Samstag, 22. April 2017

geld und wert

zum ersten mal in meinem leben habe ich ein einkommen, das es mir ermöglicht, monatlich 200 oder sogar ein bisschen mehr euro zurückzulegen. das liegt daran, dass ich bis auf kleinigkeiten (hausratversicherung, neue möbel, mehrausgaben für ein exklusiveres nachtleben) meinen lebensstandard auf dem einer studentin halte: kleine abgeranzte wohnung, kein auto, noch nicht mal eine monatskarte, allenfalls kurzurlaube, kleidung und so weiter alles vom flohmarkt. der punkt ist nicht, dass ich mehr brauche, sondern dass ich nicht mehr will.

der luxus-mann drängelt. er will nach island im sommer. pauschal-rundreise, in geysiren baden, in spannenden hotels wohnen. ich zögere. der kostenpunkt sind 2.000 euro. der ego-nutzen ist für mich zweifelhaft. ich reise lieber anders: bei fremden wohnen, sich von den menschen, die man irgendwo kennen lernt, mitziehen lassen und so dinge jenseits des tourismus entdecken. dafür scheiße ich auf schickimicki-hotels und sehenswürdigkeiten. interessiert mich nämlich alles nicht die bohne.

als ich das dem luxus-mann begreiflich machen will, meint er, das funktioniere aber als paar so nicht.
"jetzt aber mal hand aufs herz, unser hotel in wien hatte 5 sterne und war beschissen", maule ich. "und die ganze tourikacke habe ich auch nur dir zuliebe mitgemacht."

ich spreche mit meiner therapeutin darüber. "aber so ein urlaub kann ja einen lebenslangen wert haben", meint sie. "ich hab auch mal 5.000 euro für einen urlaub ausgegeben, das war auch für mich viel geld, aber es hat sich gelohnt. die eindrücke, das ist mir alles so, als wärs gestern gewesen. das bleibt ihnen doch ein leben lang als lebendige erinnerung erhalten."

ich bin nicht überzeugt.
"ich finde reisen stressig", sage ich. "ich bin nach zwei tagen wegen irgendwas genervt und dann todfroh, wieder zuhause zu sein."
meine therapeutin zuckt die schultern.
"wenn sie jetzt mal lernen, ihre permanente anspannung in den griff zu bekommen, haben sie bestimmt mehr energie."

abends ruft das objekt an, und weil ich gerade in laune bin, schnüffle ich ein bisschen in den hörer und vertraue ihm meine not an.
"ich war letztens in thailand mit der gespielin und meinem besten kumpel, das war toll, aber ich bin ja auch so... ich muss das nicht haben. gib mir die ostsee oder ein paar tage in meckpomm, das reicht mir", sagt es.
dann ermuntert es mich, mich doch einfach mal drauf einzulassen.
"vielleicht entdeckst du ja was, was dir was gibt. und wenns doof ist, machst du es eben nicht mehr. für mich wären 2.000 euro so viel geld, dass ich jahrelang sparen oder erstmal einen kredit aufnehmen müsste. du schaffst das, die kohle dafür in weniger als einem jahr auf die seite zu legen."

dann erzählt es mir, dass es die ausschreibung um eine fortbildung gewonnen hat und aus 60 leuten für die ausbildung zum fachkrankenpfleger ausgewählt wurde.
"super, glückwunsch, das freut mich so für dich!" sage ich von herzen.
"ich hab nur super viel schiss, weil man da so viele referate und arbeiten machen muss."
"du kennst doch mich", sage ich warm.
"ehrlich, würdest du mir helfen?"
"ja klar."
"ich muss aber erst mal schauen, ob ich das alles überhaupt machen kann. ich meine, so mit meinem sohn geht das inzwischen, aber ich muss dafür in andere städte reisen, dort in den kliniken lernen... das heißt, ich muss unheimlich mobil sein und mir hie und da auch mal eine unterkunft leisten können... dafür fehlen mir aber eigentlich die reserven. jetzt haben sie den unterhalt wieder hochgeschraubt und ich weiß gar nicht mehr, wie ich das schaffen soll. vorher hatte ich dann und wann mal 20-30 euro, die ich zurücklegen konnte, jetzt bleibt mir gar nichts mehr, obwohl ich auf so viel verzichte."

