Freitag, 17. Mai 2019

elphi, elphi über alles

knapp 800 millionen hat die elphi hamburg gekostet.
"wie viele kitas und schulen hätte man damit sanieren können", jammere ich wie immer, wenn wir auf das thema zu sprechen kommen.
"ich finds gut", meint der luxus-mann. "als wirtschaftsstandort braucht man attraktionen. hauptsache, die touris drücken ordentlich ab, dann fließt die kohle schon wieder rein."

wie es der zufall will, kommen wir an karten für ein konzert. wir kennen weder das ensemble noch die komponisten, doch "avantgarde" als stilrichtung klingt irgendwie cool. also einfach mal spontan tickets gekauft und rein ins musikalische vergnügen.

bei der ankunft staune ich nicht schlecht: der eingangsbereich der elphi ist richtig toll geworden. elegante rolltreppen und weiße wände mit runden spiegelelementen. das hat etwas feierlich-futuristisches. oben dann ein sagenhafter ausblick über den hafen. sogar ich als ewige skeptikerin bin beeindruckt, mache postkarten-bilder, wie die sonne langsam versinkt und die elbe dunkelblau und orange-gold glitzern lässt.

dann gehen wir hinein, wollen ein glas wein trinken.
der luxus-mann schaut kritisch:
"das sieht aber billig hier drin aus! für nen schönen fußboden hats offenbar nicht mehr gereicht."
ich sehe näher hin.
"scheint ne art laminat oder so zu sein."
der luxus-mann schnaubt verächtlich:
"laminat?! eher plastik."

wein gibt es nur mit selbstbedienung. wir löhnen über 20 € einschließlich pfand für zweimal mittelmäßigen, schlecht gekühlten weißwein im plastik-weinglas-imitat.
"ich komm mir vor wie auf nem festival, bloß in teuer", mault der luxus-mann und stürzt den wein schnell hinunter.

dann nehmen wir im großen saal platz. der ist recht imposant, wenn man auf grauweiß und beige steht. der luxus-mann findet, das wanddesign sieht aus wie recycling-klopapier.
die beinfreiheit in den sitzreihen entspricht in etwa der economy class in einem billigflieger, die sitze haben passenderweise ebenfalls nicht mehr als holzklasse-komfort. hierin wurden die millionen also auch schon mal nicht investiert.
"wenn der klang so ist wie die sitze, geh ich gleich wieder!" droht der luxus-mann.
"jetzt warte doch mal ab", entgegne ich.

musiker und dirigent trippeln auf die bühne. das publikum klatscht, dann hebt der dirigent den taktstock. die geigen quietschen auf, ein xylophon scheppert. im hintergrund trommelt jemand arhythmisch. die ersten zehn minuten akustische folter erwarten uns - wofür die elphi allerdings nichts kann.

"alter, wasn das für ne mukke", seufzt der luxus-mann, als das stück zu ende ist.
"hier steht, der komponist wollte krieg und terror vertonen", lese ich aus dem programmheft vor.
"terror trifft es ganz gut."
"keine wellness-musik", lese ich lachend die letzte passage der beschreibung vor.
"damit haben wir die totale arschkarte gezogen!"
"du stehst doch gar nicht auf wellness."
"auf terror für die ohren aber auch nicht."

pause.
wir haben das gefühl, als hätten wir eine elektroschock-behandlung hinter uns.
"mir stehen die haarwurzeln zu berge", sage ich. "ich hab richtig gänsehaut auf dem kopf."
"mein tinnitus spielt verrückt", klagt der luxus-mann. "das ist total der anstrengende, atonale scheiß."
"wollen wir gehen? jetzt wäre die gelegenheit."
"ich weiß nicht. vielleicht wird die zweite halbzeit ja besser."
"ich fürchte, nicht. das ist zwar ein anderer komponist, aber im programmheft steht, er war vom komponisten eben inspiriert."
"oh nein..."

