Montag, 29. Januar 2024

hvv - hamburg voll verarscht

zwei dinge entwickeln sich beim hvv beständig auseinander: preis und leistung. ersterer steigt jedes jahr verlässlich, während man mit pünktlichkeit oder sauberkeit oder komfort niemals rechnen sollte.

eine beispiel-odyssee: freitag, 19:30, 3er-bushaltestelle richtung innenstadt. kein berufsverkehr, kein stau. eigentlich alles tiefenentspannt.

der schnellbus x3 soll in sechs minuten kommen, dann drei minuten später ein regulärer 3er und nur eine minute später nochmal ein 3er. sehr gut, möchte man meinen. echter großstadt-takt. 

ist es aber nicht.

beim x3 steht schon verdächtigerweise eine uhrzeit statt einer minutenangabe daneben. hier lehrt die erfahrung: solche busse existieren in der regel nicht. sprich, da kommt einfach keiner. auch in diesem fall habe ich recht: sechs minuten später verschwindet der x3 von der anzeige, ohne dass ein wagen die haltestelle bedient hätte.

inzwischen stehen schon recht viele leute an der haltestelle. so um die 15 people. klar, freitag gehen die leute aus. das ist scheiße. denn ich ahne: der nächste bus wird proppenvoll sein. schließlich ist der mysteriöse verschwindibus nicht gekommen. insofern ist es gut, dass als nächstes gleich zwei 3er-busse ankommen sollen. ist der erste heillos überfüllt, gibt es immerhin eine option.

die beiden 3er-busse der zukunft scheinen sogar richtig gas zu geben, denn jetzt steht an der tafel, dass beide gleichzeitig und "sofort" ankommen sollen. noch ist nichts zu sehen. "sofort" kann nach den regeln des hvv aber auch gerne mehrere minuten bedeuten, also mache ich mir keine sorgen. zeit beim hvv ist grundsätzlich relativ.

dann sehe ich licht am horizont. da kommt tatsächlich ein 3er-bus mit noch akzeptabler verspätung von vier minuten nach "sofort". wie befürchtet ist er so voll, dass nur ein teil der wartenden, sich minütlich vergrößernden menge einsteigen kann. eine weile können die türen nicht schließen, weil immer leute in der lichtschranke stehen. es dauert wieder mehrere minuten, bis der bus abfahren kann.

ich und der bestellte sowie nicht abgeholte rest starren derweil richtung horizont. schließlich müsste gleich der nächste 3er-bus ankommen, oder vielmehr schon hier an der haltestelle sein.

doch da draußen bleibt es dunkel. schließlich verschwindet der angekündigte zweite 3er-bus ebenso wie der x3 zuvor von der anzeigetafel. und ich verstehe: da ist wohl mal wieder ein fehler passiert. hvv-anzeigetafeln funktionieren ungefähr so verlässlich wie kaputte weltraumsatelliten, die ihre umlaufbahn verlassen haben und richtung mond steuern.

inzwischen stehe ich seit rund 20 minuten an der haltestelle. der nächste bus soll wieder 3er-bus sein, der angeblich in neun minuten ankommt. das heißt, ich werde voraussichtlich eine halbe stunde herumgestanden und gewartet haben, bevor ich meine kleine reise auch nur beginne. auf dem dorf kann es nicht frustrierender sein.

dann allerdings rollt plötzlich ein x3 rollt heran. völlig unangekündigt, aber der hvv steht nunmal für überraschungen in jeder lebenslage. warum nicht auch mal eine positive?

der x3 ist vollkommen leer und wir können stante pede einsteigen ohne minutenlanges tür-auf-tür-zu wegen lichtschrankenproblematiken. die fahrt kann beginnen, hurra. ein unfassbarer glücksfall. ich ignoriere, dass der bus bei jeder bremsung ohrenbetäubend laut zischt, als würde er gleich explodieren, und ich ignoriere auch den dezenten gestank von ungewaschener obdachlosigkeit im hinteren bereich.

