Montag, 15. Februar 2021

vom häuten der zwiebel

ich kann mich ausgezeichnet reflektieren und zerlegen wie ein puzzle. meine therapeuten waren allesamt erstaunt über meine kognitiv-analytischen fähigkeiten. keiner konnte mir als diagnostikerin das wasser reichen. keiner konnte mir etwas über mich selbst verraten, was ich nicht bereits wusste oder sogar besser wusste.

der clou ist jedoch, dass sich psychische erkrankungen auf der gefühlsebene abspielen. ich hatte ein paar bücher gelesen und filme gesehen, in denen von depressionen betroffenen menschen dank therapie erkannten: aha, deswegen bin ich also so! und schwupp, haben sie aufgehört, so zu denken - und noch mal schwupp, waren sie mehr oder minder geheilt, weil sie sich plötzlich oder auch nicht ganz so plötzlich wohler fühlten. 

FÜHLTEN ist dabei das stichwort.

ganz anders bei mir. meine gefühle sind mir ein mysterium. sehr oft weiß ich nicht, wie genau oder warum ich mich so fühle. ich kann sagen, möglicherweise sind a, b und c daran beteiligt. aber das ist geraten. drum herum gedacht. aber keineswegs glasklar erkannt. denn meine gefühle wabern undurchsichtig wie ein nebel vor sich hin und können sich so unangekündigt verziehen wie auftauchen.

die folge davon ist, dass ich gefühle kaum beeinflussen kann. am ehesten funktioniert es noch, indem ich meinen gefühlen schuldgefühle mache: guck mal, wie gut es dir geht: du bist nicht mehr arm, sondern kannst dir eine nette kleine wohnung und essen von rewe leisten! du hast einen freund, der dich bestimmt liebt, wenn du dir mal ein bisschen mühe dabei gibst, das zu erkennen! du hast einen job, der dir keine angst mehr macht! du hast auch ein paar menschen, die du magst und die dich mögen. und du hast sogar noch immer eltern und damit eine familie! 

also: WAS ZUR HÖLLE HEULST DU JETZT?!

grob könnte man meine gefühlswelt als riesige, alles fressende sehnsucht beschreiben. eine art heimweh, die keinen gegenstand hat. die echo einer enormen leere ist. ein schlund, in den ich ruhig reinsehen kann, denn er ist so dunkel, dass er jegliches grauen verbirgt.

wenn das stimmt, ließe das den kognitiven rückschluss zu, dass ich mir selbst absolut fremd bin.

tatsächlich spiegelt sich dieses mirfremdsein in meinem verhalten wider. wenn man mich fragt, was ich gerne machen würde, fällt mir oft nichts ein. nicht, dass ich keine ideen hätte. es sind sogar gute oder nützliche ideen! aber ich habe keine ahnung, welche mir GEFÄLLT. 

was sich gut ANFÜHLT.

im besten falle fühle ich mich verwirrt.

schließe ich mich mangels als gut empfundener ideen den aktivitäten anderer an, stelle ich oftmals fest, dass es mir überhaupt keinen spaß macht. aber du wolltest doch, heißt es dann enttäuscht. zu recht.

viele meiner verhaltensweisen sind merkwürdige resultate meiner nicht zugänglichen gefühle. passt der kopf nicht auf wie ein schießhund, werden sie schnell selbstzerstörerisch. 

also passt der kopf möglichst 24/7 auf. was dazu führt, dass der kopf seeeeeehr müde und überfordert wie so ein alleinerziehendes elternteil ist und sich nach nichts als nach ruhe sehnt. und wenn der erzierherkopf dann irgendwann doch mal erschöpft pennt, sind hass und selbsthass fix über den zaun und stürmen die bühne.

auf jeden fall hat der kopf so auch keine zeit und schon gar keine nerven für das basteln an einer mega-karriere oder das pflegen eines komplexen freundeskreises über mehrere städte hinweg oder gar für so ein ding der unmöglichkeit wie das zusammenleben mit dem partner (den man dann auch noch permanent maßregeln müsste, weil er einen sonst zu dingen drängen könnte, die man möglicherweise nicht möchte).

