Freitag, 30. August 2019

auf achse

als ich das objekt heute besuche, wirkt es sehr viel fideler als beim letzten mal. es betont, dass es ihm gut geht - und so sieht es auch aus: volle und für seinen blassen teint recht rosige wangen.
"wollen wir heute wieder rausgehen", frage ich, und das objekt ist sofort dabei.
ich lasse es fix in den rollstuhl verfrachten, dann kann es losgehen.

"willst du fahren oder soll ich schieben?" frage ich.
"schieben!" sagt das objekt und lehnt sich entspannt zurück, während ich das durchaus nicht ganz steigungsfreie gelände bewältigen muss.
"puh, sag mal, bist du schwerer geworden", hake ich nach, als ich den kleinen abhang vor dem eingang hochrolle.
"weißnich", nuschelt das objekt und grinst sich einen, weil ich mich so abrackere. ich muss spontan an früher denken, als es immer sagte: "es ist so schön, wenn du dir so viel mühe gibst."

als wir wieder drinnen sind, begegnen wir meinem lieblingspfleger, der auch gleich heraneilt und mir hilft, das objekt aus dem rollstuhl zu heben und ins bett zurückzupacken.
"hat er dir schon erzählt, was er die letzte zeit gemacht hat?" fragt der pfleger.
"nee, was denn?"
"der ist hier ständig unterwegs mit dem rolli! neulich war der schon fast im nachbardorf, da krieg ich nen anruf und muss ihn wieder einsammeln, weil er im kopfsteinpflaster steckengeblieben ist!"
der pfleger lacht. ich mag ihn dafür, denn jeder andere wäre ob der situation wahrscheinlich weniger amüsiert gewesen.

"ich werte das mal als gutes zeichen", sage ich.
"jo", meint der pfleger. "schau dir mal seine arme an, der hat echt muckis gekriegt. aber faul ist der!"
er fixiert das objekt, das frech grinst.
"weißt du, wie er hier die kollegen verarscht? der kann sich nämlich ausgezeichnet selber im bett bewegen, aber er lässt sich immer bedienen! ich glaube, das genießt der!"
der pfleger knufft das objekt und macht high five mit ihm.
"mich hat er eben auch schön den rolli anschieben lassen", sage ich.

kurz darauf ist der pfleger wieder weg und ich schiebe uns eine dvd rein. dann setze ich mich zum objekt ins bett und kuschle mich an.
"schöööön", seufzt es, drückt meine hand und gibt mir einen kuss.
da rieche ich es. 
das objekt duftet nach objekt.
"du, das ist doch dein duft", sage ich und schnuppere noch mal an brust und hals.
"ja", strahlt das objekt. "das... ist... mein... parfum."
"das von früher, oder?"
"ja. genau... das."

als ich später im bad stehe, entdecke ich die kleine schwarze dose mit dem cremeparfum darin. das hat das objekt also offenbar einfliegen lassen. 1000 erinnerungen für mich.

nach zweieinhalb stunden mache ich mich auf den heimweg. als ich in den bus richtung bahnhof steigen will, steht ein beagle an der tür, der freudig auf mich zuwuselt, bis sein frauchen, eine feine ältere dame, an der leine zieht:
"ansgar, komm mal her."
"ansgar ist aber ein hübscher", sage ich, denn beagles finde ich fast immer toll.
ansgar kommt wieder zu mir rübergetappert, schnuppert und lässt sich streicheln.
"jaja, und tut immer so, als würde er zuhause nie angefasst!" schmunzelt die dame.
"meine katze ist genauso, kaum sitzt man, wird sich hingeworfen und der bauch hochgereckt."

leider steigen ansgar und sein frauchen schon vor dem bahnhof aus. ich bin der letzte mohikaner im dorf-bus und der busfahrer dreht balkanmukke auf. die sonne scheint durch das seitenfenster auf mich, und noch immer kann ich den objektduft an mir riechen. er wird mich heute in den schlaf begleiten.




4 Kommentare:

  1. Sieht aus, als wollte das Objekt wieder zurück ins Leben. :-)

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    1. oh ja. ich bin sehr froh darüber! er hat ja all die zwei jahre über nie aufgegeben, was ich unglaublich stark finde, aber wir hatten auch schon andere zeiten.

      ich hoffe, dass im winter nicht wieder lungenentzündungen dazwischenfunken, denn so wie das im plan aussieht, haben die nun auch seine therapien aufgestockt. er hat jetzt neuropsychologie und ergotherapie, das ist neu. eine lungenentzündung würde das alles wieder zum stillstand bringen und ihn zurückwerfen...

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