfassbar weit die klappe aufgerissen. trotzdem freue ich mich gerade nen keks. es ist eine ultrazarte, hauchdünne chance auf nie wieder marketing.