Dienstag, 27. Dezember 2022

on ne voit bien qu'avec le cœur

in n. verabrede ich mich manchmal mit einem meiner ex-lover. so auch heute, denn ich bin immer neugierig, was aus diesen menschen geworden ist. und wieder einmal ist es frappierend zu sehen, wie die zeit alles verändert.

von weitem ist er dieselbe einnehmende gestalt, groß, schlank, elegant, geschmeidig, mit offen wehendem mantel. als er jedoch vor mir steht, erschrecke ich ein wenig, denn er wirkt müde, alt und beinahe etwas ungepflegt. weiße dreitage-bartstoppeln und ein einzelnes graues haar, das zu weit aus der nase ragt. auch sein geruch ist ein ganz anderer. ein strenger altherrengeruch, mühsam überdeckt von einem parfum, das ihm nicht steht. er strahlt, aber mir bleibt das strahlen im halse stecken.

wir unterhalten uns, allerdings anders und deutlich weniger angeregt als früher. der ex, inzwischen wohlhabend und zu eigentum gelangt, weckt mit ein paar abgeschmackten neoliberalistischen thesen die streitlust in mir. er  - früher der bescheidenste mensch der welt, der es ablehnte, ohne entsprechende ausbildung ins familienunternehmen einzusteigen, weil er qualifizierteren fachkräften nicht aus reiner bequemlichkeit den job wegnehmen wollte - ist heute dort geschäftsführer. 

"wow, ich habe das gefühl, ich sitze mit christian lindner hier", entfährt es mir dann doch irgendwann. "wo ist denn bitte deine liebe zum menschen geblieben? dein herz für schwächere? dein auge für gerechtigkeit?"
der ex ist ein wenig betreten und fragt mich, ob ich finde, dass er sich so verändert habe.  

"jupp", sage ich ehrlich wie immer und exe den rest meines getränks. "richtig abgewichst bist du geworden. erzählst mir hier deine jobscheiße, die keine sau auch nur für 5 cent interessiert, in welchen protzigen kack-hotels du warst und wie teuer du gegessen hast. merkst du nicht, wie oberflächlich und banal das ist? und wie wahnsinnig du mich damit langweilst?"

jetzt ist er richtig schockiert. möchte wissen, ob wir abbrechen sollen. ich nicke. er will mir den drink bezahlen, was ich ablehne, nachdem er kurz zuvor noch über das thema "schnorrermentalität" referiert hatte. 

"schade", sagt er nur, als er draußen vor seinem wuchtigen bmw-kindergrill steht und mit dem schlüssel spielt.
"on ne voit bien qu'avec le cœur", sage ich zum abschied, weil er mir das früher gern sagte, in seinem ultraperfekten französisch. aber er wirkt nicht, als könne er sich erinnern.

Montag, 19. Dezember 2022

frohes fest!

hauptstadthommage (adaptiert aus den morphinschen archiven, 12/2008. weil ichs immer noch irgendwie richtig wichtig geil und ausgesprochen istzuständig finde. alternativer titel war "der kongress tanzt")

es ist soweit
advent fast weihnachtszeit
die kälte schreit
in deine visage
 
im hals da stecken karamell
und olle kamellen von kamelen
in der stadt, wo an der ubahn nachts
die ratten im türkischen imbiss verschwinden
 
denn da schlafen die ratten doch
in neukölln und steglitz behaglich
- soziale kuschelnester, abbruchreif -
auf fehlern, die man wiederholen möchte
und solchen, die eher nicht
 
obwohl man reuelos
grenzlos
ohne moral
sich in den arsch ficken lässt
vor lachen gekrümmt im gebüsch liegt
 
anfassen
sehen
riechen möchte 
an der fäulnis
an den abgasen und ausflüssen
 
wo das dunkel reizt
und das grelle feixt
lamento beseitigen 
in lametta
glanz glamour glatzen
 
dahinstöckeln 
schwänze umschwänzeln
in dreckigen löchern wühlen
die eigene hirnkotze spülen

bis am morgen matt die sonne
ihren falschen heiligenschein
in die scherben
zerbrochener bierflaschen wirft.

