das luxus-langzeit-ekg war eine einzige katastrophe. der kardiologe versucht es mit der doppelten, dann der dreifachen, nun der vierfachen medikamentenmenge.
"ich merke nichts", sagt der luxus-mann jedesmal auf meine frage, ob sich etwas verändert.
die angst reist also mit in die heimat, wo eine nachbarin meiner eltern im sterben liegt. sie ist 77. sieben jahre älter als meine eltern. die einschläge kommen näher, entsprechend ist die weihnachtsstimmung trübe.
während meine mutter nicht über den tod spricht (sonst kommt er nämlich!), thematisiert mein vater, was ihn bewegt - mit seinen sehr eigenen gedanken.
"das ist vor allem schlimm für ihren mann", findet er, als wir über die sterbenskranke reden.
"klar, übrigbleiben in dem hohen alter macht bestimmt keinen spaß", sage ich. "wenigstens hat er aber kinder und enkel."
"was er jetzt wohl isst", fragt sich mein vater, in dessen hobby- und soziallebenfreiem rentnerleben essen eine zentrale und ordnende rolle spielt.
"naja, muss er jetzt selber kochen", sage ich. "aber vielleicht kann er das ja. gibt ja viele männer, die das können." (mein vater nicht, daher kann er sich auch nicht vorstellen, dass andere kerle das drauf haben.)
"aber so mahlzeiten! das ist ja schon sehr kompliziert", meint mein vater.
"man kann ja klein anfangen. nudeln mit soße kriegt jeder idiot zustande, sogar ich", schmunzle ich.
"vielleicht hat man dann aber ja gar keine motivation dazu", rätselt mein vater.
"man kann auch mal eine zeitlang von brot und sowas leben", entgegne ich. "daran stirbt man nicht."
"aber das geht doch nicht", meint mein vater. "man muss doch einmal am tag was warmes essen!"
"dann kann man ja essen gehen oder bestellen, dann muss man nicht kochen."
"aber das schmeckt dann doch ganz anders als das, was man gewohnt ist!"
ich muss lachen:
"an gewohnheiten festhalten ist kein gute idee, wenn das leben eine kehrtwende macht."
in der tat mache ich mir mehr sorgen um meinen vater, wenn meine mutter zuerst stirbt, als um meine mutter, wenn mein vater vor ihr geht. meine mutter ist zwar wenig gebildet und hätte probleme mit behördenkram sowie technik, ist aber sonst sozial kompatibel, kreativ und praktisch begabt. sie würde sich das leben schon zurechtwursteln, bei bedarf mit meiner hilfe.
mein vater hingegen hat keine sekunde seines lebens alleine verbracht - 30 jahre lang hat seine mutter für ihn gesorgt, unmittelbar danach hat meine mutter diese rolle übernommen. er ist umständlich, begegnet jedem menschen und jeder sache mit einer mischung aus misstrauen und überheblichkeit und kämpft mit ausgeprägten ängsten. auf sein äußeres achtet nur meine mutter, er selbst hat sich allenfalls einmal socken gekauft. obwohl er alles andere als dumm ist, ist er unfassbar faul und setzt sich mit nichts auseinander, was neu, fremd oder auf den ersten blick nicht sofort durchschaubar ist. das darf ich ihm dann vorkauen, wobei er mir natürlich nicht glaubt. das macht es schwierig, langfristig ausgelegte oder komplexere dinge zu lösen, weil ich dann nicht sofort mit einem erfolg als beweis wedeln kann.
jeder besuch in der heimat ist inzwischen von der frage begleitet, wie oft ich noch hier sein werde. in meinem alten kinderzimmer schlafen, mit blick in den birnbaum, in dem sich sommers die stare tummeln, erwachen. kind sein dürfen für einige tage, umsorgt und verwöhnt werden.
es steht in den sternen. es liegt in händen, die wir nicht kennen und nicht greifen können.
es ist soweit, wenn es soweit ist. dann, so hoffe ich, kann ich den abschied ertragen.
Sterben ist eine blöde Erfindung.
AntwortenLöschenach, unsterblich sein wäre auch langweilig. stell man sich mal vor, man müsse UNENDLICH lang deswegen denselben doofen job machen. ;-)
Löschenich kann auch nicht kochen. ich bin einer der armen tropfe wie dein vater, die hilflos verhungern, sollte die frau zuerst gehen. gemein ist das.
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