da weder sturm noch regen noch schneefall herrschen und auch es nicht mitten am tag ist, dauert die fahrt tatsächlich nur acht minuten wie auch die obergeniale hvv-app prognostiert, die sonst nur lustige fantasieangaben macht. ich fühle mich so beglückt wie auf mdma und bin beinahe euphorisch, als ich weiter richtung schanze und luxus-hausen laufe.

denn ja, ich bin anderes gewohnt. es ist keine seltenheit, dass besagter 3er bus für meine vier stationen 50 minuten braucht. dafür muss man nur zu einer anderen tageszeit oder zu den beschriebenen wetterlagen unterwegs sein. zum vergleich: wenn ich den kompletten weg zum luxus-mann laufe, brauche ich 45 minuten. tatsächlich ziehe ich den spaziergang vor, wenn ich zeit habe und das wetter stimmt. dann spare ich mir die 2,50 €, die meine lächerlichen drei bis vier stationen inzwischen kosten.

kurzum, ob man in hamburg nun bus fährt oder einfach läuft, ist im grunde genommen schnuppe. nur der preis macht den unterschied. und der steigt und steigt. und steigt. zuverlässig wie sonst nix anderes, was mit dem hvv zu tun hat.

Sonntag, 14. Januar 2024

i think it´s love

samstagmorgen. beim frühstück rollen mir die tränen übers gesicht. das liegt am morgendlichen serotoninloch - und an der tatsache, dass ich zwar eine zusage für einen interessanten job habe, aber der neue arbeitgeber nach drei wochen immer noch nicht den arbeitsvertrag rüberwachsen lassen will. die daraus resultierende unsicherheit und anspannung killen mich und triggern meinen selbsthass.

"ich bin´s so leid, diese ewigen unverbindlichkeiten, bestimmt wollen die mich noch hinterrücks absägen", schluchze ich. 

der luxus-mann sitzt mir ruhig gegenüber und meint trocken: "frag doch am montag einfach mal nach. nach der langen zeit ist das legitim."
"ich schäm mich so", weine ich weiter und steigere mich in meine depressive hysterie.
"aber warum denn?" fragt der mann verwundert. "und warum sollten die dich jetzt noch absägen?"
"weil ich so ein nutzloses stück scheiße bin!"

ich schreie es regelrecht heraus, weil ich mir so wehtue und ich nicht begreifen kann, wie der luxus-mann so tun kann, als habe er noch nicht bemerkt, dass man mit mir keinen blumentopf gewinnen kann.

der mann seufzt undefiniert und steht dann schwerfällig auf. ich denke, er will die küche verlassen, weil er keinen bock hat, sich mein dummes geheule zu geben.
doch dann erlebe ich die überraschung meines lebens: der mann macht einen schritt auf meine seite des tisches und breitet sehr unsicher und zögerlich die arme aus.
"komm mal her", sagt er.
 
ich bin so perplex, dass ich für einige momente meine verzweiflung vergesse:
"was ist denn jetzt passiert?" frage ich.
dann schlüpfe ich vorsichtig in die dargebotenen arme, und der luxus-mann hält mich tatsächlich fest umschlungen.

ich kann spüren, wie schwer ihm diese umarmung fällt. sein körper ist steif und angespannt, so als kämpfe er mit aller macht einen immensen widerstand nieder. 
 
"ich dachte, dass du das jetzt vielleicht gerade brauchst", sagt er, während er unbeholfen meinen rücken tätschelt.
ich muss ein wenig lächeln:
"hast du drogen genommen?"
"hey, komm. ich geb mir mühe. ich weiß, das war jetzt wahrscheinlich komisch für dich. ich kann das leider nicht gut. aber du weißt ja, ich wurde nie umarmt oder so als kind."

ich schaue den mann an und bin ungeheuer gerührt. mir ist von innen warm, weil ich die größe der geste spüre und die überwindung, die sie ihm gekostet hat.
 
und wir schreiben damit geschichte: es ist das erste mal in fast acht jahren, dass mich mein mann aus eigener initiative umarmt - in einer situation, die mitgefühl erfordert. und es ist eine richtige, echte umarmung - kein kurzes pflichtbewusstes zucken der arme um meine taille. 

am abend auf dem sofa bei einem glas wein spreche ich die situation noch einmal an, um meiner wertschätzung ausdruck zu verleihen. außerdem interessiert es mich brennend, wie der impuls dazu zustande kam, wo ich auf empathie sonst so oft vergeblich warte.
 
