Mittwoch, 17. September 2025

des irrsinns weitere kapitel

ich habe eine jobzusage. nein, vielmehr wieder zwei. und erneut beginnt die wahl zwischen pest und cholera.

nummer 1 ist ein amerikanischer konzern, der digitale produkte vertickt. thematisch halbwegs interessant, gehalt eher klein, aber geht noch so. auf kununu beeindrucken allerdings schlechte bewertungen, die hire-and-fire-mentalität, planlosigkeit und verlogenheit anprangern. dazwischen aber auch durchweg positive bewertungen, die sich vorwiegend auf die netten teams beziehen. man weiß also nicht so recht. misstrauen ist vermutlich angebracht.

nicht so recht weiß ich auch beim arbeitsvertrag, der sich mehr wie eine drohung liest. es ist klar, dass es sich um ein ultraautoritäres, möglicherweise rechtsgerichtetes bzw. trumpistisch agierendes unternehmen handelt und ich dort nicht mehr als ja und amen sagen und unter keinen umständen auffallen darf. weder positiv noch negativ. 

nummer 2 ist ein bekanntes deutsches unternehmen mit gemeinnütziger ausrichtung, das eine elternzeitvertretung sucht. 10 monate wäre der job mein, dann kommt mutti wieder. da ich für die stelle fast überqualifiziert und trotzdem schweinebillig bin, würde man sich um folgeoptionen bemühen. kommuniziert wird aber auch offen, dass besagtes bemühen keine garantie darstellt, weil die unternehmenssparte derzeit und auch künftig zu harten sparmaßnahmen gezwungen ist. 

weiterer nachteil an nummer 2 ist die geringe arbeitszeit, die zusammen mit dem kleinen bis mittelgeilen gehalt nicht viel zum leben ergibt. vorteil wäre aber ein tarifvertrag und ein betriebsrat und voraussichtlich orrrrrrrrrrrrrdentliche urdeutsche strukturen. negative bewertungen auf kununu gibt es auch hier in recht hoher anzahl, allerdings in unternehmensbereichen, die mich nicht allzu viel angehen.

am liebsten würde ich keinen der jobs haben. aber ich muss ja. also sagen sie mal. nehme ich einen job, in dem ich bald gekündigt werde, weil ich meine fresse zu weit aufreißen werde, oder einen job, der von vornherein nur 10 monate dauert und dabei finanzielle knappheit bedeutet?

Freitag, 12. September 2025

zu nehmen wissen

am wochenende sucht der luxus-mann exzess und weltvergessen auf einem festival, findet aber mal wieder mehr grund zum meckern als entspannten kulturgenuss. er beklagt unter anderem fehlende originalität und bisweilen mangelnde kunstfertigkeit der darbietungen: "ich hab mir vom line-up echt nicht viel versprochen... aber das ist wirklich alles so dasselbe gefällige, seichte zeug. teilweise können die noch nicht mal singen. und erst der altersdurchschnitt hier... wie auf einer kreuzfahrt! ich glaube, das tue ich mir nicht noch mal an." 

am ende reist er sogar verfrüht ab, um sich weitere musikalische lowlights und den anblick verkleideter rentner zu ersparen. 

auch mir ist an besagtem wochenende nach ablenkung zumute. so beschließe ich am samstagabend, nach langer zeit wieder einmal eine party zu besuchen. die lauschige spätsommernacht verlockt mich, die strecke dorthin mit dem rad zurückzulegen. was sich dann allerdings als ausgesprochen dumme idee erweist, weil mich google maps durch einen unbeleuchteten park schickt, in dem ich mich erst verirre - und dann um ein haar auch noch eine lange, steile treppe hinabstürze, die ich schlichtweg in der dunkelheit übersehen habe. 

bei meiner ankunft bin ich verzagt und muss erst einmal einen drink haben, bevor ich den mumm zum tanzen finde. nach einer guten stunde bei mittelmäßiger musik verlässt mich auch bereits wieder die lust (ja, ich bin alt) und ich mache mich auf meinen abenteuerlichen heimweg - zurück durch den park der finsternis. diesmal habe ich jedoch mehr glück und treffe dort eine polizeistreife an. da polizeiautos irgendwann wieder zurück auf die straße müssen, folge ich einfach den hecklichtern. so vermeide ich erfolgreich totale desorientierung sowie potenzielle treppenstürze mit genickbruch-folge. 

