Mittwoch, 25. September 2024

amt für irrsinn, version 2024

schon 2008 als noch-studentin habe ich irre momente mit dem arbeitsamt und der agentur für arbeit erlebt. lesen sie hier des dramas neusten akt, version 2024.

vor drei wochen hatte ich eine akute frage zu meinem arbeitslosengeldbescheid. der war nämlich nur für vier monate ausgestellt worden, obwohl ich nach 17 jahren durchgängig arbeit doch eigentlich anrecht auf ein jahr arbeitslosengeld hätte. ich vermutete, dass das etwas mit meiner derzeit stattfindenden weiterbildung zu tun hatte, ohne genauere logische erklärungen dafür im bescheid finden zu können. da ich muffensausen hatte, dass ende des jahres abrupt und vielleicht irrümlicherweise schluss mit der knete sein könnte, wollte ich dringend jemand kompetentes sprechen.

ich versuchte es zunächst per e-mail, aber ich wusste bereits aus vorheriger leidvoller erfahrung, dass das arbeitsamt auf digitale anfragen in der regel nicht reagiert. also rief ich in der zentrale an. am telefon sagte mir eine dame, sie könne mir leider nicht weiterhelfen, da nur meine betreuerin vor ort diese meine hochspezielle frage beantworten dürfe. ich meinte, kein problem, dann solle sie meiner beraterin bitte bescheid sagen, dass ich einen termin bei ihr wünsche, und das gerne ein wenig zackig.

als ich zwei wochen später immer noch keinen vor-ort-termin hatte - termine werden grundsätzlich per reitendem boten, sprich per brief verschickt, hatte man mir gesagt, und mich um geduld gebeten, da bote und pferd dafür auch in stimmung sein müssen - rief ich erneut an, sagte mein sprüchlein auf und bat darum, meine beraterin kurzerhand hier am telefon sprechen zu dürfen. das ginge nicht, sagte man mir. man könne mich nicht einfach so durchstellen, denn da könne ja jeder kommen und herumfurzen und den beratern die zeit stehlen. so im übertragenen sinne die aussage. ich kochte innerlich kurz auf, bat dann jedoch höflich darum, dass meine beraterin mich zurückriefe. das ginge klar, sagte mir der mann am telefon, ich würde innerhalb der kommenden 48 stunden einen rückruf erhalten.

48 stunden vergingen, kein rückruf erfolgte. ich zähmte meine wut und sagte mir, dass die beraterin gerade vielleicht sehr viel zu tun hat. nach 72 stunden rief ich dann doch lieber noch einmal in der zentrale an. die dame dort bestätigte mir, dass mein rückrufwunsch bei meiner beraterin in der to-do-liste verzeichnet sei. er würde sicherlich bald geschehen.

am nächsten vormittag - ich lag gerade halbnackt auf der liege in der physiotherapie - klingelte mein handy. ich wollte hinspringen, war jedoch zu langsam. natürlich stammte der anruf von meiner betreuerin. sie hatte mir auf den ab gequatscht, ich möge sie bitte zurückrufen.

kaum zuhause tat ich wie mir geheißen, erreichte über die in der anrufliste angezeigte nummer jedoch nur einen roboter. der sagte mir, ich müsse in der zentrale anrufen. also gut. der mann am anderen ende der leitung verkündete jedoch erneut, er könne mich leider nicht durchstellen, aus besagtem da-könne-ja-jeder-kommen-grund. ich musste ein wenig hyperventilieren, um keinen rumpelstilzchentanz am telefon aufzuführen. dann drängte ich den kooperativen herrn, meine beraterin unbedingt über meinen auf ihren wunsch erfolgten, aber leider nicht zielführenden rückruf in kenntnis zu setzen, und dass sie mich bitte am kommenden tag anrufen möge. ich würde dann extra dafür den gesamten tag am handy lauern und sie keinesfalls verpassen. leicht säuerlich versprach der telefonist, dies so zu handhaben.

