Mittwoch, 29. Dezember 2021

harcore aging

irgendwann vertauschen sich die rollen. irgendwann werden die eltern wieder zu kindern und die kinder zu eltern.

so ähnlich erlebe ich es derzeit bei meinem heimatbesuch. 

booster sei dank hab ich todesmutig eine bahnfahrt gebucht und bin weihnachten südwärts gefahren. meine eltern sind 73, wer weiß, wie lange man sich noch hat.

früher holten mich meine eltern freudestrahlend mit dem auto am bahnhof ab. inzwischen steige ich in die s-bahn und fahre selbst aus dem zentrum weiter nach suburbia.

das auto holen meine eltern nur noch aus der garage, um zwei straßen weiter einzukaufen. wenn man bedenkt, dass mein vater einst ein begeisterter autofahrer war, der auch gern mal ordentlich aufs gaspedal trat, eine traurige entwicklung. aber auch keine allzu schlimme. wenigstens landet mein vater so nicht in einem schaufenster wie die othmarschener pfeffersäcke mit ihren fetten kindergrills.

die körperliche entwicklung meiner eltern ist gegensätzlich. meine mutter ist stolze besitzerin eines neuen kniegelenks und macht dafür tatsächlich mehrfach pro woche gymnastik und fährt rad. das zahlt sich aus. sie hat es geschafft, ihre mitpatienten, die teils erst zwischen 50 und 60 jahre alt sind, im fortschritt weit hinter sich zu lassen. sie ist insgesamt agil und auch im kopf jung geblieben.

mein vater hingegen geht krumm und krümmer. es scheint nur eine frage der zeit, bis er den 90-grad-winkel nicht nur sitzend, sondern auch gehend erreicht. jahrzehnte zwischen bett, couch//fernseher und kühlschrank haben seine muskeln vollkommen verkümmern lassen und dazu geführt, dass selbst die 300 meter zum arzt an der ecke eine qual geworden sind. 

"dein vater läuft ja viel schlechter als meiner mit über 80", sagte der luxus-mann im sommer schockiert. "der müsste jeden tag ne stunde spazieren gehen!" doch das kommt zu spät, viel zu spät. an spaziergänge ist nicht zu denken. für 500 meter braucht mein vater 20 minuten, und das ist maximum. danach muss er eine halbe stunde sitzen.

da er auch schmerzen hat, bekommt er physiotherapie, darüber hinaus fußpflege. beide dienstleistungen sind dringend notwendig, da mein vater nicht nur sport, sondern auch die pflege bestimmter körperteile für vollkommen überflüssig hält. dadurch kommen neue aspekte in sein leben, eine geradezu revolutionäre sache: er hat damit zwei soziale kontakte, die nicht meine mutter sind. das tut ihm gut und scheint ihm zu gefallen.

ein weiterer sozialer kontakt bin derzeit ich. sobald ich das zimmer betrete, werde ich gnadenlos niedergesabbelt. nicht, dass mein vater viel zu erzählen hätte. stattdessen werden die immer selben themen in verqueren endlos-spiralen abgespult. 

thema nummer eins ist, wie schlimm für ihn der körperliche verfall ist. weder meine mutter noch ich noch seine physiotherapeutin können ihm begreiflich machen, dass er ihn selbst immens beschleunigt hat. deshalb ist er auch nicht bereit, mehr als das absolut nötigste zu machen. wenn ich mir das gejammere eine weile angehört habe, verweise ich gern auf das objekt, das sich ohne selbstverschulden in einer viel schrecklicheren lage befindet. manchmal erdet das.

zweites thema ist die böse welt mit der bösen technik. ein sehr akutes problem, denn mein vater hat sich einen neuen rechner gekauft. seit zwei monaten rief er mich deswegen jeden zweiten abend an: soll er ihn wirklich kaufen? weil: der alte ist zwar 15 jahre alt und kaputt, aber vielleicht noch nicht kaputt genug (er lässt sich prinzipiell noch einschalten). 

als mein vater sich dann zum kauf durchgerungen hatte, fragte er mich ständig, ob er das gerät nicht besser wieder zurückschicken solle. weil: man kann ja nicht wissen! nie! nach einer stunde aufgeregter sabbelei waren wir dann immer soweit, dass er ihn doch behalten wollte - eine entscheidung, die 48 stunden später wieder stark angezweifelt wurde. was dann zu erneuten langen telefonischen diskussionen führte.

nun steht der rechner tatsächlich im zimmer. natürlich hat ihn bislang niemand angerührt, denn ähnlich wie beim drücken des roten knopfes einer atombombe könnte eine inbetriebnahme verheerende folgen haben. ich habe das schwarze baby in 5 minuten unter zahlreichen zwischen- und unkenrufen verkabelt und innerhalb weiterer 20 minuten in einen funktionsfähigen zustand versetzt. alles klappt reibungslos, das gerät schnurrt wie eine blitzmaschine. insgesamt ein guter kauf.

in den augen meines vaters ist natürlich NICHTS in ordnung. er diskutiert jedes update mit mir durch, will wissen, wozu das gut ist, ob man das WIRKLICH WIRKLICH WIRKLICH braucht und wie viel speicherplatz das genau wegnimmt (wir haben einen 500 gb rechner). jedes blinken führt zu einer million fragen und abstrusen theorien, warum das eventuell nicht richtig (= gefährlich) sein könnte. sehr viel sorge bereitet ihm zudem der gedanke, dass der computer ihm klammheimlich windows 11 oder eine zahlungspflichtige antivirensoftware installieren und in diesem zuge sein konto plündern könnte.

weil mein vater nur noch auf sich fokussiert ist, merkt er nicht, wann er nervt und dass er nervt. ich bewundere meine mutter, dass sie ihn noch nicht verlassen hat. vielleicht nimmt sie drogen oder hat einen heimlichen lover.

obwohl ich bisweilen schrecklich schrecklich genervt bin, verspüre ich auch liebe für meinen vater. auch wenn er nicht ein einziges mal nach meiner welt fragt und es ihn offenbar nicht weiter interessiert, wie es mir geht  oder was ich brauche, weiß ich, dass er im grunde seines herzens ein liebevoller mensch ist. völlig verkorkst, aber eben kein arschloch. entsprechend schwanke ich zwischen strenge und empathie, und wie immer sind solche ambivalenzen emotional erschöpfend.

hardcore aging bedeutet hardcore geben. menschen, die demenzkranke angehörige betreuen müssen, kennen das sicherlich in noch ausgeprägterer form.

morgen geht es zurück in mein wirtschaftsasyl. ich bin traurig wie immer, aber auch ein wenig erleichtert. ich habe in diesen 6 tagen wieder einmal besser verstanden, warum ich bin wie ich bin und mich ebenfalls gerne selbst sabotiere. auch wenn ich bei mir immer noch manchmal nicht genau weiß, wie ich mich besser regulieren kann - zumindest habe ich anscheinend noch rechtzeitig den handlungsbedarf erkannt und konsequenzen gezogen. mein vater bräuchte psychotherapie. aber ich denke nicht, dass er verstehen würde, warum.

ich wünsche mir  von mir von herzen, dass meine kleine fränkische kindheitswelt noch steht, wenn ich das nächste mal hinfahre. und ich hoffe, dass das nicht wieder ein jahr lang oder so dauern muss. ich bin jetzt die mutti, und irgendwie werde ich mich in diese rolle einfinden.

Mittwoch, 22. Dezember 2021

hygiene, baby!

männer sind wildschweine.

allgemeine fakten sind ja hinlänglich bekannt. zum beispiel, dass sich über ein drittel aller männer nach dem toilettengang nicht die hände wäscht. außerdem duschen 70% nicht täglich - was nicht weiter schlimm wäre, würden sie es nicht auch noch unterlassen, ihre vollgeschwitzte kleidung zu wechseln. insofern gut, dass laut statistiken offenbar wenigstens 80% täglich ein deo auftragen.

ein beliebter ort, um das ferkelgen öffentlich auszuleben, ist den herren das fitnessstudio. desinfektion ist hier neuerdings pflicht, da sich das covid-virus auf oberflächen bis zu 72 stunden hält. doch auch schon früher war es üblich, die moschus-lachen auf den sitzen und die klebrigen rückstände an griffen und einstellungselementen nicht groß zu entfernen.

männliche hygiene im fitnesstudio sieht dementsprechend auch bei infektionsstufe dunkelrot aus wie immer. dabei lassen sich in meinem studio gewisse typen ausmachen:

der faule: "nö. das ist mir einfach zu umständlich." das sind etwa 25% der männlichen besucher.

der widerstandfähige naturbursche: "ich bin gesund, und ein bisschen dreck schadet nicht!" diese art macht etwa 20% aus.

der selbstgerechte: "woher weiß ich denn, ob der vor mich auch desinfiziert hat?! ich bin doch nicht bescheuert und spiele hier als einziger für alle den putzmann!" etwa 10% der männer leiden unter dieser immensen angst, sich sebst zu übervorteilen und der welt möglicherweise versehentlich einen dienst zu viel zu erweisen.

der sexist: "wischen ist was für weiber!" auch etwa 10%, tendenz fallend.

der chauvinist: "ich hab meine freundin dabei, die macht das dann schon." das sind nur 5%, weil männer ihr pump-und-stöhn-programm nicht sehr häufig als pärchen-event abziehen. zumindest ist das in meinem studio so.

der aluhut-turner: "desinfektionsmittel sind gesundheitsschädlich!1! viel schlimmer als irgendein virus!1! das teufelszeug enthält den schweiß von bill gates!1! und der ist GiFtig!!" (oder so ähnlich halt.) das sind ebenfalls etwa 5%. auffälligerweise überwiegend feine pinkel, die beim training peinlich darauf achten, dass ihre fönfrisuren nicht verrutschen.

schätzungsweise 25% der trainierenden männer wischen ihre geräte allerdings tatsächlich ab. eher gelegentlich als regelmäßig, eher flüchtig als gründlich. aber ihr ego und ihr intellekt erlauben es grundsätzlich, dass sie mit sprühflasche und papiertüchern bewaffnet über ihre benutzten geräte streicheln, ohne dass ihnen die klöten dabei verschrumpeln.

immerhin etwas. in zeiten wie diesen gibt frau sich ja schon mit kleinigkeiten zufrieden.