ich denke nach.
"ich möchte, dass du zwei dinge weißt. wenn du hilfe beim schreiben und präsentieren brauchst, bin ich da. aber ich würde dir auch helfen, wenn du mal finanzielle unterstützung brauchst, weil ich finde, das das eine gute investition in die zukunft ist. du hast mal gesagt, als fachkrankenpfleger hättest du auf einen schlag 300-400 euro brutto mehr. das lohnt sich doch."
das objekt ist sprachlos, fängt dann an zu stottern.
"ich... ich weiß gar nicht... ob ich das annehmen kann. weil... weil du doch auch so lange auf alles verzichten musstest. das... das ist so wahnsnnig... ich mein, du bist... du bist so ein guter mensch!"
"ich glaube, ich würde lieber geld in sowas investieren als in irgendwelche teuren reisen", sage ich. "das würde mir das gefühl einer sinnvollen investition geben."
"das möchte ich aber nicht", sagt das objekt sanft. "zuerst du. dann dein mann. dann kannst du weiter denken."
"ich würde das aber gern wollen", beharre ich. "du hast so viel scheiße am hacken und kämpfst wie ein löwe, du hast es verdienst, auch mal ein bisschen sicherheit zu haben, um auf einen guten stand zu kommen, wo du dir dann diese sicherheit selbst geben kannst."

wir sind uns nicht einig, als wir das gespräch beenden müssen, weil mein festnetz klingelt und der luxus-mann dran ist. aber ich habe das gute gefühl in der brust, jetzt in einer starken position zu sein, die es mir ermöglicht, dem objekt vielleicht etwas dafür zurückzugeben, dass es mich vor jahren mit so viel einsatz und herzblut durch meine stürmischen zeiten manövriert hat.


6 Kommentare:

  1. Geld und Wert und Werte und was ist eigentlich Geld wert ... liebe Morphine, ich finde das unglaublich großherzig und klug und ... was soll ich sagen. Dass Du dem Objekt, das Dir verdammt noch mal so gut getan hat und Dich dann so runtergezogen hat, helfen magst ... ja, das verstehe ich. Es geht ja auch nicht in erster Linie ums Objekt. Mach das. Super.
    Thema Reisen: Ich bin ein paar Jahre älter als Du, reisemäßig aber minimal auf Deinem Stand. Island fände ich auch sehr, sehr geil, aber pauschal - never. Ich bzw. wir fshren lowbudget in erster Linie in Gegenden, die wir mit dem eigenen Auto (Schrottkarre, aber sie fährt und hat Platz für Weinkisten im Kofferraum) erreiche können. Hotels finde ich meistens schrecklich und absurd überteuert (hey, ich will da schlafen, ich frühstücke eh nicht), da lieber ne Pension oder ne Ferienwohnung, wenn ich einen Stützpunkt brauche. Diese All-inclusive-Welt ist definitiv nicht die meine. Und das hat nichts damit zu tun, ob man die Sprache des zu bereisenden Landes versteht (weder mein Isländisch noch mein Griechisch, geschweige denn Tschechisch sind auch nur ansatzweise existent).