ich will auf toilette gegen. es gibt drei toilettenkabinen pro etage für die damen, davor warten jeweils ca. 50 pipimüssende mädels. minimalistische planung also. garantiert war der architekt ein mann. der hat wahrscheinlich kurz nachgedacht: ok, schniedel rausholen, pinkeln, abschütteln, schniedel wieder reinstopfen, händewaschen brauchenwa nicht, fertig. dauert 45 sekunden im schnitt. dass frauen einen toilettengang oftmals mit umziehen und neu schminken verbinden, hat er nicht bedacht.

drinnen, so sehe ich, wenn die tür aufschwingt, posieren überschminkte instagramerinnen zwischen spiegel und handy. ich entschließe mich, lieber meine volle blase zu ertragen, als erst ewig in der schlange stehen und dann noch dämliche instagram-teenies mit zu viel lippenstift ertragen. das übersteigt meine masochistischen kapazitäten.

als die pause vorbei ist und wir uns wieder in die großzügigen sitzgelegenheiten zwängen, bleiben viele sessel leer: geschätzt ein drittel der gäste ist gegangen. ganz offensichtlich ist die musik nicht massentauglich, oder wir sind zumindest nicht die einzigen kulturbanausen. da die reihen vor mir angenehm leer sind, kann ich mich etwas entspannen und die füße durch das eisengestäng strecken. so wird das sitzen etwas komfortabler.

die zweite halbzeit beginnt fast schön. die musik ist etwas ruhiger, zeitweise getragen. ich kann mich halbwegs auf das stück einlassen und finde es eine gute idee, geblieben zu sein. dann allerdings gibt es wieder viel experimentell-atonales mit schrillen zwischentönen und abruptem getrommel.
"ich will nachhause", stöhnt der luxus-mann neben mir.

kurz nach 22 uhr dann die erlösung: das konzert ist vorbei.
"nächstes mal gucken wir genauer, was wir da an tickets kaufen", sagt der luxus-mann.
"kein wunder, dass man für die veranstaltung eben so leicht karten bekam!" erwidere ich.
"und wie fandest du die akustik?" fragt der luxus-mann.
"ehrlich gesagt kann ich das überhaupt nicht beurteilen. ich würde sagen, persönlich fand ich, es waren zu viele schrille höhen und zu wenig tiefe, dunkle klänge. aber es kann auch sein, dass das bei dieser musik genau so gedacht war."
"ich kanns auch schwer sagen. jedenfalls hört man absolut alles. zwei ränge weiter saß eine, die hat immerzu mit ihrem bonbon-papier geraschelt, das hat man sehr deutlich mitbekommen."
"tja, wenn ich jetzt klangbauexpertin wäre, könnte ich dir sagen, ob das gut ist oder ob man räume besser so konzipiert, dass geräusche wie bonbon-papier-rascheln geschluckt werden."

"für den ausblick hat sichs aber gelohnt", resümiere ich, als wir in der bahn sitzen. "und für ein gutes konzert würde ich vielleicht sogar noch mal vorbeischauen."
"die sitze sind aber echt ne katastrophe", wendet der luxus-mann ein.
"das stimmt."
"und wir nehmen was zu trinken mit. dieses überteuerte plastik-gesöff geht gar nicht."
"jo, und dann sitzen wir mit ner 1,5-liter-flasche wodka-energy-mische und einer großen tüte popcorn im saal."
"genau", grinst der luxus-mann. "und wenns langweilig ist, mach ich ein schlümmerchen."
"bei der akustik klingt dein schnarchen bestimmt beeindruckend."
"und mein pupsen erst."

4 Kommentare:

  1. Sehr gut beschrieben, vor allem die Planung für das nächste Mal! Ihr habt Euch ja wirklich ein - auch für Klassikfans - hardcore Programm angehört!
    Ich bewundere Euren Mut und Durchhaltevermögen

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    1. wir sind nachträglich traumatisiert. bzw. sind jetzt sehr gut im bilde, wie man musik und terror verbindet. ;-)


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danke für deinen kommentar. ist er hilfreich, fair und sachlich, wird er nach freischaltung veröffentlicht. kontextfreie, rassistische und sonstige arschloch-scheiße wird sofort gelöscht.