Freitag, 17. Dezember 2021

das system hartz IV und wie der kapitalismus es nährt

der aufschrei war groß: politiker genehmigen sich mehr diäten, hartzer gehen leer aus. das ist ungerecht, scheint es.

auf den ersten blick. auf den zweiten muss man sagen: diäten und hartz IV sind zwei völlig unterschiedliche themen ohne kausalen bezug. hartzer gehen nicht deshalb leer aus, weil politiker mehr kohle wollen. es ist also ein populistisch konstruierter kontext.

aber es gibt doch einen versteckten zusammenhang, und der heißt kapitalismus.

in einer kapitalistischen gesellschaft ist nur ein leistungsfähiger mensch gut. dumme, faule, kranke, alte und weitere "assis" gehören nicht dazu. und wir wollen sie auch gar nicht unserer feinen kapitalistengesellschaft!

hartz IV ist nicht geschaffen worden, um die gesellschaft zusammenzuhalten und teilhabe zu ermöglichen. hartz IV ist dazu da, um abzuschrecken und zu spalten. hier, menschen, seht, was passiert, wenn ihr dem kapitalismus nicht huldigt: ein bettler werdet ihr! also reißt euch gefälligst den arsch auf, ihr sklaven, wenn ihr nicht auch noch betteln wollt!

man braucht hartzer also. sie werden am leben gehalten, sie sollen sich auch bitte unter uns bewegen, um ihren sinn zu erfüllen: als unsere gehassten schmarotzer, die nichts beitragen, oder als diejenigen, die zu dumm sind, um einen job zu ergreifen. sie sind die clowns im zirkus von "hartz und herzlich", wo sich der erhabene spießbürger gleichermaßen mitfühlend erleben und echauffieren kann.

sollte man also die hartz IV-sätze erhöhen? sagen wir mal, so um 100 €? wer hätte vorteile davon?

für den hartzer bedeutet es natürlich weniger sorge und mehr genuss, aber keine chance auf ein nachhaltig signifikant besseres leben (schöner wohnen in einer besseren gegend bspw.). aber er ist zufrieden, weil er die ungerechtigkeit des systems weniger spürt. er spielt seine rolle als clown der gesellschaft weiter brav mit und tut sich sinnlose "weiterbildungen" und anderen scheiß an.

was sinken würde, wäre die motivation, einen niedrig bezahlten job anzunehmen. wer die wohnung bezahlt bekommt und 500 € zur verfügung hat, hat gerade mal rund 300 € weniger auf der hand als jemand, der beim neuen mindestlohn von 12 € die stunde vollzeit arbeitet. ohne eine erhöhung des mindestlohns auf 12 € beträgt die differenz gerade mal 150 €.

besser für die motivation arbeitsloser hartzer und natürlich auch für arbeitnehmergerechtigkeit wären also eher 14-15 € mindestlohn. 

aber nur scheinbar.

auf jeden fall gäbe es einen großen aufschrei in der wirtschaft. bezahlt man jedem unqualifizierten hilfsarbeiter solche summen, will auch der ausgebildete facharbeiter mehr geld. hilfe, eine gefährliche lohnspirale! das können wir uns nicht leisten! setzt der chef jedoch nicht auch die gehälter aller facharbeiter hinauf, käme es zu massiven spannungen in den teams. weil die löhne dann - gemessen an der qualifikation - sehr oft ungerecht wären. die produktivität würde wahrscheinlich sinken.

den zweifelsfrei größten vorteil von einer hartz-IV-erhöhung hat das system hartz IV selbst: es legitimiert sich dadurch und trägt zu seinem fortbestehen bei. ergo: ziel erreicht! weiter so! der hartzer ist zufrieden, die wirtschaftsbosse sind glücklich und auch die politik muss keinen finger rühren.

wer sich also über hartz IV aufregt, muss auch out of the box denken. abrissbirne statt herumprökelei an einer ruine, bei der schon das fundament falsch gelegt wurde.

was würde ich - wohlgemerkt als laie, die natürlich nicht alle zusammenhänge voll überblickt! - anders machen, um hartz IV möglichst obsolet zu machen?

- kostenfreie kitas und kostenfreie bildung, und zwar in gut ausgestatteten ganztagskitas und ganztagsschulen, um kinder aus sozial schwachen familien besser zu fördern. dafür wird das kindergeld für reiche abgeschafft, für andere gesenkt.

- statt geld bekommen hartzer gutscheine für essen, drogerieartikel usw., um missbrauch zu vermeiden. diese gutscheine können personalisiert und angepasst werden, wenn bspw. erkrankungen vorliegen. ausgezahlt wird nur noch ein kleines taschengeld.

- alte, kranke und behinderte menschen, die nie wieder arbeiten können werden, erhalten eine rente statt sozialleistungen, um sie nicht zu stigmatisieren oder mit sanktionen zu drangsalieren. 

außerdem:

- anpassung der steuerprogression nach unten, erhöhung des steuerfreibetrags

- erhöhung des spitzensteuersatzes auf 75 %

- einführung einer vermögenssteuer

- absenken der verdienstgrenze bei minijobs auf 250 €

- anpassung des bafögsatzes an den mietenspiegel der jeweiligen universitätsstädte

- senken der unternehmenssteuern für betriebe, die sich messbar sozial und ökologisch engagieren

- erhöhung der strafzahlungen auf steuerhinterziehung inkl. aussetzen der verjährung

- erneute verstaatlichung von krankenhäusern und pflegeeinrichtungen

meine utopie wird selbstverständlich niemals wirklichkeit werden. gut so, denkt manch einer jetzt sicherlich.

trotzdem schade, dass auch unsere neue regierung nichts ändern will und wird. alles, worauf man derzeit noch hoffen kann, ist - hoffentlich straffreies - bekifftes daseinsfristen.

Sonntag, 28. November 2021

beschissenes ende eines beschissenen jahres

im job laufe ich am absoluten limit. nicht nur, dass derzeit wahnsinnig viel zu tun ist. meine mit goldenem löffel geborene kollegin fällt zusätzlich mal wieder durch inkompetenz und kritikunfähigkeit auf. ich verhandle mit der chefin und hole mir das ok, sie endlich zu feuern zu dürfen. 

ein arschtritt zu weihnachten ist zwar nicht nett, aber weihnachten selbst ist sowieso nur ein einziger fetter klumpfuß im enddarm.

wegen omicron stehen alle franken-pläne fürs fest auf der kippe. meine mutter weint ins telefon, mein vater jammert. ich tröste eine stunde lang, obwohl mir selber zum schreien und heulen zumute ist. 

der luxus-mann fragt, ob ich dann an heilig abend mit ihm und seiner familie wichteln will. allerdings ist diesmal seine tochter dabei, d.h. wichteln bitte nur mit schönen und qualitativ hochwertigen und kindgerechten geschenken, und bitte ohne böse witze, sonst ist madame beleidigt. ich lehne dankend ab, da ich mich nicht am pampern eines völlig verzogenen balgs beteiligen möchte.

silvester muss ich ohnehin in luxus-hausen verbringen, weil ich wahrscheinlich wieder kochen soll. und es gibt absolut nichts schlimmeres als schanzen-silvester mit dummbratzigen brandbirnen, die ihre kindische böllerkacke abziehen müssen.

wohin? und wozu? frage ich mich also. 

vielleicht doch einfach durcharbeiten? allerdings habe ich schon so viele wochenenden durchgearbeitet, mein körper schreit nach einer pause. wenn ich abends im bett liege, schlägt das herz wie ein pflasterstein in der brust und der kopf listet noch einmal schön alle to-dos auf. ein programm, was locker für 3-4 stunden wachliegen reicht.

wäre ich geboostert, würde ich vielleicht zum objekt fahren. das bräuchte mich dringend, denn es ist gerade so depressiv, dass es seit letzter woche aufgehört hat zu sprechen. aber mein booster ist noch monate entfernt. und wenn sich das impfchaos wiederholt, wovon ich ausgehe, werde ich zwischenzeitlich vielleicht ganz ohne impfschutz sein.

mein versuch, mich wenigstens mit günstigen supermarkt-schnelltests einzudecken, scheitert, weil es hier nirgendwo mehr welche gibt. meine gehbehinderte, schwerkranke, geimpfte aber natürlich ebenso ungeboosterte nachbarin klingelt bei mir und bettelt um einen test - nur zu sicherheit, falls sie jetzt kontakt mit infizierten hat. ich kann ihr nicht helfen.

es ist das beschissene ende eines beschissenen jahres. am freitag beginnt dann noch der börsencrash wegen omicron und meine popelige, mühselig aufgebaute altervorsorge schmilzt wie butter in der sonne dahin. ich habe lust, rauszugehen und alle dämlichen ego-urlauber einfach abzustechen, die so selbstlos für die schnelle und effiziente globale verbreitung der scheiße gesorgt haben.

insofern, fühlt euch alle ins knie gefickt, schwurbler zuerst und sowieso, der rest second, aber dafür umso herzlicher.

