am samstag will ich einkaufen gehen. als ich richtung edeka schlendere, laufe ich in drei frauen rein. zwischen ihnen liegt etwas kleines graues auf dem boden.
eine taube. eine noch recht junge. ein bisschen strubbelig und mit daunen zwischen den dunklen federn. sie hat den kopf verdreht und viel zu weit in den nacken gelegt. sie sitzt nur da und beobachtet in einäugiger vogelmanier ihr publikum.
"wasn hier passiert", frage ich eine der frauen.
"ich glaube, die ist verletzt oder so", sagt sie.
die andere frau telefoniert.
"polizei oder süderstraße sollen wir sie abgeben, sagen die", sagt sie, als sie auflegt.
"wo ist denn die süderstraße", fragt eine.
"das geht nur mit auto", sage ich. "das ist ganz im osten. ich hab einen katzentransportkorb, den könnte ich holen, dann packen wir sie da rein. nur ein auto hab ich nicht."
"nee, das geht nicht, so viel zeit hab ich nicht", sagt die telefon-frau und die anderen nicken traurig.
"dann nehm ich sie mit", sage ich spontan und ohne groß zu überlegen.
ich nehme meinen weichen wollschal und wickle ihn sanft um die junge taube. die versucht erst wegzuflattern, aber ich erwischte sie gut und halte sie sicher. und los geht es.
auf dem weg nachhause mit taubi im arm rattert mein kopf. was mach ich jetzt? verletzte wildtiere kann man zum tierarzt bringen. meine alte tierklinik wäre eine option, die sind auch samstags da. aber die klinik ist fast eine stunde mit dem rad entfernt. das überlebt taubi wahrscheinlich nicht.
da fällt mir m. ein. m. habe ich im sommer beim katzensitten kennen gelernt. sie ist so tierverrückt wie ich und hat schon mal kranke tauben aufgenommen. vielleicht hat sie eine idee.
zuhause hole ich erstmal den katzenkorb, lege tücher rein und setze den gefiederten kleinen patienten dort hinein. die tücher werden mirnixdirnix blutig. auch am schal entdecke ich blut. auweia. wo kommt das alles her?
ich inspiziere taubi und entdecke eine wunde am kopf. am flügel ist ebenfalls blut, aber das lässt sich abwischen. wahrscheinlich ist es vom kopf und hat sich beim flatterversuch dahin verteilt.
ich rufe m. an.
"kannst du sie vorbeibringen?" fragt sie, als ich die lage schildere. "ich hab sowieso gerade wieder eine taube in pflege, die hat ne dicke hüfte. dafür hab ich schmerzmittel, davon kann ich deiner was abgeben. so muss sie sich wenigstens nicht quälen. dann schauen wir mal."
"ich bin in 10 minuten da", sage ich.
"super."
"ooooh, die ist ja noch ganz klein", sagt m., als wir den katzenkorb öffnen. "ist die angefahren worden?"
"weiß nicht, ich war ja nicht dabei. vielleicht ist sie auch wo gegengedonnert. allerdings sind da keine scheiben in der nähe gewesen."
"meh. scheißleben."
m. ist herrlich lakonisch. das mag ich an ihr. behutsam holt sie taubi aus dem kennel. dabei nimmt sie eines der tücher mit und bedeckt die augen der taube.
"wenn vögel nix sehen, sind die entspannter", erklärt m. dann zieht sie die pipette mit dem schmerzmittel auf und tröpfelt ein wenig davon in taubis schnabel.
danach dreht sie die tücher zusammen und formt einen donut. "da kann die so sitzen, dass sie besser atmen kann."
taubi guckt sehr gechillt, als die schmerzmittel wirken. sie sitzt ganz ruhig in ihrem weichen nest.
"ich weiß nicht, ob die durchkommt", sagt m. "die kopfverletzung ist heavy. sonst wirkt die aber gut genährt und oberflächlich unversehrt. ist jetzt eine frage des glücks."
da m. mit einem wildvogelverein in kontakt steht, ruft sie dort die ärztin an, ob wir unseren findlings vorbeibringen können. die ärztin fordert ein video an, um sich ein bild machen zu können.
"leider nicht transportfähig", sagt m., als sie auflegt. "wir sollen taubi hier ein ruhiges plätzchen geben und abwarten. es kann aber sein, dass sie die nächsten stunden nicht überlebt. die kopfverletzung hat wohl zu einem schädelhirntrauma geführt, das heißt, das gehirn schwillt jetzt stark an."
die sache mit dem schädelhirntrauma verfolgt mich offenbar. wenigstens liegt der unfall beim objekt inzwischen soweit in der vergangenheit, dass es mit hoher wahrscheinlichkeit nicht plötzlich sterben wird.
drei, vier stunden lang scheint alles in ordnung zu sein. dann bekommt unser kleiner patient zuckungen. das atmen fällt ihm sichtlich schwerer. m. telefoniert noch einmal mit der ärztin und verabreicht taubi dann eine elektrolytlösung und noch ein tröpfchen schmerzmittel.
doch es sieht nicht gut aus. taubi macht noch einige tiefe, schwere atemzüge, dann schließen sich die äuglein. unser findelkind tritt seine letzte reise an.
viele menschen sagen, tauben seien nichts anderes als ungeziefer. dabei sind sie sehr klug und können sich ähnlich wie raben sogar gesichter merken. nur, weil sie nicht so klein und niedlich wie meisen oder rotkehlchen sind, werden sie gehasst.
auch ich habe als kind verinnerlicht, dass tauben die ratten der lüfte seien, dass sie sich zu stark vermehren und milben und andere ekelhaftigkeiten verbreiten. doch als taubi da so friedlich in ihren tüchern liegt, empfinde ich nichts als traurigkeit. ich hätte ihr ein schönes, langes taubenleben gewünscht.
vielleicht fehlt mir die ehrfurcht vor meinem eigenen leben. aber was das der anderen betrifft, ist sie intakt. ich bin zudem dankbar, dass mir m. geholfen hat. ich habe eine zarte verbundenheit gespürt, die der beginn einer freundschaft sein könnte.
all das verdanke ich einer toten taube. die jetzt hoffentlich im ewigen körnerparadies chillt.
eine freundin! das wäre schön.
AntwortenLöschenoh ja.
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