Samstag, 22. November 2025

this is not a love song

eine weitere woche als strohwitwe, weil der luxus-mann im jahres-kumpels-urlaub weilt. abends ruft er an, hat schon einen in der krone und berichtet vom famosen abendessen. nunja, was außer fressen und saufen soll man auch groß tun in einem beton-chlor-ressort für wohlhabende rentner und privatiers?

mein kopf geht derweil ebenfalls auf reisen. ich träume vom herzensbrecher: er ist beruflich in der stadt und natürlich können wir uns aus den üblichen gründen der geheimhaltung nicht sehen. aber dann findet sich doch ein zeitfenster. ausgerechnet in diesem moment bin ich beim luxus-mann und kann nicht so einfach weg. im traum aber bin ich ganz frank und frei und nehme den luxus-mann kurzerhand mit, damit er den herzensbrecher kennenlernt.

"der ist ja wirklich ganz nett und sieht auch schon echt gut aus", gibt der luxus-mann während der zusammenführung zu. "und mit dem willst du jetzt ficken?"
"jo", sage ich ganz unverblümt. 
"naja gut", meint der luxus-mann. "wenns denn unbedingt sein muss."

und so kommt es, dass ich mit dem herzensbrecher mitgehe, der diesmal in einer art schloss residiert und sich ein doppelzimmer mit einem kollegen teilt. zunächst ist es mir etwas unangenehm, weil sich der kollege fett einen grinst, als ich nackt zum herzensbrecher in die laken schlüpfe. aber dann ist es auch ganz anregend, und als mich der herzensbrecher küsst, vergesse ich den kollegen, den luxus-mann und den rest um mich herum.

als ich aufwache, bin ich noch ganz angetan von meinem traum und meinem mutigen, freien traum-ich. denn in der realität bin ich weit davon entfernt, meine sexualität wirklich zu leben - obwohl wir in der luxus-beziehung recht offen über solche themen sprechen.

so finde ich zum beispiel den luxus-vermieter extrem heiß - was der luxus-mann durchaus weiß, da ich jedesmal ins schwärmen gerate. er macht sich einen riesenspaß daraus, mir in epischer breite zu erzählen, wenn er den vermieter im treppenhaus getroffen oder einen termin mit ihm hat, weil irgendwas in der wohnung kaputt ist: "... und dann hat er sich so vor der spüle gebückt, da wärst du wahrscheinlich gleich feucht geworden!"

eines nachts träumt der luxus-mann, dass wir zu dritt mit dem vermieter nackt in seinem bett liegen. "das war ein ganz schön komisches gefühl", erzählt er. "aber auch irgendwie interessant." zum sex sei es aber dann im traum doch nicht gekommen, weil der vermieter angeblich mit meinen sehr stürmisch-drängelnden küssen überfordert war.

"wenn ich dafür bis zum rest meines lebens mietfrei wohnen könnte, dürftest du gern mit dem vermieter ficken", meint der luxus-mann generös im wachzustand.
"das würde ich auch ohne benefit für dich machen", sage ich ganz frech.
"würdest du dem denn gern einen blasen?"
"aber hallo! sowas kriegt der zuhause bestimmt nicht."
"könnte sein", grinst der luxus-mann, "seine frau sieht nicht so aus."
 
"und würdest du die dann auch knallen?" frage ich
"nä, seine alte ist mir viel zu bieder. obwohl die ja noch ne ganz gute figur hat." 
"schade, sonst hätte man ja mal einen vierer arrangieren können."
"wäre-wäre-fahrradkette", zitiert der luxus-mann falsch das alte sprichwort. "bring lieber mal eine willige junge frau mit geilen titten mit. da haben wir beide mehr davon."
"genau, und die will dann unbedingt mit so einem faltigen alten paar wie uns vögeln! dafür müsstest du die schon bezahlen!" 
 
so recht kommen wir in sachen freies ficken für freie leute also nicht weiter. 
 
doch meine sehnsucht ist immer brandgefährlich. 
 