drei straßen von zuhause entfernt kippt mir noch ein schwerst betrunkener typ vors rad und bleibt reglos auf dem asphalt liegen. mein "alles ok?" beantwortet er mit einem grunzen, dann schnarcht er schon wie ein rhinozeros. 

sonntag schrubbe ich in wildem elan die wohnung und warte auf den heimkehrer-mann, der sogar noch früher als erwartet eintrudelt. eine dusche und eine mahlzeit später stiehlt sich das lang vermisste frivole glitzern in seine augen und er beginnt, mich aus meiner kleidung zu pellen. 

der sex reanimiert ein stück der zuletzt verlorenen verbundenheit. wir liegen noch lange umschlungen da, während der luxus-mann seine finger auf meiner nackten haut wandern lässt, was mir kleine wohlige schauer beschert.

"weißte, woran ich gerade denken musste?" fragt mein mann ins halbdunkel.
"nee", erwidere ich. "aber du wirst es mir gleich sagen."
"auf dem festival, da ist einer verstorben. direkt an der bühne. herzinfarkt oder so. die sanitäter haben noch versucht, ihn zu reanimieren, aber ohne erfolg. das fand ich irgendwie... ziemlich schockierend."
"krass, jung oder alt?"
"ich glaube, schon älter." 
"sowas ist immer beeindruckend, ganz egal, ob man denjenigen persönlich kannte oder nicht", sage ich. "aber da siehste mal, was schlechte musik alles anrichten kann."
 
 der luxus-mann starrt mich für eine sekunde verblüfft an, dann lacht er.
"du bist so gnadenlos zynisch, das liebe ich wirklich an dir", sagt er. "die meisten hätten jetzt vermutlich betroffen geguckt und dich furchtbar pietätlos gefunden."
"die meisten sind aber nicht hier. und ich weiß, du weißt es zu nehmen."
"ja, ich weiß dich zu nehmen", erwidert der luxus-mann zweideutig und grinst sich einen.
 

Samstag, 30. August 2025

ende august

wir haben einen pflegeheimplatz für meinen vater gefunden - ein einzelzimmer, ruhig und grün und dazu ganz in der nähe seines zuhauses gelegen. ein kleines wunder und positives resultat wochenlanger bemühungen.

mein vater ist von der idee natürlich weniger angetan bzw. hält das ganze schlichtweg für unnötig. er ist nach wie vor der ansicht, er könne laufen und treppen steigen, obwohl er nun bereits seit vier wochen im rollstuhl sitzt. in vielen, oft stundenlangen gesprächen erörtern wir dieselbe situation gemeinsam immer und immer wieder und drehen uns argumentativ im kreis. einsicht können wir nicht erzeugen, eher resignation. das stimmt uns nicht glücklich, aber ich vermute, so geht es vielen angehörigen. 

zurück im wirtschaftsasyl steht eine hochzeit in der großen luxus-verwandtschaft an. einsamer denn je fühle ich mich unter all den fröhlichen menschen - und auch sehr andersartig. es ist nicht so, dass niemand mit mir reden würde, im gegenteil. aber ich empfinde mich nicht als teil dieser gesellschaft.

ich beobachte all die erwachsenen mit ihren ungezogenen kreischkindern, und das konzept familie erscheint mir fragwürdiger denn je. der luxus-sohn hat seine neue freundin, die er gerade mal vier monate kennt, geschwängert - und sie wollen das kind tatsächlich bekommen. die freundin ist 23, nicht unnett oder doof, aber sehr unsicher und naiv im gespräch. ich habe den eindruck, sie verlässt sich gänzlich auf den luxus-sohn, dass er alles für sie regeln wird, zumal sie auch keinen beruf hat. ein machtgefälle, das zum scheitern oder zu einer 50er-jahre-ehe verurteilt ist.

als wir wieder zuhause sind, schlägt der luxus-mann vor, dass wir ja auch heiraten könnten - unter der bedingung, dass ich seine kinder als erben einsetze, falls ich jetzt vielleicht doch das haus meiner eltern bekomme. ich bin unendlich verletzt über diesen vorschlag des lieblosen tauschhandels "ring gegen vermögen", zumal die luxus-kinder beide verwöhnt bis obenhin und durch ihren vater mehr als gut versorgt sind. entsprechend schroff lehne ich ab und betone auch noch einmal, dass ich ein zusammenleben jetzt und auch in zukunft für mich zu 100 % ausschließe.

