Freitag, 17. Dezember 2021

das system hartz IV und wie der kapitalismus es nährt

der aufschrei war groß: politiker genehmigen sich mehr diäten, hartzer gehen leer aus. das ist ungerecht, scheint es.

auf den ersten blick. auf den zweiten muss man sagen: diäten und hartz IV sind zwei völlig unterschiedliche themen ohne kausalen bezug. hartzer gehen nicht deshalb leer aus, weil politiker mehr kohle wollen. es ist also ein populistisch konstruierter kontext.

aber es gibt doch einen versteckten zusammenhang, und der heißt kapitalismus.

in einer kapitalistischen gesellschaft ist nur ein leistungsfähiger mensch gut. dumme, faule, kranke, alte und weitere "assis" gehören nicht dazu. und wir wollen sie auch gar nicht unserer feinen kapitalistengesellschaft!

hartz IV ist nicht geschaffen worden, um die gesellschaft zusammenzuhalten und teilhabe zu ermöglichen. hartz IV ist dazu da, um abzuschrecken und zu spalten. hier, menschen, seht, was passiert, wenn ihr dem kapitalismus nicht huldigt: ein bettler werdet ihr! also reißt euch gefälligst den arsch auf, ihr sklaven, wenn ihr nicht auch noch betteln wollt!

man braucht hartzer also. sie werden am leben gehalten, sie sollen sich auch bitte unter uns bewegen, um ihren sinn zu erfüllen: als unsere gehassten schmarotzer, die nichts beitragen, oder als diejenigen, die zu dumm sind, um einen job zu ergreifen. sie sind die clowns im zirkus von "hartz und herzlich", wo sich der erhabene spießbürger gleichermaßen mitfühlend erleben und echauffieren kann.

sollte man also die hartz IV-sätze erhöhen? sagen wir mal, so um 100 €? wer hätte vorteile davon?

für den hartzer bedeutet es natürlich weniger sorge und mehr genuss, aber keine chance auf ein nachhaltig signifikant besseres leben (schöner wohnen in einer besseren gegend bspw.). aber er ist zufrieden, weil er die ungerechtigkeit des systems weniger spürt. er spielt seine rolle als clown der gesellschaft weiter brav mit und tut sich sinnlose "weiterbildungen" und anderen scheiß an.

was sinken würde, wäre die motivation, einen niedrig bezahlten job anzunehmen. wer die wohnung bezahlt bekommt und 500 € zur verfügung hat, hat gerade mal rund 300 € weniger auf der hand als jemand, der beim neuen mindestlohn von 12 € die stunde vollzeit arbeitet. ohne eine erhöhung des mindestlohns auf 12 € beträgt die differenz gerade mal 150 €.

besser für die motivation arbeitsloser hartzer und natürlich auch für arbeitnehmergerechtigkeit wären also eher 14-15 € mindestlohn. 

aber nur scheinbar.

auf jeden fall gäbe es einen großen aufschrei in der wirtschaft. bezahlt man jedem unqualifizierten hilfsarbeiter solche summen, will auch der ausgebildete facharbeiter mehr geld. hilfe, eine gefährliche lohnspirale! das können wir uns nicht leisten! setzt der chef jedoch nicht auch die gehälter aller facharbeiter hinauf, käme es zu massiven spannungen in den teams. weil die löhne dann - gemessen an der qualifikation - sehr oft ungerecht wären. die produktivität würde wahrscheinlich sinken.

den zweifelsfrei größten vorteil von einer hartz-IV-erhöhung hat das system hartz IV selbst: es legitimiert sich dadurch und trägt zu seinem fortbestehen bei. ergo: ziel erreicht! weiter so! der hartzer ist zufrieden, die wirtschaftsbosse sind glücklich und auch die politik muss keinen finger rühren.

wer sich also über hartz IV aufregt, muss auch out of the box denken. abrissbirne statt herumprökelei an einer ruine, bei der schon das fundament falsch gelegt wurde.

was würde ich - wohlgemerkt als laie, die natürlich nicht alle zusammenhänge voll überblickt! - anders machen, um hartz IV möglichst obsolet zu machen?

