immer mal wieder passiert es, dass headhunter auf mich zukommen. und auch wenn ich meinen job aktuell gar nicht wechseln möchte, nehme ich vorstellungsgespräche immer wahr. frau muss ja in übung bleiben. und sie weiß schließlich nie, ob das gras irgendwo nicht doch noch ein bisschen grüner wächst.
einer meiner großen usps ist meine kinderlosigkeit.
"ähem, und sie haben gar keine kinder?" fragt mich auch meine potenzielle neue chefin, fast peinlich berührt. denn in meinen unterlagen steht ja: ledig, keine kinder. aber vielleicht will sie sichergehen, dass dem auch so ist, ich könnte ja schwanger sein oder mich gleich verplappern, dass mein kerl und ich derzeit eifrig zielschießen auf meine wenigen noch verbleibenden eizellen üben.
"mein partner hat zwei, das reicht mir", erwidere ich.
"naja, es gibt eben oft den wunsch nach eigenen kindern", stammelt die chefin.
"meine verantwortung der menschheit und diesem planeten gegenüber ist es, keine kinder zu bekommen", sage ich und achte dabei bewusst darauf, nicht dieses dämliche bitte-finde-mich-nett-höflichkeitslächeln zu lächeln, das man in vorstellungsgesprächen gerne mal aufsetzt.
so, wie die tante jetzt guckt, hat sie wahrscheinlich selbst kinder. aber sie muss meine ansichten schließlich weder teilen noch kommentieren.
"ja, also, wir sind ja auch ein nachhaltiges unternehmen", sagt sie dann.
"das habe ich auf ihrer website gesehen", sage ich. "das co2-ausgleichsprogramm."
"genau", grinst die tante stolz.
"wobei das reine augenwischerei ist, wenn ein unternehmen nicht auch intern nachhaltig agiert", sage ich. "zu meetings mit dem flieger reisen oder mitarbeiter mit dienstwagen zuschmeißen, zum beispiel. am ende noch mit geländewagen!"
dass auf dem parkplatz vor dem haus mindestens die hälfte der autos familienpapi-eierschaukeln sind, habe ich wohl wahrgenommen.
einige sekunden lang herrscht peinliches schweigen.
"gut", sagt die chefin dann geduldig, "dann wollen wir mal über das thema suchmaschinenoptimierung sprechen."
"wenn ich dazu eine frage stellen darf", unterbreche ich.
"ja?"
"haben sie zuvor bereits entsprechende schritte unternommen?"
"nein, deshalb brauchen wir ja eine expertin wie sie!"
"ich frage, weil die sache an sich nichts neues ist. die ersten websites habe ich schon vor zehn jahren optimiert."
"ja, ähm, wir sind spät dran, zugegeben."
ich lehne mich ein wenig zurück. das sieht jetzt bestimmt arrogant aus, aber der job ist auch nicht besonders interessant, also kann ich das ohne weiteres tun.
"wissen sie, der grund, warum unternehmen in die pleite laufen, ist derselbe, warum die menschheit in ein paar jahrzehnten fast ausgestorben sein wird."
die chefin schaut mich verwirrt an.
"der mensch ist ein autopilot. genau wie tiere fühlen sich menschen am wohlsten, wenn sich nichts verändert. sie machen einfach weiter, ohne sich um das zu kümmern, wovon sie genau wissen, dass es in der früheren oder späteren zukunft eintritt."
"deshalb wäre es auch schön, wenn wir so bald wie möglich anfangen könnten", bekräftigt die chefin ihr wohlwollen, die versäumnisse nachzuholen.
"ich habe mir die sichtbarkeitscharts ihres unternehmen und auch der konkurrenz angesehen", sage ich. "das wird nicht einfach. sie werden jahre brauchen, um den vorsprung aufzuholen, insbesondere mit ihrem völlig veralteten cms. das wollen sie ja nicht ändern, oder?"
"ähem, nein, damit arbeiten wir bereits seit 12 jahren, das hat sich bewährt. wenn wir das ändern, müssten wir auch die mitarbeiter, die damit arbeiten, neu schulen."
"verstehen sie jetzt, was ich mit dem autopilot meine?" grinse ich.
dann erhebe ich mich aus dem sessel und verabschiede mich.
"nehmen sie es mir nicht übel", sage ich. "aber ich möchte wenn dann gerne in einem unternehmen arbeiten, das wirklich nachhaltig ist und das in seiner gesamten unternehmenskultur lebt. dazu gehören nicht nur umweltthemen, sondern auch die technische infrastruktur."
und schwupp, bin ich draußen, vor den toren hamburgs, in einer wirklich schönen ländlichen umgebung. eigentlich wäre es nicht schlecht gewesen, hierher ziehen zu müssen, denke ich mir. aber nicht für ein unternehmen, das im modus homo autopilotiensis agiert.