 


 

Donnerstag, 15. Dezember 2022

leise rieselt das salz

ilsebill salzte nach, lautet das hamburger motto in jedem verkackten winter, sobald die temperaturen sich dem gefrierpunkt nähern. eine hübsche weiße decke ziert die straßen. doch man weiß nicht so recht: ist das schnee - oder sollte das besser weg? 

anders als andere großstädte (berlin, münchen, etc.) klebt das rückständige hamburg am salzstreuer wie die letzte generation auf den straßen. es ist so toll, das grundwasser zu verseuchen, geschwüre auf tierpfoten oder mir beim spazierengehen nasenbluten zu verursachen.

derweil predigt man uns hier verkehrwende und grünes allerlei. oder eher: leute-verscheißerlei, denn in wirklichkeit wird alles, was in hamburg passiert, um das auto herumgestrickt. die porsche- und kindergrill-fahrer müssen eine enorme lobby haben, die das scheinheilige pack unseres senats devot seibernd bedient. deshalb freue ich mich sehr darauf, wenn diese kackstadt in ein paar jahrzehnten vom meer verschluckt wird (mit dem deichbau sind wir nämlich schon zu spät dran, haha!). dann geht alles unter: die blechlawinen, der dreck, der müll und die überteuerten sonderangebote von vorgestern. so gerne würde ich dabei zusehen, aber ich sehe lieber zu, dass ich mich rechtzeitig wie die berühmte kuh vom eis bringe.

im kopf habe ich die koffer längst gepackt. am wochenende stelle ich dem luxus-mann meinen plan vor, für eine zeitlang mit meiner freundin m. und ihrem mann in die usa zu gehen. beide bewerben sich gerade intern bei ihrem unternehmen und werden spätestens 2024 emigrieren. ich kann das zwar nicht, weil ich von einem kleinen deutschen gehalt, von dem fette deutsche steuern und ab nächstem jahr noch fettere sozialabgaben abgehen, nicht dauerhaft dort leben kann. aber ein paar monate will ich gerne da bleiben und dann weitersehen. vielleicht stelle ich ja auch fest, dass ich als fritten-schlampe und patti-wenderin bei mcdoof übersee genauso viel verdiene wie hier in meinem job im land des unbewältigten reformstaus.

Montag, 12. Dezember 2022

ich trau dir nicht, ich trau mir nicht

seit dem erneuten entzugsbedingten abrauschen in die depression habe ich keine gefühle mehr für den luxus-mann. ich möchte nicht kuscheln, ich möchte nicht angefasst und schon dreimal nicht penetriert werden. sogar ganz normale alltagsdinge wie gemeinsam einen film gucken stoßen bei mir auf ablehnung: wie banal! wie bei meinen eltern! DAS können wir ja wohl auch noch in 30 jahren tun! und: wieso ist mir vorher nicht aufgefallen, wie wahnsinnig mich diese banalität stört?

das nichtgefühl ist stärker als bei den letzten depressiven tauchgängen während der luxus-zeit. entsprechend verbringe ich viel zeit damit, herausfinden zu wollen, wie viel stärker genau und ob das anlass für eine trennung ist oder nicht. natürlich führen diese gedankenkreisel ins nichts. man kann sie auch einfach ziehen lassen und ignorieren. was vermutlich das gesündeste wäre. aber der kritiker in mir ist laut. verdammt laut. so laut, dass mich manchmal ohnmächtige verzweiflung überkommt, die mir sagt: du musst hier raus. du erstickst. pack deine koffer. fahr irgendwohin, nirgendwohin.

nach über zehn jahren im stollen der depression weiß ich: das ist alles eine scheinwelt. die depression stellt dem hirn quasi eine falle: alle schöne zieht ungesehen vorbei, während jede winzige schlechtigkeit für 1000 jahre ans firmament gepinnt, dramatisch mit textmarker angestrichen und 24 stunden am tag dauerbeleuchtet wird.

eine dieser schlechtigkeiten lautet: liebt dich der luxus-mann eigentlich? merkt er, was in dir vorgeht? vermutlich nein, sonst würde er ja vielleicht mal was sagen! oder versuchen, dich anzufummeln. der findet dich also bestimmt längst so alt und hässlich und abstoßend wie du dich selbst.

schlechtigkeiten haben klauen und zähne. sie multiplizieren sich permanent mit neuen zermürbenden fragestellungen, die eigentlich nur das eigene miese selbstwertgefühl widerspiegeln. am ende summiert sich der berg auf zur immer gleichen aufforderung: nimm dir das leben! worauf wartest du noch? es gibt NICHTS, auf was jemand wie du noch hoffen sollte. das ist zeitverschwendung. DU BIST ZEITVERSCHWENDUNG.

ich trau mir nicht. weder dieser matrix, aber irgendwie auch nicht dem, was ich mir in den letzten jahren aufgebaut habe. ich traue dem luxus-mann nicht. traue ihm nicht zu, dass er mich liebt. aber auch nicht, dass er mich nicht liebt. 

