ich habe offiziell einen an der marmel. womit ich mich m.e. durch wenig von anderen unterscheide, weil die meisten menschen anzeichen psychischer erkrankungen zeigen, aber nicht zum arzt gehen - insbesondere männer. kurzum, es gibt für mich keinen grund, andere für ihr irrsein zu beargwöhnen oder zu verurteilen. aber hin und wieder ergreift mich dann doch ein wenig panik.
zur zeit, beispielsweise. seit mai habe ich einen neuen direkten nachbarn. männlich, jung und auf den ersten blick ganz ok. beruflich macht der wohl irgendwas im homeoffice, dachte ich, weil er den ganzen tag zuhause ist und man ihn dauernd reden hört. vielleicht tele-marketing oder so. nervig, aber nunja.
irgendwann dachte ich: nee, der telefoniert gar nicht. weil beim telefonieren gibt es ja mal pausen. oder, im falle einer videokonferenz, auch mal andere stimmen. ich aber höre den nachbarn kontinuierlich über stunden, ohne jegliche unterbrechung. mal lauter, mal leiser. zwischendurch singt er ganz schauerlich, gerne auch mal nach mitternacht.
einmal nahm ich ein paket für ihn an, das er erst eine geschlagene woche später abholte. er konnte sich dabei nicht klar artikulieren und schaute mich an wie hannibal lecter persönlich. irgendwas stimmt nicht mit dem, dachte ich mir spontan. seltsam bis gruselig ist der, gefühlt.
ich unterhielt mich darüber mit einer befreundeten nachbarin. diese erzählte mir, sie habe ihn neulich beim aldi-markt getroffen. da stand er ganz allein auf dem parkplatz und habe mit sich selbst geredet. er wirkte unansprechbar und völlig neben sich. ob der wohl psychotisch sei?
wir googleten den namen des nachbarn, just for fun. und stießen dabei auf diverse social media-accounts. dort gibt er wirres zeug von sich. unter anderem auch, dass er mal in der klapse war wegen schizophrenie. dass das aber alles quatsch sei, alles nur böse ärzte, die ihm schlechtes wollten. in wirklichkeit sei er nur anders wegen seines bombastisch, unvollstellbar und alle dimensionen sprengend hohen iqs. weshalb auch das auge der welt auf ihm ruhe, so im übertragenen sinne. in den videos zeigt er deshalb getrackte kommentare und insights - zum beweis, dass ihn alle beobachten, bewundern oder beneiden.
auch wenn ich persönlich keine besonderen sympathien für die klapse hege, hatte ich nach einigen videos den eindruck: wenn einer da hingehört, dann der. denn manche der videos sind auch aggressiv und beleidigend, vor allem gegen ärzte, universitäten und frauen.
es liegt also eine gewisse schwer einschätzbare bedrohungslage in der luft. es lässt sich erstens nicht sagen, ob der nachbar bei derart wenig krankheitsbewusstsein eventuell selbstgefährdet ist. was, wenn ihn irgendwelche stimmen einflüstern, er solle sich umbringen? oder aber, was wenn sie ihm sagen, dass er andere, die ihn ja verfolgen, töten müsse? wir gruselten uns sehr. der vorfall am hamburger hauptbahnhof liegt gerade wenige wochen zurück. zugleich läuft hier ein prozess wegen mordes - ein psychotischer mann hatte seiner mutter mit einer harpune in den kopf geschossen. die einzige frage lautet also: who will be next?!
im internet fanden wir unzählige hilferufe wegen psychotischer nachbarn, die nachts im treppenhaus herumschreien, wohnungstüren eintreten oder sonstige unangenehme zwischenfälle verursachen. dagegen machen kann man als mieter allerdings nichts - außer die polizei rufen. dann werden die personen unter umständen in die klapse eingewiesen - und nach ein paar tagen oder wochen meist wieder entlassen, weil dann die medikamente anschlagen. danach beginnt das ganze spiel von vorne. und da die betroffenen ja nicht doof sind, wissen sie in der regel auch, wem sie den klapsen-ausflug zu verdanken haben - was dann gerne mal gezielten terror nach sich zieht. scheiße deluxe also.