Donnerstag, 11. November 2021

spaß mit der deutschen bahn

wer derzeit mit der deutschen bahn reisen muss, darf sich freuen: auf vielen verbindungen reist man in völlig überfüllten zügen. nur beim gruppenkuscheln im puff geht es mit noch weniger abstand zu.

das zweite große problem sind mitreisende, die keine maske tragen oder sie einfach unter kinn oder nase hängen. auch ich verbrachte am wochenende meine viereinhalbstündige fahrt mit rotznasigen maskenverweigerern in einem abteil. ansprechen konnte ich das problem nicht, denn die lieben mitreisenden waren weder des deutschen noch des englischen mächtig. ausweichen war ebenfalls unmöglich aufgrund besagter überfüllung.

zweimal kam personal der bahn vorbei und schaute kurz durch die verglasung meines abteils, um gleich darauf eiligen schrittes wieder fortzurennen. offenbar hatten die mitarbeiter der bahn so wenig lust auf ansteckung oder maskendiskussionen, dass sie sogar davon absahen, die tickets zu kontrollieren.

auf den wenigen noch funktionsfähigen toiletten der bahn gab es weder seife noch klopapier. auch das desinfektionsmittel war alle. mein abteil war verdreckt, die sitze klebrig. kurzum: die bahnfahrt war nicht nur unangenehm, sondern absolut widerlich. 

ich muss dazu sagen, dass ich ausnahmsweise sogar erste klasse gereist war und so ordentlich für die ekelhaftigkeiten der bahn abgelatzt hatte. entsprechend fassungslos machten mich die desolaten zustände im zug.

ich ärgerte mich so sehr, dass ich beschloss, das hoffnungslose unterfangen einer beschwerde zu wagen. so setzte ich mich hin und füllte akribisch das inquisitionsfomular der bahn aus: zugnummer, reisezeit, bahncard oder nichtbahncard, name, adresse, lieblingsfarbe. dann schilderte ich die zustände.

da der service der deutschen bahn ununtertreffbar ist, blieb man mir selbstverständlich eine antwort schuldig. noch nicht einmal zu einem automatisierten roboterschreiben ließ man sich herab.

restlos begeistert tat ich anschließend auf twitter meinen unmut kund, wohlwissend, dass social media teams oftmals schneller, flexibler und lösungsorientierter sind als die beschwerdeabteilungen eines unternehmens. schließlich musste man hier das kritische feedback nicht erst ausdrucken, kopieren, im beschwerde-ordner abheften und zugleich per postkutsche an die zuständige abteilung faxen.

als kleiner, sehr privater twitter-account ohne nennenswerte follower erhielt ich auch auf diesem wege keine antwort. interessant wurde es erst, als sich ein anderer twitterer mit zehnmal so vielen followern über die verhältnisse in den zügen beschwerte. ich schilderte auch dort meinen frust und erwähnte zudem das schuldigbleiben einer antwort der deutschen bahn.

schwupp, war das social media team der bahn plötzlich zur stelle. und surprise, surprise, man erläuterte mir, dass das bahnpersonal durchaus dazu angehalten sei, auf die maskenpflicht in den zügen zu pochen. ich erwiderte, dass dies aber leider nicht der fall sein. 

die antwort haute mich fast von den socken: "letztlich hätte aber jeder zug verspätung, würde man das immer so machen. es ist also nicht so einfach, wie es erscheinen mag." kurzum, die mitarbeiter der bahn sollen zwar auf die maskenpflicht pochen und querulanten ggf. aus dem zug verweisen, können das aber gar nicht umsetzen, weil sie verspätungen (HAHAHA!) vermeiden müssen.

als ich daraufhin feststellte, dass die bahn damit zugibt, keine kontrolle über die situation zu haben, blieb der/die social media mitarbeiter:in nichts mehr anderes übrig, als patzig zu werden: das sei nur meine interpretation!

ich brach die diskussion an dieser stelle ab, da ich einerseits keine interpretationsspielräume in den gemachten angaben erkennen konnte, zum anderen keine lust hatte, mich weiterhin dumm anreden zu lassen.

ich hoffe sehr, dass flixtrain und andere unternehmen der bahn bald ordentlich konkurrenz machen und die deutsche bahn kapieren muss, dass behäbigkeit, planlosigkeit, innovationsfeindlichkeit und fehlgeleitete kundenkommunikation keine mittel zum erfolg sind. die staatlichen milliarden-subventionen werden hier in der tat in einem fass ohne boden verbraten.

für den fall, dass meine werten leserinnen und leser gerade eine reise planen: ich kann nur abraten, sie mit der bahn zu machen. es ist ekelerregend, akut gesundheitsgefährdend - und verspätung haben die züge ohnehin fast immer, egal, ob jemand von der mitfahrt ausgeschlossen wird oder nicht. nehmen sie das rad, das rikscha, die postkutsche oder satteln sie sich ein pferd - besser ankommen werden sie in jedem fall!

Dienstag, 2. November 2021

november

der november ist wie farbe ins pinselglas. schlieren und wolken, bunt, grau, ein bisschen erhaben und ein wenig unübersichtlich bisweilen. größere wirbelstürme bleiben derzeit aus, und das ist auch in ordnung so.

aktuell verlangt mir der vorletzte monat erstaunlich viel bewegung ab, körperlich und wegetechnisch.

die jahresveranstaltung steht an. das bedeutet mal wieder ein wochenende im ruhrpott. ich könnte jetzt über berufliches schwatzen, würde mich als homo faber definieren. aber wer mich kennt, weiß, dass mir die feine leistungsgesellschaft am arsch vorbeigeht.

der mann möchte zudem noch einen kurzurlaub, und wir entscheiden uns für eine rentner-tour in den harz. ein bisschen laufen kann ich wieder, habe inzwischen sogar die ersten jogging-versuche hinter mir und komme zumindest auf kümmerliche 6 km.

in bewegung merke ich weniger, wie sehr ich auf der flucht bin. das ist beruhigend, aber trügerisch. immerhin teile ich einen planeten mit 7,9 millarden irren. und ich komme hier nicht weg, weil ich nicht jeff bezos oder elon musk bin.

november, ich genieße dich dennoch in vollen zügen. deine tage sind duftend, der morgendliche nebel deckt alles zu, was mich erschrecken könnte. das raschelnde laub zu meinen füßen erzählt mir geschichten, die niemand außer dir und mir je kennen wird.

du bist der vorletzte, und das vorletzte ist stets verheißungsvoll in jede richtung.



Sonntag, 24. Oktober 2021

manche dinge ändern sich nie.

plötzlich passiert wieder was.

plötzlich ist quasi wieder normal.

plötzlich sind die clubs geöffnet.

gestern abend bin ich alleine zuhause. ich drehe meine lieblingsmusik auf und genieße es, mich dabei in ein partyoutfit zu werfen und mir farbe ins gesicht zu pinseln.

ist es nicht aufregend? die nacht liegt wie ein großes geheimnis vor mir. 

alles, fucking alles kann passieren! isn´t it magic? 

das gefühl ist exakt dasselbe wie vor 10 oder 12 jahren. 

manche dinge ändern sich nie.

dank neuer heimat alles noch dazu ein heimspiel: 5 minuten radeln, reinfallen, fertig. schauen, was geht. was nicht geht, wiegt nicht schwer, wenn man in 5 minuten wieder zuhause ist.

die tür erfreulich gewissenhaft: impass gescannt, ausweis genau mit taschenlampe inspiziert, und es wird ebenfalls penibel kontrolliert, ob ich mich brav per app oder zettel als gästin registriere.

garderobe? voll. "sorry", sagt das mädel mit dem blonden iro, "kannst ja so in ner stunde noch mal kommen, vielleicht geht schon wer."

drinnen mehr menschen als luft zum atmen. kurzes unbehagen, dann eintauchen, verschmelzen, anker finden: hier ist m., dort steht t. und drüber im raucherraum wie immer v. 

"manche dinge ändern sich nie", sage ich zu m., die mir als erste um den hals fällt. 
"jo, sagt sie. "beruhigend, oder?" 
es ist eine echte frage. 
"mal schauen", antworte ich, und sehe m. an. sie hat die haare jetzt kurz, was ihr wahnsinnig gut steht.

die musik ist mir zunächst zu sehr 90er. dann aber kommt witt mit dem goldenen reiter, ein lied, das ich kürzlich auf eine cd für das objekt gebrannt habe. 

tanzen ist schwierig. man muss sich erst vom rand in die mitte kämpfen, dort geht es dann, dort drängelt sich keiner mehr durch und es stören keine drögen herumsteher.

nach fünf oder sechs songs pausiere ich. die lange narbe am fuß schmerzt. also arbeite ich mich zu v. in den raucherraum durch. 
 
ich rauche ein einzige, köstliche zigarette, die dann aber als quasinichtraucherin gar nicht so köstlich ist, und trinke ein alster. 

"ist dein freund auch da", fragt v.
"nee, der war müde. hat noch fussi geguckt und sich dann hingelegt."
"seid ihr inzwischen eigentlich schon verheiratet", will v. dann wissen.
"nö", sage ich. "kennst mich doch. ich bin ein freiheitsliebendes wesen. wir leben auch nicht zusammen."
"manche dinge ändern sich dann wohl doch nie", meint v. und lächelt.

noch eine runde tanzen, was der fuß nicht gut findet, und dann findet es auch die seele überhaupt nicht mehr gut: zu viele schwitzende und betrunkene menschen, zu wenig emotionales knautschzonenkontigent.

und ich werfe das handtuch. nach nur etwas über einer stunde. nicht frustriert, nicht fröhlich, sondern irgendwo mittendrin.



Dienstag, 5. Oktober 2021

raum, zeit und liebe.

"manchmal", sagt das objekt und hält mich dabei fest umschlungen, "manchmal habe ich angst, dass du mir plötzlich wegfliegst, weil da so ein luxus-mann kommt und du..."

ich habe meinen kopf an seiner schulter und schwebe in dem vertrauten duft von orange, patchoulie und objektiven pheromonen, während ich ungesehen ein großes, glückseliges lächeln lächle.

-

diese szene ist 1:1 wirklichkeit, aus einer begegnung irgendwann anfang 2017, vier oder fünf monate vor dem unfall. mein gehirn hat die szene millisekundenscheibchenweise abgespeichert und holt sie dann und wann nächtens im traum hervor. 

wenn ich erwache, habe ich oftmals das gefühl, nicht alleine zu sein, gerade so, als stünde ein geist in meinem zimmer. aber wahrscheinlich ist es nur meine liebe, unsere liebe, die eine zeitblase im raum bildet und diesen in schwingung versetzt wie die saite eines instruments.

meine sehnsucht ist noch immer bodenlos und expansiv, auch wenn sie mich inzwischen nicht mehr vollends mit ihrer ungeheuren dichte vernichtet. sie lässt mir eine spaltbreit für etwas atem und die letzten, noch immer ungeweinten tränen, die ihren platz einfordern.


