Mittwoch, 20. August 2025

marathon laufen

donnerstagnacht fahre ich in die heimat, um alles zu organisieren, was jetzt organisiert werden muss. ich habe diverse termine zur besichtigung von pflegeheimen vereinbart, anwaltstermine, arzttermine sowie termine, um das auto meines vaters zu verticken. abgesehen davon wollen wir auch meinen vater in seiner reha am arsch der heide besuchen. 

mir graut ein wenig, aber es ist auch schön, weil sich mich meine nürnberger freunde auf mich freuen und auch anteil nehmen. endlich fühle ich mich mal nicht einsam und verlassen. anders als in hamburg besteht ehrliches interesse, es wird nachgefragt und beistand angeboten, ablenkung organisiert und viel umarmt. ich bin unendlich dankbar, dass es diese menschen gibt.

trotzdem wird es anstrengender als gedacht. das liegt nicht unbedingt an meinem vater, der spätestens alle drei stunden aus der reha anruft, um uns mitzuteilen, dass er gewaschen wurde oder einen apfel gegessen hat. sein größtes problem ist langeweile und dass er natürlich nachhause möchte. aber das ist handelbar.

meine mutter hingegen ist ein komplettes nervliches wrack. seit ich hier bin, redet sie ohne punkt und komma und erzählt mir stunde um stunde dieselben geschichten in sich steigernden dramatischen spiralen. ich höre zu und lasse sie quatschen, in der hoffnung, dass es ihr hilft, das erlebte besser zu verarbeiten. einfach mal alles von der seele reden tut bekanntlich gut.

zwischendurch allerdings macht sie mich wirklich irre mit irgendwelchen herbeifantasierten ängsten - beispielsweise, dass das telefon kaputt sein könnte, wenn mein vater mal 3 stunden lang nicht anruft, oder dass mit der waschmaschine was nicht stimmt, ihr fahrrad luft verliert oder ihr handy irgendwas falsch anzeigt. ich beruhige und beschwichtige, mache und tue, aber kaum habe ich mich um eine baustelle gekümmert, ploppen drei weitere auf. pausen, um mal ein buch zu lesen oder sich um bewerbungen zu kümmern, gibt es so nicht. manchmal muss ich leider auch laut werden, denn meine mutter steigert sich bis zur hysterie  in ihre fantasie-probleme hinein. das tut mir hinterher leid, aber ich bin eben auch nur ein mensch.

bei allem, was ich angehe, habe ich den eindruck, selbst schon dement zu werden. eigentlich bin ich strukturiert und planvoll, aber im endlosen wirrwarr und unter dem druck eines stetig und gefühlt ins unendliche wachsenden problembergs vergesse ich die hälfte. hinzu kommt fortgeschrittene töffeligkeit - ständig renne ich gegen irgendwelche kanten, stoße mich an oder stolpere wie eine 80-jährige auf der treppe. wahrscheinlich reagiert der körper so, wenn der kopf 24/7 auf hochtouren läuft.

am wochenende tuckern wir mit bussen und bahnen richtung reha. als eine der bahnen fünf minuten verspätung hat, dreht meine mutter fast durch. die anderen fahrgäste gucken vollkommen angenervt angesichts des gezeters - was mir so peinlich ist, dass ich meine mutter recht harsch zurechtweise. als sie dann anfängt zu lamentieren, dass es besser wäre, wenn sie tot wäre, weiß ich wieder, wo ich meine reaktionsmuster auf schwierige umstände gelernt habe. aber objekt sei dank kann ich darauf recht souverän reagieren. ich sage meiner mutter also ganz ruhig, falls sie suizidgedanken habe, nähme ich das sehr ernst und würde sie jetzt umgehend in ein krankenhaus bringen. es wirkt - in nur wenigen sekunden ist jegliche todessehnsucht verschwunden.

als wir bei meinem vater durch die tür kommen, bin ich positiv überrascht. mein vater sitzt zwar im rollstuhl, wirkt aber 1a gepflegt und keineswegs krank oder abgezehrt. er hat zwar acht kilo abgenommen, was aber auch dringend nötig war. da er gewaschen und geduscht wird, riecht er zu ersten mal seit jahren einigermaßen sauber.

mein vater freut sich auf jeden fall riesig über den mitgebrachten kuchen, den er in 30 sekunden verdrückt. meine mutter hat sich als wegzehrung außerdem zwei käsebrötchen eingepackt, welche er ebenfalls wegputzt - fast so, als habe er nicht eben schon zu mittag gegessen. der ungebrochene appetit scheint mir ein gutes zeichen zu sein.

