Montag, 12. Dezember 2022

ich trau dir nicht, ich trau mir nicht

seit dem erneuten entzugsbedingten abrauschen in die depression habe ich keine gefühle mehr für den luxus-mann. ich möchte nicht kuscheln, ich möchte nicht angefasst und schon dreimal nicht penetriert werden. sogar ganz normale alltagsdinge wie gemeinsam einen film gucken stoßen bei mir auf ablehnung: wie banal! wie bei meinen eltern! DAS können wir ja wohl auch noch in 30 jahren tun! und: wieso ist mir vorher nicht aufgefallen, wie wahnsinnig mich diese banalität stört?

das nichtgefühl ist stärker als bei den letzten depressiven tauchgängen während der luxus-zeit. entsprechend verbringe ich viel zeit damit, herausfinden zu wollen, wie viel stärker genau und ob das anlass für eine trennung ist oder nicht. natürlich führen diese gedankenkreisel ins nichts. man kann sie auch einfach ziehen lassen und ignorieren. was vermutlich das gesündeste wäre. aber der kritiker in mir ist laut. verdammt laut. so laut, dass mich manchmal ohnmächtige verzweiflung überkommt, die mir sagt: du musst hier raus. du erstickst. pack deine koffer. fahr irgendwohin, nirgendwohin.

nach über zehn jahren im stollen der depression weiß ich: das ist alles eine scheinwelt. die depression stellt dem hirn quasi eine falle: alle schöne zieht ungesehen vorbei, während jede winzige schlechtigkeit für 1000 jahre ans firmament gepinnt, dramatisch mit textmarker angestrichen und 24 stunden am tag dauerbeleuchtet wird.

eine dieser schlechtigkeiten lautet: liebt dich der luxus-mann eigentlich? merkt er, was in dir vorgeht? vermutlich nein, sonst würde er ja vielleicht mal was sagen! oder versuchen, dich anzufummeln. der findet dich also bestimmt längst so alt und hässlich und abstoßend wie du dich selbst.

schlechtigkeiten haben klauen und zähne. sie multiplizieren sich permanent mit neuen zermürbenden fragestellungen, die eigentlich nur das eigene miese selbstwertgefühl widerspiegeln. am ende summiert sich der berg auf zur immer gleichen aufforderung: nimm dir das leben! worauf wartest du noch? es gibt NICHTS, auf was jemand wie du noch hoffen sollte. das ist zeitverschwendung. DU BIST ZEITVERSCHWENDUNG.

ich trau mir nicht. weder dieser matrix, aber irgendwie auch nicht dem, was ich mir in den letzten jahren aufgebaut habe. ich traue dem luxus-mann nicht. traue ihm nicht zu, dass er mich liebt. aber auch nicht, dass er mich nicht liebt. 

45 % aller partnerschaften scheitern, wenn einer von beiden depressiv ist, sagt die statistik.

alles ist ein großer zwiespalt. der klafft und will mich verschlucken. 

am samstagabend liegen wir zusammen im bett. ich wage es, meine abstoßende person anzunähern und den arm um den mann zu legen. es fühlt sich fremd an. 

"wie ist das eigentlich gerade für dich... so mit mir?" frage ich todesmutig.
"naja, anders", sagt der luxus-mann anklagend.
"tut mir leid, wenn ich gerade lieblos bin."
der luxus-mann schnauft: "ja."
"weißt du, ich bin so stumpf... also das ist nicht mal traurigkeit. alles ist... wie unter so einer glasglocke. das ist so die matrix, in der ich dann festhänge."
"aber wenn du das weißt, kannst du es ja ändern?" sagt der luxus-mann leicht fragend.
"ich hab keine ahnung, wie ich da rauskomme. oder wann. bislang hats immer irgendwann wieder aufgehört. das ist meine hoffnung. also vielleicht nur noch 3 tage. oder 5 monate. oder 2 jahre."
"hm." ratlosigkeit schwingt in diesem laut mit.

das gespäch führt zu keiner lösung, aber ich bin froh, dass ich es gesucht habe. ein bisschen nähe herstellen per kognitiver anstrengung.

am nächsten tag geht der mann mit mir in den eichhörnchen-park, obwohl wir da schon tausendmal waren und ihn das inzwischen langweilt. danach laufen wir über einen weihnachtsmarkt. es ist 13 uhr, aber der luxus-mann spendiert mir einen überteuerten glühwein und betreibt ein wenig aufmerksamkeitssteuerung, fast wie einst das objekt. er kommentiert die spießerfamilien und eine gruppe sehr angestrengt-hipper studenten, den nutzlosen kitsch an den ständen und erzählt dann noch ein paar religiös inkorrekte witze.

