ich bin ein dämliches naives schaf. ich wurde loyal und hilfsbereit erzogen und folge dem ideal der universellen liebe. ich bin und tue das gerne, erwarte aber auch, dafür etwas zurückzubekommen, zum beispiel ein höflich-belangloses dankeschön oder im bestfall ein wenig echte wertschätzung. tage wie dieser zeigen mir jedoch: ein naivschaf zu sein hat deutlich mehr nach- als vorteile.
der frust beginnt schon am frühen morgen. wie jedes wochenende möchte der luxus-mann, dass ich brötchen hole. womit ich kein problem hätte, würden wir uns damit abwechseln. wir gehen beide nicht gerne morgens raus und stehen auch nicht gerne beim kleinen bäcker in der endlosen schlange für mittelmäßige brötchen zu kackstadt-typisch astronomischen preisen. aber in der regel bleibt das brötchenholen doch an mir hängen. weil ich zu nett bin. und weil ich als psychisch kranke person keine kraft habe, jedesmal darüber eine stunde lang zu streiten. schon gar nicht im morgendlichen serotonin-low.
heute ist ein tag, an dem ich ungebremst wütend werde, pms sei dank. naturgemäß vor allem auf mich, weil ich mich einfach nicht genug schütze und abgrenze. aber heute bahnt sich mein zorn den weg doch zu einem teil nach außen. als ich vom brötchenholen zurückkomme, schleudere ich die tüte stinksauer auf den küchentisch und erwische eine brennende kerze. die auch gleich umkippt und sauerei produziert. der luxus-mann mault, ich maule zurück. "nächstes mal hole ich keine brötchen. lieber hungere ich", fauche ich. ich nehme es mir ganz fest vor, wirklich auch nicht mehr nachzugeben, egal wie sehr mich der kampf darum dann wieder belastet.
die stimmung ist angeknackst. der luxus-mann wirft mir vor, unangemessen theater zu machen. ich werfe dem luxus-mann vor, ein fauler und misogyner boomer zu sein. dann packe ich meine sachen und fahre zu mir. wenigstens in der diskussion ums zusammenleben habe ich mich final durchgesetzt - und bin auch heute mal wieder ungeheuer froh, dass ich jetzt nicht mit dem luxus-mann in einer gemeinsamen wohnung herumsitzen und aufeinander sauer sein muss.
zuhause wartet schon meine direkte nachbarin vor der tür auf mich. sie ist alt, hat rheuma und kann nicht mehr gut gehen. sie braucht oft hilfe. sie ist zwar herzensgut, heult aber wegen jeder kleinigkeit und macht aus einer winzigkeit ein riesendrama. so auch heute: eine schreckliche katastrophe, jammert sie, das display ihres festnetz-telefons sei kaputt. ich gehe mit ihr in die wohnung und inspiziere das telefon. dann sage ihr, dass offenbar die akkus nicht mehr laden und sie neue brauche. sie weint und sagt, sie wisse gar nicht, was das sei und wo man sowas kaufen kann.
zack, schlägt mein naivschaf-gen voll zu. ich renne also rüber in die drogerie und kaufe akkus. kein großes ding. dann komme ich zurück und schiebe die akkus ins telefon. danach erkläre ich der nachbarin, dass sie jetzt ein paar stunden warten müsse, bis die akkus geladen seien. aber sie wolle doch jetzt mit ihrem sohn telefonieren, jammert sie. ob sie nicht mal schnell bei mir telefonieren könne. aber natürlich.
dann sitzt die nachbarin, die ja nicht unnett ist, in meiner wohnung und heult erstmal eine halbe stunde. wie schlimm das mit dem telefon sei. und dass sie nicht mehr leben wolle. eigentlich höchst beunruhigend, aber da sie ständig und wegen jeder pillapallescheiße ihren tod prophezeit, kann ich das nicht mehr ernstnehmen. ich sage ihr irgendwann, dass ich ihr nicht helfen kann, und dass das irgendwie auch der job ihres sohnes sei, sich zu kümmern. es folgen weitere litaneien, warum der sohn sich nicht kümmern könne (er wohnt gut angebunden in derselben stadt). nach einem kurzen telefonat mit besagtem sohn geht sie zum glück zurück in ihre wohnung.
