Samstag, 7. Oktober 2023

soziale substanz

der mensch sei ein soziales wesen, hört man ständig. die meiste zeit bewegt er sich unter seinesgleiches, unweigerlich, oftmals in viel zu großer nähe - vor allem, wenn man in einer überfüllten großstadt wie hier in kackstadt lebt.

mein menschenekel ist allseits bekannt, unter männern auch mein "immenses freiheitsbedürfnis" alias alleinsein-bedürfnis, das sich zuverlässig einstellt, sobald ich in etwas beziehungsartigem ende. in der tat halte ich kontakte zu artgenossen in 99 % der fälle für überflüssig, allen voran berufliche. selbst wenn es karrieretechnisch nicht unnütz wäre, vermeide ich es, mehr als die unbedingt nötige lebenszeit mit jobscheiße und den ebenfalls darin gefangenen anderen kapitalismus-sklaven zu verschwenden. 

das bedeutet nicht, dass ich soziale kontakte komplett ablehne. in seltenen fällen begegnen mir menschen, die ich als angenehm empfinde. manchmal kommen sie sogar auf mich zu, was ich besonders beachtenswert finde - und wofür ich dem schicksal oder wem auch immer dann sehr dankbar bin.  

womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, als ich meine heimat verließ: wie schwierig es ist, diese kontakte zu halten. 

das liegt zum einen an der allgemeinen unverbindlichkeit der großstädter, zum anderen aber auch an mir. ich brauche eine gewisse intensität. intensität entsteht bei mir entweder durch ein geteiltes schicksal - wie es bei meiner freundin m. der fall ist, die ihre große liebe zu exakt demselben zeitpunkt ebenfalls durch einen motorrad-unfall verloren hat. wir sind verbunden, weil wir beide niemanden haben, der das trauma in dieser ähnlichkeit teilt, oder mit dem wir darüber sprechen könnten ohne die gefahr, zu langweilen - weil wir immer wieder darüber sprechen müssen, weil diese trauer schlichtweg nicht endlich ist.

in anderen fällen entsteht intensität durch eine art verbindendes interesse - und sei es die banale einsamkeit unter zugezogenen in einer nicht sehr freundlichen stadt. diese art der verbindung ist schwerer zu halten, weil die intensität abebbt, sobald der interesseauslösende faktor schwindet. beispielsweise, weil es plötzlich einen partner gibt, dem die gesamte aufmerksamkeit gewidmet wird, oder weil eine beziehungskrise überwunden ist. auch ein job- oder statdtteilwechsel kann eine solche art der freundschaft bereits (zer-)stören. einfach, weil die motivation, einander zu sehen, so gering wird, dass sie über eine distanz von mehr als zwei straßen oder die müdigkeit nach ein paar überstunden nicht mehr trägt.

ich spreche mit meiner neuen psychiaterin darüber, wie sehr ich einsamkeit suche und wie wenig ich sie aushalten kann. wie ich darunter leide, dass sich kontakte immer wieder zerfasern oder als nicht tragfähig erweisen. "ich habe 27 jahre in bayern gelebt und gearbeitet", erzählt mir meine psychiaterin. "wissen sie, warum ich nach hamburg zurückgegangen bin? weil ich in bayern keine echten freunde finden konnte. ich habe zwar - genau wie sie - immer viele menschen kennengelernt, sowohl im job als auch in meiner freizeit. aber es blieb einfach nichts von substanz. ich kann sie daher gut verstehen. und ich versichere ihnen, dass es nicht an ihrer so empfundenen eigenartigkeit oder fehlenden sozialen kompetenzen liegt."

wie immer wiegt das trennende für mich stärker als das verbindende. das führt dann dazu, dass ich selbst kontakte fallenlasse. abwenden, weitersuchen. 

ich bin mir darüber im klaren, dass ich für den rest meines lebens suchen werde. früher fand ich aufregend. heute macht es mich eher müde. ich laufe gefahr, mich komplett zurückzuziehen oder nur noch nichtmenschliche gesellschaft zu suchen. als ich letzte woche mal wieder woanders wohnte und drei entzückende katzen sittete, hätte ich nichts und niemanden sonst auf dieser welt gebraucht. ich vermied sogar besuche beim luxus-mann, um mehr zeit mit den fellnasen zu haben. mir ist bewusst, dass ich die schlichte abhängigkeit von haustieren von einem dosenöffner nicht unterschätzen darf. fakt ist jedoch, ich habe mich zu keinem zeitpunkt einsam, sondern durchgängig zutiefst verbunden, beruhigt und geerdet gefühlt. 

im alter - sofern ich je ein rentenalter erreiche - wird mein glück vermutlich stark davon abhängig sein, wo ich lebe. und wie ich wohne - und ob dieses wohnen und meine finanzielle situation wenigstens das halten von haustieren ermöglicht.

4 Kommentare:

  1. Ich habe "nur" meinen Mann, seit nun 45 Jahren, wofür ich sehr dankbar bin.
    Seit meinem 25. Lebenjahr habe ich keine Freunde mehr.
    Meine "Freunde" haben mich verraten und verleumdet, um sich auf meine Kosten zu profilieren.
    Ich habe keine Tränen mehr, nur Verachtung und die Distanz zu jeglicher Art zwischenmenschlicher Beziehungen.
    Man gewöhnt sich auch an Einsamkeit.

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    1. das klingt nach einer riesigen enttäuschung. das tut mir sehr leid, und das meine ich absolut ehrlich. sowas reißt wunden, die sich manchmal nie wieder schließen.
      als mich eine "freundin" einmal sehr hintergangen hatte, konnte ich lange keine frauen als freunde mehr akzeptieren. es hat 5-6 jahre gedauert, bis ich mich wieder langsam herangetastet habe. der zufall hat mir dabei sehr geholfen - es zog eine junge frau in das haus, in dem ich damals wohnte. mit ihrer großen tierliebe und ihrer unbefangenen herzlichkeit hat sie sich durch meinen panzer der abwehr gegraben.
      einsamkeit ist ja am ende tatsächlich etwas sehr subjektives. insgesamt bin ich aber auch sehr viel lieber zufrieden allein als einsam unter vielen, mit denen ich keine echte verbindung habe. der wahrgenommene unterschied zu den anderen macht einsamkeit erst schlimm.

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