Sonntag, 19. September 2021

das herz ist ein dunkler wald

freitagmorgen um kurz vor 9 uhr verließ ich luxus-hausen, um die bahn richtung polnische grenze zu nehmen. dort, in einem kleinen dorf, wohnt nun das objekt. ein paar wenige kilometer weiter leben die objekt-eltern nahe der küste.

die fahrt begann sehr fröhlich und auch feucht, denn in meinem abteil ganz am ende des zuges saßen elke, gisela und drei weitere fidele damen so um die mitte 50 bis mitte 60. sie hatten sekt, cracker und käse aufgebahrt und freuten sich auf einen shopping-trip in berlin. wir verstanden uns sofort prächtig, sodass auch ich mitversorgt wurde und so um 10 uhr vormittags schon nicht mehr ganz nüchtern war.

von berlin ging es dann weiter mit diversen bummelbahnen, bis ich irgendwann gegen 16:00 uhr an einem eingleisigen mini-bahnhof die mini-bahn verließ. da war ich nun, und vom parkplatz winkte schon die objekt-mama, die es sich nicht hatte nehmen lassen, mich abzuholen.

ich wurde sehr herzlich gedrückt und hocherfreut begrüßt, und auch wenn es nur 100 meter waren, verlud die objekt-mama meinen koffer ins auto und brachte zu mich  zu meiner unterkunft. von dort aus ging es dann noch 5 autominuten weiter richtung pflegeheim.

mein herz schlug mir bis zum hals, als ich das zimmer des objekts betrat. es saß für meinen besuch schon bereit im rolli und starrte mich gebannt und etwas ratlos an. 

"du kannst die maske gern abnehmen", sagte der objekt-pfleger sanft zu mir.

sobald ich die maske abgestreift hatte, verwandelte sich das objektive gesicht. statt erstaunen und neugier stand da nun pure freude, und zu meiner noch größeren freude sagte es zur begrüßung gleich meinen namen.

dann lagen wir uns eine ewigkeit in den armen. zunächst lachte das objekt immer wieder auf, dann begann es mich ernst und zärtlich anzusehen. 

"ich freu mich so, dass ich da bin", sagte ich.
das objekt nuschelte etwas, was ich nicht verstand, aber es klang zustimmend.

die objekt-mama hatte mir aufgetragen, das objekt ruhig zu fordern und spiele mit ihm zu spielen. also holte ich irgendwann das mensch-ärgere-dich-nicht-brett aus dem schrank, baute den kleinen tisch auf und ließ das objekt dort platz nehmen.

dann schlug es mich dreimal, indem es sagenhafte sechser-reihen würfelte. glück im spiel, pech in der liebe, dachte ich und musste an die objekt-gespielin denken, die dankenswerterweise inzwischen von der bildfläche verschwunden war.

was sich in den monaten im osten verbessert hatte, war die objektive energie. drei stunden hielt es mühelos sitzend aus, während es früher nie länger als eine halbe stunde im rolli war. es sollte nun einen neuen supermodernen rollstuhl bekommen, der sich in den stand auffahren konnte, sodass das objekt auch mal wieder boden unter die füße bekam und schwerkraft erlebte. darum kloppte sich die objekt-mama derzeit mit der krankenkasse.

was sich verschlechtert hatte, waren die schluckproblematik und damit einhergehend die aussprache. seit der letzten lungenentzündung hatte es diesbezüglich schwere rückschritte gegeben. die schwierigkeit in diesem fall war, dass das diagnose-gerät nicht zur verfügung stand. so konnte man die schluckstörung derzeit nicht lokalisieren und deswegen nicht gegensteuern, erklärte mir später die objekt-mama.

also hing das objekt wieder an der magensonde und war deswegen auch sehr deprimiert. durch das fehlende kauen hatte sich die gesichtsmuskulatur wieder abgebaut, die aussprache war sehr verwaschen und meist nur ein nuscheln.

tagsdrauf war ich morgens erneut beim objekt, doch manche dinge ändern sich nie: als echter eulenmensch war das objekt vollkommen verschlafen und nickte mir nach einer halben stunde weg. 

"der hat die letzte nacht kein auge zugetan", erzählte mir die schwester. "der war noch sehr aufgeregt wegen deinem besuch."
"dann komme ich einfach später nochmal", sagte ich.
"ja, wir lassen ihn jetzt noch ein bisschen ausruhen. komm doch so am nachmittag wieder."

kurz drauf rief die objekt-mama an, die mich gerne zum essen einladen wollte. sie sammelte mich auf, dann fuhren wir erst in die wohnung, wo ich den objekt-papa kennen lernte. er war ein drahtiger kleiner mann mit schlohweißem haar, der sich für sein alter schnell und geschmeidig bewegte. die ähnlichkeit zum objekt war unübersehbar.

"willst du mit uns essen kommen", fragte ihn die objekt-mama, aber der objekt-papa meinte, er wolle lieber noch eine runde rad fahren.
"der ist so bekloppt", lachte die objekt-mama, "der fährt jeden tag 20 oder 30 kilometer rad und dann sitzt er da und jammert über seinen bauch!"
sie strich ihrem mann über die nicht vorhandene wampe und kicherte, während dem objekt-papa die frotzeleien seiner frau offenbar etwas peinlich waren. 

nach dem essen hatte die objekt-mama eine überraschung für mich:

"ich habe meinen sohn gefragt, was er findet, was ich dir unbedingt zeigen soll. und da sagte er zu mir: den wald."
ich guckte zuerst verdutzt, weil die eltern ja inzwischen in der kleinstadt wohnen. dann fiel der groschen:
"du meinst, wo er großgeworden ist!"
"genau."
"ja, ich erinnere mich! einmal ist das objekt mit dem zug zu euch gefahren, da haben wir telefoniert. und dann erzählte es mir, dass es jetzt eine stunde durch einen wald gehen muss, um nachhause zu kommen. wir haben noch telefoniert, bis die verbindung abgebrochen ist."

ich merkte, wie die objekt-mama meine anekdoten aufsog. sie fragte mich aus, wie ich ihren sohn kennen gelernt habe, ob wir mal zusammen gelebt haben und vieles mehr.

dann erzählte sie mir von der objekt-kindheit, wie schwierig das verhältnis zu seinem vater immer war, und wie das familienleben in der ddr so ablief.

"mein mann tut sich sehr schwer mit der situtation", berichtete sie dann. "manchmal schafft er es nicht, seinen sohn zu besuchen. er hat auch angst vor ihm, weil er jetzt manchmal so laut und ungehalten wird."
"männer haben da mehr probleme, denke ich, weil sie glauben, sie müssten da mit stärke durch. die weinen nicht, die reden nicht groß drüber", erwiderte ich. "mein freund ist auch so erzogen worden. empathie ist schwierig für ihn, da hat er einen regelrechten blinden fleck oftmals."
 
"du kannst deinen freund übrigens gerne mitbringen, wenn du mal wieder kommst", sagte die objekt-mama. "also falls er das möchte. weil das muss doch seltsam für ihn sein, dass du jetzt einfach zu meinem sohn gefahren bist."
"ich kann ihn fragen, aber ich glaube nicht, dass er das möchte", sagte ich vorsichtig. "er würde nicht mit ins pflegeheim kommen, weil er das objekt nur wenig kannte. ich glaube auch nicht, dass es sich an ihn erinnert. und dann sitzt er alleine im dorf rum, das ist nicht sein ding."
"macht ja nichts. aber du bist uns immer willkommen."
 
mir wurde ganz warm ums herz. so traute ich mich fragen, was ich mich bislang nicht hatte fragen trauen: was sich 2017 und 2018 nach dem unfall alles so ereignet hatte.
 
und die objekt-mama erzählte: wie viele wochen das objekt im koma gelegen hatte. wie man den schädel aufbohren hatte aufbohren müssen, um den steigenden hirndruck zu mindern. dass man ihn nicht bewegen durfte und so andere blessuren nicht versorgen konnte.
 
"und als sie endlich seinen arm reparieren konnten, kam er in eine spezialklinik dafür, und dort hat er dann gleich eine thrombose bekommen. also mussten sie ihm blutverdünner geben und die nötigen ops noch weiter aufschieben. durch die blutverdünner stieg dann auch der hirndruck wieder an."

als die vielen operationen dann durch waren, hatte die objekt-gespielin insistiert, das objekt nach hamburg verlegen zu lassen, weil sie sich um ihn kümmern wollte. der objekt-bruder hatte daraufhin den pflegeplatz in der nachbarstadt organisiert.

"du darfst der gespielin übrigens nicht sagen, dass du hier bist", warnte mich die objekt-mama dann noch. "sie ist immer noch sehr, sehr eifersüchtig auf dich, unbegründet oder nicht."
"tell me something new", sagte ich. "aber wir haben überhaupt keinen kontakt. und darum bin ich auch sehr froh, nach all dem hass, den sie mir immer wieder entgegengeschleudert hat. ich hab sie einmal von weitem gesehen, das ist alles."

nach einer kleinen fahrt von 15 minuten kamen wir im wald an.

"hier, schau mal, das war unser haus. die neuen besitzer haben das dach schön gemacht."
dann musste die objekt-mama erstmal ein paar hände schütteln, weil viele menschen aus den häusern kamen, um sie zu begrüßen.
"ein paar davon waren mal meine schüler", verriet mir die objekt-mama.
"ich hätte ja nie im leben damit gerechet, mal hier zu sein", sagte ich.
"das bist du, auf ausdrücklichen wunsch meines sohnes!"
 
so gingen wir in den wald. der einfach wunderschön und zauberhaft war. trampelpfade statt angelegter wege, dickes moos und dazwischen jede menge pilze. ich konnte mir gut vorstellen, wie das objekt hier langgegangen war, wahrscheinlich mit einem joint zwischen den lippen, mit wachen blicken für all das schöne um ihn herum.
 
nach dem waldspaziergang setzte mich die objekt-mama wieder am pflegeheim ab.

diesmal fand ich das objekt putzmunter vor. wir kuschelten eine weile, dann brachte ich die überraschung zum vorschein, die mir die objekt-mama mitgegeben hatte: ein familien-album mit vielen objekt-fotos - vom säuglingsalter bis in seine frühen zwanziger.

wir blätterten uns durch schulfotos, pionier-ausflüge, familienfeste und sport-events, an denen das objekt teilgenommen hatte. die erinnerung war nicht vollständig vorhanden, aber die meisten bilder konnte das objekt zuordnen. 
 
nach ein paar weiteren runden mensch-ärgere-dich-nicht und kartenspielen war das objekt dann so geschafft, dass es mir fast im rolli einschlief. ich rief den pfleger, um es zu bett bringen zu lassen. dann nahte auch schon der abschied.
 
