Samstag, 24. August 2019

ein fischkopp in franken

als wir am wochenende bei meinen eltern ankommen, bin ich aufgeregt. zum einen freue ich mich tierisch. während der luxus-mann angestrengt aufs navi starrt, zeige ich nach hier und da und kann den mund nicht halten:
"guck mal! da habe ich mal gewohnt! und guck mal, da war früher mein bäcker! und das da war meine stammkneipe!"

der luxus-mann grinst:
"man könnte meinen, du warst 20 jahre nicht hier."
"das ist halt heimat-fieber. ich bin immer wieder extrem gern hier... hier sind menschen, die mir sehr wichtig sind... es gibt so viel natur und gute luft... nicht so viele assis und schickis..."
"das denkst du nur! wenn du wieder hier leben würdest, wärst du bestimmt nach drei wochen total frustriert!"
"das gras auf der anderen seite ist immer grüner, das weiß ich schon. aber ich freu mich trotzdem extrem, hier zu sein."

anderseits bin ich nervös. ich hoffe, dass der luxus-mann seine scharfe zunge im zaum halten kann und keine abfälligen bemerkungen meinen eltern gegenüber macht. anderseits fürchte ich, dass sich meine eltern ebenfalls lächerlich machen könnten - durch übertriebene gastfreundlichkeit, deplatzierten pseudo-humor oder schlichtweg durch ihre eigenartigkeit.

der empfang ist entsprechend angespannt. meine mutter steht unter der tür und grinst, als habe man ihr zwei haken durch die mundwinkel getrieben und dann an den ohren aufgehängt. mein vater steht da wie ein versteinerter wachposten und beäugt misstrauisch das luxus-einparkmanöver.

dann betritt mein mann in seiner nüchtern-kühlen art das haus, schüttelt hände und nennt seinen namen. meine mutter überfällt ihn sofort mit fragen, wie war die fahrt, willst du was trinken oder was essen, brauchst du handtücher, und wartet keine antworten ab. mein vater nuschelt unverständliches wie immer, wenn meine mutter redet, was dazu führt, dass ihn niemand versteht - am wenigstens der luxus-mann, den der fränkische zungenschlag ohnehin vor große herausforderungen stellt. als er mich deswegen verlegen am ärmel zupft, versichere ich ihm, dass dies nicht an seiner latenten schwerhörigkeit liegt, sondern dass seine vorgänger damit ebenfalls ihre schwierigkeiten hatten.

ich kann die situation zunächst überhaupt nicht einschätzen. also nehme ich meine eltern in die arme wie eine mutter ihre verstörten kinder, versuche, fröhlichkeit und unbeschwertheit auszustrahlen und bremse meine vor gastfreundschaft hyperventilierende mutter, damit sie keinen herzinfarkt bekommt.

es wird etwas besser, nachdem alle gegessen haben und alkohol in rauen mengen fließt. da kommt der luxus-mann in sein element und wird etwas redseliger. die nervösen unechten lacher meiner mutter werden authentischer, und auch mein versteinerter vater entspannt sich ein wenig und nimmt am gespräch teil anstatt es etwas von oben herab zu kommentieren, wie es seine art ist.

trotzdem bin ich froh, als wir uns gegen 22 uhr mit vorgetäuschter müdigkeit gen dachgeschoss-gästezimmer verabschieden. hier dürfen wir uns auf der uralten 70er-jahre auszieh-couch ausstrecken.
"warum schmeißen deine eltern all diese scheußlichen alten möbel eigentlich nicht auf den sperrmüll", will der luxus-mann wissen.
"ich denke mal, dass sie davon ausgehen, dass sich eine neuanschaffung ohnehin nicht mehr lohnt."
"trotzdem kann man den alten krempel doch wegschmeißen, das bleibt doch sonst alles mal an dir hängen! das müssen die doch bedenken!"
ich schüttle den kopf:
"mir graut auch schon davor, dieses haus mal auszuräumen."

dann liegen wir mit offenem fenster da.
"hör mal", sage ich.
"was denn", fragt der luxus-mann.
"nichts."
"wie nichts?"
"genau. man hört nichts. in hamburg ist es immer laut. hier ist stille. ist das nicht wunderbar?"
"ich höre nur meinen tinnitus."
dann schnarcht der luxus-mann auch schon.

die folgenden tage bummeln wir durch die stadt, besichtigen alte gemäuer und treffen uns mit freunden. zweimal fahren wir in die fränkische schweiz, um zu wandern und burgen zu besichtigen. ich genieße jede sekunde. ob es dem luxus-mann gefällt, kann ich schwer ausmachen, denn wie immer drückt er allenfalls sein missfallen aus. dies kommt allerdings recht selten vor, sodass ich davon ausgehe, dass dieser kleine urlaub keine vollkatastrophe für ihn ist. einziges hindernis ist wieder mal sein knie, das schmerzt und ausgedehnte ausflüge vereitelt.

am fünften tag machen wir uns auf den weg richtung norden. wir wollen eine nacht in würzburg verbringen und dann noch luxus-freunde in kassel besuchen.

