vergangenes wochenende erhielt ich einen anruf von meinem vater. er war derart aufgeregt, dass er erstmal immens stotterte und keine worte fand, um sein anliegen zu beschreiben.
"kennst du sowas im internet", fragte er irgendwann nach mehreren anläufen. "trojaner oder so?"
"ja", sagte ich, "warum, hast du einen?"
"ja!" sagte vaddi aufgeregt. "und dann war da so eine nummer..."
"was denn für eine nummer?"
"telefonnummer, die haben die eingeblendet."
"wer hat die eingeblendet?"
"die, die mir helfen wollten. leute von microsoft oder so."
nach einigem hin und her fand ich heraus, dass mein vater beim surfen im internet eine pop-up-einblendung erhalten hatte, dass sein computer angeblich von einem trojaner befallen sei und er deshalb die im pop-up angezeigte rufnummer wählen solle.
"jetzt weiß ich, was du meinst", sagte ich. "klick das weg, das ist nur spam. irgendwelche abzock-scheiße."
"aber ich hab da schon angerufen."
oh nein.
"die wollten doch bestimmt geld von dir, oder?" fragte ich. hoffentlich war papa nicht so dumm gewesen und hatte irgendwas bezahlt.
"neinnein. die haben mir eine liste geschickt von den dateien, die befallen sind. und dann haben die den trojaner entfernt. der war nämlich auch auf den bankkonten."
ich schnappte nach luft:
"du hast du denen nicht etwa zugang zu deinen konten gegeben?! also deinen benutzernamen und passwort?"
"äh, ja. anders konnten die den trojaner nicht entfernen."
jetzt war polen in not.
"okay, papa, hör zu. das waren betrüger und du musst sofort deine konten sperren."
"meinst du?"
"mensch papa, man gibt doch niemandem seine kontodaten! das weißt du doch! und jetzt zackig, ruf die hotline deiner bank an und lass sofort die konten sperren."
mein vater legte ohne weiteren kommentar auf. ich hoffte, um die leitung frei für das gespräch mit der bank zu haben.
dann rief mich meine mutter über ihr handy an, ebenso aufgeregt. ich wiederholte, was sache war und fragte sie, ob mein vater jetzt mit der bank telefonierte.
"die bank hat keine hotline. wir müssen so eine notruf-nummer wählen, das hab ich mir gemerkt, als wir das konto eröffnet haben."
gut, der sperr-notruf würde es auch tun, sagte ich mir.
"aber jetzt findet der seine kontonummer nicht!" jammerte meine mutter. "der idiot weiß wieder nicht, wo er seine unterlagen abgelegt hat!"
"steht auch auf kontoauszügen", versuchte ich zu helfen, aber dann brabbelte mein vater etwas im hintergrund, meine mutter keifte auf ihn ein, und das gespräch war erstmal beeendet.
"was ist denn los", fragte der luxus-mann irritiert, der neben mir saß und an seinem samstagsabend-drink nippte.
"mein vater hat seine kontodaten an so online-betrüger gegeben. login und passwort."
"alter, ist nicht wahr, oder? dein vater ist mir ja ne nummer! vielleicht solltet ihr mal testen lassen, ob der nicht schon etwas tüddelig ist."
"ich hoffe nur, die sind nicht irgendwie an kohle gekommen."
"glaub ich nicht", sagte der luxus-mann tiefenentspannt, "dafür brauchen die schließlich ne tan, und dein vater war doch sicher nicht so bescheuert und hat denen das auch noch gegeben."
guter einwand, der raum für neue eventualitäten eröffnete!
ich rief noch einmal bei meinen eltern an und fragte, ob vaddi auch tans herausgerückt hatte.
"äh, ja", gab mein vater zu.
"wie viele tans?"
"äh... so vier?"
"alter! wie bitte kommst du auf die idee, irgendwelchen fremden deine tans hinterherzuwerfen?"
"die sagten, sie brauchen die."
"klar brauchen die die. weißt du auch, was die damit machen? die machen sich damit eine authorisierte überweisung! eine tan ist eine elektronische unterschrift! das geld siehst du nie wieder!"
"das glaube ich nicht, wir sind doch versichert", sagte mein vater seelenruhig.
"versichert? gegen was denn?"