 

Samstag, 15. November 2025

homo faber reloaded

zurück als demütiger roboter in einer leistungsgesellschaft verzeichne ich zunächst grenzenlose erleichterung. das gefühl, wieder "normal zu sein". der eindruck, nicht mehr asozial, verachtungswürdig und dysfunktional zu sein. von der bettlerin zur königin der welt in nur acht stunden pro tag, es ist ein traum.

ich bin geradezu eifrig und plaudere euphorisch ideen aus, von denen ich irrsinnig viele habe, am liebsten nachts. die natürlich nicht weiter gefragt sind, denn unser management ist eine art abgehobener zirkel ohne berühungspunkte zum werktätigen aussatz, schwebend verankert und so unerreichbar wie unbelehrbar. aber ich plappere erregt vor mich hin, man oder ich könne ja dies und jenes tun, was dann jene oder nachfolgende vorteile hätte, und man nickt mir vage-wohlwollend zu, ja doch, altes mädchen, schön, dass du da bist, noch so eine bekloppte hat uns gerade noch gefehlt. 

sie sind einfach wunderbar, diese ersten tage als echter mensch, als homo faber. vermutlich liegt das am adrenalin, das mein körper aus einer mischung aus versagensangst, gefallenwollen und information overload jetzt wieder literweise durchs blut pumpt. mein nacken ist ein stapel glitschiger, knackender steine, meine linke schulter ein stapel ebenholz, und im arm pulsiert wie im letzten job schmerzhaft ein entzündeter nerv, aber das adrenalin spült das weh der werktätigkeit ins off, lässt nur noch das hirn existieren, denken, arbeiten, und zwar 24 stunden pro tag, in einem zustand rauschhafter seligkeit.

und dann die vorfreude auf das erste spärliche gehalt: was man damit nicht alles anstellen kann. bei rewe oder edeka einkaufen zum beispiel, und dabei nicht haarklein mitrechnen müssen, nur noch grob überschlagen, die angemessenheit prüfen, aber keine zahlen mit nachkommastellen mehr kalkulieren. ich konsumiere, also bin ich. ist es nicht einfach auf-re-gend?

ja, der status arbeitnehmer ist ein stadium kurz vorm totalem verrücktwerden. aber wer kennt das nicht.

Donnerstag, 6. November 2025

die heiligen drei könige

s-bahn, feierabendzeit. je weiter sich das jahr zum winter hin neigt, desto mehr bettler und obdachlose strömen in die überfüllten waggons. heute steigt an fast jeder station eine weitere von armut und verlorenheit gezeichnete gestalt zu, die höflich, aber nicht allzu hoffnungsvoll ihr sprüchlein aufsagt.

neben mir sitzen drei blondschöpfe von etwa zehn jahren, die wirklich jedem dieser bedürftigen etwas kleingeld schenken. dazu haben sie ihr gesamtes münzgeld aus den rucksäcken und hosentaschen geholt, zusammengelegt und so eingeteilt, dass sie jedem in etwa dieselbe kleine summe schenken können und das geld auf diese weise so gerecht wie nur möglich verteilt wird. in ihren kindergesichtern steht ernsthafter feuereifer, man merkt ihnen an: das ist kein spiel, kein spaß, kein kindliches sich-gegenseitig-überbieten. 

ich muss erst lächeln, dann wegschauen, weil sich tränchen in meinen augen sammeln. 

vielleicht ist die menschheit manchmal doch nicht so lost wie sie meist erscheint. 

