Freitag, 22. September 2023

die neuen leiden der nicht mehr jungen wertherin

nach einem knappen jahr long covid fühle ich mich herztechnisch endlich einigermaßen genesen. die herzinfarkt-ähnlichen anfälle sind seit mai verschwunden. was bleibt, ist ein merkwürdiges latentes augenflimmern - so, als hätte ich anhaltend leichte kreislaufprobleme. nach einem augenarzt-marathon im frühjahr - wo ich die lustige glaukom-diagnose erhielt, die aber nicht das flimmern erklärt -  hatte ich ein halbes jahr später einen neurologentermin. der neurologe tappte zunächst im dunkeln, ließ aber vernünftigerweise ein schädel-mrt anfertigen.

gestern komme ich zur besprechung in die praxis und habe schon gleich ein beschissenes gefühl. mein arzt schaut mich so komisch mitleidig an, finde ich. über den schreibisch schielend kann ich den bericht der radiologie sehen, er enthält mehrere eng beschriebene seiten. kein gutes zeichen, finde ich.

mein arzt guckt komisch, als wisse er nicht recht, wie er anfangen soll, also sage ich tapfer: "na, was isses denn? lassen sie mich raten: ein gehirntumor!"

der arzt lächelt ein wenig und meinte dann in seiner etwas schlaftablettigen art: "nein... ähm... also, es wurden mehrere sachen gefunden." 

ja was denn nun, denke ich. ich sterbe hier gleich vor neugier angesichts der frage, ob ich meine private rentenversicherung nun auflösen kann oder nicht.

der arzt zeigt mir zunächst einen hellen fleck, der sich augenscheinlich über der schädeldecke unter der haut befindet. "hier schreiben die kollegen aus der radiologie, das sei wahrscheinlich eine gutartige geschwulst... wissen sie was darüber?"
ich zucke die schultern: "den kleinen knubbel hab ich schon ewig, denke ich."
"diese geschwulst sollten sie nur beobachten lassen. gehen sie zum hautarzt, falls sie sich vergrößert."
wenns weiter nichts ist!

dann scrollt der arzt weiter in die grauen schichtaufnahmen hinein: "hier haben wir zysten. sehr viele sogar, aber die sind alle klein."
"und was heißt das? viele tatsächliche oder potenzielle gehirntumore?"
"nein, das sind quasi nur schönheitsfehler. zysten machen selten ärger, nur wenn sie zu groß werden und auf irgendwas drücken."
"und erklärt das das augenflimmern?"
"nein, sie haben keine zysten im entsprechenden hirnareal."
 
wieder srcollt der arzt eine ewigkeit in meinem gehirn herum, während mir vor panik schon übel ist. ich bin nicht dumm, allein an seiner körpersprache kann ich sehen, der dicke oberhammer kommt noch.
 
"was ungewöhnlich bei ihnen ist, ist dieser helle fleck", sagt der doc schließlich.
"aha."
"das... das ist sowas wie eine narbe. sowas entsteht infolge in einer entzündung."
da ich nicht von gestern und medizinisch einigermaßen belesen bin, frage ich zurück: "also eine läsion?"
"ähm, ja. so nennt man das."
"mein vater hat altersbedingte läsionen, die wohl von seinem bluthochdruck kommen, aber ich vermute, ich bin dafür zu jung und habe zu niedrigen blutdruck?"
"richtig. in ihrem fall... gehört das da nicht hin."
"und jetzt hab ich multiple sklerose?" wenn er nicht rausrückt mit den hiobsbotschaften, dann muss ich hier wohl die schlussfolgerungen ziehen.
 
der arzt zögert.
"naja... das ist nicht klar. es ist ja erstmal nur eine läsion. sowas ist grundsätzlich selten, aber die kann auch eine andere ursache haben."
"welche denn? ein unfall? vom fahrrad gefallen bin ich ungefähr tausend mal."
"nein, nein, normalerweise entsteht sowas durch viren. vielleicht war corona das bei ihnen."
"ich hatte auch mal pfeiffersches drüsenfieber. und gesichtsgürtelrose. das geht auch alles aufs gehirn, meines wissens."
"ja, die läsion kann durchaus älter sein. das sieht man nur leider nicht auf den bildern."
 