"na, 100.000 €."
"du meinst die einlagensicherung. die tritt nur dann ein, wenn deine bank pleite geht. aber die haftet nicht für persönliche dummheit."
"das glaube ich nicht", bekräftigte vaddi seine theorie.
"sind die konten denn jetzt gesperrt?" fragte ich.
"drei sind gesperrrt."
"und wie viele konten habt ihr?"
"drei. äh, nein, vier."
"was denn nun, drei oder vier?"
"vier."
"gut, dann los, die müssen alle gesperrt werden! auch das vierte!"
mein vater übergab mich wieder meiner mutter, um die kontonummer des vierten kontos zu suchen. meine mutter machte derweil ihrem ärger luft: "ich sitze hier im wohnzimmer und hör die ganze zeit, wie dein vater im arbeitszimmer rumtelefoniert und lacht und schäkert... bestimmt 20 minuten lang! ich dachte erst, der spricht mit dir. aber dann kommt der hier an und erzählt mir diese story vom trojaner... wie kann man so blöd sein! den stecker hätt ich herausgezogen, wäre ich dabei gewesen! und jetzt räumen die uns hier die konten leer!"
"das mit den tans ist wirklich problematisch. damit bekommt ihr keine wiedergutschrift. dagegen gibts auch keine versicherung, anders als papa denkt. wie hoch ist denn euer tageslimit für überweisungen?"
"2.000 €."
ich hatte mehr befürchtet.
"das geht ja noch."
"dann rechnen mal", meinte der luxus-mann, der mitgehört hatte. "eine der vier tans haben die schon für einloggen verbraten. bleiben drei..."
"also 6.000 € schaden ist möglich, meinst du?"
der luxus-mann schaute vorsichtig:
"nicht unbedingt. wenn die da viel geld auf den konten gesehen haben und schlau waren, haben die eine der tans genutzt und das tageslimit damit hochgesetzt."
"wie hoch kann man ein tageslimit denn setzen?"
"das kommt ein bisschen auf die bank an."
noch einmal rief ich zuhause an:
"wisst ihr, was euer maximales tageslimit ist?"
mein vater behauptete 10.000 €, meine mutter 50.000 €.
"wissen die nicht sicher", sagte ich dem luxus-mann. "im schlimmsten fall 50.000 €."
"hm, wenn solche beträge fließen, schaut die bank dann meist schon mal genauer hin... was aber nicht heißt, dass solche überweisungen absolut unmöglich sind. kommt wieder auf die bank an... also rechnen wir noch mal: drei tans verbleiben nach dem einloggen. eine weitere brauchen die, um das tageslimit hochzusetzen. das muss man normalerweise für jedes konto einzeln machen... also überweisen die sich einmal den maximalbetrag. bleibt noch eine tan. damit würden die sich noch mal den maximalbetrag von einem anderen konto holen... also 2.000 €, weil sie da das tageslimit nicht mehr verändern können, mangels weiterer tans... dann hast du nen worst case von 52.000 €."
mir wurde ganz schwindelig.
"haben deine eltern denn so viel geld?" fragte der luxus-mann.
"weiß nicht, vielleicht. das haus ist abbezahlt.... und außer für essen und vielleicht mal klamotten oder einen kleinen innerdeutschen urlaub haben die keine ausgaben. also keine teuren hobbys oder so. mein vater hat ja ne gute rente und ist dabei grundsätzlich recht sparsam."
der luxus-mann als erfahrener ex-investmentbanker überlegte weiter.
"weißt du, was für konten das sind? wenn das zum beispiel festgeld ist, kann man davon nichts abheben oder überweisen, das ist immer ein laufender vertrag."
"meines wissens haben die sowas nicht."
"oder ein depot? dann müssten die betrüger zuerst die wertpapiere verkaufen, wofür sie auch tans bräuchten."
"ganz sicher nicht."
"deine eltern lassen ihr geld also unverzinst herumliegen?"
"ja, leider."
"schlecht, in diesem fall ganz besonders."
mein vater rief zurück und verkündete, dass nun alle konten gesperrt seien.
der luxus-mann gab mir ein zeichen, dass ich ihm mein handy reichen möge. dann sprach er mit meinem vater.
