notaufnahme. schmerzen aus der hölle und fehlende schmerzmittel bringen mich sechs stunden nach entlassung ins nächste krankenhaus.
schwarze schmale liege, kalter fensterloser raum in orange und gelb.
der tropft tropft. sanfte opiat-tränchen wandern tröstend durch den plastikschlauch in meine vene. ein weicher nebel in kopf und körper, auf dem ich mich ausstrecken und wegdämmern darf.
bis neben mir jemand erbärmlich schluchzt.
die schluchzer kommen hinter einer trennwand hervor, die oben offen ist.
"bitte! bitte!" ruft es nun. an der stimme erkenne ich eine alte frau.
ich setze mich mühsam auf, zitternd vor kälte und benebelt vom tropf.
"bitte! bitte! hallo!"
die alte frau scheint hilfe zu benötigen.
ich strenge meinen betäubten kopf an und rufe:
"wenn sie hilfe brauchen, müssen sie den orangenen knopf drücken! den mit dem schwestern-symbol! dann kommt jemand."
die stimme verstummt, dann wieder leises schluchzen.
hat die omi kapiert, was ich gesagt habe? oder ist sie vielleicht dement und verwirrt?
ich lausche ins halbdunkel.
"bitte! bitte! kommen sie doch mal!" tönt die stimme nach einer weile.
offenbar hat es nicht funktioniert. was nun?
"bitte! ich muss mal! ganz dringend!" ruft die omi wieder.
ich fackle nicht mehr länger, sondern drücke den knopf.
eine blonde schwester kommt herein, ein bisschen mürrisch.
"was ist denn?"
"entschuldigung, nebenan ruft immerzu eine alte dame, dass sie ganz dringend zur toilette muss. können sie mal nachsehen? übrigens müsste ich auch mal, sie können mir also auch eine pfanne bringen."
die schwester tappt wie ein roboter vondannen.
ich höre es nebenan rumpeln und klirren. wortfetzen, das plätschern in der bettpfanne, dann scheint die omi beruhigt zu sein.
ich strecke mich wieder aus und hoffe meinerseits, dass ich mich nicht anpinkeln muss.
"hallo? hallo? hiiiiilfe!" rufe es gleich darauf schon wieder.
"kommen sie bitte! kommen sie doch mal!"
das mit der omi und der klingel klappt nicht. bestimmt ist sie verwirrt oder vielleicht auch einfach nur allein und verängstigt.
das rufen steigert sich in lautes wimmern.
"hilfe! hilfe! hilfe! aua!"
es geht mir nah.
ich liege seit sieben stunden auf einer harten pritsche, gefesselt durch infusionsschläuche, regelmäßiges piepen um mich herum, und ansonsten ein schauriges halbdunkel.
ich versuche, mich auf schritte und stimmen im flur zu konzentrieren. vielleicht kommt ja doch mal ein arzt und sieht nach der alten dame oder auch nach mir.
die omi nebenan weint und ruft weiterhin pausenlos "hallo" und "hilfe".
ich halte mir die ohren zu.
nach einer weile bin ich kurz davor, auf die liege zu pinkeln, also drücke ich den knopf erneut.
die mürrische schwester reißt die tür auf:
"was klingeln sie denn schon wieder?! klingeln sie für sich oder für die dame nebenan?"
"ich hatte vorhin gesagt, ich muss auch mal."
die schwester bringt stumm die pfanne.
"hilfe! hilfe!" tönt es wieder hinter der wand hervor.
"ich glaube, die alte dame sitzt seit einer halben stunde auf ihrer bettpfanne. deshalb ruft sie wahrscheinlich. sie scheint nicht zu verstehen, dass sie den knopf drücken muss", wage ich anzumerken.
die schwester verschwindet wortlos. ich höre, wie nebenan die tür aufgeht.
"so, sind sie fertig?"
"ja... aber es ist was daneben gegangen. es tut mir so leid, wenn ich ihnen ärger mache", sagt die alte dame weinend.
kein wunder, denke ich, wenn man eine halbe stunde auf einer bettpfanne balanciert.
die schwester sagt nichts. es klirrt und scheppert, offenbar leert sie die bettpfanne.
dann wird die tür geschlossen.
minuten der ruhe. mein tropf ist leer, die bettpfanne voll. ich stelle die pfanne vorsichtig auf den boden.
mein magen knurrt, mir ist schwindlig.
versuch noch etwas zu schlafen, sage ich mir. denn im schlaf merkt man den hunger und die kälte nicht.
kaum döse ich weg, dringt wieder rufen durch die wand:
"hallo! hallo! hilfe!"
wahrscheinlich hat die oma vor allem angst, so allein in diesem fremden gruseligen raum. am liebsten würde ich hinüberkriechen, ihre hand in meine nehmen und alles weniger schrecklich machen.