ich seufze ungeduldig.
 "also kann man sagen, vielleicht habe ich multiple sklerose. und wie finden wir heraus, ob das so ist?"
der arzt windet sich.
"man kann eine hirnwasseruntersuchung machen. aber dazu würde ich ihnen nicht raten."
"und wozu würden sie raten?"
"wir machen in einem halben jahr erstmal noch ein schädel mrt."
"und wenn da mehr läsionen zu sehen sind, hab ich ms?"
"ähm, das könnte dann so sein."

das sind ja wieder mal hervorragende aussichten. da ich weiß, dass mich mr. murphy gewohnheitsmäßig so tief wie möglich zu ficken gedenkt, hatte ich im vorfeld bereits mit vielen schlimmen dingen gerechnet - zum beispiel eben mit einem gehirntumor oder auch einem kurz vorm platzen stehenden aneurysma. irgendwas richtig blödes, möglichst lebensbedrohliches natürlich. gewappnet sein muss ich bei mr. mruphy immer. multiple sklerose hatte ich zwar auch auf dem schirm gehabt, aber irgendwie wieder vom radar geschoben, weil einfach zu schrecklich und zu wenig tödlich.

"ich würde sie im oktober noch mal in meine praxis bitten", sagt mein doc unerwartet.
"warum das denn?"
"ich würde mir gerne noch ein paar sachen anschauen."
soso.
"glauben sie denn, dass es ms ist?" fragen wir doch mal direkt!
"ähm... das kann ich so nicht sagen."
"na, nur so ihre erfahrungswerte", schiebe ich nach. "ich lasse sie schon nicht verhaften, wenn es nachher anders kommt."
"ms ist sehr individuell, daher kann ich das wirklich nicht sagen."
aus diesem arzt kriegt man aber auch keine tendenz raus!

als er mich aus seinem zimmer geleitet, tätschelt er mir die schulter: "bitte machen sie sich jetzt nicht so viele sorgen."
 
er hat einen fabelhaften humor, soviel steht fest. mit der aussicht, vielleicht ms zu haben und ein halbes jahr auf die nächste untersuchung warten zu müssen, die dann dank der ach so vielen freien zeitnahen neurologentermine im kommenden jahrhundert besprochen werden kann, macht man sich naturgemäß überhaupt keine sorgen.

aber es sieht mr. murphy natürlich ähnlich: anstatt mich einfach mit etwas greifbarem wie einem tumor zu schocken, hat er beschlossen, mir lebenslange qualen in aussicht zu stellen und mich dazu über eine maximale zeitspanne im ungewissen zu lassen. garantiert würde ich jetzt bei jedem noch so harmlosen kribbeln oder taubheitsgefühl oder augenproblem nächtelang nicht schlafen können.

zuhause nehme ich die doppelte dosis meiner neuen, glücklicherweise nicht nur stimmungsaufhellenden, sondern auch angstlösend-einschläfernden happypills. dann kippe ich noch einen drink drauf und lasse mich bis spätnachts dröge vom fernseher berieseln, um nicht wachliegen und nachdenken zu müssen.

Sonntag, 17. September 2023

fragmentarisches

nachdem unsere krawall-künstlerin zum letztmöglichen termin endlich ausgezogen ist, wohnt seit heute ein postpubertier (optisch ist es 15, biologisch wohl eher 18-21)  im haus. man darf gespannt sein. wir alle beten, dass es irgendwas macht - und nicht nur zuhause abhängt und die musik lauter dreht.

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als letzte erinnerung an ein lärmiges jahr mit nachbarschaftlichem zerwürfnis lehnen noch ein paar überdimensionierte bretter mit künstlerinnen-geschmier an unserer mülltonne. nicht einmal die stadtreinigung will sich ihrer erbarmen.