in der tat ist die luxus-beziehung für mich derzeit nicht mehr als eine temporäre option, nicht alleine in hh herumsitzen zu müssen und die zeit an den wochenenden totzuschlagen. während der letzten wochen in n habe ich den luxus-mann nicht vermisst. unsere wenigen telefonate waren oberflächlich und kühl. der luxus-mann ist mir wenig hilfe, wenn ich unterstützung benötige. im gegenteil: kaum bin ich zurück, werde ich wieder herumkommandiert, dies und jenes mitzubringen, einzukaufen oder zu planen - obwohl er sehen müsste, wie überlastet ich bin. er fragt nicht ein einziges mal, wie es mir geht, vergisst sogar ein mehrfach angekündigtes, sehr wichtiges bewerbungsgespräch und ruft mich währenddessen mehrfach an, um mich dann anzukacken, weil ich nicht rangehe. 

innerlich nehme ich abstand und abschied. ich habe mich in n beworben, zum ersten mal, und ich habe ein gespräch in einer kleinen süßen stadt an der ostsee, nicht weg entfernt vom objekt. ich habe fast zehn jahre wegen dem luxus-mann im verhassten hh ausgeharrt. ein opfer, das mir nun zu groß wurde. ab sofort will ich für mich entscheiden.

Sonntag, 24. August 2025

bis 2035

dieses blog entstand vor über 20 jahren aus einer mischung aus liebeskummer und studentischer langeweile. den gegenstand besagten damaligen liebeskummers gibt es allerdings immer noch in meinem leben. wie durch ein wunder hat der kontakt auch ohne eine telefonnummer oder räumliche nähe dem klapprigen gebiss der zeit standgehalten. 

unsere wiedersehen sind immer selten und schwierig zu arrangieren. ich bin zwar ab und an in n, er nur selten in hh. bin ich in n, ist er meist beruflich unterwegs oder von seiner familie in beschlag genommen. so kam es, dass seit unserem letzten live-treffen ganze zehn jahre ins land zogen. aber diesmal ist uns das schicksal gewogen.

wir verabreden uns an meinem lieblingsort, einem fleckchen herrlichster natur und abgeschiedenheit. ich bin tatsächlich etwas aufgeregt: ob wir uns vielleicht doch fremd geworden sein könnten? 

als er kommt, bin ich überrascht, wie unverändert er ist. ein bisschen grauer, die haare noch etwas länger, aber sonst ist alles vertraut an ihm. es scheint ihm ähnlich zu gehen, er fragt: "wird du eigentlich jemals älter?" und fügt dann hinzu: "naja, innerlich wahrscheinlich", und ich muss grinsen und verkneife mir einen schlüpfrigen spruch über die straffheit weiblicher eingeweide. 

er weiß, warum ich diesmal in n bin und fragt danach. ich erzähle also von der aktuellen situation mit meinem vater, dann von der nicht enden wollenden arbeitslosigkeit und von meinem verrückten nachbarn. doch auch bei ihm hat die härte des lebens zugeschlagen - seine frau ist schwer erkrankt, der sohn psychisch beeinträchtigt, seine firma nach schwierigen jahren voller ups und downs nun doch am ende. aktuell kämpfe er um eine anständige abfindung für seine verbliebenen mitarbeiter, erzählt er, wofür er sich gegen mitinhaber durchsetzen muss, die keinen cent mehr an angestellte verschwenden wollen. "ich wundere mich die ganze zeit, dass ich nicht durchdrehe", sagt er über seine seelische gesamtlast. "aber irgendwie halte ich das aus."

anders als ich ist er in der glücklichen situation, nicht über armut klagen zu müssen. geld ist zwar nicht alles, doch in seiner lage eine große hilfe. seinem sohn ermöglicht er so alles - therapien, reisen, kulturelle erlebnisse. anders als die objekt-mama wird er sich nie vorwerfen müssen, etwas aus finanziellen gründen unversucht gelassen zu haben. 

was ihn vermutlich ebenfalls aufrecht hält, ist seine offenheit, die lust am sich-treiben-lassen und am abwegigen. nur so erkläre ich mir, dass treffen wie dieses möglich sind. hier sind wir uns sehr ähnlich. sogar räumlich ist dieser gemeinsame innere kompass greifbar: nach kurzer zeit wandern wir jenseits der schotterwege feldeinwärts durchs naturschutzgebiet und picknicken dann auf einer großen ebene. ich muss unwillkürlich an den luxus-mann denken, der an dieser stelle nicht nur naturschutzrechtliche bedenken geäußert, sondern auch über potenzielle mücken oder schafskot lamentiert und sich einer solchen aktion deshalb komplett verweigert hätte.

