Dienstag, 31. Dezember 2019

the roaring twenties

"was machen wir bloß silvester", fragt der luxus-mann vor ein paar tagen.
keine veranstaltung will uns zusagen. überall schlechte musik und menschen, die wir auf gar keinen fall als erste gesichter des neuen jahres sehen möchten.
also haben wir heute premiere: strunzenlangweiliges pärchensilvester.
kurzum: saufen, fressen, ficken. also fast so wie immer. außer, dass man nachher nicht mehr rausgehen kann, weil dann dummbratzen, die entgegen jeden gesunden menschenverstandes ihren egotrip durchziehen müssen, mit böllern um sich schmeißen. (jaja, ich weiß, "die kinder wollen es aber" und "die nachbarn machen es auch" und "man wird doch noch dürfen! wenn man schon nichts mehr sagen darf!" - jammer, jaul, mitläufertum, kotz)

zu feiern gibt es unseres erachtens nichts. wir blicken beide düster ins nächste jahrzehnt, das entscheidet, ob wir uns demnächst ausrotten werden oder nicht. ähnlich wie anfang 1945 immer noch viele menschen an hitler und den endsieg glaubten, gibt leider auch heute noch genügend einzeller, die eifrig den klimawandel leugnen. korrupte und verbrecherische politiker herrschen auf der gesamten welt ebenso wie hierzulande. sie haben noch nicht kapiert, dass ihnen die schmiergelder aus der industrie nichts nutzen, wenn es irgendwann nicht mehr genug lebensmittel und kein sauberes trinkwasser mehr gibt und die hälfte des festlands eine unbewohnbare wüste ist. selbst meine eltern, die aus dem hahn fließendes wasser und volle supermarktregale als selbstverständlichkeit hinnehmen und noch nicht mal müll trennen, haben etwas verstanden und ihren konsum grundlegend verändert. und sie wählen ödp statt cdu oder spd wie früher. das ringt mir respekt ab.

zuhause alte familienfotos und ein familienbuch der linie väterlicherseits gefunden. mein urgroßvater heinrich in uniform, wie er in den ersten weltkrieg zog und als einer von wenigen die schrecklichen schlachten im westen überlebte. bilder von meinem großonkel hans, der sehr jung im zweiten weltkrieg in russland fiel, und von meinem opa, der in einer anderen division im osten schwer verwundet wurde. meine oma und ihre freundinnen, die mit totenkopf-ss-soldaten posieren und hakenkreuzfähnchen aus den fenstern ihrer wohnungen wehen lassen.
wie gerne hätte ich noch großeltern oder urgroßeltern, die ich nach damals fragen könnte - und wie es vor 80 oder 100 jahren so war: die frustration der wirtschaftskrise, die inflation, und dann die aufbruchsstimmung im nationalsozialismus. denn gefühlt wiederholt sich gerade - in anderen dimensionen natürlich - was vor 100 jahren begann.

ich wünsche ihnen allen daher für den beginn der zwanziger jahre nicht nur glück und gesundheit, sondern vor allem einen klaren verstand und den mut zu veränderung entgegen der tendenz, geschichte zu wiederholen. seien sie dabei freundlich zu ihren mitmenschen, auch wenn sie sie manchmal merkwürdig finden - viele sind nur einsam und haben dadurch den umgang mit anderen verlernt. und bleiben sie offen für alles schöne, auch wenn der alltag den blick dafür oftmals verstellt.

salbungsvoll,
ihre morphine


(quelle: instagram, urheber unbekannt)





Samstag, 21. Dezember 2019

after every party i die

unbeschwerte abende im club sind so rar.
denn die erinnerung an dich ist immer noch dort, und ständig drehe ich mich um in der erwartung, dass du im raucherraum an der tür lehnst und dir eine zigarette drehst.
oder über den tresen gebeugt ein paar kurze orderst.
oder in deiner in dich gekehrten art in deiner ecke tanzt.

heute habe ich es nicht ausgehalten.
nach zwei stunden war ich den tränen nahe und bin nachhause geradelt.

du fehlst mir so unendlich.
und es gibt so wenig hoffnung.


