Sonntag, 4. November 2018

ausflug in die hölle oder die geschichte vom bösen zahntan

wie immer, wenn es eigentlich rund läuft, wagt mr. murphy eine erneute attacke auf mein fragiles ich.

normalerweise muss ich mir um meine zähne keine sorgen machen. die sind in der regel sehr gesund, darüber hinaus werden sie exzellent gepflegt. nur ein backenzahn stellt sich an. nennen wir ihn mal das sorgenkind.

das sorgenkind hatte bereits vor etwa 6 jahren eine wurzelbehandlung einschließlich krone bekommen und schien sich danach in stabiler seitenlage zu befinden. am ende der sich über viele wochen ziehenden behandlung war jedenfalls gefühlt alles gut.

bis letzte woche.

alles fing ganz harmlos an: ich bekam schnupfen. am zweiten schnupfentag begann meine rechte untere kieferhälfte zu ziepen, doch das schrieb ich der erkältung zu. ungefähr 12 stunden lang. dann, in der nacht von freitag auf samstag öffnete die hölle in meinem unterkiefer ihre pforten: zahntan war erwacht.

als chronische schmerzpatientin bin ich ja um eine pharmazeutische antwort nicht verlegen. da dr. google sagte, ibu + zahnschmerz = supi, warf ich eine ein. 10 minuten, 15 minuten, auch eine halbe stunde später: keine wirkung. also noch eine ibu. gewartet, nix. ich war perplex und nahm noch diclofenac hinterher, weil das stärker antiinflammatorisch wirkt. der schmerz ging nun zwar nicht weg, war aber nicht mehr so intensiv und ich konnte etwas schlummern.

samstagmorgen war alles noch schlimmer. die ganze wange puckerte und jemand schien mir permanent glühende nadeln zwischen rechte schulter und hinterkopf zu treiben. egal ob sitzend, stehend, liegend oder gehend, zahntan ließ sich in keiner lage dazu überreden, ruhe zu geben. ich zögerte nicht lange und rannte zum notdiensthabenden zexorzisten.

der war eine ganz coole ärztin, die mir dann freundlich, aber unmissverständlich klar machte, dass es keine hilfe für mich gab, weil man bei einem bereits wurzelgefüllten zahn wie dem sorgenkind keine weitere wurzelbehandlung so einfach machen kann.
ich wand mich vor schmerzen und flehte und bettelte, während zahntan meine rechte gesichtshälfte gefühlt dämonenwaberartig ausstülpte.
eine wochen penicillin, sagte die ärztin.
"un wann wia das bessa?" nuschelte ich verzweifelt.
"morgen sollte sie schon etwas linderung spüren."

großartige aussichten. aber was solls.

ich fuhr richtung luxus-mann, weil dort eine apotheke war, die samstagabend noch geöffnet hat, besorgte das medikament und warf die erste pille ein.

"kannst du denn überhaupt nachher mit auf party?" fragte der luxus-mann angesichts meiner sehr geknickten wenigkeit.
"weiß nich", sagte ich."vielleicht, wenn ich noch ganz viel voltaren nehme?"
"wie viel darf man denn davon nehmen?" argwöhnte der luxus-mann. "du schmeißt doch hier gefühlt alle stunde was ein."

gute frage. das wusste ich gar nicht so genau. also schaute ich im internet nach und stellte entsetzt fest, dass ich bereits mehr als die tageshöchstdosis eingenommen hatte. dabei war es erst 19 uhr. mehr, so hieß es bei meiner quelle, könne zu einer vergiftung führen.

zahntan war das wuscht. der wütete und steigerte sich von stunde zu stunde in seiner macht. reden, schlucken und sogar atmen (wie fies kann bitte ein nasenloch wehtun?!) fielen mir immer schwerer. irgendwann legte ich mich wimmernd zu bett und machte dem luxus-mann klar, dass ich zuhause bleiben und sterben würde.