psychische erkrankungen sind also herber verzicht. der kopf stottert ohne unterbrechung wie eine fast leere schrott-batterie vor sich hin und fällt ab und an in unruhigen sekundenschlaf. talente bleiben ungenutzt, berufliche und gesellschaftliche erfolge stellen sich nicht ein. selbstredend die besten voraussetzungen für tief empfundene zufriedenheit.

werde ich noch mal eine sprache finden, um eine verbindung mit meiner gefühlswelt zu etablieren? oder bin ich dazu verdammt, dass sich mein kopf totrödelt wie andere menschen in einem 60-stunden-job?

die hoffnung stirbt zuletzt. aber sie stirbt.

p.s.: und wie gerne hätte ich das nun dem objekt erzählt und nach seiner sicht der dinge dazu gefragt. weil die allein-analysen sich anfühlen wie looping im über-ichschen hamsterrad.

10 Kommentare:

  1. "eine sprache finden, um eine verbindung mit meiner gefühlswelt zu etablieren" - das wäre die Aufgabe Ihrer Therapeuten gewesen! Meine Güte, verkopft an sich selber rumanalysieren, das können wir als gebildete Menschen doch auch alleine. Versuchen Sies doch mal mit ner anderen Therapieform: Bioenergetik, Schamanentum, Psychoanalyse - alles, bloß keine Gesprächstherapie.

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    1. das traurige ist, dass meine bisherigen therapien (analyse und verhaltenstherapie) tatsächlich immer bloß gequatsche waren. was habe ich die schnauze voll von diesen verständnisvoll lächelnden therapeuten, die alle nur sagen "jaaaaaa, hmmmmm, das verstehe ich. das kann ich gut nachvollziehen! es ist verständlich, dass es ihnen so und so geht!"

      ich habe meine psychiaterin gebeten, mir fähige kollegen zu empfehlen. sie sagt, sie kennt niemanden.

      ich habe jetzt schon an hynose gedacht (mein zahnarzt meint, ich müsse mich dringend entspannen, meine zähne seien nahezu weggeknirscht). vielleicht kommt man über diesen umweg an das unbewusste gefühlsgeschlinger ran.

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  2. Hallo Morphine,

    es berührt mich sehr was du da beschreibst.
    Manche Dinge die du beschreibst kenne ich so oder ähnlich.
    Ich sehe das auch wie damals - das Ganze verkopfte anschauen der Dinge hilft nur bedingt.
    Was fehlt ist der Zugang zu den Emotionen.
    Solange du die Emotionen außen vor lässt wird sich auch nichts ändern.
    Dieser Weg ist zugegebenermaßen meistens schmerzhaft - doch aus eigener Erfahrung - einmal eingeschlagen ist klar, dass es da entlang geht - immer dem Schmerz nach...
    Denn diese Verhaltensmuster die uns so prägen (positiv wie negativ) sind doch zumeist Erfahrungen, Erlebnisse oder Prägungen aus der Kindheit – und die fanden nun mal auf der Gefühlsebene statt.

    Ich kenne das auch so, dass sich das im Körper manifestiert, bei mir im Rücken (letztendlich um das Herz zu schützen) - du stehst wohl so unter Spannung dass du mit den Zähnen knirschst.
    Spannend finde ich dazu die Redewendung „mit den Zähnen knirschen“ – wann machen wir das?
    Damit ist, finde ich, schon alles gesagt.

    Wichtig finde ich zu lernen in den Körper hinein zu hören. Ich kenne da mittlerweile einige wohltuende Wege. Für den Anfang finde ich Yoga ganz gut, wirklich gute Erfahrungen habe ich mit BMA (Body Memory Awareness) gemacht, wenn dich das interessiert gebe ich dir gerne mal eine Adresse. Auch Kinesiologie finde ich da sehr hilfreich.
    Mir ist klar dass sich das am Anfang komisch anhört – doch aus eigener Erfahrung – so kommst du weiter.

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    1. ich steh halt nicht so auf heilpraktiker. ;-) da glaub ich dann nicht dran und dann hilfts auch nicht.

      also ein psychotherapeut sollte es dann schon sein, gerne mit irgendwelchen zusätzen, hypnose oder akupunktur oder feldenkrais oder whatever, was da mehr ins gefühlsleben eingreifen kann. ein bein auf dem boden der wissenschaft sollte die- oder der jenige aber schon haben.