gestern dann rief mich meine beraterin tatsächlich noch einmal an. endlich konnte ich meine frage loswerden. dachte ich dummerweise. denn ich irrte mich. die beraterin teilte mir mit, dass sie nicht befugt sei, diese meine hochspezielle frage zu beantworten. dies könne nur die zentrale tun, und zwar auch nur dann, wenn ich dort eine entsprechende durchwahl wählte. ich wies darauf hin, dass ich bereits unzählige male mit der zentrale telefoniert hatte und man dort meine frage sicherlich schon als mehrstrophiges gedicht auswändig aufsagen oder im chor singen und dazu tanzen könne, man mir aber immer wieder versichert hatte, die antwort dürfe mir ausschließlich meine beraterin vor ort geben. die beraterin hielt dagegen, dass dem nicht so sei - sie könne noch nicht einmal auf meinen bescheid zugreifen. ich bot ihr an, ihr diesen kurz per e-mail rüberzubeamen, aber natürlich ging das nicht, wegen datenschutz.

kurzum, wir kamen keinen zentimeter weiter. irgendwann gab ich auf. sollte die kohle im dezember tatsächlich auslaufen, könnte ich mich ja dann immer noch aufregen und das amt für irrsinn notfalls einfach anzünden.

heute passierte dann gleich noch einmal ein lang herbeigesehntes wunder: ich hatte einen brief mit einen vor-ort-termin beim arbeitamt zwecks frageklärung im briefkasten! der termin war gestern um 13:15 uhr. 

et voilà, so funktioniert das amt für irrsinn immer noch sehr erfolgreich seit mindestens 2008. 

Montag, 23. September 2024

zur lüge gehören immer zwei

indem trump behauptet, haitianer äßen katzen, schafft er es, eine ganze stadt gegen ihre einwanderer aufzubringen. da fragt man sich als erstes natürlich: warum sind so viele amis so dumm?

1. zur lüge gehören immer zwei: einer, der lügt, und einer, der sie glaubt

wir zeigen nur zu gerne mit dem finger auf denjenigen, der lügt. und lachen dann noch viel lieber über die durchschaubarkeit dieser lüge - und diejenigen, die ihr dennoch glauben. um leicht zu durchschauende lügen zu glauben, muss man jedoch keineswegs unterbelichtet sein.

natürlich trägt ein gewisser intellekt dazu bei, lügen zu erkennen und sich folgerichtig dafür zu entscheiden, sie nicht zu glauben. die frage am ende ist jedoch, ob man den lügen glauben WILL. das heißt, man kann lügen intellektuell betrachtet durchaus entlarven, sie aber trotzdem für wahr halten, da man sie für wahr halten MÖCHTE.

2. lügen zu glauben hat mehr mit feigheit und bequemlichkeit als mit dummheit zu tun

wenns kompliziert wird, wollen feige menschen ihren verstand unbedingt ausschalten und bisweilen recht wahllos erlösungsbotschaften glauben. weil nachdenken bei komplizierten problemen leider unkomfortabel ist. der glaube an das selbstständige denkenvermögen und dessen resultate ist dann außerdem oft geringer als der glaube an die lüge. und es ist verdammt schwer, wenn eine mehrheit das eine behauptet, dann nicht an den eigenen gedanken zu zweifeln, sondern selbstbewusst die eigene, ganz andere ansicht zu vertreten.

3. feigheit + krise = hochkonjunktur für fake news

deshalb haben fake news in krisen hochkonjunktur. nicht, weil es diese fake news gibt. sondern weil man sie GLAUBEN WILL. und dieser glaube macht das leben einfacher, denn fake news funktionieren meist genau gleich: schuld sind immer andere - ich selbst bin nur ein opfer, und gleichzeitig aber ein echter held, weil ich das durchschaut habe und dem sündenbock nun das leben so schwer mache wie es nur geht! die sündenbock-theorie kommt geborenen hosenscheißern mit hang zur selbstüberschätzung in jedem fall sehr entgegen. und arrogante hosenscheißer gibt es nun mal zuhauf.