"ich hab dich sehr, sehr gerne", sagte ich und küsste es. "ich komme wieder, ja?"
das objekte nickte todfertig.
"morgen kommt allerdings erstmal wieder deine mutti", erklärte ich. "ich muss ja zurück nach hamburg und arbeiten."
 
nach vielen umarmungen riss ich mich los und machte mich auf den rückweg zu meiner unterkunft. ich nahm den umweg durch den park, der das halbe dorf einfasste und wanderte so eine gute halbe stunde gegen zahllose emotionen an. 
 
am nächsten morgen kam die objekt-mama noch einmal, um mich zu verabschieden. 
"ich danke dir für alles", sagte ich und nahm sie fest in die arme. "ihr seid eine wunderbare familie, so offen und warmherzig, und es hat mich extrem gefreut, euch kennen zu lernen."
"und ich verstehe jetzt sehr gut, warum dich mein sohn so gerne hat", erwiderte sie. "wir freuen uns, wenn du mal wiederkommst, allein oder auch zu zweit."

ein letztes winken am zug.
ich dachte bei mir, bis bald.
und ich meinte es so, von ganzem herzen.
 


                                                                    im objekt-wald.

Dienstag, 14. September 2021

heavy as hell

"ich glaube, die waage ist kaputt", sagt der luxus-mann kopfschüttelnd, als er aus dem bad kommt.
"wie kommst du drauf?"
"ich wiege 97 kilogramm! das sind 5 kilo mehr als im sommer."
"du hast ja in franken auch eine schäuferle-diät gemacht", stichle ich.
"nee nee, das kann nicht sein", behauptet der mann. "stell du dich doch mal drauf."
 
gesagt, getan.
"ich würde eher sagen, deine waage zeigt so ein kilo zu wenig an bei mir", berichte ich nach dem experiment.
"vollkommen unmöglich", meint der mann und kauft daraufhin beim steuerhinterzieher-verein nr. 1 eine neue personenwaage.
 
als diese ankommt, stellt er beide waagen nebeneinander, um die alte waage der fehlfunktion zu überführen.
 
"hier, guck, wieder 97 einhalb kilo", sagt der mann, als er auf der alten waage steht. "völlig kaputt, das teil."
dann steigt er auf die neue.
und surprise, surprise, die neue waage zeigt ihm fast 99 kilogramm an.
 
"die ist auch kaputt", beschließt der mann daraufhin. "die kann ich gleich wieder zurückschicken."
"lass mich mal", sage ich, um wenige sekunden später festzustellen: "62,5 kilogramm, das ist absolut realistisch."
"aber warum wiegt die dann bei mir falsch?"
"die wiegt nicht falsch. du hast zugenommen", konstatiere ich.
"ich hab aber doch nicht 5 kilo in den paar wochen zugenommen!" entrüstet sich der mann.
"nee, das glaube ich auch nicht. eher so 6, weil die alte ja scheinbar zu wenig angezeigt hat." 
"WAAAAAS? das ist völlig unmöglich!"

weil der mann weder waage nr. 1 noch waage nr. 2 glauben will, geht er um die ecke zur apotheke. 
"100,1 kilogramm", sagt die apothekerin emotionslos, während mein mann fast aus den turnschuhen kippt.

"alter", sagt der luxus-mann, als wir wieder zuhause sind. "ich darf nichts mehr essen! ich muss eine nulldiät machen!"
"das will ich sehen", grinse ich. "meines erachtens würde das schon helfen, wenn du dich abends nicht mehr so mit schweinkram vollstopfst. und was dir natürlich auch fehlt, ist deine frau, die dich zum joggen zwingt. mit den kaputten flossen passiert ja nicht mehr viel an bewegung in deinem leben."
"joggen schadet mir", befindet der mann. "und das fitnessstudio schadet mir auch, denn zugenommen habe ich ja erst, seit ich da wieder hingehe."
"jaja, bestimmt", erwidere ich.

"du könntest mir ja mal deinen heimtrainer leihen", fällt dem mann da ein.
"never ever. der ist nur bis 100 kg zugelassen!"
"ich habe ja keine 100 kilo!"
"in klamotten offenbar schon."
"scheiße, stimmt ja. dabei ist der so praktisch, weil man den zusammenklappen kann."

"so", sage ich. "was essen wir denn nun zu abend? eine schöne poke bowl mit viel algensalat? ohne frittiertes fleisch, versteht sich?"
"ich darf höchstens noch an nem stuhlbein lecken", sagt der mann deprimiert.
"staub, meinst du?" grinse ich. "als fettarme option, so wie in little britain?"
"genau", knurrt der mann schlecht gelaunt.
 
und so begab es sich, dass ich mir eine bowl reinhaute, während der mann neidisch zuguckte. 
natürlich nur, um dann später eine halbe tüte chips zu leeren.
 


Sonntag, 12. September 2021

pest und cholera

 ja, ich weiß. es heißt eigentlich "oder". aber es kann in diesem fall nur ein "und" sein.

ich halte von unserem ehemaligen hamburger bürgermeister nichts. er ist in meinen augen ein wirtschaftsverbrecher ohne jeglichen anstand, der die reichen deckt und dem arbeiter in den rücken fällt. dabei ist er wie bei g20 geneigt, jegliche anderslautende meinung niederprügeln zu lassen.

kurzum, er unterscheidet sich in keinster weise von den meisten anderen politkern, und deshalb hier ein "und" in der headline.

wir haben nun also die wahl zwischen einem wirtschaftsverbrecher, einem umweltverbrecher und einer etwas frau mittleren alters, die ihren lebenslauf frisiert hat und definitiv kommende klimakosten höchst ungeschickt verpackt herausproklamiert.

sehr gruselig auch die tatsache, das schmierlappen christian lindner wieder in den vordersten reihen mitmischt, und das, wo wir die dummbatze der superreichenvertreter mal so hübsch unter der 5%-grenze hatten.

noch mehr angst macht mir der gedanke - unabhängig davon, welche zwielichtige gestalt unser land künftig regiert - wie eine regierungsbildung funktionieren soll. die scham- und inhaltslose hetze der parteien gegeneinander verbietet an sich jegliche kooperation. 

und selbst wenn es zu einer solchen kommt, werden sich die "partner" vermutlich mit veti gegenseitig derart blockieren, dass dieses sich auf dem absteigenden ast befindende land zu einem weiteren vierjährigen stillstand verdammt ist.

ich lobpreise unterdessen den herren, dass ich so schlau war, keine kinder zu bekommen. denn welche zukunft haben junge menschen in diesem land? sie werden in 30 oder 40 jahren - zwar gesund dank des impffortschritts - durch hitzewellen, feuer, hungersnöte oder überflutungen sterben.

die einzige rettung in nicht-fortpflanzung und sterblichkeit zu sehen ist traurig. aber vermutlich absolut realistisch.

falls uns irgendwer von außerhalb zusieht: es tut mir sehr leid. wir sind eine widerliche rasse. unser aussterben ist vollkommen legitim. und ich wäre dankbar, wenn es schnell ginge.

Donnerstag, 2. September 2021

ich hab mich für dich schön gemacht

die objekt-mama schickt zum abend ein neues video: das objekt hat einen neuen haartrimmer bekommen und sich den bart stutzen lassen.

"ich... hab mich... für dich... schööööön... gemacht", sagt es stolz in die kamera.

so gott, meine dysfunktionalen füße und die streikenden lokführer es wollen, fahre ich in 2 wochen in den wilden osten. 

um das objekt endlich wieder in die arme zu nehmen.

"ich bereite meinen sohn jeden tag auf deinen besuch vor", sagt die objekt-mama. 

soo viel vorfreude kann man nicht enttäuschen, finde ich. 

abend zünde ich deshalb ein teelicht an und murmle ein gebet. 

"bitte bitte, das muss klappen", sage ich den unbekannten mächten und hoffe, dass mr. murphy nicht mithört.


Dienstag, 31. August 2021

bindung paradox

obwohl ich einige klassische beziehungen in meinem leben hatte und die aktuelle auch schon 5,5 jahre dauert, bin ich vermutlich nicht die frau fürs leben.

bindungen fallen mir schwer. 

nicht, dass ich mich nicht verlieben könnte oder sex nicht genießen würde. nicht, dass ich einen menschen nicht irgendwo wertschätzen könnte, auch wenn er fehler hat.

problematisch an bindungen ist für mich, dass sie mich und mein wackeliges selbstverständnis infrage stellen. 

daher halte ich das zusammen nur aus, wenn ich anschließend wieder eine weile allein sein kann. in dieser zeit kann ich mich ordnen und mich mit eventuellen konflikten auseinandersetzen. und vor allem: entspannen.

die idee, noch einmal mit jemandem zusammen zu ziehen, bereitet mir unbehagen. auch ein gemeinsamer urlaub ist für mich niemals nur angenehm. ich erinnere mich an eine szene in einem talliner hotel, als ich duschte und der luxus-mann in das winzige bad kam, um zu pinkeln.

"kann man hier nicht mal fünf minuten privatsphäre haben?!" habe ich ihn hysterisch angeschrien.
"entspann dich mal, ich kenn dich doch nackt", erwiderte der luxus-mann, um dann später beim abendessen meine angespanntheit festzustellen: "du bist überhaupt nicht gerne hier. du bist total unglücklich!"

dein immenses freiheitsbedürfnis, nannte mal jemand meine bindungsproblematik.

insofern bin ich dankbar, dass auch der luxus-mann ein wenig eigenartig ist und gerne eigenbrötelt. es ist einer der gründe, warum ich hin und wieder denke, dasss wir schon ganz gut zusammen passen.