er erwähnt meinen zustand mit keinem wort. aber ich verstehe, dass er mir auf eine hilflose art und weise gut tun will. 

als ich am abend zu mir zurückfahren will, gibt er mir zum abschied einen kleinen kuss.
ich halte inne und schaue ihn an.
"was denn?" fragt der mann verwirrt.
"ich lieb dich immer noch", sage ich, weil ich es weiß, dass es so sein muss, ganz tief drin in mir, irgendwo unter der verklumpten lavamasse der depression.
der mann weiß wie immer nicht, wohin schauen und grinst sehr verlegen, weil er liebesbekundungen nicht aushält und sie auch nicht erwidern kann.
"ja", sagt er schließlich völlig verunsichert, während ich kichern muss, weil die szene so luxus-typisch ist.
 
und verdammt, so ein kleines lachen prickelt kurz ums herz, als könne es etwas totgeglautes wiederbeleben.

8 Kommentare:

  1. Weißt du, wenn man genau darüber nachdenkt, ist ein Suizid kein Ausweg. Das Ziel ist doch, eine Lösung für sein Problem zu finden. Eine, die einen befriedigt.
    Wenn du tot bist ist das eine Art der Problemlösung... Du bekommst zwar alles nicht mehr mit, aber du hast nichts mehr davon, weil dich das Gefühl eine Lösung gefunden zu haben nicht mehr erreicht.

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  2. auch wenn man so ganz und gar nicht nachdenkt, ist suizid kein ausweg. es ist die verdammte absage an alle auswege. es ist ein manifest: ich scheiße auf euch und eure "auswege" und "lösungen", weil ich endlich meine gottverdammte ruhe will.

    insofern sind solche argumentationen ziemlich schwachsinnig. bitte erzähl sowas niemals einem depressiven, denn das ist das absolute gegenteil von hilfreich. so stellst du ihn nämlich nur als unlogisch denkendes, dummes wesen hin, das nicht checkt, dass es sich popeleinfach mit einer klitzekleinen logischen überlegung von all dem suizidalen kreiseln befreien kann. wenn alles so simpel wäre, gäbe es keinen suizid. doch depression ist an sich unlogisch und einfache kognitive lösungen funktionieren hier so wenig wie irdische physik in einem metaversum.

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  3. ""ja", sagt er schließlich völlig verunsichert, während ich kichern muss, weil die szene so luxus-typisch ist."

    ... Ihr seid doch schon echt suess zusammen. allem scheiss zum trotz.

    ich wuensche Dir weiterhin ein hoffentlich baldiges "aufwaerts", stueck fuer stueck. <3

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  4. Ich hab dich vor sechs Jahren zum letzten Mal gelesen. Wir hatten damals ab und zu Kontakt,weil wir gegenseitig unsere Sachen gelesen haben.
    Egal- du schreibst einfach unglaublich!
    Du warst damals schon richtig gut,aber du bist noch viel besser geworden. Echt ein Dilemma,dass anscheinend nur traurige Menschen so toll schreiben können...
    Ich wünsche dir sehr, dass du es irgendwie schaffst wieder schöne Gefühle zu entwickeln und dass du weiterhin mit deiner Depression irgendwie umgehen kannst.
    Gruß, Andreas

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    1. hey! ich erinnere mich! :-) schön von dir zu lesen. ich hab immer sorge, dass ich nicht mehr depri genug bin für die ganz tiefe tiefe. dass ich die nicht mehr rüberbringe. manchmal lese ich alte sachen und finde die besser. aber schön, mal das gegenteil zu hören. danke dafür.

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  5. Eins muss man der Trauer lassen, sie schreibt schönere Texte als das Glück.

    Und du hast in deinem ersten Kommentar ausformuliert, was meine Freundin vor fünf Jahren wohl gefühlt haben mag, als ihr zweiter Suizidversuch keiner geblieben ist.

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    1. das tut mir sehr leid. vielleicht können dir meine ausführungen ja ein wenig helfen, frieden mit der entscheidung deiner freundin zu finden, sofern noch nicht passiert. ein letztes nichtbegreifen bleibt immer und bliebe sicherlich auch bei mir, gipfelnd in der frage: ich war doch da, warum reichte das nicht für sie?

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danke für deinen kommentar. ist er hilfreich, fair und sachlich, wird er nach freischaltung veröffentlicht. kontextfreie, rassistische und sonstige arschloch-scheiße wird sofort gelöscht.