45 % aller partnerschaften scheitern, wenn einer von beiden depressiv ist, sagt die statistik.

alles ist ein großer zwiespalt. der klafft und will mich verschlucken. 

am samstagabend liegen wir zusammen im bett. ich wage es, meine abstoßende person anzunähern und den arm um den mann zu legen. es fühlt sich fremd an. 

"wie ist das eigentlich gerade für dich... so mit mir?" frage ich todesmutig.
"naja, anders", sagt der luxus-mann anklagend.
"tut mir leid, wenn ich gerade lieblos bin."
der luxus-mann schnauft: "ja."
"weißt du, ich bin so stumpf... also das ist nicht mal traurigkeit. alles ist... wie unter so einer glasglocke. das ist so die matrix, in der ich dann festhänge."
"aber wenn du das weißt, kannst du es ja ändern?" sagt der luxus-mann leicht fragend.
"ich hab keine ahnung, wie ich da rauskomme. oder wann. bislang hats immer irgendwann wieder aufgehört. das ist meine hoffnung. also vielleicht nur noch 3 tage. oder 5 monate. oder 2 jahre."
"hm." ratlosigkeit schwingt in diesem laut mit.

das gespäch führt zu keiner lösung, aber ich bin froh, dass ich es gesucht habe. ein bisschen nähe herstellen per kognitiver anstrengung.

am nächsten tag geht der mann mit mir in den eichhörnchen-park, obwohl wir da schon tausendmal waren und ihn das inzwischen langweilt. danach laufen wir über einen weihnachtsmarkt. es ist 13 uhr, aber der luxus-mann spendiert mir einen überteuerten glühwein und betreibt ein wenig aufmerksamkeitssteuerung, fast wie einst das objekt. er kommentiert die spießerfamilien und eine gruppe sehr angestrengt-hipper studenten, den nutzlosen kitsch an den ständen und erzählt dann noch ein paar religiös inkorrekte witze.

er erwähnt meinen zustand mit keinem wort. aber ich verstehe, dass er mir auf eine hilflose art und weise gut tun will. 

als ich am abend zu mir zurückfahren will, gibt er mir zum abschied einen kleinen kuss.
ich halte inne und schaue ihn an.
"was denn?" fragt der mann verwirrt.
"ich lieb dich immer noch", sage ich, weil ich es weiß, dass es so sein muss, ganz tief drin in mir, irgendwo unter der verklumpten lavamasse der depression.
der mann weiß wie immer nicht, wohin schauen und grinst sehr verlegen, weil er liebesbekundungen nicht aushält und sie auch nicht erwidern kann.
"ja", sagt er schließlich völlig verunsichert, während ich kichern muss, weil die szene so luxus-typisch ist.
 
und verdammt, so ein kleines lachen prickelt kurz ums herz, als könne es etwas totgeglautes wiederbeleben.

Samstag, 3. Dezember 2022

die behinderte

donnerstagnachmittag. ich schlörre rüber zum teuerka. es ist fast dunkel, die straßenlampen sind schon an und verbreiten ihr schummriges licht.

als ich um die ecke gehe, sehe ich im halbdunkeln eine junge frau. sie steht merkwürdig verdreht da: die beine überkreuzt, das becken viel zu weit nach vorne geschoben. sie verliert das gleichgewicht und stolpert, fängt sich aber wieder. 

ich komme neugierig näher und sehe, dass ihr blasses gesicht zu einer schrecklichen grimasse verzogen ist: die augen weit aufgerissen, der unterkiefer merkwürdig nach vorne geschoben. ach du kacke, denke ich, die arme! was das wohl für eine behinderung ist? schlimm sieht das aus! braucht die hilfe? bekommt die vielleicht gerade einen epileptischen anfall oder sowas?

dann erst entdecke ich das smartphone in ihrer hand und verstehe: die junge dame versucht sich in einem selfie! die grimasse sollte offenbar eine art duckface sein und die verkrüppelte körperhaltung sowas wie sexappeal vermitteln.

na dann. keine hilfe meinerseits nötig. gehirnzellen spritzen kann ich ja nicht.