die nacht war ohne eine sekunde schlaf. wann hilft das bekackte antibiotikum endlich, fragte ich mich immer wieder. das netz gab unterschiedliche informationen dazu. ganz egal, ich brauchte dringend noch ein schmerzmittel, und zwar was starkes.

als der luxus-mann von der party nachhause kam, fragte ich ihn:
"haschu noch ne tramaaa von mia?"
da der luxus-mann selber ab und an rücken hat, hatte ich ihm mal ein paar tramal von mir mitgebracht. als pillenskeptiker hatte der luxus-mann die garantiert nicht geschluckt, sondern irgendwo gebunkert.
tatsächlich hatte er noch zwei tabletten in seiner badetasche. allerdings waren die seit letztem jahr abgelaufen.
"ejaaaaa, ich nehm di jez", beschloss ich.
"nee, komm, am ende bringst du dich aus versehen um", nahm mir der luxus-mann die pillen wieder weg. "du hast eh schon so viel zeug intus."
ich war zu schwach für langes kämpfen und ging wieder zu bett.

am nächsten morgen war ich in aller hergottsfrühe auf den beinen, weil ich nachhause zu meinen tramalvorräten wollte. meine knie wackelten, der kopf dröhnte. zahntan hatte noch mal ordentlich feuerholz ins fegefeuer nachgelegt, um meine seele besser grillen zu können.

in der bahn wurde mir schwindelig und schlecht. ich hatte angst, in ohnmacht zu fallen, gleichzeitig wäre ich für eine ohnmacht sehr dankbar gewesen. zittrig und schwach wie eine alte omma schleppte ich mich die letzten meter nachhause, wo mein tramal auf mich wartete.

ich nahm eine tablette und wartete auf die göttliche erleichterung.
sie blieb aus. die schmerzen wurden etwas weniger intensiv, mehr nicht.
noch mehr tramal.
irgendwann befand ich mich in einem schwebenden zustand, recht entspannt. die schmerzen waren dennoch da, traten aber aufgrund der allgemeinen totalen relaxtheit etwas in den hintergrund.

abgesehen von den momenten, in denen ich aufstehen musste, um mein penicillin einzunehmen, tramal nachzulegen oder auf klo zu gehen, verließ ich das bett in den nächsten 72 stunden kaum. ich fragte mich ab und an, ob ich nicht etwas essen sollte, aber kaum war der gedanken zu ende gedacht, verschwand er in einer neuen schmerzwelle und dem alles überragenden bedürfnis, einfach weiter vor sich hinzudämmern.

an tag 4 war es soweit. ich stand für eine stunde auf und versuchte, etwas fernzusehen. spaßeshalber stieg ich auf die waage. ich hatte 3 kilo verloren.

seit gestern bin ich der hoffnungsvollen meinung, dass zahntan eventuell ausgetrieben werden könnte. mein allgemeinzustand ist gut (bis auf schreckliche müdigkeit, kopfschmerz und antibiotikumbedingten durchmarsch), der zahn kann ganz vorsichtig wieder kauen (wissen sie, wie umwerfend toastbrot nach einer woche flüssignahrung schmeckt?!) und die backe ist kaum mehr geschwollen. nur die nerven im gesicht prickeln und pieken noch.

der zexorzist hatte mir allerdings klargemacht, dass zahntan nur dann weichen würde, wenn er eine wurzelspitzenresektion durchführt oder den zahn ganz zieht. die wurzelspitzenresektion ist der favorit meines zexorzisten, allerdings hat die nur 70-80% erfolgschancen. da mir klar war, dass zahntan mich beim nächstbesten mal wieder ganz tief in den unterkiefer ficken würde, beharre ich auf einer zahnentfernung. scheiß aufs geld.

wie der zufall es so will, muss ich nun aber erstmal noch mit meinem desolaten zahn auf ärztekongress fahren. entweder ohne antibiotikum (die therapie läuft offiziell morgen aus), was mir ersparen würde, dass ich mich auf offener bühne einscheiße, oder aber mit, falls der zexorzist meint, dass das nötig sei.

wie auch immer, drücken sie mir die daumen. und zehen. und zahnwurzeln.
danke.





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