kaum habe ich einmal durchgeatmet, ruft mein vater an. seit der betrugsgeschichte ist er noch verwirrter als sonst und erzählt alles drei- und viermal in maximal unzusammenhängenden spiralen. quintessenz des halbstündigen telefonats: er würde gerne seinen nach der betrugsattacke plattgemachten und mit windows 11 neu bespielten pc hochfahren und mit dem internet verbinden. "nichts leichter als das, einschaltknopf drücken, wlan-stecker in die dose und dann bei netzwerkverbindungen den netzwerkschlüssel eingeben", sage ich. "hast du doch schon ein paar mal gemacht."
mein vater beschreibt ausschweifend seine verwirrung und seinen verwirrtheitsbedingten gedächtnisverlust ob all dem, was den computer betrifft. dann äußert er den wunsch, dass während des einschaltens möglichst jemand neben ihm sitzen solle. wie er sich das vorstelle, frage ich, wegen eines einschaltversuchs setze ich mich schließlich nicht 6,5 stunden in den zug oder nehme am ende gar urlaub.
mein vater möchte daraufhin, dass ich mich virtuell auf seinen computer aufschalte. ich erkläre ihm, dass er ihn dafür zuerst einschalten und mit dem internet verbinden müsse. was er ja theoretisch einfach mal ausprobieren könne. aber ich rede wie schon befürchtet gegen wände an. mein vater hat 843623075 ausreden, warum er unmöglich alleine den einschaltknopf betätigen kann. wir verabreden deshalb, dass er nun seinen it-affinen nachbarn anruft, der dann an einem bestimmten termin gemeinsam mit ihm am computer sitzen und den hochgefährlichen einschaltknopf drücken soll.
zwei stunden später rufe ich noch mal bei vaddi an und frage, wann er sich mit dem nachbarn treffen werde. denn mir sind ein paar sachen eingefallen, die man vielleicht nützlicherweise wieder auf dem computer installieren sollte. diese, schlage ich vor, könne ich dem nachbarn dann beim gemeinsam-den-einschaltknopf-drücken-termin telefonisch durchgeben. so im sinne von mehreren fliegen und derselben klappe.
mein vater antwortet mir, dass er den nachbarn nicht angerufen habe. was ihn hindert, will ich wissen. er meint, er habe ja nächste woche schon einen termin mit der bank wegen seiner kreditkarte. "das hat doch damit nichts zu tun", sage ich. "jetzt ruf den an, du hockst doch sowieso bloß auf dem sofa und versimpelst."
mein vater verspricht erneut, den nachbarn anzurufen. ich höre an seiner laschen art allerdings ganz genau, dass das vor weihnachten nicht mehr passieren wird. ich ärgere mich zum x-ten male maßlos über seine trägheit - und natürlich darüber, dass ich mich so sehr aufregen muss. aber mein nervliches kostüm sendet nicht ganz unberechtigt alarm, denn ich weiß, dass ich die ganze kacke dann höchstwahrscheinlich wieder während meines nächsten urlaubs abarbeiten muss. und naturgemäß würde ich statt dankbarkeit und freude höchstens kritische rückfragen ernten: ob das denn wirklich so richtig sei, ob man das auch wirklich wirklich brauche, und warum das alles so furchtbar entsetzlich kompliziert ist.
mir ist bewusst, dass ich mich somit auch in meinem urlaub wieder unfassbar ärgern und gleichzeitig drückende schuldgefühle entwickeln würde. weil ich meinen vater doch eigentlich schätzen und lieben will. ganz grundsätzlich und nicht nur wegen weihnachten und weil er von meiner mutter schon genug anschiss bekommt. ein äußerst strapaziöser gefühlsmix ist also vorprogrammiert. anderseits fragt mein vater auch nie, was ich so mache oder wie es mir geht. fast alle telefonate drehen sich um seine"probleme", also in der regel um den computer. manchmal bin ich nicht sicher, ob ich ihm nicht einfach scheißegal bin.
am ende dieses tages fühle ich mich leergesaugt und müde. ich vermisse jemanden, bei dem ich mich ab und an mal anlehnen und ausruhen darf. jemand, der vielleicht sogar ein ganz klein wenig interesse daran hat, mir das gefühl zu geben, dass ich nicht nur nützliches naivschaf, sondern auch mensch bin. aber diesen jemand gibt es nicht mehr.