 

Freitag, 31. Oktober 2025

alle guten geister

da sich die intellektuellen herausforderungen meines lebens in kürze wieder auf keywords, performancezahlen und ki begrenzen werden, habe ich gestern zur geistigen und seelischen belebung die lesung des werten alexander hacke also known als alex von borsig - seines zeichens ex-einstürzende-neubauten-mitglied - besucht. 

zwar gibt es in kackstadt keine nennenswerte subkultur mehr, da alles tausendprozentig auf das konsumverhalten von touris und stinos zugeschnitten wird. aber das war defintiv ein kleines highlight nach meinem geschmack. letzten winter blixa, jetzt der alex - vielleicht krieg ich den rest der truppe noch irgendwie erlebt, bevor er tot und begraben ist. 

das so-mal-rauskommen, dieses andere-leute-sehen, das ansatzweise-mal-kultur-erleben ist ja selten geworden bei mir. zuletzt auch aus finanziellen gründen. wie sie sich vielleicht vorstellen können, kommt man mit 1260 € monatlich nicht sehr weit in einer stadt der millionäre und milliardäre. mal 20 € in ein ticket stecken, das sind 20 €, die dann weg sind und die man irgendwie bei lidl wieder einsparen muss, indem man sich den käse verkneift und nur das billig-toastbrot nimmt statt bio-vollkorn. woraufhin man als dauernervöse, prämenopausale lady wieder eine woche lang nur schafskötel scheißen kann.

wie auch immer, der alex ist ein fideles kerlchen, der erzählt wie er schreibt, also in einem elaboriertem sprachcode, mit einem hauch edelrotzigem sarkasmus, der anfassbarkeit und abgehobenheit (fuck, was für ein jetset-leben!) verquickt. anfangs etwas bemüht und stockend, kam er dann doch ins erzählen. für mich persönlich besonders sympathisch war der moment, als er zugab, er habe sein buch noch mal überarbeiten müssen, da es seinem verleger in der rohfassung zu düster und zynisch gewesen sei: mehr positives bitte, lautete die regieanweisung. tja, ein bisschen seelenverwandtschaft ist definitiv vorhanden.

man hatte den eindruck, dass alexander hacke über die buchvorstellung hinaus sogar ein publikumsdialog hätte gelingen können. dass die zaghaften interaktionsversuche bzw. die nachfrage nach fragen nicht recht in eine plauderei führten, lag allerdings weniger am alex denn am publikum, das deutlich bewies: punk ist definitiv mausetot und trägt heute meist funktionsbekleidung als eine art leichengewand.  

am ende die übliche signierstunde, aber die sparte ich mir. die zeiten, in denen ich promiskuitiv um eine mr. berühmtheit herumschlenderte und dabei grenzenlose aufregung verspürte, sind so vorbei wie die zeiten des punk. sicherlich schmökere ich beizeiten in das buch rein, wenn ich es irgendwo gebraucht schießen kann. oder auf einem grabbeltisch mit angeschnittener ecke finde. was dem alex sicher so gar nicht gefallen würde.  

 

Sonntag, 26. Oktober 2025

parkhaus

wie ein graues skelett ragt die silhouette des gebäudes, das einmal der elbtower hätte werden sollen, in den nieselregen: ein skelett des kapitalismus, seiner verlockungen, seiner betrügerischen optionen, ein mahnmal seines versagens.

papa, ist das ein parkhaus, will ein kleiner junge wissen, der neben mir in der s-bahn sitzt. der vater verneint, aber ich finde "parkhaus" eine treffende metapher: ein parkhaus der zukunft, des fortschritts, des höherschnellerweiter. ein sinnbild für den stillstand, den reformstau, des langsamen ticken des weiter-so. ein weiter-so, das uns unendlich teuer zu stehen kommen wird - wie ein auto, das in einem parkhaus abgestellt und viel zu spät oder vielleicht auch gar nicht mehr abgeholt wird.

ich ergötze mich derweil an meinen letzten tagen in freiheit, übermüdet von alpträumen, die meine job- und zukunftsangst spiegeln. die schwerkraft wirkt doppelt, meine endlos entzündeten augen brennen vor trockenheit, und ich fühle mich spitz, konkav, irgendwie bruchstückhaft, auslassungsreich, fassadenlos. auch ich bin unvollendet, ein parkhaus alter träume und ängste, eine bankrotterklärung an das leben.