"weiß nicht, ich will ja nicht immer dieselben fehler machen", sagt der luxus-mann nachdenklich. "bei meinen kinder hab ich so viel falsch gemacht. oder damals bei b., da hab ich auch erst gemerkt, dass ich sie wirklich liebe, als sie schluss gemacht hat."
"wie war das denn damals?"
"ach... ganz beschissen. wir waren zusammen campen in irland... da hat sie es mir gesagt. ich weiß noch, es war so ein tag, arschkalt, es hat geschifft wie aus kübeln... und ich saß da in den bergen unter so einem felsvorsprung... und hab ihr einen sentimentalen brief geschrieben... so mit dem papier auf den knien...  hat aber auch nichts mehr gebracht. da war ich echt fertig... da musste ich neulich wieder dran denken."
"deshalb hast du auch so verhalten reagiert, als ich irgendwann mal meinte, wir könnten doch mal nach irland fahren?"
"kann schon sein."
ich lächle.
"ich muss da übrigens nicht hin. mir ist viel wichtiger, dass es dir gut geht."

und als wir später im bett liegen, fühle ich mich unglaublich nah und innig. 

 



Donnerstag, 11. Januar 2024

das grüne handtuch

"das gibt´s ja wohl nicht", tönt es fassungslos aus der kammer, in der die luxus-waschmaschine steht. "mein nagelneues grünes handtuch ist weg!"
 
ich komme neugierig gucken: "was n für ein grünes handtuch?"
"das habe ich zu weihnachten bekommen von der kindsmutter nummer 2", antwortet der luxus-mann.
"und wieso ist das jetzt weg?"
"ich hab es gewaschen und es hätte hier in der waschmaschine mit der frisch gewaschenen wäsche sein müssen."
"häng die nasse wäsche doch einfach auf. wenn´s dabei ist, fällt es dir schon in die hände. da ist auch bettwäsche, sehe ich, bei mir rutschen so kleinere teile oft auch mal in einen bettbezug."
 
gesagt, getan.
"mein handtuch war nicht dabei", vermeldet der luxus-mann nach dem wäschenaufhängen.
"aber waschmaschinen verschlucken doch keine ganzen handtücher" erwidere ich. "vielleicht hast du nur gedacht, dass du es in die maschine gesteckt hast und in wirklichkeit befindet es sich noch im dreckwäsche-korb?"
"das könnte sein!"
 
der luxus-mann durchwühlt den wäschekorb. doch darin befindet sich nur noch schwarze wäsche und ein paar socken, kein grünes handtuch.
"merkwürdig! spukt es hier etwa schon wieder?" fragt er kopfschüttelnd.
"vielleicht ist es irgendwie neben oder hinter die waschmaschine gefallen", sage ich.
"da hab ich schon alles abgesucht."
"mit licht? das ist ja recht finster hier."
"warte, ich guck noch mal mit meiner taschenlampe."
 
die erneute suche in den dunklen ritzen um die waschmaschine bringt ebenfalls keine ergebnisse.
"dann ist es wohl irgendwie weg", sagt der luxus-mann bedröppelt. "schade, ich fand das echt schön."
"ich könnte mir vorstellen, dass es wieder auftaucht. das ist ja nicht unbedingt selten, dass du was vermisst", stichle ich und spiele auf die vergesslichkeit des luxus-mannes an.
 
wir gehen in die küche.
dort ruft der luxus-mann erleichtert: "tatsache, da ist es ja!"
ich gucke und gucke, sehe aber kein grünes handtuch.
"mensch, da habe ich es wohl schon letztes mal mitgewaschen und hier aufgehängt!" brabbelt der luxus-mann erleichtert. "ich töffel aber auch!"
 