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    2. Das verstehe ich sehr gut - Heilpraktiker sind auch nicht mein Ding :)

      Als ich zum ersten Mal mit sowas in Berührung geraten bin war meine Reaktion deiner sehr ähnlich.
      Voller Skepsis hab ich mich dann doch auf das eine oder andere eingelasssen - das Ergebnis hat mich dann letztendlich überzeugt.
      Wie das funktioniert?
      Keine Ahnung.
      Hat keine Nebenwirkungen, tut gut und fertig.
      So nach dem Motto vom ollen Helmut: wichtig ist was hinten raus kommt.

      Ein Beispiel:
      letztes Jahr musste ich sämtliche 16 Backenzähne sanieren lassen. Anschließend war der Biss völlig verschoben. Eine befreundete Kinesiologin hat mir eine Kieferbalance angeboten - als Weihnachtsgeschenk.
      Meine Reaktion bei der Behandlung war schon so nach dem Motto - was soll das jetzt bringen?
      Ich hab mittlerweile einen ganz angenehmen Biss und einen völlig entspannten Kiefer - seit Wochen....
      Für mich ist das einfach eine gute Ergänzung zur Schulmedizin, und bei einer Erkältung gehe ich immer noch zum Hausarzt und wenn die Schulter schmerzt darf es auch gerne mal ein Ibu sein.

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  3. Kopf und Gefühl im Einklang, bei mir fällt gerade ein Anteil lachend vom inneren Stuhl ;-) Anderes Krankheitsbild, dennoch sehr ähnlich. Mein erster Kontakt mit einem Psychiater brachte mir die Diagnose schizophrene Depression - der Arzt danach "die Diagnose müssen wir dringend wegbekommen, das läuft ihnen sonst immer nach". Ein paar Jahre später gab es dann PTBS, daraus machte dann die Fachkundschaft PTBS und der letzte, der behandelt und begutachtet hat, diagnostizierte dann die komplexe PTBS mit Anteilen. Das trifft es ganz gut und mit der letzten Therapie konnte ich die zumindest einen Teil zusammenfügen. Blöd, wenn ich nicht dran bleibe, kommen schnell die "alten" Muster wieder und es ist ein Kampf, wenn ich es nicht früh genug merke, wieder in die eigene "gesunde" Bahn zu kommen. Gesprächstherapie, Psychoanalyse und Mischungen daraus haben bei mir nix gebracht, EMDR dagegen sehr. Allerdings hatte ich wohl Glück mit dem Therapeuten, wenn auch nicht in allen Bereichen, aber das ist ein anderes Thema. Daher schau mal ob du ggf mit EMDR anfangen kannst.

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    1. manchmal beschleicht mich der verdacht, dass diagnostiziert wird, was entweder gerade an neuen diagnosen auf den markt kam - oder aber was die individuelle lieblingsdiagnose eines arztes ist. ;-) in ochsenzoll gab es einen psychiater, der hat alle frauen auf borderline und alle männer auf burnout diagnostiziert. später hab ich gehört, dass er selber burnout hatte.

      meine letzte therapeutin war diagnostisch gar nicht so doof. wenn die nicht unter so großem druck gestanden hätte, ihre privatleistungen an mich zu verschachern, wäre das wahrscheinlich nicht mal so schlecht gewesen.

      emdr macht hier ein arzt bei mir um die ecke. scheint aber auch eine privatleistung zu sein? klingt vom konzept her ganz interessant.

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    2. Nein ist keine Privatleistung. Ist als Therapieform anerkannt. Infos dazu findest du unter https://www.emdria.de/, da gibt es auch einen Therapeutenfinder.

      Vorsicht vor den "ich mach das nebenher Therapeuten und hab das im Wochenendseminar gelernt" ich weiß, aus eigener Erfahrung was eine Sitzung auslösen kann und das nicht nur seelisch sondern real körperlich. Ich war ohne mich zu bewegen, ohne zu sprechen nach verschiedenen Sitzungen klitschnass geschwitzt und fühlte mich als ob ich 40 km in einer Stunde gelaufen bin. Und das "nur" über die Konzentration auf ein "Problem" und die Augenbewegung.

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    3. danke dir!
      nein, ich gucke immer sehr genau auf die qualifikation. keine halben sachen mit der gesundheit...

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