wir trinken sekt und reden oder schweigen dann und wann ein weilchen gemeinsam, um den blick frei schweifen zu lassen, während sich die sonne langsam dem horizont nähert. "es ist wirklich wahnsinnig schön hier", sagt er. auch ich fühle mich nah und wohl, wie auf einer sonnendurchfluteten kleinen insel, auf der ich mich kurz ausruhen darf, bevor ich wieder in ein kaltes, dunkles meer voller gefahren abtauchen und um mein leben schwimmen muss. 

irgendwann, bevor es ganz dunkel wird, machen wir uns auf den rückweg. wir laufen einmal am kleinen see entlang, dann querbeet durch wald und über mit hohem gras und wildblumen bedeckte hügel. im dickicht scheuchen wir ein reh auf, doch sonst sind wir vollkommen alleine.

als wir später an seinem auto stehen, um uns zu verabschieden, bettelt etwas in mir: noch mal, noch mal! 

"dann bis 2035", sage ich fürchtlich vernünftig. "in zehn jahren treffen wir uns hoffentlich wieder."
"vielleicht können wir das auf fünf begrenzen", sagt er, "sonst kann ich nicht für das gleichbleiben meines optischen zustands garantieren."
"ein jahr", sage ich. "ein jahr wäre das beste. das würde mich glücklich machen."

dann ziehen wir unserer wege, unseren umlaufbahnen und der schwerkraft der umstände treu bleibend. 

zuhause im bett will mein 24-jähriges ich wissen, warum ich eigentlich nie wirklich mit menschen zusammen komme, die mir entsprechen und die mir tatsächlich ähnlich sind - so wie er oder auch wie das objekt. in der tat wähle ich stets einen ähnlichen typus für beziehungen: streng, rigide, nüchtern bis zur fantasielosigkeit. bestimmend in eine richtung, die ich sehr oft NICHT bin. wozu mache ich das, frage ich mich, brauche ich dieses gegengewicht möglicherweise? habe ich das gefühl, so falsch zu sein, dass es besser ist, sich dem andersartigen anpassen? würde ich mich mit jemanden, der ähnlich offen und grenzüberschreitend veranlagt ist, tatsächlich verlieren oder doch eher finden? 

vielleicht habe ich doch eines tages den mut, es herauszufinden. man sollte ja nicht dumm sterben, oder?



Mittwoch, 20. August 2025

marathon laufen

donnerstagnacht fahre ich in die heimat, um alles zu organisieren, was jetzt organisiert werden muss. ich habe diverse termine zur besichtigung von pflegeheimen vereinbart, anwaltstermine, arzttermine sowie termine, um das auto meines vaters zu verticken. abgesehen davon wollen wir auch meinen vater in seiner reha am arsch der heide besuchen. 

mir graut ein wenig, aber es ist auch schön, weil sich mich meine nürnberger freunde auf mich freuen und auch anteil nehmen. endlich fühle ich mich mal nicht einsam und verlassen. anders als in hamburg besteht ehrliches interesse, es wird nachgefragt und beistand angeboten, ablenkung organisiert und viel umarmt. ich bin unendlich dankbar, dass es diese menschen gibt.

trotzdem wird es anstrengender als gedacht. das liegt nicht unbedingt an meinem vater, der spätestens alle drei stunden aus der reha anruft, um uns mitzuteilen, dass er gewaschen wurde oder einen apfel gegessen hat. sein größtes problem ist langeweile und dass er natürlich nachhause möchte. aber das ist handelbar.

meine mutter hingegen ist ein komplettes nervliches wrack. seit ich hier bin, redet sie ohne punkt und komma und erzählt mir stunde um stunde dieselben geschichten in sich steigernden dramatischen spiralen. ich höre zu und lasse sie quatschen, in der hoffnung, dass es ihr hilft, das erlebte besser zu verarbeiten. einfach mal alles von der seele reden tut bekanntlich gut.