4. wer das evangelium glaubt, missioniert häufig bereitwillig.

fake news und religion haben gewisse parallelen. wer lügen glaubt, verbreitet sie gerne auch weiter. indem man möglichst viele anhänger gewinnt, möchte man die lüge massentauglich machen und sie im zweifelsfall mit vermeintlicher schwarmintelligenz oder notfalls auch militärischer überlegenheit verteidigen. deshalb müssen anhänger einer lüge auch unbedingt die wissenschaft und alles andere lügenfeindliche verdammen.

4. gewalt und das selbsterhaltungsprinzip der lüge

lügen können radikal und totalitär sein. sie wollen geschützt werden - und das um jeden preis. jemand, der fanatisch an eine lüge glaubt, trägt dadurch ein erhöhtes risiko, zum verbrecher zu werden. das beseitigen des vermeintlichen feindes (egal ob real oder nicht) gehört immanent zur lüge dazu. der feige lebt dabei das vermeintliche recht aus, nichts anderes gelten lassen zu müssen. seine gesamte ethik steht im dienst der lüge - bis zur selbstaufgabe, notfalls bis in den märtyrertod.

5. der lüge entkommt so schnell keiner

die zugrunde liegende feigheit macht es letztlich extrem schwer, der lüge wieder zu entkommen. sich feigheit einzugestehen ist deutlich härter als dummheit zuzugeben. dummheit kann die folge fehlender information und damit entschuldbar sein. feigheit aber ist eine charaktereigenschaft. man müsste also so stark sein, seine eigene persönlichkeit differenziert unter die lupe zu nehmen, die feigheit zu entlarven - und den eigenen ängsten entgegenzutreten. das ist ein enormer schritt, den so schnell niemand geht. daraus resultiert die oft erlebte "unbelehrbarkeit" von fake news-gläubigen.

6. die wirklichkeit ertragen lernen

die realität ist für viele für uns schwer zu ertragen. insbesondere, wenn man sich selbst als minderheit und insgesamt recht hilflos erlebt (unabhängig davon, ob man es tatsächlich ist). aber es gibt gestaltungsfreiräume im leben. verglichen zu einigen jahrhunderten zuvor leben wir in einer derzeit recht freien gesellschaft. derzeit können wir noch immer den beruf ergreifen, den wir möchten. wir können uns auf der straße versammeln und meinungen äußern. noch müssen wir auch keine sorge haben, dass die polizei uns wegen bestimmter äußerungen ins gefängnis wirft, wo wir dann vielleicht gefoltert werden. und noch schreibt uns niemand vor, jeden sonntag eintopf zu essen.

die kunst, die wirklichkeit zu ertragen, besteht vermutlich darin, differenziert und tapfer zu bleiben. vieles ist nicht perfekt. es gibt auch genug arschlöcher, die uns das leben schwer machen. aber mit etwas mumm können wir zumindest unser eigenes leben selbstbestimmt anpacken - und uns auch gegen die lauten, dreisten und brutalen wehren. so gilt es wahrscheinlich am ende, das unperfekte und mühsame als teil der normalität zu akzeptieren und das beste daraus zu machen. die selbstwirksamkeit beschert uns im gegenzug eine gewisse immunität gegen lügen und fake news.

Samstag, 14. September 2024

empathy not agony

mitgefühl ist bekanntlich eine gute sache, mitleid(en) hingegen eher nicht. mitgefühl bedeutet, das leid des anderen kognitiv nachvollziehen zu können. mitleid bedeutet, selbst in den gemütszustand des anderen zu verfallen - mit allen negativen folgen.

bislang dachte ich, ich sei ganz gut in sachen mitgefühl. ich kann mir probleme anderer anhören, relativ rational darüber nachdenken und lösungen vorschlagen - oder in fatalen fällen behutsam dosierten galgenhumor einsetzen und grundsätzliches da-sein signalisieren. zumindest wenn ich selbst stabil laufe, fällt mir es nicht schwer, mich nicht zu sehr emotional zu involvieren.

aktuell leidet der luxus-mann stark unter den nachwirkungen seiner op, die - wenn man seinem arzt glaubt - auch nicht ganz gewöhnlich sind. eine lösung ist derzeit nicht in sicht, vor allem keine schnelle. das alles deprimiert den luxus-mann sehr und provoziert bisweilen sogar suizidale unkenrufe. und ich weiß nicht, ob es an den seit juli abgesetzten psychopharmaka oder der eigenen unsicheren lebenssituation liegt: ich leide mit. die inzwischen seit drei wochen stark gedrückte luxus-stimmung hat mich regelrecht infiziert. 