ich glotze immer noch irritiert durch die küche. 
"ich seh kein grünes handtuch", sage ich. 
"na, da hängt es doch!" der luxus-mann zeigt auf die haken mit den geschirrtüchern.
"hä?"
"da ganz links!"
 
ich trete näher an die geschirrtücher heran.
"da ist aber doch kein handtuch dabei. das sind alles geschirrtücher."
"ja, egal, mein ich doch. das grüne geschirrtuch."

ich zupfe am beschriebenen geschirrtuch, das links außen hängt. 
"das meinst du?"
"genau!"
das geschirrtuch ist anthrazit und trägt einen goldenen stern in der mitte.
"wo ist das denn bitte grün?!"
"so eine ART grün, meinte ich eigentlich."
"das ist dunkelgrau. anthrazit."
"naja, vielleicht ist es auch eher grau."
"wir sollten dich dringend mal auf farbenblindheit testen lassen", schlage ich vor. "und auf faser-blindheit auch."

und so klärte sich der mysteriöse fall des grünen handtuchs, das dann doch eher ein dunkelgraues geschirrtuch mit goldenem stern war.

Montag, 8. Januar 2024

kein herz für landwirte

vor meinem fenster stehen trecker-kolonnen und hupen, verpesten die luft mit ihren maschinen und machen arbeiten unmöglich. kurzum, es ist eine zumutung. ebenso eine zumutung ist es, dass ich gezwungen bin, mit meinen steuern umweltgifte wie diesel zu finanzieren - für eine berufsgruppe, die im vergangenen jahr rekordgewinne eingefahren hat und die hälfte ihres einkommens aus subventionen bezieht. 

aber es passt ins bild, wie unternehmen (ja, auch landwirte sind unternehmer und keine sklaven) denken: der staat hat die fresse zu halten und darf mir keine vorschriften machen, wenn es darum geht, die umwelt zu vermüllen und verbraucher zu bescheißen. aber wenn auch nur das kleinste problem auftritt, möchte ich sofort fett staatliche kohle dafür bekommen, und zwar für den rest meines lebens.

unfassbar nach wie vor ist für mich, dass der staat das alles mitmacht. subventionen sind an sich dazu da, vorübergehend zu unterstützen und unternehmen in die lage zu versetzen, sich zukunftsfähig aufzustellen und nachhaltig wirtschaftlich zu handeln. das passiert aber selten im nötigen umfang. unternehmen und damit auch landwirte stehlen sich stattdessen nach möglichkeit aus ihrer unternehmerischen verantwortung und betrachten subventionen als dauerhaftes nettes zusatzeinkommen, das im besten fall immer weiter steigen soll. allein diese tatsache müsste eigentlich dazu führen, subventionen jeglicher art subito einzustellen. denn werden subventionen auf diese weise missbraucht, ist dies betrug an der steuerzahlenden gesellschaft.

das muss man sich nämlich einmal grundlegend vor augen führen: steuerzahler drücken ab, damit komplett marode, nutzlose und korrupte unternehmen weiterexistieren können. offiziell heißt es dann natürlich wieder, dass so arbeitsplätze erhalten werden - reine schönfärberei, wie wir alle wissen. es wird immer wegrationalsiert, was geht, damit vorstände noch dickere boni bekommen. der steuerzahler bezahlt also kurz gesagt dafür, dass er sich eventuell weiterhin versklaven darf, damit er in der lage ist, den giftigen, krankmachenden und/oder nutzlosen scheiß, den unternehmen herstellen, zu konsumieren. während andere auf seine kosten highlife machen - und sich darüber auch noch beklagen.

wahrscheinlich denken viele bei den aktuellen protesten an den netten kleinen bio-bauern mit dem tante-emma-laden am orteingang. aber wer hier gerade stimmung macht, wer hier seine lobby missbraucht, das sind nicht nur arme kleine bauern, sondern auch riesige agrarholdings und ihre handlanger sowie große transportunternehmen. und hier gibt es für mich null toleranz - vor allem, wenn für die persönliche gier geschmackloserweise auch noch gedankengut der widerstandsbewegung weiße rose missbraucht wird. ich würde die proteste notfalls mit gewalt beenden lassen, verantwortliche finanziell für die folgekosten zur verantwortung ziehen und in der öffentlichkeit das längst überfällige ende der kuschelpolitik mit der wirtschaft deutlich machen. agrardiesel überhaupt jemals zu subventionieren, war eine politische fehlentscheidung, und es ist höchste zeit, diesen fehler zu korrigieren.