wir telefonierten zunächst mit dem vermieter und fragten um rat. der sagte, wir könnten ja ein lärmprotokoll anfertigen, dann würden sie den nachbarn wegen lärmbelästigung anschreiben. ich sagte, dass es uns nicht um den lärm ginge (der ist zwar nervig, aber nicht tödlich), sondern dass wir hier lediglich sicher und ohne amoklauf im treppenhaus wohnen möchten. der vermieter konnte und wollte aber nicht helfen.
rat von anderer, fachkundigerer stelle war also angesagt. ich rief beim sozialpsychiatrischen dienst an. dort referierte eine dame lang und breit über das selbstbestimmungsrecht psychotischer menschen. ich sagte, gut, aber ich hätte ja wohl auch ein selbstbestimmungsrecht und möchte nicht wegen einem potenziell gewalttätigen therapieverweigerer in angst und schrecken leben müssen. die dame meinte, ich könne ja mal die polizei anrufen und die sache erzählen. denn wenn dann "was passiert", hätten die wenigstens schon mal den namen gehört.
ich fragte, ob das bedeute, dass sie nicht ausschließen würde, dass was passiert. sie meinte, nein, das könne sie mir natürlich nicht garantieren. nur wenige psychotiker würden gewalttätig, aber in manchen fällen halt doch. wie ich mich denn dann verhalten solle, fragte ich. da meinte die dame, ich könne den nachbarn ja mal ansprechen und mich mit ihm unterhalten, wie es ihm so ginge. ich sagte, was für eine spitzenidee, dann fühlt der sich durch mich vielleicht getriggert und weiß ganz genau, dass ich denke, dass er nicht alle tassen im schrank hat! ob sie noch andere, sinnvollere ratschläge parat habe? die dame antwortete, wir sollten halt alle etwas vorsichtiger sein. vor allem im treppenhaus, weil es da ja nur einen fluchtweg gebe.
unendlich beruhigt legte ich schließlich auf.
auch dieser fall zeigt wieder einmal: psychiatrische versorgung in deutschland ist derart hochschwellig, dass man sie als quasi nicht zugänglich bezeichnen kann. weder betroffene noch potenzielle künftige opfer von psychisch assoziierter gewalt werden geschützt. warum gibt es keine aufsuchenden hilfen für solche fälle? ich halte auch nichts von zwangseinweisung oder gar zwangsmedikation. aber man sollte patienten mit bestimmten erkrankungen einfach auf dem schirm haben. ihnen eine regelmäßige psychotherapeutische anbindung bieten und sie ggf. auch dazu verpflichten, sich in regelmäßigen abständen bei einer beratungsstelle zu melden, damit man ein gespräch führen und sehen kann, ob es demjenigen auch gut geht.
für mich hat die geschichte folgen - auch gesundheitlich. ich schlafe wahnsinnig schlecht, fühle mich in meiner wohnung zutiefst unwohl und vermeide jeden unnötigen gang zum briefkasten oder zur mülltonne. da ich den schizo-nachbarn tag und nacht höre, kann ich mich in diesem haus überhaupt nicht mehr entspannen. ich habe ständig magenschmerzen, die ich zunächst für nachwirkungen des norovirus hielt. aber sie bessern sich, wenn ich nicht zuhause bin.
wer gibt mir meine lebensqualität zurück? ja, genau: nur ich selbst kann das. niemand wird mir helfen - keine ärzte, keine polizei, kein vermieter, keine staatliche institution. ich überlege auszuziehen, habe aber dank meiner beruflichen situation derzeit keine finanziellen mittel dazu. aber ich fürchte, das wird der der nächste schritt werden, sobald ich wieder im job bin.
Uuaaah da bekommt man ja schon vom Lesen Gaensehaut :/
AntwortenLöschenKann man ja eigentlich nur wuenschen, dass der vorher irgendeinen Grund findet, auszuziehen.
das problem ist: wir leben in einer genossenschaft. die wohnungen hier sind vergleichsweise günstig - und ich vermute ganz stark, dass der nachbar von stütze lebt. eine normale wohnung bekommst du nicht einfach übers amt finanziert. der wird hier wohnen, bis die welt untergeht, weil er ohne job woanders nicht wohnen kann.