Donnerstag, 26. August 2021

love, weltschmerz and the future

mein heimatbesuch war sehr anders als sonst. zunächst hatte ich ja den mann dabei, der aber vor mir abreiste. ich blieb noch eine woche länger, und das wurde mir quasi vom mann verordnet.

denn zwei tage vor seiner - und eigentlich unserer - geplanten abreise war mir so sterbenselend zumute, dass ich abends im bett weinte. ich wollte nicht weg. nicht zurück nach hamburg. auf keinen fall! mein mann, eigentlich nicht sonderlich empathisch, schaltete erstaunlich schnell und machte mir am kommenden morgen den vorschlag, dass ich doch noch ein wenig bleiben und später mit der bahn nachhause fahren sollte.

die idee war insofern extrem außergewöhnlich, da mein mann sich beim alleine-autofahren zu tode langweilt und deshalb unter normalen umständen auf meine anwesenheit beharrt. in diesen fall schien er über seinen schatten gesprungen zu sein, um mir eine freude zu machen. 

was ich wunderbar fand.

so verbrachte ich noch eine woche in meinem kinderzimmer, las meine alten bücher, besuchte alte freunde und hatte - von fußschmerz und dazugehörigen sorgen einmal abgesehen - eine wirklich schöne zeit. 

intensiv, wie ich alles empfinde, passierte mir dabei etwas, was ich gelegentlich auch als kind erlebt hatte: ich fühlte mich sehr stark mit meinen eltern verbunden - so sehr, dass es fast quälend für mich wurde. 

ähnlich wie in meinen sehr jungen jahren wollte ich unbedingt mit ihnen zusammen sein - vor allem abends. bloß nicht alleine ins kalte, einsame bett! schon zwei minuten zähneputzen bedeuteten eine räumliche trennung, angesichts derer mir ganz bang wurde. ich guckte mir sogar dämliche tv-sendungen mit meinen eltern an, wogegen ich mich sonst theatralisch sträube.

ich schob es auf meine immer noch recht gesundheitlich angeschlagene lage, dass ich diese tiefe form von (auch physischer) geborgenheit suchte. (und natürlich nicht so ganz fand, weil man als erwachsene frau ja nicht einfach mal zu seiner mutti in den schoß krabbelt.) aber das - ich kringle mich dabei, es so zu nennen - innere kind war offenbar gerade extrem bedürftig.

(an dieser stelle eine frage, weil ich mich sehr bekloppt dabei fühle: kennt jemand von ihnen solche empfindungen?)

ich wollte also gerne beschützt werden, fand mich dann aber letztzlich in der rolle der beschützenden wieder. versuchte meiner mutter klarzumachen, was so liebenswert an meinem etwas trotteligen vater ist, und meinem vater, warum meine mutter oft so harsch und fordernd ist. und es machte mich sehr glücklich zu sehen, wie ich ihnen beiden etwas geben konnte, was von herzen kam.

insgesamt hat sich unser verhältnis in den letzten jahren so sehr gewandelt und verbessert, dass ich es wahre liebe nennen möchte. 

nicht fehlerlos. aber sehr offen, sehr nah dran. 

dabei formte sich eine idee, die noch nicht zu ende gedacht ist: vielleicht würde ich später gerne im haus meiner eltern wohnen. so, wie es auch einige meiner nürnberger freunde tun - mit und ohne eigene familie. 

das haus meiner eltern ist weder wertvoll noch besonders schön. es ist ein kleines, ruhiges und spießiges idyll mit garten inmitten einer liebenswerten nachbarschaft. komplett entkernt und neu möbliert könnte es mir eines tages ein sehr komfortables zuhause werden. 

wer weiß, was die zukunft bringt, sagte das objekt einmal zu mir, und das ist mein wort zum freitag.

Freitag, 20. August 2021

pendeln

meine urlaube im elternhaus sind mir immer eine zuflucht. hier kann ich noch mal kind sein für einige tage, hier muss ich nicht funktionieren, kann mich mal verwöhnen lassen. 

ich habe sogar noch mein altes kinderzimmer. 

es liegt ein prickelnder zauber darin, schubladen aufzuziehen und dinge zu entdecken, die einem mit 12, 13 oder 15 mal wichtig waren. sich zu erinnern, wie aufregend, ja verheißungsvoll vieles vor einem lag. 

der duft dieser tage hängt noch im holz der kommode und in den laken meiner alten jugendbettwäsche. das gefühl der dankbarkeit bestürmt mich dann, weil meine kindheit rückblickend doch oftmals richtig schön war.

aber mit jedem jahr schwindet die unbeschwertheit. 

der ton zwischen meinen eltern ist in diesem sommer rau. meine mutter, die ihr erstes künstliches gelenk im april erhalten hat, ist angespannt. man merkt es an ihrer grundaggressivität, die ich so gut von mir kenne. das neue kniegelenk ist allerdings nicht der grund dafür. vielmehr ist jeder satz ein latenter vorwurf richtung vater.

mein vater hat seit einiger zeit schmerzen in der hüfte, wenn er nachts aufsteht und zur toilette geht. dieser schmerz ist kurz und heftig und verschwindet dann. theoretisch kann er sich 99% der zeit schmerzfrei und normal bewegen. dennoch schleicht er gekrümmt und mit trippelschritten durchs haus, als hätte ihm jemand die wirbelsäule amputiert. 

die wochen zuvor hat er mir bereits immer am telefon sein leid geklagt. angesichts meiner eigenen misere - zwei kaputte füße, die mich tag und nacht quälen - kommt mir sein problem lächerlich und leicht lösbar vor. 

"du musst dich halt auch mal bewegen", sage ich, die ich weiß, wie mein vater seinen tag verbringt, nämlich: schlafen, essen und vorm tv sitzend. während er im winter noch ab und an 20 minuten auf dem heimtrainer fuhr, hat er mittlerweile jede bewegung eingestellt.

"jaja", sagt mein vater dann jedesmal trotzig wie ein pubertierender teenager.

da nichts fruchtet, nehme ich ihn diese woche richtig ins gebet:
"wenn du nichts machst, wirst du eines tages im rollstuhl sitzen", sage ich.
"dann lass ich mich halt operieren", entgegnet mein vater.
"du hast VERSPANNUNGEN, sagt der arzt, da kann man nichts operieren."
"dann sitz ich halt im rollstuhl."
"dann müsst ihr hier aber ausziehen und euch eine barrierefreie wohnung suchen. und glaub mir, die schmeißt man euch nicht hinterher. vielleicht müsstest du sogar einige monate in einem pflegeheim verbringen. schließlich muss dann die mama hier alleine das ganze haus ausräumen und den umzug organisieren."
 
"ich mach schon was", sagt mein vater schnell, der an seinem haus hängt.
"was denn?"
"ich mach jeden tag sit-ups!"
"echt?"
"jaha! zweimal!"
"zweimal am tag?"
"nee, zweimal."
"also zweimal 20 stück oder was?"
"nee. zweimal."
"du machst ZWEI sit-ups?"
"genau. und das hilft mir schon sehr viel!"
 
ich seufze. 
"ich zeig dir jetzt mal ein paar dehnungsübungen, die sind sehr einfach und werden dir vielleicht helfen."
 eilfertig gehe ich auf die knie:
"hier... so... und dann soo.."
"ich kann nicht knien, davon reißt mir der meniskus."
"du hast ja aber keine meniskusprobleme. und das sind ganz sanfte bewegungen."
"und was, wenn ich nicht mehr hochkomme?"
"dann hältst du dich hier so am schrank fest und ziehst dich hoch. hier, guck so. ich habe die übungen monatelang ohne meine füße machen müssen!"
"aber der arzt sagt, meine bandscheiben sind ok."
"genau deshalb solltest du ja auch etwas gegen deine muskelverspannungen machen!"
 
 meine mutter steht in der tür und beobachtet uns mit säuerlicher miene:
"jetzt versuchs halt wenigstens mal, manfred."
mein vater schaut ängstlich und sucht die nächste ausrede.
"so vertrottelt kann man doch gar nicht sein, dass man ständig nur in seinem eck hockt und nichts macht!" schießt meine mutter jetzt quer.

so viele nerven mich mein vater kostet, so tut er mir dennoch leid. er ist ein introvertierter und prinzipiell empfindsamer mensch wie ich. auch wenn man ihn vermutlich auf die härtere gangart motivieren muss, halte ich die zickereien meiner mutter für kontraproduktiv.

"können wir uns alle mal beruhigen", bitte ich.

"der ist unmöglich", sagt meine mutter, als ich später zusammen in der küche stehen. "der erinnert mich so an seine mutter, ganz furchtbar. ich könnt dem manchmal links und rechts eine reinhauen!"
"aber so kommt ihr ja nicht weiter. redet doch mal miteinander und sagt euch offen und vorwurfsfrei, was euch aneinander stört."
"es ist ja nicht so, dass der sich keine mühe gibt. als ich aus dem krankenhaus kam, hat er ja auch eingekauft und so. klar war ich manchmal sauer, wenn er was falsches angeschleppt hat..."
"das bringt euch aber doch nicht weiter, dieses gezicke. ich merk ja inzwischen, ich bin auch manchmal so, das finde ich richtig schlimm. und vor allem: absolut nicht zielführend."

ich bin längst nicht mehr kind. ich bin eheberaterin, physiotherapeutin, motivationstrainerin und nicht zu vergessen: computer-probleme-löserin.

abend im bett atme ich tief durch und versuche das gefühl der wackersteine auf der brust loszuwerden. 

ich vermisse meine alte heimat und meine familie, wenn ich sie nicht um mich habe. aber nach ein paar tagen bin ich auch wieder froh, in mein offizielles erwachsenen-leben zurückzukehren. 

vermutlich ist das pendeln-können zwischen diesen beiden welten das, was mir gut tut. daher muss ich es nutzen, solange es möglich ist.

Samstag, 7. August 2021

objektive herzlichkeit

als ich der objekt-mama vorsichtig meine pläne ankündige und frage, welches wochenende ihnen denn recht sei für einen besuch, ruft sie mich sogleich an:

"wir sind im september durchgehend da, und wenn du sagst, du möchtest dann und dann kommen, nehmen wir uns auch nichts vor."

die objekt-mama hat sich sogar schon gedanken gemacht, wie ich günstig unterkommen kann und erzählt, sie habe diverse unterkünfte für mich abtelefoniert.