Dienstag, 2. Januar 2024

lichtblicke

obwohl mein heimaturlaub diesmal eher von not, wahnsinn und hilflosigkeit geprägt ist, bin ich wieder einmal erstaunt, wie gut mein gewachsenes soziales netz hier trägt. damit meine ich nicht nur die freunde, die ich noch regelmäßig treffe. auch fast vergessene kontakte kann ich diesmal reaktivieren.

am freitag besuche ich eine nachbarin, die ich aus meinen kindheitstagen kenne. sie und ihr damaliger mann waren mir einst sowas wie ersatz-eltern. ich war bei ihnen immer willkommen. als zwischen unseren häusern noch keine zäune standen, schlich ich mich am wochenende oftmals schon in aller herrgottsfrühe hinüber - wohlwissend, dass der nachbar auch sonntags bereits ab 7 uhr wach war und wir zusammen sesamstraße gucken konnten. oder er lackierte sein neues altes auto und ich durfte ihm farben anreichen. die sportliche nachbarin brachte mir indes rollschuhfahren bei und backte mit mir ihren unvergesslichen apfelstrudel. als der nachbar mit nur 32 jahren an leukämie starb, zog die nachbarin leider weg. 

seit ein paar jahren jedoch bewohnt sie mit ihrem neuen lebensgefährten wieder ihr altes haus - und lädt mich ein, damit ich ihren süßen und noch sehr wilden welpen kennenlernen kann. und obwohl 35 jahre zwischen unserem letzten kontakt liegen, sind wir einander alles andere als fremd. schnell stellt sich die vertrautheit ein, die ich schon als kleines kind immer so genoss. 

"ich werde nie vergessen, als ich damals deine eltern besucht habe, um ihnen mitzuteilen, dass mein klaus nicht mehr ist", sagt die nachbarin lächelnd. "du saßt in eurer gerageneinfahrt und hast mit kreide auf die steine gemalt." 
ich erinnere mich sehr vage: "ja, ich glaube, ich habe blumen gemalt?" 
"du hast blumen gemalt, ein haus und wolken, und auf einer wolke saß klaus." 
"echt?"
"ja, ganz sicher. das weiß ich noch ganz genau."
"aber wusste ich damals denn schon, dass klaus gestorben war?" 
"nein, aber du hast das wahrscheinlich gespürt."

ähnlich wie beim objekt und mir ist der nachbarin noch der kontakt zu den eltern geblieben. so kümmert sie sich bis heute um die inzwischen demente ex-schwiegermutter, wickelt deren bankgeschäfte ab und organsiert alles, was sie im pflegeheim braucht.

"das steht mir jetzt wahrscheinlich auch alles bald bevor. meine mutter ist ja noch fit, aber..."
"ja, dein vater... so schlimm", nicke die nachbarin.
"ich muss meine mutter künftig unbedingt mehr unterstützen. die ganzen versicherungs- und banksachen werde ich ihr wahrscheinlich komplett abnehmen, damit fühlt sie sich unsicher."
"wenn du da mit irgendwas hilfe brauchst, sag einfach bescheid."
erleichterung durchströmt mich - ähnlich wie früher in einer objektiven umarmung.
"danke. ich bin sicher, ich werde drauf zurückkommen. ich hab ja noch überhaupt keine vorstellung von all dem."

