Donnerstag, 11. Dezember 2025

weihnachtsurlaub für vaddi

am telefon erzählt vaddi von seiner weihnachtsfeier im heim - und dem grusligen kinderchor, der dort für die senioren zur unterhaltung aufgefahren wurde.
"gab´s wenigstens glühwein", will ich wissen. "so zum schöntrinken."
"jaja" sagt vaddi teilnahmslos.
"richtig, mit umdrehungen, oder nur kinderpunsch?"
"nee nee, schon richtigen..."
 
"was ist denn, du klingst so komisch", sage ich.
"also weihnachten will ich schon gern zuhause sein", äußert vaddi seinen immerwährenden wunsch.
"und wie haste dir das so praktisch vorgestellt?" frage ich.
"ich nehme mir einfach urlaub für ein paar tage", sagt vaddi - so, als arbeite er noch. "und dann schreiben die uns die kosten für das zimmer gut", führt er weiter aus.
 
"naja, ich meinte eher so praktisch", setze ich noch mal an. "du kannst im haus nicht im rollstuhl fahren und es sind 16 treppen bis ins schlafzimmer."
"das trau ich mir schon zu", behauptet vaddi.
"zutrauen ist nett, aber das muss vor allem in der realität funktionieren", sage ich. "und du brauchst dann ja auch bspw. einen ambulanten pflegedienst. ich glaube kaum, dass wir das in den paar tagen noch organisiert bekämen."
"das macht nichts. ich kann mich auch mal allein anziehen", findet vaddi.
"es muss dich ja aber jemand wickeln und waschen", gebe ich zu bedenken. 
"das kann ja deine mutter machen", ist vaddi flott beim aufgabenverteilen. 
"da wird sie sich aber bedanken."
 "ja, und wenn das alles klappt, dann können wir das ja auch in zukunft so machen: dass ich immer ein paar tage zuhause bin und dann mal wieder eine nacht im heim schlafe", plant vaddi fröhlich weiter. 
 
in der tat sehe ich weihnachten und silvester aktuell als emotional kritischen punkt. meine mutter erwägt selbst, meinen vater für einen tag nachhause zu holen: zusammen essen und kaffee trinken, und danach mit dem taxi zurück zum heim.
"und was machen wir, wenn er sich weigert?" will ich wissen. "man kann ja schwer sagen, was so ein ausflug nachhause bei ihm auslöst. er ist zwar dement, aber noch nicht entmündigt oder so. ich glaube kaum, dass wir dann die polizei rufen können - und die ihn zurückbringen."
"stimmt, da könntest du recht haben!"
"vielleicht sollten wir lieber an einem neutralen ort was zusammen machen... wo wir dann gemeinsam aufstehen und gehen? ihr seid doch oft in diesem einen restaurant gewesen... die erhöhte toilettensitze haben... das ging doch bis zuletzt, hast du immer gesagt?"
"du kannst mit deinem vater in kein restaurant mehr, der saut alles voll und schmeißt das halbe essen unter den tisch. da müsste man schon eine plastikplane um ihn herum drapieren!" 
 
nicht weniger schwierig als weihnachten stelle ich mir silvester vor. letztes jahr dachte ich noch, schlimmer kann der jahreswechsel nicht werden - aber so mit vaddi im heim wird dieses jahr sicherlich  eine ähnlich harte herausforderung. 
 
hat jemand tipps oder erfahrungen, wie man solche kritischen tage mit einem pflegefall ohne größere kollateralschäden übersteht?

Mittwoch, 3. Dezember 2025

anti-kuss-theorie

7 uhr morgens. ich stehe neben dem luxus-mann im bad und habe gerade zähne geputzt. der luxus-mann posiert anregend nackt vor dem spiegel und versucht, seine frise zu bändigen.

ich beuge mich zu ihm und küsse seine schulter. dann ein bisschen tiefer. dann die andere schulter. und schließlich noch die wange.

"ey, nicht so vollbaddeln", wehrt sich der luxus-mann. 

"du bist echt der einzige mann, den ich kenne, der küsse hasst", sage ich lachend.

"das stimmt doch gar nicht!" behauptet der luxus-mann.

nein? denke ich kurz. findet er küsschen inzwischen etwa doch ok? 

"kein mann mag das! die meisten lassen das so über sich ergehen, damit die frau zufrieden ist", schließt der luxus-mann seine anti-kuss-argumentation. "aber wirklich gut finden männer das nicht!"

hm. wie gut, dass ich auch andere kerle kenne... 