"die hier haben freie zimmer und sind auch so nicht teuer, und hier drüben ist es auch ganz nah bei unserem sohn. ansonsten kannst du auch gerne bei uns wohnen, dann würden wir dich mit dem auto zum pflegeheim bringen."

ich bin ganz perplex und überrumpelt von so viel begeisterung und gastfreundlichkeit und habe wieder das spezielle objekt-gefühl: ich strecke die hand aus und bekomme stattdessen eine bärenumarmung.

da ich die eltern nicht belästigen will, entscheide ich mich für eine der unterkünfte, betone aber, dass ich mich sehr darauf freue, sie bald zu treffen. 

in der tat bin ich unheimlich gespannt auf die beiden, auch den vater, der, wie die mama immer betont, dem objekt so wahnsinnig wichtig sei.

dann erzählt mir die objekt-mama noch, dass sie inzwischen nur noch jeden zweiten tag zu ihrem sohn fahren kann, weil sie seit kurzem noch an drei tagen die woche ehrenamtlich in einem kinderheim arbeitet. 

mir wird ganz schwindelig beim zuhören, vor allem, wenn ich an meine mutter denke, die schon mega gestresst ist, wenn sie nur zu einem rentner-geburtstag eingeladen ist. dabei ist meine mutter nur 3 jahre älter. 

aber so unterschiedlich sind menschen. so unterschiedlich sind mütter.

Donnerstag, 5. August 2021

plans for summer

sommermonate sind in meinem job eher ruhig. auch dieses jahr ist es nicht anders. 

dafür hält mich die welt um mich herum im atem.

zunächst werde ich in wenigen tagen meine familie wiedersehen. über ein jahr war ich nun nicht mehr im schönen frankenlande. ich bin unheimlich aufgeregt und freue mich einen keks.

gerne wäre ich alleine gefahren. aber der luxus-mann hat sich selbst eingeladen und kommt mit. entsprechend muss ich wieder die tage planen, damit sich monsieur nicht langweilt bzw. dass ich auch mal irgendwas für mich mache und mich nicht immer von seinen wünschen überrennen lasse.

und noch zweite eine reise steht an: da ich in kürze zweifach geimpft bin, werde ich im september den zug gen osten besteigen und das objekt besuchen. ich freue mich dabei vor allem auch darauf, seine eltern endlich live kennen zu lernen.

ich bin übrigens völlig geschockt, wie teuer unterkünfte in den dörfern an der polnischen grenze sind. da kann man auch gleich urlaub auf rügen machen. 

also musste ich meine pläne etwas modifizieren. statt - wie ursprünglich beachsichtigt - eine woche gibt es erstmal nur ein wochenende. denn 100 € und mehr für ein hotelzimmer bringen mich schnell an meine grenzen. die fahrt muss ja auch noch finanziert werden.

(falls jemand von ihnen da zufällig wohnt und ein zimmer für ein eher kleineres budget frei hat, sagen sie mir unbedingt bescheid. ich bin meistens ganz nett und vom aufwand her wirklich pflegeleicht.)

im oktober werde ich dann voraussichtlich meine zweite fuß-op vornehmen lassen müssen. daran möchte ich im augenblick noch gar nicht denken, so gruselig finde ich das.

das einzig gute an einer zweiten op: sie bedeutet erneut neun wochen physiothterapie. und ich habe einen physiotherapeuten gefunden, der einfach gold wert ist. nicht nur, weil er sich auskennt und seinen job echt gut macht. er kann außerdem gut zuhören und hat diese spezielle energie, die ich vom objekt kenne. 

heiler-energie, nenne ich das. kennen sie diese menschen, die einen aufladen können wie eine batterie? so geht es mir mit meinem therapeuten. 20 minuten mit ihm und ich fühle mich für mindestens bis zum nächsten tag pudelwohl. keine psychotherapie hatte je diesen effekt.

merkwürdig für mich ist dabei, dass der physiotherapeut noch irre jung ist. so 24 bis 27 schätze ich ihn. wir erzählen uns immer so viel, dass ich manchmal angst habe, er fühlt sich angemacht. es wäre mir unangenhem, ihm unangenehm zu sein. jedenfalls wird er mir richtig fehlen, wenn ich nächste woche meine letzte sitzung habe.

Sonntag, 1. August 2021

hexenzauber

 sonntag & regenwetter. 
 ich bin heilfroh, dass uns keine hitzwelle wie derzeit in italien belastet. 20 grad, mal sonne, mal schauer - ein sommer ganz nach meinem geschmack.
 
der luxus-mann hingegen hat miese laune und mosert:
"ich konnte im gesamten urlaub gar nichts richtiges mit meiner tochter unternehmen!"
"das liegt aber doch nicht daran, dass du wegen dem wetter nichts machen konntest, sondern daran, dass madame sich zu nichts herablassen wollte", stelle ich fest.
der mann stimmt mir zu, meint dann aber, die kindsmutter sei schuld. 
"ich kenn da ja noch wen, der sich erst nicht entscheiden kann und dann entscheidungen fünfmal bis kurz vor schluss ändert", sage ich. "vielleicht hat sie sich das einfach von dir abgeguckt."
 
der mann hört mir kaum zu, sondern schaut derweil gebannt eine unterschichten-sendung.
"da! guck! wieder so n hartzer mit nem nagelneuen kinderwagen!" ruft er empört.
"woran erkennst du, dass das ein hartzer ist?"
"das sieht man."
"soso."
"die kriegen ALLES vom staat!! alles. wohnung, kleider, und dann so einen neuen teueren kinderwagen. die marke da, die kostet mindestens 500 euro!"
"glaube nicht, dass die so teure kinderwagen einfach geschenkt bekommen."
"doch! die kriegen ALLES und zwar NEU."

"dann schauen wir uns doch mal die fakten an", sage ich und google.
"hier im gesetzestext steht, wenn du als hartzer ein baby bekommst, kriegst du einmalig 140 €, davon musst du dir deine komplette ausstattung kaufen: wickelkommode, wiege, kinderwagen und so weiter. und zwar gebraucht. nix neu. und ich geh mal schwer davon aus, dass man die belege beim amt einreichen muss, um überhaupt was zu bekommen."
 
"diese regelung muss ganz neu sein", ist der mann erstaunt.
"du verwechselst das vermutlich mit früher, mit sozialhilfe."
"nein nein. das ist ganz neu!"
wahrscheinlich von vorgestern.

die diskussion strengt mich an.
 "ich hau ab", sage ich. 
"bist du jetzt sauer?" fragt der mann.
"du fällst mir halt manchmal auf die nerven mit deiner negativität und deinen kruden bauern-thesen. nen 1a schwurbler würdest du manchmal abgeben."
 
der mann schaut mich anklagend an:
"du bist schuld."
"hä?"
"du weißt doch, im zweifelsfall ist halt die hexe schuld."
 
ich will aufbrausen, doch dann verstehe ich: der luxus-mann verkackeiert mich.
"du bist ein doofer mann", sage ich.
"manchmal vielleicht", grinst der luxus-mann.

"ich fahr trotzdem. es regnet gleich."
"ich dachte, du magst das?"
"nicht beim radfahren. und wir sehen uns eh morgen."
"stimmt. dann bis dann."

ich beuge mich zu meinem mann herab, küsse ihn und kitzle ihn dabei ein wenig.
"hu!" ruft er. "was hast du da gemacht? das war... wie elektrisch!"
"hexenzauber."
"mein ganzer arm kribbelt jetzt!"
"ich sag ja, hexenzauber. der macht gute laune und hilft gegen sozialneid."

dann mache ich mich schnell auf, bevor der nächste guss vom himmel kommt.

 
 

Montag, 19. Juli 2021

der nerobefehl: geht cdu wählen!

vor allem ein bild der flutkatastrophe hat sich mir eingebrannt: armin laschet grinst schäbig wie ein gieriger gnom, während steinmeier sich für die kameras ein wenig rührseligkeit abringt. 

im hintergrund des fotos freut sich ein rwe-lobbyist. der kohletagebau in hambach wurde von modernsten pumpsystemen innerhalb von stunden trocken gelegt, während andere dabei zusehen mussten, wie ihre häuser davonschwammen. aber die cdu steht nunmal zu ihrem wort: klimaschädliche industrien und reiche pisser zuerst!

während die bevölkerung in den tagen vor der flutkatastrophe trotz besseren wissens durch mehr als rechtzeitige vorhersagen nicht evakuiert wurde (die neunmalschlaue anja karliczek fordert heute übrigens "besser vorbereitung auf starkregen"), feiert sich die partei. sie ist siegessicher. denn noch immer würden heute 28-30% cdu wählen.

verzeiht mir mein unverständnis. denn jedes einzelne der über 150 todesopfer der flutkatastophe geht auf das konto unserer regierung. sie ignoriert die klimawissenschaftler und hat sich - scheinbar ganz bewusst - um jegliche vorwarnung und evakuierung der bevölkerung gedrückt. weil jo mei, das hätte ja auch bloß wieder geld gekostet - und am ende wären nur popelige 3 häuser eingestürzt! abwarten und dann ein wenig mitleid heucheln angesichts von hunderten toten ist einfach billiger!

verzeiht mir mein unverständnis. seit jahrzehnten werden wir von cdu und spd alias groko belogen, betrogen und unserer einkommen beraubt, damit reiche noch reicher werden können. wir sehen zu, wie sich angeblich christliche politiker durch maskendeals usw. bereichern und - sobald ertappt - jeden fehler von sich weisen und allenfalls höchst unfreiwillig zurücktreten.

wir nehmen in kauf, dass dieser schäbige haufen auch im angesicht allergrößter not nicht eingesteht, dass der klimawandel ein höchst reales, unmittelbar bedrohliches ereignis ist, das schon heute direkt und indirekt menschenleben kostet. nicht dass das wichtig wäre. aber nunja, es kostet uns halt auch bares geld!

aber selbst dafür hat die cdu den masterplan: der kleine mann zahlt einfach für alles, was klimatechnisch so anfällt! während die auto- und kohleindustrie subventioniert wird, zahlt der ottonormale den co2-preis fürs heizen (alleine, denn arme vermieter müssen ja entlastet werden!) sowie steigenden kraftstoffkosten (nein, die sind keine erfindung der grünen, informiert euch!).

merkt ihr´s noch?

wenn es eine hölle gäbe, so stünden ihre tore weit offen. für laschet, karliczek, spahn, scheuer, klöckner und viele andere auch lokale politiker. sogar angela merkel muss sich verantworten, weil sie die lügner und betrüger in ihrer partei protektioniert.

der kessel des nicht mehr ertagbaren ist nun übergelaufen. aber ihr möchtet gerne weiter absaufen, scheint mir.

dann tut es doch. geht cdu wählen. lasst euch weiter bescheißen, verheizen, verarmen und verdummen. und erzählt euren kindern, dass sie sich in 20 oder 30 jahren bitte nicht so anstellen sollen, wenn sie verhungern, verdursten oder an neuartigen seuchen zugrunde gehen. steht zu eurem wort und sagt: ich habe bewusst den untergang gewählt - für mich, meine familie und alle kommenden generationen! 

danke.