gestern dann habe ich eine verabredung mit meiner sandkastenfreundin n. unsere eltern pflegten zu kindergartenzeiten eine art zweck-bekanntschaft (kinder abwechelnd im kindergarten abliefern und später wieder abholen). meine damalige beziehung zu n. könnte man als intensive hassliebe bezeichnen - zweitweise spielten wir sehr gerne miteinander, waren aber auch immer wieder zutiefst zerstritten. als ich mit meinen eltern 3 km weiter in einen vorort zog, wurden wir jedoch beste freundinnen, die einander sehr vermissten und sich regelmäßig besuchten. nach dem abi schlief die freundschaft langsam ein: ich war bereits in die nachbarstadt gezogen, hatte eine beziehung und studierte, während n. - ein jahr später eingeschult als ich - noch zur schule ging und bei ihren eltern wohnte. mein umzug nach kackstadt gab uns dann den rest.

in den letzten monaten träumte ich plötzlich mehrfach von n. und weil ich träume so inspirierend finde, beschloss ich, ihr über unsere eltern liebe grüße und meine telefonnummer zu übermitteln. ich hatte mit nicht viel gerechnet - aber die rückmeldung kam prompt und mit unerwartet hoher begeisterung, was mich ungeheuer freute. 

wir treffen uns in der innenstadt. obwohl wir uns 20 jahre oder so nicht gesehen haben, erkennen wir uns sofort. n. strahlt immer noch so fröhlich wie früher und steckt mich wie schon damals sofort mit ihrem schlagfertigen humor und ihrer herzlichkeit an. wir suchen uns ein café und reden viel über unsere eltern. n. erzählt mir von ihrem vater, der einen herzstillstand erlitten hatte und fast gestorben wäre. nach wochenlangem koma machte er vor einem jahr die ersten kleinen schritte ins leben zurück. 

"wenn man den heute auf den ersten blick sieht, merkt man dem echt nix an", erzählt n., "aber so im alltag... so richtig viel bekommt der nicht mehr mit. er vergisst ständig alles, und manchmal denke ich, alles zieht an ihm vorbei."
"trotzdem, eigentlich ein wunder. der hätte auch wachkoma-patient werden können. oder so lauch im rollstuhl wie das objekt."
ich gebe eine kurze zusammenfassung der objekt-story und ziehe die parallelen - langes koma, sauerstoffmangel im gehirn, probleme mit dem kurzzeitgedächtnis.
"bei meinem vater ist das aber auch ähnlich", erzähle ich dann. "der schläft dauernd im sitzen ein und wenn man was sagt, weiß man nie, hat er das noch gehört oder nicht. man hat den eindruck, er lebt teilweise nur noch so in seinem kopf, ohne zeitgefühl oder ziele im alltag. ich habe gelesen, dass das symptome von demenz sind."

"das ist schon komisch, wenn eltern alt werden", fasst n. zusammen. "mir tut immer meine mutter leid, die ist ständig am brennen, weil sie jeden scheiß organisieren muss."
"ist hier ähnlich", erwidere ich. "wobei meine eher verbittert. ich glaube, sie nimmt dieses schicksal teilweise so wie eine persönliche beleidigung auf. ich kann das aber auch nicht alles auffangen, ich bin ja keine psychotherapeutin."
"nee, das geht nicht. ich bin zwar jede woche da, weil wir nur ein paar straßen voneinander entfernt wohnen, aber ich habe ja auch ein eigenes leben."

das treffen tut mir gut, merke ich. ich fühle mich wie aufgeladen, beschwingt und weniger hoffnungslos, fast als ob n.s offensichtlich gut ausgeprägte resilienz auf mich abfärbt. als ich das erste mal auf die uhr schaue, haben wir schon vier stunden verquasselt. "fuck, ich muss heim, ich muss noch mit meinem vater seine übungen machen", sage ich. "sonst erzählt er mir wieder, dass es zu spät und er müde ist. "
"ja, ich muss auch los, ich muss morgen leider arbeiten", sagt n.

als ich froh gestimmt zuhause ankomme, erlebe ich noch eine positive überraschung: mein vater hat schon mit seinen übungen angefangen, ganz ohne mehrfache aufforderungen und arschtritte. 

vielleicht wird 2024 doch ganz ok, wer weiß.