Donnerstag, 19. Dezember 2019

taumeln

ich gucke den tagen hinterher wie autos, die viel zu schnell über die straße donnern. als wäre die raumzeit im kopf gekrümmt, als verkürze die verdichtete seele jeden geraden gedanken.

ich habe ein paar tage frei und bin nicht dankbar drum. denn das einzige, wovon ich wirklich frei bin, ist freude. abends im bett beginnt das herz zu rattern wie ein alter dieselmotor kurz vorm durchbrennen. mein neuer bester freund heißt zopiclon, der macht watte im gehirn und kennt den ausschaltknopf  für das herz.

vor weihnachten habe ich tatsächlich ein wenig angst.
wie letztes jahr wollen wir den tag mit der luxus-ex nummer 1 und dem sohnemann feiern, außerdem ist dessen neue freundin dabei.
"wir schenken uns aber nix", bestimmt der luxus-mann.
"naja, ne kleinigkeit schon", sage ich. "muss ja nichts teures sein."
"auch keine kleinigkeit!"
"warum denn nicht?"
"ich hab keine ahnung, was ich dir schenken sollte."

das ist ehrlich. und es wundert mich nicht. mein mann kennt mich inzwischen so wenig, dass es geradezu unheimlich ist. würde man ihn fragen, was meine lieblingsfarbe ist, welche musik ich gerne höre und was ich letzte woche gemacht habe - er könnte es nicht sagen. dabei ist es eigentlich extrem einfach, mich zu beschenken, denn ich freue mir schon über winzigkeiten ein loch in den bauch. einmal hat mir der luxus-mann ein kleines bild gemalt. mir hatte eine tasse mit zwei lustigen vögeln drauf so sehr gefallen, und weil er mir die tasse nicht schenken konnte, hatte er sie fotografiert und abgemalt. der luxus-mann ist kein künstler, das bild sieht aus wie kinderkritzelei, aber ich liebe es und es steht seit jahren in meinem regal wie ein manifest aus besseren zeiten.

noch schwieriger könnte silvester werden. normalerweise verbringt der luxus-mann silvester mit seiner tochter, doch die feiert mit einer freundin, deren mutter den luxus-mann explizit ausgeladen hat. das heißt, meine übliche geschützte silvester-struktur (bis mindestens 1:00 uhr entspannt alleine zuhause bleiben) wird nicht einzuhalten sein, zumal der luxus-mann weiß, dass ich die katze diesmal in eine ruhigere gegend ausquartiere, um ihr den krach zu ersparen.

darüber hinaus ist silvester noch immer geprägt von der neujahrsnacht im vergangenen jahr. ein bisschen kommt es mir vor, als habe ein teil von mir seither aufgehört zu atmen.




Freitag, 6. Dezember 2019

tristesse deluxe

das jahr neigt sich zu ende. nieselgrau umschließt mich.
die unterschiede zwischen tag und nacht verschwimmen.
bin ich wach oder träume ich?
bin ich überhaupt noch da?

mich zwischen mit glühwein angereicherten menschenmengen in züge und busse gequetscht und kurzerhand das objekt besucht.
das hängt genauso durch wie ich.
so lange liegt es nun schon in diesem bett in der pflegeeinrichtung, und auch wenn mich diese traurige gefangenschaft sonst immer dankbar ob meiner an sich popeligen probleme stimmt: heute falle ich mit dem objekt ins bodenlose.
nie zuvor war es so schwer zu durchdringen. zum ersten mal zweifle ich, ob noch stimmt, was es immer von mir behauptete: du hast den schlüssel zu mir.
mein offensichtliche unfähigkeit lähmt mich. zugleich fehlt mir in meiner not die response, die umarmung, die nähe. fast bin ich froh, als ich wieder gehen kann.

ich schreibe in meiner todesstimmung dem luxus-mann, doch es bedarf einer weiteren aufforderung, damit er auf die idee kommt, mich mal anzurufen. an den verzögerten antworten merke ich jedoch schnell, dass er nebenbei zockt.
"ist es so langweilig, mit deiner frau zu telefonieren?" frage ich sauer und bekomme nicht einmal darauf eine antwort.

was bleibt (von) mir, wenn die beiden wichtigsten menschen in meinem leben nicht mehr an meiner seite sind?