Freitag, 28. November 2025

über alle dimensionen

neben dem luxus-mann wohnt eine junge familie. der sohn ist ein renitenter bengel von etwa drei jahren und brüllt sich 24/7 die seele aus dem leib. der vaddi ist ebenfalls mit sehr durchdringender stimme gesegnet und fungiert klassisch als versorger. man hört ihn den halben tag lauthals krakeelend im homeoffice telefonieren. und dann ist da noch mutti, eine dünne, freundliche und recht überfordert wirkende frau, die seit geburt ihres nervtötenden balgs ein eher unscheinbares hausfrauen-dasein fristet.

in der regel klingelt es mehrmals am tag bei besagten nachbarn. flink oder wolt bringen einkäufe, das abendessen lieferando oder uber. darüber hinaus kommen täglich dhl, dpd, hermes und gls und liefern pakete. die papiertonne befüllt die nachbars-famlie quasi komplett im alleingang.

drückt einer der boten die klingel, plärrt vaddi durch treppenhaus: "dritter stoooo-hock!!" so, als wären die lieferanten ein bisschen plemplem und verliefen sich in einem 7-parteien-haus. vermutlich meint er es nett, effizienzsteigend und / oder orientierungsweisend. "vertriebler halt" grunzt der luxus-mann jedesmal abfällig, der das ganze komplett übergriffig findet. "ständig müssen die sich wichtig machen, sogar bei einem paketboten!"

diese woche begab es sich, dass amazon bei uns klingelte. ich drückte den summer und linste in den flur. nebenan öffnete gleichzeitig die nachbars-mutti die tür. 

"na, bekommst du auch ein päckchen", fragte sie mich so freundlich wie immer.
"ja", antwortete ich wahnsinnig konversationsstark.
"ich weiß gar nicht, was ich da wieder bestellt habe", sagte die mutti und schaute verwirrt, während es auf der treppe laut polterte - gerade so, als käme der weihnachtsmann mit kutsche und rentieren angetrabt. 
 
und tatsächlich eröffnete sich mir eine absurde szene: zwei amazon-boten wuchteten eine art faltbaren container die treppen hoch. so etwas hatte ich noch nie gesehen. der container war so riesig, dass er nicht in unseren kleinen gläsernen aufzug gepasst hatte. 
 
in dem container befanden sich sieben pakete und mehrere tüten, die die boten allesamt der mutti vor die füße warfen. ich hingegen bekam ein winzig kleines päckchen überreicht - eine tintenpatrone.
 
"bis morgen", sagte der amazon-bote zu mutti, die hilflos und konsterniert auf den pakethaufen starrte. ja, was hatte sie da bloß wieder alles bestellt?
 
"tschüß", sagte ich höflich und schloss die behutsam die tür, während ich dachte: bis morgen, wenn die paketboten drüben wahrscheinlich wieder fünfmal klingeln.
 
dann holte ich ganz schnell unsere kleine altpapiertüte und rannte hinunter zur papiertonne - denn die würde spätestens am abend wieder total überquellen.
 

Samstag, 22. November 2025

this is not a love song

eine weitere woche als strohwitwe, weil der luxus-mann im jahres-kumpels-urlaub weilt. abends ruft er an, hat schon einen in der krone und berichtet vom famosen abendessen. nunja, was außer fressen und saufen soll man auch groß tun in einem beton-chlor-ressort für wohlhabende rentner und privatiers?

mein kopf geht derweil ebenfalls auf reisen. ich träume vom herzensbrecher: er ist beruflich in der stadt und natürlich können wir uns aus den üblichen gründen der geheimhaltung nicht sehen. aber dann findet sich doch ein zeitfenster. ausgerechnet in diesem moment bin ich beim luxus-mann und kann nicht so einfach weg. im traum aber bin ich ganz frank und frei und nehme den luxus-mann kurzerhand mit, damit er den herzensbrecher kennenlernt.

"der ist ja wirklich ganz nett und sieht auch schon echt gut aus", gibt der luxus-mann während der zusammenführung zu. "und mit dem willst du jetzt ficken?"
"jo", sage ich ganz unverblümt. 
"naja gut", meint der luxus-mann. "wenns denn unbedingt sein muss."

und so kommt es, dass ich mit dem herzensbrecher mitgehe, der diesmal in einer art schloss residiert und sich ein doppelzimmer mit einem kollegen teilt. zunächst ist es mir etwas unangenehm, weil sich der kollege fett einen grinst, als ich nackt zum herzensbrecher in die laken schlüpfe. aber dann ist es auch ganz anregend, und als mich der herzensbrecher küsst, vergesse ich den kollegen, den luxus-mann und den rest um mich herum.