als ich mit gepackten koffern im flur stehe und missmutig gucke, fragt mich der luxus-mann:
"na, biste heute eine grummel-frau?"
"fällt mir nie leicht, wieder zu fahren. und die paar tage konnte ich mich gar nicht richtig um meine eltern kümmern."
"ach was. du hast die computerprobleme für deinen vater gelöst und wir saßen fast jeden abend mit denen rum und haben total nett wein getrunken!"
"trotzdem. ich hab so meine orte, die ich immer besuche, das habe ich dieses mal nicht gemacht."
"du kommst ja wieder."
"wer weiß, ob dann noch alles so ist? ob alle noch leben und gesund sind?"
"das risiko haste immer."
"das risiko ist hier ziemlich hoch. guck dir meinen vater an."
"ja, der ist wirklich in einer ganz schlechten verfassung! alleine wie der geht! meiner ist 14 jahre älter und sehr viel fitter. geht deiner denn nie mal raus? wenigstens einmal am tag spazieren oder so?"
"nee. vielleicht einmal pro woche und auch nur, wenn meine mutter ihn zwingt."
"und reisen? deine eltern haben doch genug geld."
"will er auch nicht. also nicht mal so innerhalb deutschlands, höchstens innerhalb bayerns. meine mutter würde mich glaub ich schon gern mal besuchen. aber mein vater meint immer, wenn ihm was passiert, kennt er in hamburg keinen arzt."
"so ein schwachsinn."
"ja. aber was soll ich machen?"
"da kannste nichts machen. muss jeder wissen, wie er leben will."

während der luxus-mann draußen das auto belädt, erwischt mich meine mutter alleine in der küche.
sie umarmt mich ganz fest und meint dann:
"also ich mag den!"
ich bin erleichterter als ich gedacht hätte.
"echt? obwohl der ja eher introvertiert ist?"
"finde ich gar nicht. der ist lustig und intelligent und strahlt so eine angenehme ruhe aus. und hübsch ist er, und so außergewöhnlich sieht er aus."
"wegen der haare und so?"
"ja. gefällt mir."
"frag mal seine mutter, die jammert jedesmal und löchert ihn, wann er sich endlich mal eine ordentliche kurzhaarfrisur macht", lache ich.
"jedenfalls wünsche ich euch, dass ihr noch ganz lange miteinander glücklich seid."
"gibt nicht viel, was dagegen spricht."
"auch die eifersucht nicht?"
"hat er einigermaßen im griff. ist nicht ganz weg, aber belastet die beziehung eigentlich kaum mehr."

als ich in den wagen steige, stehen meine eltern an der haustür und winken.
"heult deine mutter jetzt?" will der luxus-mann wissen.
"kann sein, passiert manchmal, ich hoffe aber nicht."
doch da kommt mir der zufall zur hilfe, denn plötzlich kommt ein nachbar angeradelt, grüßt und verwickelt meine eltern in ein gespräch.
ablenkung im entscheidenden moment ist alles.

erst auf der autobahn macht sich mein eigener  abschiedsschmerz bemerkbar und frisst sich wie ein kleiner säurekrater in meine brust. ich sehe meinen mann von der seite an, sein markantes profil, die langen blonden haare, die immer etwas strenge miene. er bemerkt meinen blick und tätschelt mein bein.
"die kleine sentimentale frau!"
"mach dich nur lustig."
"mach ich gar nicht. ich kanns mir schon vorstellen, auch wenn ich das eben so nicht kenne."

erst in würzburg lässt die scharfe traurigkeit nach, um sich dann mit jedem kilometer nordwärts weiter zu verflüchtigen. in hamburg dann empfangen uns großstadtlärm, abgas-gestank und assis - und alles ist fast wie immer.

4 Kommentare:

  1. komme aus einer kleineren Stadt im Norden, habe 20 Jahre in Hamburg gelebt und immer beim Abschied von heimatstadtbesuchen diesen Schmerz gefühlt. Aber ich wollte ja zu den coolen Kids gehören. Inzwischen lebe ich wieder in der kleineren Stadt im Norden und es ist gut. Trotzdem würde ich die Zeit oft gern zurückdrehen.

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    1. ich kann das gut nachempfinden. ich war eines der kinder, die auf schullandheim immer heimweh hatten. abends konnte ich nie einschlafen und hab heimlich geheult. sogar auf abifahrt - mit immerhin 17!! - hatte ich heimweh nach meinem freund. ich bin also ein echtes weichei, was das betrifft.

      in den ersten ein, zwei jahren nach dem umzug von franken nach hh war es ja ganz schlimm. da habe ich schon die letzten beiden tage bei meinen eltern nur noch horror vor dem abschied gehabt. in hh erwartet mich dann leider auch nichts, worauf ich mich hätte freuen können. eine zerrüttete beziehung, ein mega stressiger scheißjob und ein winziges, dunkles loch von wohnung.

      heute bin ich in der komfortablen situation, dass ich von überall aus arbeiten kann und darf. ich könnte also erstmal in meiner "karriere" wieder in die heimat ziehen, ohne wirtschaftliche konsequenzen fürchten zu müssen. es hält mich jetzt aber der luxus-mann. irgendwas ist immer. ;-)

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  2. ich hatte ein echtes scheisswochenende und einen voll daemlichen wochenstart.
    dank dieses posts sitze ich jetzt trotzdem laechelnd vorm rechner.
    danke dafuer - und es ist schoen, dass Ihr Euch gefunden habt :)

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    1. dann hoffe ich mal, dass deine woche ab sofort nur noch besser wird! ;-)

      jo, find ich auch. schon lustig, anfangs waren wir ja nicht gerade verknallt, aber ich sag mal wie sybille berg, das maximum ist ja, jemanden zu finden, der einen nicht weiter stört. so oft war ich verliebt und habe mir dabei eingeredet, dass meine verliebtheit mich schon über die ganz und gar offensichtlichen differenzen und defizite hinwegtragen würde. bullshit. wichtig ist, dass der alltag entspannt ist und man sich nicht dauernd stresst.

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danke für deinen kommentar. ist er hilfreich, fair und sachlich, wird er nach freischaltung veröffentlicht. kontextfreie, rassistische und sonstige arschloch-scheiße wird sofort gelöscht.