Sonntag, 24. August 2025

bis 2035

dieses blog entstand vor über 20 jahren aus einer mischung aus liebeskummer und studentischer langeweile. den gegenstand besagten damaligen liebeskummers gibt es allerdings immer noch in meinem leben. wie durch ein wunder hat der kontakt auch ohne eine telefonnummer oder räumliche nähe dem klapprigen gebiss der zeit standgehalten. 

unsere wiedersehen sind immer selten und schwierig zu arrangieren. ich bin zwar ab und an in n, er nur selten in hh. bin ich in n, ist er meist beruflich unterwegs oder von seiner familie in beschlag genommen. so kam es, dass seit unserem letzten live-treffen ganze zehn jahre ins land zogen. aber diesmal ist uns das schicksal gewogen.

wir verabreden uns an meinem lieblingsort, einem fleckchen herrlichster natur und abgeschiedenheit. ich bin tatsächlich etwas aufgeregt: ob wir uns vielleicht doch fremd geworden sein könnten? 

als er kommt, bin ich überrascht, wie unverändert er ist. ein bisschen grauer, die haare noch etwas länger, aber sonst ist alles vertraut an ihm. es scheint ihm ähnlich zu gehen, er fragt: "wird du eigentlich jemals älter?" und fügt dann hinzu: "naja, innerlich wahrscheinlich", und ich muss grinsen und verkneife mir einen schlüpfrigen spruch über die straffheit weiblicher eingeweide. 

er weiß, warum ich diesmal in n bin und fragt danach. ich erzähle also von der aktuellen situation mit meinem vater, dann von der nicht enden wollenden arbeitslosigkeit und von meinem verrückten nachbarn. doch auch bei ihm hat die härte des lebens zugeschlagen - seine frau ist schwer erkrankt, der sohn psychisch beeinträchtigt, seine firma nach schwierigen jahren voller ups und downs nun doch am ende. aktuell kämpfe er um eine anständige abfindung für seine verbliebenen mitarbeiter, erzählt er, wofür er sich gegen mitinhaber durchsetzen muss, die keinen cent mehr an angestellte verschwenden wollen. "ich wundere mich die ganze zeit, dass ich nicht durchdrehe", sagt er über seine seelische gesamtlast. "aber irgendwie halte ich das aus."

anders als ich ist er in der glücklichen situation, nicht über armut klagen zu müssen. geld ist zwar nicht alles, doch in seiner lage eine große hilfe. seinem sohn ermöglicht er so alles - therapien, reisen, kulturelle erlebnisse. anders als die objekt-mama wird er sich nie vorwerfen müssen, etwas aus finanziellen gründen unversucht gelassen zu haben. 

was ihn vermutlich ebenfalls aufrecht hält, ist seine offenheit, die lust am sich-treiben-lassen und am abwegigen. nur so erkläre ich mir, dass treffen wie dieses möglich sind. hier sind wir uns sehr ähnlich. sogar räumlich ist dieser gemeinsame innere kompass greifbar: nach kurzer zeit wandern wir jenseits der schotterwege feldeinwärts durchs naturschutzgebiet und picknicken dann auf einer großen ebene. ich muss unwillkürlich an den luxus-mann denken, der an dieser stelle nicht nur naturschutzrechtliche bedenken geäußert, sondern auch über potenzielle mücken oder schafskot lamentiert und sich einer solchen aktion deshalb komplett verweigert hätte.

wir trinken sekt und reden oder schweigen dann und wann ein weilchen gemeinsam, um den blick frei schweifen zu lassen, während sich die sonne langsam dem horizont nähert. "es ist wirklich wahnsinnig schön hier", sagt er. auch ich fühle mich nah und wohl, wie auf einer sonnendurchfluteten kleinen insel, auf der ich mich kurz ausruhen darf, bevor ich wieder in ein kaltes, dunkles meer voller gefahren abtauchen und um mein leben schwimmen muss. 

irgendwann, bevor es ganz dunkel wird, machen wir uns auf den rückweg. wir laufen einmal am kleinen see entlang, dann querbeet durch wald und über mit hohem gras und wildblumen bedeckte hügel. im dickicht scheuchen wir ein reh auf, doch sonst sind wir vollkommen alleine.

als wir später an seinem auto stehen, um uns zu verabschieden, bettelt etwas in mir: noch mal, noch mal! 

"dann bis 2035", sage ich fürchtlich vernünftig. "in zehn jahren treffen wir uns hoffentlich wieder."
"vielleicht können wir das auf fünf begrenzen", sagt er, "sonst kann ich nicht für das gleichbleiben meines optischen zustands garantieren."
"ein jahr", sage ich. "ein jahr wäre das beste. das würde mich glücklich machen."

dann ziehen wir unserer wege, unseren umlaufbahnen und der schwerkraft der umstände treu bleibend. 

zuhause im bett will mein 24-jähriges ich wissen, warum ich eigentlich nie wirklich mit menschen zusammen komme, die mir entsprechen und die mir tatsächlich ähnlich sind - so wie er oder auch wie das objekt. in der tat wähle ich stets einen ähnlichen typus für beziehungen: streng, rigide, nüchtern bis zur fantasielosigkeit. bestimmend in eine richtung, die ich sehr oft NICHT bin. wozu mache ich das, frage ich mich, brauche ich dieses gegengewicht möglicherweise? habe ich das gefühl, so falsch zu sein, dass es besser ist, sich dem andersartigen anpassen? würde ich mich mit jemanden, der ähnlich offen und grenzüberschreitend veranlagt ist, tatsächlich verlieren oder doch eher finden? 

vielleicht habe ich doch eines tages den mut, es herauszufinden. man sollte ja nicht dumm sterben, oder?



4 Kommentare:

  1. Ich denke tatsächlich, dass dir diese Charakterzüge beim Partner etwas geben, das vielleicht wichtiger oder fundamentaler ist als deine Sehnsucht nach dieser anderen Art der Verbindung. Und auch: Man muss ja nicht alles beim Partner finden/bekommen?

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    1. absolut nicht. aber doch das wesentliche. und was mir wesen-tlich ist, darüber bin ich mir unsicher. mein verdacht ist, dass ich mich für eigenschaften entscheide, die denen meines vaters entsprechen. das ist vertraut und fühlt sich sicher an, muss mir aber nicht gut tun.
      zwischen meinem vater und dem luxus-mann bspw gibt es sehr viele parallelen: das beamtenhaft penible, strenge, aber auch das diplomatische. das ehrliche, aber auch oft unempathisch-knallharte. das geradlinige, aber auch das eingefahrene und fantasielose. das misstrauen, die zurückhaltung und das pessimistische, aber auch das tiefe.
      ich glaube, indem ich mich für das vertraute entscheide, umgehe ich das ungewiss: dass mich jemand anderes ganz anders lieben könnte: stürmisch-kraftvoll, offen, fantasievoll, mutig, großzügig, befreit.
      und dass genau das eine wertvolle erfahrung sein könnte.
      wenn ich mir jemanden backen könnte, würde ich wahrscheinlich eine schnittmenge aus allem wählen. ohne anspruch auf vollständigkeit natürlich. ;-)

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  2. Das klingt nach einer schönen und bereichernden Begegnung. Vielleicht sollten Sie sich in Zukunft wirklich jährlich treffen. Ähnliches habe ich selbst mir in einem anderen Kontext vorgenommen. Alles Gute!

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