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    1. Ich alleine in México, das war aber im Anschluss an einen Spanisch-Intensivkurs und seeehr low budget. So auch quer durch Europa auf Interrail-Fahrt, damals. Aktuell waren wir für kleines Geld in einem B&B im Chianti classico (eine meiner herzallerliebsten Lieblingsgegenden, ich kenne da gefühlt jeden Stein und mindestens jede zweite Bar), in der Champagne, in Rom, in Andalusien (beides leider mit dem Flugzeug, ging nicht anders), Hinterland er Côte d'Azur, ok, das gibt es kaum in preiswert, Porto steht auf dem Plan, desgleichen Krems an der Donau, wir waren viel und oft auf Sjælland, da ist leider die Übernachtungsmöglichkeit gestorben, aber das ist für mich perfekt - Sightseeing in Kopenhagen und Abhängen an den Seen und vor allem am Meer. Wir sind gottseidank auch nicht (mehr) feriengebunden. Das hilft auch.
      Ich habe in all den Jahren so einige Reisepartner verschlissen, die Moral war aber immer dieselbe: gemeinsame Reisen sind der Lackmustest.
      Unvergessen etwa der Trip in die Toscana mit dem Nicht-Weintrinker, der mich über Schotterpisten zu den zu besuchenden Weingütern (ich MUSS da hin! Die haben einen tollen Park! Das wird auch Dir gefallen!) kutschierte und bei jedem Steinchen, das an sein heiliges Auto klackte, einen mittleren Herzinfarkt bekam. Nein, ist nicht gut gegegangen.

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    2. hahaha! :D männer, die in ihren autos mehr als einen gebrauchsgegenstand sehen, kann ich mittlerweile auch nicht mehr ab. alles persönlichkeitsgestörte psychopathen.

      ich versteh mich eigentlich ganz gut auf reisen und hatte auch noch nie so einen krassen fall. liegt vielleicht auch daran, dass ich mir die leute vorher seeeeeeeeehr lange anschaue. nur die art und weise des reisens, das ist im falle luxus-mann der casus knacksus. ich merke, dass ich durchaus lust auf reisen habe, aber ich möchte mich nicht voreilig verausgaben und ich möchte auch gern wo hin, wo ich wirklich hinwill und nicht nur der partner.

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  2. Da schließe ich mich Vinoophilaa an. Ich finde das auch unglaublich großherzig von dir und sehr, sehr sympathisch.

    Thema Reisen: Da schließe ich mich ebenfalls an. ;) Mal abgesehen davon, dass teure Hotels nicht drin sind, würde mich das auch nicht reizen. Ich muss das Geld nicht zum Fenster rauswerfen und mag Hotels eh nicht. Es sei denn, es ist so eine kleine, abgewrackte Bruchbude wie damals in Italien. Die hatte Charme und du hast dich gleich wie zu Hause gefühlt. Wunderbar. Das Reisen an sich... hm... ich reise nicht ungerne (so es keinen stundenlangen Flug beinhaltet), aber mit dem falschen Reisepartner ist es die Hölle. Da bleibe ich mittlerweile lieber zu Hause, kostet weniger Nerven und schont das Budget. Brauche keinen Urlaub, der drei Wochen lang von morgens bis abends das Eingehen von Kompromissen beinhaltet.

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    1. das empfinde ich ähnlich. deshalb mag ich auch keine langen reisen, zumal der luxus-mann und ich wirklich unterschiedliche schwerpunkte haben - er steht auf tourikram und hotels und sehenswürdigkeiten-gerenne, mir ist eher das authentische erfahren von land und leuten wichtig. also drei wochen urlaub oder so ein zeitraum währen für uns glaub ich schwer vorstellbar. ich stehe auf air bnb und couchsurfing und all das, wo man nah dran ist, verstehe aber auch, wenn da jemand so nicht tickt. ich kann mich auch im hotel mal entspannend, aber eben nur für wenige tage, und dann möchte ich auch den eindruck haben, das ist jetzt echt was besonderes. wien war wirklich schön, aber in dem hotel hab ich mich überhaupt nicht wohlgefühlt, und es bleibt der bittere nachgeschmack wegen des schmerzhaften wachliegens auf den billigen, harten matratzen und frühstücken in jugendherbergs-massenabfertigungs-atmosphäre, und all das für einen haufen kohle und pseudo-schickimicki.

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danke für deinen kommentar. ist er hilfreich, fair und sachlich, wird er nach freischaltung veröffentlicht. kontextfreie, rassistische und sonstige arschloch-scheiße wird sofort gelöscht.