es ist offenbar auch sonst ein einigermaßen guter tag, denn mein vater wirkt nicht allzu stark verwirrt. er kann sich sogar erinnern, wo sein fahrzeugbrief liegt, den ich dringend für den anstehenden autoverkauf benötige. er betont weiterhin noch einmal, dass er nach wie vor mit dem verkauf einverstanden ist, was mich ebenfalls sehr erleichtert. ich verspreche ihm im gegenzug, dass ich ihn über preisliche angebote informiere und ihn mitbestimmen lasse, an wen das auto zuletzt geht. 

montag haben wir eine führung durch das dritte infrage kommende pflegeheim - und zum ersten mal den eindruck, dass man dort einen geliebten menschen wohnen lassen kann. das heim ist relativ klein, ruhig mit blick ins grüne gelegen und nur vier bushaltestellen von zuhause entfernt. es gibt nur einzelzimmer und eine extra demenzstation. als die verwalterin die preisliste holt, bekomme ich etwas gänsehaut - aber zu meiner überraschung kostet das einzelzimmer weniger als ein doppelzimmer in einer der anderen gruseligen verwahranstalten, die wir zuvor gesehen hatten. wir sagen sofort zu - und müssen jetzt nur noch hoffen, dass ein zimmer in drei wochen frei wird. drücken sie uns gerne die daumen.

jetzt muss ich nur noch ein ganzes buch voller überweisungen, atteste und bescheinigungen einholen und 38472 anträge und verträge unterzeichnen. dann kann ich kommende woche vielleicht einigermaßen beruhigt zurück nach norden tuckern. 

12 Kommentare:

  1. Wow - du machst das echt gut - schön, dass du so hinbekommst 👍
    Fühl dich herzlich umarmt - und sowieso drücke ich dir die Daumen, dass das alles klappt

    AntwortenLöschen
  2. Klar reagiert der Körper so, bei deinem derzeitigen Stresspegel! Du machst das mega. Zum ersten Mal seit langem beim Lesen das Gefühl: Es wird alles gut. Daumen sind sowas von gedrückt für diesen Heimplatz!

    AntwortenLöschen
  3. Das ist viel. Ich hoffe, Du erhältst Dir kleine Erholungsinseln. Ich wünsche Dir bei allem Erfolg und Hut ab, dass Du da mehr oder minder alleine durch musst. Das verlangt einem sehr viel ab. <3

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. denke auch oft, geschwister wären jetzt sehr geil. ich kann gar nicht beschreiben, wie zutiefst müde ich mich fühle.

      Löschen
  4. das ist besonders hart zu lesen mit Eltern im aehnlichen Alter...
    ich hoffe, mit dem Pflegeheim kommt etwas Ruhe in die ganze Sache, fuer alle Beteiligten.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. sobald wir einen heimplatz haben, wird sich hoffentlich das meiste regeln.

      Löschen
  5. Däumchen sind gedrückt, Du machst das super!

    AntwortenLöschen
  6. ... Dinge, auf die man uns nicht vorbereitet hat, weil wir sie gar nicht wahrnehmen wollen.
    Wir werden älter, unsere Eltern — evtl. die früh verheirateten ( mit Anfang 20 das erste Kind) überfordern die Kinder exakt dann, wenn diese es am wenigsten gebrauchen können.
    Ein einziger Kampf zwischen den Betroffenen und den Ämtern und Pflegeeinrichtungen. Teils analog, teils digital (wozu die Eltern meistens nix beitragen können.
    Ich habe mir anlässliches dieses Blogs noch einmal unsere Unterlagen von vor 2 Jahren rausgeholt: ne Exceltabelle mit knapp 100 Zeilen, Krankenhäuser, Pflegeheimen — sortiert nach Kurzzeitpflege/Langzeitpflege — Pflegedienste, Haushaltshilfen, Pflegekasse.
    Dazu die Spalten für "angerufen" "E-Mail verschickt" "nachhaken" etc.
    Plus Recherche im Netz, Bewertungen der Anbieter suchen, Preisvergleiche, Rechtsanwalt, Notar — was wird aus "dem kleinen Häuschen?"

    Alles abgeschmeckt mit dem plötzlichen Gedanken "was wird aus mir eigentlich einmal" — Schxxx ich bin ja eigentlich auch inzwischen U-70 ...
    No Fun Jens

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. alleine alt werden, alleine sterben - und hoffentlich den zeitpunkt für selbstbestimmtes sterben nicht verpassen. das ist die devise…

      Löschen

danke für deinen kommentar. ist er hilfreich, fair und sachlich, wird er nach freischaltung veröffentlicht. kontextfreie, rassistische und sonstige arschloch-scheiße wird sofort gelöscht.