Löschenich hatte auch mal eine zeit lang gehofft, dass meine dauer-party-studenten-wg von nebenan mal auszieht. weil studenten ja auch oft mal ins ausland gehen, die uni wechseln oder zum neuen lover ziehen. aber der knackpunkt ist: die wohnung ist von einem lehrer angemietet, der die nur teilmöbliert untervermietet. der hat die also illegal an mehrere studenten untervermietet und macht dicken reibach damit. wahrscheinlich setzt er die wohnung gleichzeitig auch noch als büro von der steuer ab. und wenn die studenten da tatsächlich mal ausziehen, kommen einfach die nächsten nach. ich hatte mal überlegt, das zu melden. aber die studenten sind natürlich froh, dass sie eine einigermaßen bezahlbare bleibe haben. denen will ich nicht schaden, auch wenn sie nerven.
... guten Tag,
AntwortenLöschenich kann mir vorstellen, dass solche Wohnverhältnisse (nicht nur) empfindliche Menschen krank machen.
Das hört sich "ungesund" an.
Gruß, Jens
was meinst du mit "solche wohnverhältnisse"? dass da ein potenzieller künftiger gewalttäter wohnt oder dass es so hellhörig ist?
LöschenNa sauber. Tatsächlich bin ich bei "bekannten Psychos" auch für eine verpflichtende, regelmäßige Terminstruktur beim Fachmann AAAABER und da sind wir wieder beim Thema, bei Fachleuten, die auch hinschauen und keine Angst haben Entscheidungen zu treffen, die unbequem sein können. Davon haben wir glaube ich, viel zu wenige...
AntwortenLöschenZu deiner Situation kann ich dir leider nicht helfen, aber ich verstehe was du meinst, es gibt nichts schlimmeres als sich im eigenen Zuhause nicht mehr sicher zu fühlen, weil jemand, der räumlich sehr nah ist eine vermeintliche Zeitbombe ist. Ich drück dir die Daumen, dass er ggf. doch schneller auszieht und für dich wieder Ruhe einkehrt.
Trotzdem würde ich eine Art Lärmprotokoll schreiben, vielleicht nutzt es doch irgendwann...
ja, das ist natürlich auch wieder ein problem. hab ja selber genug idioten getroffen auf dem weg zu diesen semistabilen ich-verhältnis, das ich heute pflege.
LöschenMein Prof sagte zum Thema Studium der Psychologie ungefähr sowas wie "alle, die diese Fachrichtung studieren, wollen sich zunächst selbst heilen. Die wenigsten schaffen es, wirklich gute, verantwortungsvolle Psychologen zu werden."
LöschenIch sag mal so eine kleine Auswahl der tätigen Psychos habe ich auch kennengelernt in den letzten 25 Jahren und mit meinen Erfahrungen unterstütze ich den Prof sehr. Ganz besonders Gutachter stehn da weit oben auf der Liste. Kannten Mitte der 90er die Form der Erkrankung noch nicht und machten daraus mal eben eine Diagnose, die dich direkt in die geschlossene bringt, wenn du nicht ganz unauffällig bleibst. Ach wir könnten uns wahrscheinlich stundenlang über die Ps unterhalten. :)
Halte dein Ich-Verhältnis, schau auf die Erfolge, ja es ist im Moment sch... und ja es ist gerade verdammt dunkel. Wenn ich mir deinen neuen Beitrag durchlese, seh ich so ein klein wenig von meinem "alles kafhöewöf". Tief in dir weißt du, dass du viel mehr bist, als die eine Stimme, die dir gerade flüstert das alles nix ist. Ich weiß, das hilft nicht, wenn das jemand fremdes sagt, mir jedenfalls hilft es nicht, aber vielleicht dir. Tu was für dich und hei, magst du ggf. ins Homeoffice und ne andere Branche? Falls ja, gib Bescheid, lieber unterfordert und gut bezahlt als überfordert für Mindestlohn. ;-)
ja, das stimmt - viele psychos studieren psychologie. aber vielleicht ist es auch die hoffnung, nach eigenen schlechten erfahrungen etwas anders und besser machen zu können?
Löschendein trostversuch war ganz wunderbar. und ja, ich würde auch einen popeljob machen für wenig geld. homeoffice ist himmel für mich als introvertierte. ;-) wenn du irgendwas weißt, ich nehme erstmal fast alles. mit handkuss! hab mich ja auch schon auf sekretariat und so beworben, aber nimmt mich keiner. klar, die denken, die ist in 3 monaten wieder weg…