Sonntag, 4. Juli 2021

dem eigenen dämon folgend

am 3. juli vor 50 jahren starb jim morrison in paris. 

die musik der doors habe ich 1998 entdeckt - ohne zunächst zu wissen, wer morrison war. ich fand lediglich die musik sehr besonders, nicht zuletzt wegen der lyrics.

erst viel später habe ich biografie um biografie verschlungen und dann nach und nach morissons gedichte gekauft. selbstverständlich war ich auch auf père lachaise, wie sich das für einen sabbernden groupie gehört.

irgendetwas an diesem menschen zog mich magisch an. ich fühlte mich sehr verbunden - und tue es bis heute. 

2010 traf ich das objekt. einige wochen nach unserer ersten begegnung zeigte es mir ein wunderschönes schwarz-weiß-foto, das mich im zweiten moment erschreckte: jim morrison in einer nachdenklichen pose - neben seinem eigenen grab!

nein, natürlich war es nicht morisson. sondern das objekt, das mit bart und langen haaren in dieser farblosen aufnahme dem künstler extrem ähnlich sah. und es gestand mir, dass es genau wie ich fasziniert von morrisons düsterer poetischer kraft war.

was morrison und das objekt durchaus gemein haben, ist der innere zwiespalt zwischen dem schamanen und dem clown.

heute betrachte ich morisson bisweilen mit liebevollem abstand. muss lächeln über die theatralik seiner bühnenbewegungen. und ahne, dass er sicherlich auch albern, wahnsinnig anstrengend und unreif gewesen sein muss.

aber mein tiefer respekt bleibt. und das gefühl, dass es menschen wie ihn und mich gibt. dass wir einander finden, wenn einer von beiden das medium bildet. dass wir verstanden und durchaus nicht alleine sind in einer gesellschaft, die wir en gros als brutal, abstoßend und falsch empfinden. dass es das schöne und das wahre gibt - und es sich lohnt, es zu suchen.

to whom it may concern: arte zeigt unter anderem das konzert der doors auf dem isle of wight festival 1970.

Mittwoch, 30. Juni 2021

gott ist (nicht) tot - schrödingers theodizee

immer mehr menschen sind atheisten, weil sie keiner glaubensgemeinschaft angehören. aber das heißt lediglich, dass sie nicht an einen durch die kirchen proklamierten gott glauben.

fast alle menschen, die ich kenne, sind streng gläubig. zum beispiel meine erste große liebe, der jeden gott theatralisch ablehnte, überraschte mich mit der aussage, dass er glaube, seine seele würde einst in seiner tochter weiterleben. kurzum, er postulierte die existenz von etwas bis heute fraglichem - einer seele - und zugleich deren ewiges leben. ein schöner gedanke, aber nichts als reiner glaube.

auch der luxus-mann lehnt religionen vehement ab und geht sogar soweit, dass er seiner tochter die beziehung mit einem gläubigen mann verbieten würde. interessanterweise lebt er in einer welt, die extrem von magisch-numinosen regeln durchzogen ist. zum beispiel mag er nicht auf sitzplätzen mit ungeraden zahlen sitzen, hat sorge, wenn der 13. auf einen freitag fällt und praktiziert ein sammelsurium von kleinen, unauffälligen magie-ritualen, um die börse zu beeinflussen. ein psychologe würde es zwanghaft nennen, ich nenne es gläubig. 

grundsätzlich ist unser aller alltag geprägt von einer hohen anzahl an erlösungspraktiken. ein wichtiges beispiel dafür sind marken und marketing. durch marketing schafft man eine emotionale bindung an eine marke, die faktisch nicht schlechter und besser ist als andere religionen, äh marken. aber man ist sogar bereit, einen extrem hohen preis zu bezahlen, um in den kreis der erlauchten und erlösten aufgenommen zu werden. das beginnt bei der gesichtscreme und hört beim porsche auf. oh heilige gesichtscreme, erlöse mich von akne und falten! oh ehrwürdiger porsche, erhebe mich in den reihen der sichtbaren besserverdiener!

ein weiteres gutes beispiel sind sport und ernährungsweisen. wir optimieren unsere körper, um fuckable und gesund zu bleiben. in hinblick auf unsere sterblichkeit könnte uns das wurscht sein. aber die meisten von uns streben nach sex / fortpflanzung und danach, möglichst lange zu leben - um leiden und den tod so weit es geht zu vermeiden und sich so zu lebzeiten ein stückchen unsterblichkeit zu verleihen.

einige gehen sogar soweit, dass sie mit einem guten gewissen sterben wollen - zum beispiel veganer, die ihre ernährung stark an umweltschutz-ziele knüpfen. warum die umwelt schützen, wenn man in ein paar jahren sowieso unwiederaufstehbar weg vom fenster ist? und wer soll einen strafen für umweltsünden, wenn es keinen großen rächer im jenseits gibt? 

unsere kinder und andere nachfahren gehen ebenso wie wir über die wuppe - früher oder später. und der planet lebt auch ohne menschen prima weiter, bis er in einigen milliaren jahren von der expandierenden sonne verschluckt wird. im grunde ist es komplett irrsinnig, sich überhaupt zu vermehren und so viel kraft in die partnersuche oder gar umweltschutz zu stecken.

also wozu der ganze aufwand? auch verantwortungsgefühl gegenüber kindern, tieren oder pflanzen entsteht immer aus dem glauben an eine ordnung, ein regelwerk, einen großen, meist nicht ganz genau fassbaren sinn.

glaube geht aber auch viel einfacher. warum diese tage einer fußball-mannschaft zujubeln und sich dabei mit landesflaggen behängen? eigentlich lächerlich, wäre da nicht der glaube, dass diese mannschaft / glaubensgemeinschaft etwas herausragendes schafft, was in die annalen eingeht und sie so ein wenig unsterblich macht. was uns dann wiederum über unsere eigene sterblichkeit hinwegtröstet. durch das behängen mit identifikationsgegenständen oder einen st.-pauli-ausweis schaffen wir uns einen bezug dazu, werden mitglieder und grenzen uns zugleich ab gegen andersgläubige. und wie bei einem echten glaubenskrieg kommt es hin und wieder zu gewaltausbrüchen der ultras, die häufig außer ihrer zugehörigkeit zum lieblingsverein nur wenige alternative erlösungsglaubenssätze haben.

auch nazis oder schwurbler sind streng gläubig. sie erlangen ihren glauben zunächst durch abwertung anderer glaubenssätze und stützen sich in ihrer religion auf strenge exklusivität, die auch körperliche merkmale wie weiße haut mit einbeziehen kann. wie viele religionen benötigen sie keine fakten, um sich erlöst zu fühlen. es genügt der irrationale glaube an etwas übergeordnetes und das zugehörigkeitsgefühl zu einer gruppe mit einem gewissen wortführer / prediger. daraus bildet sich das ebenso irrationale gefühl von überlegenheit. wie auch bei den hooligans kann es vor allem bei fehlenden alternativen glaubenssätzen zu gewalt gegen andersgläubige kommen. all dies erklärt zugleich, wie sich diese menschen bekehren ließen - nämlich nicht durch gegenteilige fakten, sondern durch ein attraktiveres angebot einer alternativen glaubensgemeinschaft.

warum glauben wir überhaupt? diese frage lässt sich recht einfach (und doch wieder nicht) beantworten. wir sind die einzige spezies, die weiß, dass sie sterblich ist. und wir haben bewusstsein für zeit. wir können unsere zukunft auf eine reihe von jahren und jahrzehnten planen und teils auch selbst gestalten. 

der glaube und eine glaubensgemeinschaft helfen uns dabei, unsere zukunft auf irgendeine weise in die hand zu nehmen und ihr einen mehr oder minder fraglichen sinn zu verleihen. dies löst das gefühl von sicherheit und zufriedenheit aus. deshalb fühlen sich viele menschen alleine auch unwohl. 

die familie ist dabei die kleinste einheit einer glaubensgemeinschaft. sie wird durch hormone gesteuert, die unter anderem bewirken, dass diese irrationale zuneigung zu völlig fremden wesen, die aus den bäuchen unserer frauen kriechen, von anfang an besteht. wozu etwas großfüttern, das sowieso zum untergang verdammt ist? man kann also sogar soweit gehen zu behaupten, dass glaube bis zu einem gewissen grad in unseren genen steckt.

die spannendste frage überhaupt lautet für mich: wird der glaube die evolution überleben? wird er sich vielleicht irgendwann zurückbilden? oder gibt es evolution vielleicht sogar nur durch glaube?

lange rede, kurzer sinn: vielleicht sollte man versuchen, den menschen im derzeitigen evolutionsstadium weniger als vernünftiges wesen zu verstehen. sondern eher als gläubiges wesen, dass - vernunftsgetarnt - doch zu einem großen teil von seiner unbewussten angst vor siechtum und tod gesteuert ist - und diesen vermeintlichen schrecken auf vielfältige, irrationale weisen zu entkommen versucht.

vergeblich zwar.

aber da niemand weiß, was nach dem tod kommt - die hölle, das paradies, die rückkehr zu den ahnen oder ein endloser flug durch die leere - müssen wir weiterhin glauben, um zu leben.