- kostenfreie kitas und kostenfreie bildung, und zwar in gut ausgestatteten ganztagskitas und ganztagsschulen, um kinder aus sozial schwachen familien besser zu fördern. dafür wird das kindergeld für reiche abgeschafft, für andere gesenkt.

- statt geld bekommen hartzer gutscheine für essen, drogerieartikel usw., um missbrauch zu vermeiden. diese gutscheine können personalisiert und angepasst werden, wenn bspw. erkrankungen vorliegen. ausgezahlt wird nur noch ein kleines taschengeld.

- alte, kranke und behinderte menschen, die nie wieder arbeiten können werden, erhalten eine rente statt sozialleistungen, um sie nicht zu stigmatisieren oder mit sanktionen zu drangsalieren. 

außerdem:

- anpassung der steuerprogression nach unten, erhöhung des steuerfreibetrags

- erhöhung des spitzensteuersatzes auf 75 %

- einführung einer vermögenssteuer

- absenken der verdienstgrenze bei minijobs auf 250 €

- anpassung des bafögsatzes an den mietenspiegel der jeweiligen universitätsstädte

- senken der unternehmenssteuern für betriebe, die sich messbar sozial und ökologisch engagieren

- erhöhung der strafzahlungen auf steuerhinterziehung inkl. aussetzen der verjährung

- erneute verstaatlichung von krankenhäusern und pflegeeinrichtungen

meine utopie wird selbstverständlich niemals wirklichkeit werden. gut so, denkt manch einer jetzt sicherlich.

trotzdem schade, dass auch unsere neue regierung nichts ändern will und wird. alles, worauf man derzeit noch hoffen kann, ist - hoffentlich straffreies - bekifftes daseinsfristen.

3 Kommentare:

  1. In dem Kontext klingt straffreies Kiffen auch nur nach Opium fürs Volk.

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    1. auch das wahlverprechen war schon opium fürs volk. ich bezweile noch immer, dass es ernst gemeint war bzw. dass die regierung eine unbürokratische regelung finden wird, von der nicht nur vereinzelte personen mit ganz bestimmten voraussetzungen profitieren.

      ohne radikalität kein aufbruch - das ist klar. die kleinen schönheitsoperationen, die die ampel sich bislang vorgenommen und in den letzten wochen noch mal weichgespült hat, sorgen nur für ein weiteres "weiter so".

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  2. Moin, moin,

    das Thema ALG2 oder früher BSHG und soziale Gerechtigkeit ist hier sicher nicht zu lösen.
    Natürlich dienen diese Versorgungen dazu, den inneren Frieden zu sichern. Da haben die Macher/innen den Marx gelesen und gedacht, die Verelendung stoppen wir dann doch mal lieber. Dazu gehört dann auch Kranken und Rentenversicherung.
    Grundsätzlich ist gegen das Leistungsprinzip wenig einzuwenden. Dabei muss natürlich auch gewährleistet sein, dass die Transfereinkommen ein ordentliches Leben in der Gesellschaft ermöglichen.
    WAs ist das? Muss das ein Auto sein, ein E-Bike, 1xjährlich Malle? Das Skykomplettpaket? Netflix?
    In Sachen Kitakosten und Bildungsangebote hast du völlig Recht. Aber auch dort werden bildungsferne Kreise auch durch Ganztagsbetreuung nicht so gefördert, wie Kinder mit anderem familiären Hintergrund.
    Gutscheine statt Bargeld sind auf keinen Fall eine Lösung. Da wird die Freiheit der HE unmenschlich beschnitten. Dann sollen die eben saufen oder Rauchen. Ihre Entscheidung!
    Das Thema würde sicherlich noch 3 Semester Hauptseminar füllen, ohne eine optimale Lösung zu finden. Ein Freund(selbstständiger Hotelier) und ich haben einmal Bierseelig eine absolut optimale Systematik entwickelt. Haben wir aber leider nicht notiert, und am Morgen war die Erinnerung flöten.
    Gruß Frank

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