als ich aufwache, bin ich noch ganz angetan von meinem traum und meinem mutigen, freien traum-ich. denn in der realität bin ich weit davon entfernt, meine sexualität wirklich zu leben - obwohl wir in der luxus-beziehung recht offen über solche themen sprechen.

so finde ich zum beispiel den luxus-vermieter extrem heiß - was der luxus-mann durchaus weiß, da ich jedesmal ins schwärmen gerate. er macht sich einen riesenspaß daraus, mir in epischer breite zu erzählen, wenn er den vermieter im treppenhaus getroffen oder einen termin mit ihm hat, weil irgendwas in der wohnung kaputt ist: "... und dann hat er sich so vor der spüle gebückt, da wärst du wahrscheinlich gleich feucht geworden!"

eines nachts träumt der luxus-mann, dass wir zu dritt mit dem vermieter nackt in seinem bett liegen. "das war ein ganz schön komisches gefühl", erzählt er. "aber auch irgendwie interessant." zum sex sei es aber dann im traum doch nicht gekommen, weil der vermieter angeblich mit meinen sehr stürmisch-drängelnden küssen überfordert war.

"wenn ich dafür bis zum rest meines lebens mietfrei wohnen könnte, dürftest du gern mit dem vermieter ficken", meint der luxus-mann generös im wachzustand.
"das würde ich auch ohne benefit für dich machen", sage ich ganz frech.
"würdest du dem denn gern einen blasen?"
"aber hallo! sowas kriegt der zuhause bestimmt nicht."
"könnte sein", grinst der luxus-mann, "seine frau sieht nicht so aus."
 
"und würdest du die dann auch knallen?" frage ich
"nä, seine alte ist mir viel zu bieder. obwohl die ja noch ne ganz gute figur hat." 
"schade, sonst hätte man ja mal einen vierer arrangieren können."
"wäre-wäre-fahrradkette", zitiert der luxus-mann falsch das alte sprichwort. "bring lieber mal eine willige junge frau mit geilen titten mit. da haben wir beide mehr davon."
"genau, und die will dann unbedingt mit so einem faltigen alten paar wie uns vögeln! dafür müsstest du die schon bezahlen!" 
 
so recht kommen wir in sachen freies ficken für freie leute also nicht weiter. 
 
doch meine sehnsucht ist immer brandgefährlich. 
 

 

Samstag, 15. November 2025

homo faber reloaded

zurück als demütiger roboter in einer leistungsgesellschaft verzeichne ich zunächst grenzenlose erleichterung. das gefühl, wieder "normal zu sein". der eindruck, nicht mehr asozial, verachtungswürdig und dysfunktional zu sein. von der bettlerin zur königin der welt in nur acht stunden pro tag, es ist ein traum.

ich bin geradezu eifrig und plaudere euphorisch ideen aus, von denen ich irrsinnig viele habe, am liebsten nachts. die natürlich nicht weiter gefragt sind, denn unser management ist eine art abgehobener zirkel ohne berühungspunkte zum werktätigen aussatz, schwebend verankert und so unerreichbar wie unbelehrbar. aber ich plappere erregt vor mich hin, man oder ich könne ja dies und jenes tun, was dann jene oder nachfolgende vorteile hätte, und man nickt mir vage-wohlwollend zu, ja doch, altes mädchen, schön, dass du da bist, noch so eine bekloppte hat uns gerade noch gefehlt. 

sie sind einfach wunderbar, diese ersten tage als echter mensch, als homo faber. vermutlich liegt das am adrenalin, das mein körper aus einer mischung aus versagensangst, gefallenwollen und information overload jetzt wieder literweise durchs blut pumpt. mein nacken ist ein stapel glitschiger, knackender steine, meine linke schulter ein stapel ebenholz, und im arm pulsiert wie im letzten job schmerzhaft ein entzündeter nerv, aber das adrenalin spült das weh der werktätigkeit ins off, lässt nur noch das hirn existieren, denken, arbeiten, und zwar 24 stunden pro tag, in einem zustand rauschhafter seligkeit.

und dann die vorfreude auf das erste spärliche gehalt: was man damit nicht alles anstellen kann. bei rewe oder edeka einkaufen zum beispiel, und dabei nicht haarklein mitrechnen müssen, nur noch grob überschlagen, die angemessenheit prüfen, aber keine zahlen mit nachkommastellen mehr kalkulieren. ich konsumiere, also bin ich. ist es nicht einfach auf-re-gend?

ja, der status arbeitnehmer ist ein stadium kurz vorm totalem verrücktwerden. aber wer kennt das nicht.