"an eurer stelle würde ich montagmorgen in der hauptgeschäftstelle anrufen und fragen, ob überweisungen von heute zu sehen sind", sagte der luxus-mann in seiner klaren, ruhigen art. "gleich ganz früh morgens, wenn die erreichbar sind. das wochenende könnte uns zeit verschaffen... da passieren nämlich keine transaktionen. vielleicht entdecken die am montag noch nicht ausgeführte überweisungen und können die stoppen. dafür wäre es wahrscheinlich gut, wenn ihr den betrug irgendwie... nachweisen könnt, zum beispiel, indem ihr bis dahin schon mal anzeige erstattet."
mein vater brabbelte etwas.
"nein, die polizei selber kann da nichts machen", sagte der luxus-mann. "die können nicht in euere konten schauen. das dürfen die auch gar nicht. und für den fall, dass euch mal jemand anruft und sagt, er sei von der polizei und brauche eure kontodaten - niemals drauf eingehen! auch euer bankberater fragt euch nie nach kontodaten oder gar nach tans."
der luxus-mann legte auf und schaute mich zweifelnd an.
"ich hab so das gefühl, wenn jemand deinen vater noch mal nach kontodaten fragt... der würde die ihm geben. das prinzip online-banking hat der so überhaupt nicht verstanden. ein wunder, dass da nicht schon früher was passiert ist."
"scheint mir auch so. vor allem mit seiner theorie, dass die einlagensicherung greift, wenn er fahrlässig überweisungen authorisiert..."
"ich würde empfehlen: kein online-banking mehr für vaddi", meinte der luxus-mann. "er kann ja ein online-girokonto behalten, wo er einen kleinen betrag drauf hat. aber den kompletten rest würde ich anders anlegen. die sollen sich am besten ein festgeld-konto holen, es gibt doch auch wieder schöne zinsen inzwischen."
ich suchte für meine eltern die rufnummer der hauptgeschäftsstelle ihrer bank heraus und recherchierte die öffnungszeiten. dann rief ich meine mutter an, denn ich fühlte mich wohler, wenn sie das in die hand nahm.
"ich hab dir die nummer geschickt, die du brauchst. die kannst du montagmorgen um 8 uhr erreichen. gleich um 8 uhr da anrufen... nein, hinfahren brauchst du nicht persönlich. dann sagst du denen, dass ihr opfer von internetbetrügern geworden seid und dass alle noch nicht ausgeführten überweisungen vom samstag gestoppt werden müssen. und morgen fahrt ihr erstmal in ruhe zur polizei und erstattet anzeige. lasst euch da am besten eine vorgangsnummer oder so geben, falls die bank sowas braucht. aber das weiß die polizei sicher auch alles."
dann harrten wir der dinge, die da kommen würden.
am montag bekam meine mutter einen nervenzusammenbruch, wohl aufgrund der allgemeinen anspannung. sie hatte aber morgens punkt acht bei der hauptgeschäftsstelle angerufen und wie besprochen gebeten, alle überweisungen aufzuhalten. aktuell waren zwei dreistellige beträge abgegangen, die auch nicht mehr zurückgeholt werden konnten.
später am vormittag rief sie mich erneut an, um mir mitzuteilen, dass zwei weitere überweisungen auf dem weg gewesen wären, die die bank aber noch gestoppt hatte. diesmal hätte der schaden mehrere tausend euro betragen, doch die bank konnte die transaktion nach dem anruf meiner mutter abfischen.
im weiteren tagesverlauf passierte dann glücklicherweise nichts mehr.
"vielen dank für eure hilfe", sagte meine mutter am abend. "auch an den luxus-mann, das war ein super tipp von ihm, da anzurufen. ohne euch hätten wir überhaupt nicht gewusst, was wir machen sollten."
"keine ursache. und macht das am besten so, wie der luxus-mann sagte, trennt euch vom online-banking und legt euer geld lieber fest an."
"ja, wir haben diese woche gleich einen termin dafür vereinbart."
so ging diese geschichte letzten endes glimpflich aus. auch wenn meine eltern das verlorene geld nie wieder sehen würden, bewegt sich der verlust im noch verschmerzbaren bereich. eine lehre würde ihnen das erlebnis ohnehin sein - so hoffe ich zumindest.