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ähnlich widerlich wie arrogante pseudo-künstler finde ich ich diese konservativ-konformistischen spacken, die ständig mit ihrer jobscheiße hausieren gehen. vor allem, wenn sie dann noch eine vorzeige-familie um sich als sonnenkönig herum installiert haben, die ebenfalls permanent der selbstreferenz dienen muss.

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ich habe tatsächlich karten für ein blixa-bargeld-konzert ergattert. nun muss ich noch planen, wie ich blixa entführen, zwangsscheiden und mit meiner wenigkeit neu verheiraten kann. vielleicht ist seine frau auch für eine offene ehe zu haben, dann kann ich mir den gewaltsamen teil der aktion sogar sparen.

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meine liebste jahreszeit hat sich ein wenig verspätet und beginnt ab etwa übermorgen. pullover-wetter at its best - bald dann hoffentlich auch mit morgennebel und buntem rauschellaub.

 



Donnerstag, 14. September 2023

keine panik, wir sind ganz leise

wir sind den krieg im eigenen land nicht mehr gewohnt. darüber kann man sich freuen. doch es ist eine schlechte voraussetzung für das, was uns die kommenden jahrzehnte bevorsteht. schließlich werden uns im zuge des klimawandels ganze nationen an klimaflüchtingen überrennen. auch wenn ich immer sage, dass man schwächeren helfen sollte, wird sich dieses problem in der eskalationsstufe nur noch durch mauern, stacheldraht und großflächiges wegballern lösen lassen. also sofern die bundeswehr dazu fähig ist, haha. (ich vermute zudem stark, die ukraine wird uns nicht mit waffen und munition aushelfen.)

"ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man im 21. jahrhundert noch mit herkömmlicher artellerie oder raketen krieg führt", sagte der luxus-mann kurz vor dem ukraine-krieg. "also vielleicht noch in afrika oder im nahen osten, aber doch nicht hier in europa." er vermutete eher raffinierte cyber-angriffe, die stromnetze, wasserversorgung sowie transportmittel lahmlegen oder die software großer unternehmen hacken. insofern hat ihn der ukraine-krieg ob der rückständigkeit der kriegsführung desillusioniert - drohnen vielleicht mal ausgenommen.

heute war bundesweiter warntag, der in hamburg ja immer sehr dezent ausfällt. immerhin muss ich positiv vermerken, dass mein handy alarm gesendet hat. das luxus-handy hingegen hat nicht gewarnt. da der luxus-mann dasselbe modell besitzt wie ich, ist das recht verwunderlich. aber gut - solche pannen passen dazu, dass wir eben noch nicht zu hochmodernen cyber-kriegen fähig sind.

doch auch analoge warn-technik bewegt sich in hamburg im kaum wahrnehmbaren bereich. im vergangenen jahr befand ich mich zum warntag im homeoffice in altona, wo ich rein gar nichts mitbekam. selbst am offenen fenster herrschte entspannte totenstille, in welche himmelsrichtung sich das ohr auch wendete. 

heute arbeitete ich beim luxus-mann in der schanze. als ich um 11 uhr auf den balkon trat, konnte ich in weiter ferne sehr leise tatsächlich eine art alarmgeräusch wahrnehmen. es klang wie die alarmanlage eines autos, das man sehr weit entfernt geparkt hatte. nie im leben hätte ich dieses dezente piepen mit einem bombenangriff oder einer anderweitigen katastrophe assoziiert.

angeblich verfügt hamburg über 123 sirenen, die inzwischen vorwiegend elektrisch funktonieren sollen. vielfach wurde bereits über den sinn dieser technik diskutiert, denn bei einem stromausfall sind solche warnsysteme natürlich komplett für die katz. daher wurden notstrom-aggregate bzw. akkus für sirenen verordnet und fördermittel zur verfügung gestellt. allerdings liegt die umsetzung bei den ländern. es bleibt daher nur zu hoffen, dass unser senat in sachen sirenen etwas mehr intelligenz walten lässt als im vergangenen jahr, als er laternen im volkspark installieren ließ - und erst hinterher bemerkte, dass es dort gar keinen strom gibt.