"es ist alles gut, sie sind nicht allein", sage ich durch die wand.
"kommen sie doch mal bitte!" wimmert die omi.
"das geht nicht, ich bin selber patientin, ich kann nicht aufstehen. der arzt kommt bestimmt bald."
minuten der ruhe.
ich bin ein bisschen sauer auf die omi, denn sie hat meinen schlaf verscheucht und den hunger so schlimmer gemacht.
außerdem ist mir klapperkalt. der raum ist so eisig wie sein ambiente. hier gibt es nichts, woran sich das auge festhalten kann. keine weichheit, keine geborgenheit. nur sterilität und einsamkeit.
ich klingle erneut.
gottseidank kommt nicht die mürrische schwester, sondern ein junger pfleger herein. er sieht mich sehr freundlich an, sodass es mir leichter fällt, meine bitte zu formulieren:
"haben sie vielleicht eine decke für mich? mir ist sehr kalt. und ich bin ziemlich unterzuckert, glaube ich."
"oh!" sagt er. "na klar."
er holt eine op-decke aus einem fach und breitet sie über mich.
"ich nehm die mal mit", sagt er mit blick auf die volle bettpfanne.
"oh ja", sage ich. "die soll hier nicht rumstehen, das ist eklig."
"ich komme gleich wieder!"
ich bete, dass er wort hält. das mit dem wiederkommen hatte der arzt vor siebenkommafünf stunden auch gesagt.
trotzdem, die decke ist gold. ich ziehe sie bis zum kinn und das zittern legt sich ein wenig.
der pfleger kommt tatsächlich wieder, in einer hand eine flasche wasser, in der anderen medikamente.
"ich soll ihnen das hier bringen. das ist noch mal was gegen die schmerzen."
wasser tut dringend not. mein mund ist verklebt und staubtrocken, der kreislauf im sparmodus.
"wissen sie, wann der arzt kommt?" frage ich dann. "theoretisch kann ich ja entlassen werden, das mit den schmerzen geht jetzt so."
"in einer stunde, denke ich", antwortet der pfleger. "schlummern sie ruhig noch ein bisschen."
und bevor ich nach etwas zu essen fragen kann, ist er wieder draußen.
nebenan wimmert die omi nur noch. das rufen scheint sich aufgegeben zu haben.
dann tut sich etwas. ich höre, wie nebenan die tür geöffnet wird.
"na wie geht es ihnen?" höre ich eine männliche stimme. "sie sind gestern gestürzt, stimmt das?"
"jaaaa", stöhnt die omi.
"und sie sind auf den kopf gefallen dabei?"
"jaaa... das tut so weh!"
"dann machen wir jetzt erstmal ein ct."
offenbar schickt sich arzt zum gehen an, denn die omi ruft: "bitte bitte gehen sie nicht weg!"
"es geht ja gleich weiter", sagt der arzt genervt.
"wissen sie.... meine kinder kommen nicht mehr... ich bin ganz allein... ich will endlich sterben", schluchzt die omi.
"das wird schon wieder", sagt der arzt belanglos und gehetzt.
"lassen sie mich doch bitte gehen. ich möchte wirklich nicht mehr leben", bettelt die omi.
ich höre, wie die tür ins schloss fällt. der arzt ist gegangen.
die omi weint haltlos.
mein herz springt. die situation der omi kommt mir vor wie eine zeitmaschine meines eigenen schicksals. genau so könnte es mir eines tages auch ergehen.
der gedanke ist unerträglich.
nicht, weil krankheit und sterben unerträglich wären, sie sind nur ein teil des lebens. sondern weil wir in einem system leben, das gnadenlos auf reinen profit ausgerichtet ist. es macht aus krankheit und tod grauenvolle monster und die angst davor riesengroß. gleichzeitig verweigert es denen, die einfach nur sterben möchten, jegliche hilfe.
also drücke ich die klingel und sage der fremden schwester, die hereinkommt:
"ich entlasse mich jetzt selbst."
sie ist nicht begeistert, aber mein wille zählt.
noch.
ich bete, dass ich den zeitpunkt für die entlassung aus dem leben rechtzeitig spüre. und dann selbst hand anlegen kann.
Oh mein Gott, da wird einem das Herz ganz schwer…
AntwortenLöschenSchlimm wenn man diesem System so ausgeliefert ist…
Wünsche Ihnen eine baldige und gute Besserung.
danke schön. :-)
Löschenich muss immer noch an die omi denken.
Es bleibt gruselig.
AntwortenLöschenin der tat.
Löscheneinfach nur furchtbar :(
AntwortenLöschensind heutzutage alle krankenhaeuser so, oder war das einfach pech?
ich fürchte, ja. meine mama ist privatpatientin, die hat auch jetzt kürzlich bei ihrer knieprothesen-op auch sehr viel erlebt, was sie nicht begreifen kann.
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