der luxus-mann ruft mich an, um seinen alptraum der letzten nacht zum besten zu geben:
"mein schwager und meine schwester hatten uns eingeladen. wir waren beide gerade noch in meiner wohnung, zogen jacken und schuhe an und wollten los. aber aus irgendwelchen gründen musste ich noch schnell zum arzt. wahrscheinlich, weil ich in letzter zeit ja ständig zu ärzten renne.
also machte ich mich auf den weg. und da fing es an - eine art rapider geistiger verfall. ich wusste erst nicht mehr, wo mein fahrrad steht und wo lang es zum arzt geht. dann wusste ich nicht mehr, wo ich selbst gerade bin. irgendwann war ich scheinbar in lübeck, hatte aber keine ahnung, wie ich da hingekommen war. ich hätte wirklich nicht sagen können, bin ich gelaufen, oder mit dem auto oder der bahn gefahren?
ich hatte das überwältigende gefühl, keinerlei kontrolle mehr zu haben. über nichts - auch über meine eigenen gedanken nicht. ich rannte wirr durch die gegend und konnte mich weder orientieren noch irgendeinen vernünftigen plan fassen - wie beispielsweise jemanden nach dem weg zu fragen. es wurde immer später und ich wusste nicht ein noch aus. als es schon dämmerte, lief ich endlos eine art landstraße entlang. irgendwann kam ich dann zu einem getreidefeld oder sowas. weil es zu dem zeitpunkt stockfinster war, habe ich mich da einfach hineingelegt und angefangen, vor verzweiflung ganz laut zu schreien."
"krass", sage ich. "ich träume immer nur, dass ich mit dem rad auf ganz gefährlichen straßen unterwegs bin, dass es dann plötzlich nacht wird und meine bremse und die beleuchtung ausfallen. dann muss ich immer ganz vorsichtig durchs stockfinstere weiterradeln. und höllisch aufpassen, nicht komplett die orientierung zu verlieren oder einen unfall zu bauen."
"jedenfalls war das ein furchtbarer traum", findet der luxus-mann. "als ich aufwachte, war ich völlig fertig. ich musste erstmal eine halbe stunde musik hören, bevor ich aufstehen konnte."
"jetzt weißt du vielleicht, wie sich dein dementer vater so fühlt, wenn er nachts aufwacht und der ansicht ist, er muss ganz dringend in den garten, weil die güllegrube überläuft, die es seit 35 jahren nicht mehr gibt."
"ich frage mich, ob sich alzheimer wirklich so anfühlt", überlegt der luxus-mann. "wie so ein endloser horrortrip mit ein paar lichten momenten, wo man checkt, wie schlimm es um einen steht."
"weiß nicht. für manche vielleicht."
"wenn das bei mir mal soweit ist, dann schubs mich bitte vom balkon oder so. das würde ich nicht ertragen."
"mach das am besten zu einem offiziellen teil deiner patientenverfügung. und regle bitte auch, welches deiner kinder danach die flecken auf der straße wegmachen soll."
"das ist alles gruselig, dieses älterwerden und sterben."
"tröste dich. viele menschen befinden sich ein leben lang in geistiger umnachtung - und merken das zu keinem zeitpunkt."
"viele menschen befinden sich ein leben lang in geistiger umnachtung - und merken das zu keinem zeitpunkt"
AntwortenLöschenbeati pauperes spiritu ... selig sind die geistig Armen. (Matthäus, 5,3)
Scherz beiseite: wenn sowas öfter auftritt, sollte man sich Hilfe holen. Kernthema ist ja wohl die komplette Orientierungslosigkeit — da steckt garantiert etwas aus dem beruflichen Umfeld dahinter — passt zu Umstrukturierung und Jobverlust-Angst. (war bei mir so ähnlich damals in solch einer Situation)
Gruß, Jens
glaub ich offen gestanden überhaupt nicht. der luxus-mann ist in einer wirklich privilegierten finanziellen situation. er reißt jetzt noch etwa ein jahr in seiner ungeliebten arbeit ab, dann geht er, weil er erfolgreich genug spekuliert und ausreichend rendite für ein leben ohne arbeit macht. ab 67 bekommt er regulär rente, wobei wir hier trotz abschlägen von insgesamt 3 richtig dicken renten sprechen. wenn ich nur eine davon später bekäme, würde ich mir schon alle zehn finger ablecken. :-D
Löschenja, man darf nicht drüber nachdenken... der gute ist einfach in der richtigen zeit geboren worden und durch zufall in einen großen konzern reingeraten, der noch heute in seinen 80er-jahre-geld-hinterherschmeiß-mentalität lebt. jetzt hat er auch noch einen neuen jungen chef bekommen, der ihn für so eine art gott hält und ihn in letzter sekunde noch mal befördert hat, obwohl eigentlich ein anderer kollege die ganze arbeit macht. ;-)
entsprechend kann die arbeit nicht grund der alpträume sein, denn sicherer und komfortabler als der luxus-mann kann man eigentlich kaum leben.
ich glaube aber, dass ihn die angst vorm alter umtreibt. das letzte jahr war ein großer einschnitt für ihn, gesundheitlich betrachtet. zugleich sieht er seinen vater beim sterben zu, der seine eigene familie teils nicht mehr erkennt. und auch wenn der luxus-mann gern cool tut, er hat sehr ausgeprägte ängste. da ist er einfach etwas neurotisch. aber mit seiner kindheit auch kein wunder.