das verursacht mir schuldgefühle. denn der luxus-mann braucht jetzt dringend eine ordentliche portion zupackende zuversicht, radikale akzeptanz und besagten galgenhumor. auf jeden fall die sicherheit, dass ich ungebrochen und tatkräftig an seiner seite bin und wir das kind gemeinsam schon schaukeln werden. aber nein. ich verfalle lieber in depressive anspannung, rast- und schlaflosigkeit. fieberhaft arbeitet sich das hirn tags wie nachts ab, was zu keinerlei sinnvollen ergebnissen führt. was wiederum das gefühl lähmender hilf- und nutzlosigkeit befeuert.

heute ist der luxus-mann in seinen alljährlichen kumpel-urlaub geflogen, den er desmal vor lauter frust und beschwerlichkeiten beinahe gecancelt hätte. und ich? nach einem wohlig-entspannten nachtschlaf erlebe ich einen wahren produktivitätsschub. ich stehe früh auf, führe mir die letzten fortbildungskapitel zu gemüte, absolviere recht souverän ein bewerbungsgespräch, verschicke eine weitere bewerbung, mache die wohnung klar schiff und besuche später noch meinen englischkurs. dann bin ich erschöpft, aber auf eine gute art. ich merke, wie es mir gefehlt hat - dieses mich-um-mich-kümmern. das war vor lauter mitleid viel zu kurz gekommen.

und ich stelle wieder einmal fest: mehr ich bedeutet nicht weniger liebe, sondern ein stärkeres und unabhängigeres wir anstelle diffus verschmolzener (ver)wir(r)-gefühle. so zu denken fühlt sich vielleicht manchmal ein wenig egoistisch an, ist aber wohl eine sehr gesunde sache, stelle ich fest.

der luxus-mann ruft mich am zweiten abend an. er klingt zufrieden und meint, es sei gut, dass er mitgefahren ist - und bedankt sich, weil ich ihn angesichts seiner zweifel dazu ermuntert hatte. "manchmal hast du schon recht, auch wenn ich sonst natürlich immer recht habe", foppt er mich.

Mittwoch, 4. September 2024

negativitissimus

am ersten september 1939 begann der zweite weltkrieg. irgendwie irritierend, dass dieses unrühmliche jubiläum mit den landtagswahlen in sachsen und thüringen zusammenfiel.

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moderne politik dient parteiübergreifend nicht mehr zum nachdenken und gestalten, sondern nur noch der unterhaltung. emotional-inhaltslose phrasen und lügen befriedigen dabei zweierlei: die sucht nach entertainment und die bequemlichkeit, in der persönlichen komfortzone verharren zu können.

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warum einem beim lesen der "welt" die ganze trostlosigkeit des deutschen journalismus bewusst wird.

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die jobsuche war erfolgreich. leider. es wird ein furchtbarer job, noch viel schlimmer als der alte: 50 % reisen, 50% präsenzarbeit, kein homeoffice, keine überstundenregelungen, ein gesetzliches minimum von urlaub, dumpinglohn. ich muss ihn annehmen. was bleibt mir schon anderes übrig? höchstens der strick, denn im marketing herrscht immerzu arbeitgebermarkt. 

geht niemals ins marketing, ich bitte euch! werdet lieber altenpfleger, da bleibt mehr würde - und auch nicht weniger geld übrig. (ich überlege mir das mit dem strick noch.)

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"es gibt echt nichts, was du nicht scheiße findest", sagt der mann manchmal anklagend. damit könnte er recht haben, denn meine enttäuschung ob der menschheit und der ganzen welt ist schier grenzenlos. "mit so einer grundlos dauerfröhlichen stinotante kämst du aber doch gar nicht klar", erwidere ich. womit ich recht haben könnte, gibt der mann zu. kleinste gemeinsame nenner sind so wertvoll!