zwischendurch allerdings macht sie mich wirklich irre mit irgendwelchen herbeifantasierten ängsten - beispielsweise, dass das telefon kaputt sein könnte, wenn mein vater mal 3 stunden lang nicht anruft, oder dass mit der waschmaschine was nicht stimmt, ihr fahrrad luft verliert oder ihr handy irgendwas falsch anzeigt. ich beruhige und beschwichtige, mache und tue, aber kaum habe ich mich um eine baustelle gekümmert, ploppen drei weitere auf. pausen, um mal ein buch zu lesen oder sich um bewerbungen zu kümmern, gibt es so nicht. manchmal muss ich leider auch laut werden, denn meine mutter steigert sich bis zur hysterie  in ihre fantasie-probleme hinein. das tut mir hinterher leid, aber ich bin eben auch nur ein mensch.

bei allem, was ich angehe, habe ich den eindruck, selbst schon dement zu werden. eigentlich bin ich strukturiert und planvoll, aber im endlosen wirrwarr und unter dem druck eines stetig und gefühlt ins unendliche wachsenden problembergs vergesse ich die hälfte. hinzu kommt fortgeschrittene töffeligkeit - ständig renne ich gegen irgendwelche kanten, stoße mich an oder stolpere wie eine 80-jährige auf der treppe. wahrscheinlich reagiert der körper so, wenn der kopf 24/7 auf hochtouren läuft.

am wochenende tuckern wir mit bussen und bahnen richtung reha. als eine der bahnen fünf minuten verspätung hat, dreht meine mutter fast durch. die anderen fahrgäste gucken vollkommen angenervt angesichts des gezeters - was mir so peinlich ist, dass ich meine mutter recht harsch zurechtweise. als sie dann anfängt zu lamentieren, dass es besser wäre, wenn sie tot wäre, weiß ich wieder, wo ich meine reaktionsmuster auf schwierige umstände gelernt habe. aber objekt sei dank kann ich darauf recht souverän reagieren. ich sage meiner mutter also ganz ruhig, falls sie suizidgedanken habe, nähme ich das sehr ernst und würde sie jetzt umgehend in ein krankenhaus bringen. es wirkt - in nur wenigen sekunden ist jegliche todessehnsucht verschwunden.

als wir bei meinem vater durch die tür kommen, bin ich positiv überrascht. mein vater sitzt zwar im rollstuhl, wirkt aber 1a gepflegt und keineswegs krank oder abgezehrt. er hat zwar acht kilo abgenommen, was aber auch dringend nötig war. da er gewaschen und geduscht wird, riecht er zu ersten mal seit jahren einigermaßen sauber.

mein vater freut sich auf jeden fall riesig über den mitgebrachten kuchen, den er in 30 sekunden verdrückt. meine mutter hat sich als wegzehrung außerdem zwei käsebrötchen eingepackt, welche er ebenfalls wegputzt - fast so, als habe er nicht eben schon zu mittag gegessen. der ungebrochene appetit scheint mir ein gutes zeichen zu sein.

es ist offenbar auch sonst ein einigermaßen guter tag, denn mein vater wirkt nicht allzu stark verwirrt. er kann sich sogar erinnern, wo sein fahrzeugbrief liegt, den ich dringend für den anstehenden autoverkauf benötige. er betont weiterhin noch einmal, dass er nach wie vor mit dem verkauf einverstanden ist, was mich ebenfalls sehr erleichtert. ich verspreche ihm im gegenzug, dass ich ihn über preisliche angebote informiere und ihn mitbestimmen lasse, an wen das auto zuletzt geht. 

montag haben wir eine führung durch das dritte infrage kommende pflegeheim - und zum ersten mal den eindruck, dass man dort einen geliebten menschen wohnen lassen kann. das heim ist relativ klein, ruhig mit blick ins grüne gelegen und nur vier bushaltestellen von zuhause entfernt. es gibt nur einzelzimmer und eine extra demenzstation. als die verwalterin die preisliste holt, bekomme ich etwas gänsehaut - aber zu meiner überraschung kostet das einzelzimmer weniger als ein doppelzimmer in einer der anderen gruseligen verwahranstalten, die wir zuvor gesehen hatten. wir sagen sofort zu - und müssen jetzt nur noch hoffen, dass ein zimmer in drei wochen frei wird. drücken sie uns gerne die daumen.

jetzt muss ich nur noch ein ganzes buch voller überweisungen, atteste und bescheinigungen einholen und 38472 anträge und verträge unterzeichnen. dann kann ich kommende woche vielleicht einigermaßen beruhigt zurück nach norden tuckern.