 



Dienstag, 29. November 2022

clean leben und nicht scheitern

seit über 10 jahren nehme ich, von einigen unterbrechungen einmal abgesehen, psychopharmaka. ohne bin ich keineswegs tiefdepressiv und suizidgefährdet, aber mit kann ich "normaler" leben. heißt: ich schlafe dann meist ganz gut, muss nicht drei wochen lang über irgendeinen dämlichen politiker-tweet grübeln und breche nicht vor wut in tränen aus, wenn ich im job mal wieder irgendeine grenzdebile scheiße machen muss. ich kann mich entspannt unter menschen bewegen, ohne die angst vor panikattacken in den öffentlichen verkehrsmitteln, und auch der permanente würgegriff der totalen sinn- und bedeutungslosigkeit meines daseins lockert sich ein wenig.

medikamente halte ich bei mir somit nicht für unbedingt notwendig, sondern eher für eine form von komfort, die mir den sinnbefreiten menschlichen alltag erleichtert. dafür stecke ich in einer abhängigkeit fest, die ich nicht mag. freiheit bedeutet mir bekanntlich alles, also will ich mich eigentlich nicht von einer kleinen weißen tablette unterjochen lassen. 

der anstoß für den aktuellen absetzungsversuch kommt von außen. der hausarzt betrachtet mein ekg mit sorge und meint, das sei alles sehr grenzwertig, ich dürfe auf gar keinen fall die aktuelle dosis erhöhen. vielmehr möchte er, dass ich sie sogar möglichst noch reduziere.
"dann müsste ich meine tabletten vierteln, und dann habe ich staub", erwidere ich. "ich nehme ja schon nur ganz wenig."
der hausarzt hat keine ahnung von psychopharmaka und deren darreichungsformen. aber er ist internist und ich traue ihm zu, dass er eine drohende kardiologische gefahr richtig einordnet. zuhause dann fällt der entschluss: versuchen wirs halt mal wieder! ein bisschen beschissener leben für vielleicht ein bisschen länger leben. so what.

elf tage lang kann ich überhaupt nicht schlafen. tagsüber quälen mich schwindel, kopfschmerzen, übelkeit und die unfähigkeit, mich zu konzentrieren. weil es die geschäftsführung so will, habe ich ausgerechnet jetzt nervigen fisselpopisselkram auf dem zettel, der extrem gründliches und kleinteiliges arbeiten bedeutet. am donnerstag arbeite ich beim luxus-mann und fluche laut vor mich hin. das nervt ihn, also kommt er in die küche und fragt, ob ich mal die klappe halten könnte. 

"das ist so ne nervtötende kacke, was ich gerade machen muss", lamentiere ich. "und dann die schlaflosigkeit und die anderen bekackten entzugserscheinungen... das macht mich völlig fertig."
"wieso das denn? dir geht es doch nicht schlecht."
ein satz wie ein benzinkanister, dessen inhalt in meine emotionalen glutnester schwappt. 
ich pöble sofort los:
"wir sind jetzt fast sieben jahren zusammen und immer wieder muss ich mir dieselbe scheiße anhören! tausendmal habe ich dir erklärt, wie ignorant und verletzend solche sprüche sind! dass es mir daraufhin noch schlechter geht, weil ich mich dann auch noch wegen meines mich-schlechtsfühlens schlecht und schuldig fühle! machst du das eigentlich mit absicht oder mangelt es dir wirklich so sehr an intelligenz?"
 
und zack, haben wir handfesten streit. alles, was mein labiles nervenkostüm jetzt so dringend braucht. zum glück kühlen wir uns schnell wieder ab. der luxus-mann sagt mir zum x-ten male, dass er mich nicht versteht, und ich sage ihm, dass ich das verstehen kann, aber dass ich darauf bestehe, dass er sich nach so langer zeit ein paar grundregeln merkt. was man nicht checkt, muss man manchmal halt leider auswendig lernen.
 
gestern treffe ich meine freundin m., die ebenfalls depressionen hat.
"das kann ich doch wohl von ihm verlangen, dass er sich das abgewöhnt, auch wenn er mein seelenleben nicht versteht?" frage ich.
"klar, auch wenn er deine gefühle nicht nachvollziehen kann, kann er dich doch unterstützen. ich hab meinen freund übrigens neulich sogar mit zur therapie genommen."
"echt? wie cool, wie geht das denn?"
"hat meine therapeutin vorgeschlagen, weil ich ihr erzählte, dass h. auch immer sagt, er verstehe das alles nicht, was in meinem kopf vorgeht."
"und wie hast du ihn da hin gekriegt?"
"ich hab ihn gefragt und er hat ja gesagt."
 
"das ist so ein schöner liebesbeweis", sage ich voller neid.
"findest du?"
"ja. ich weiß noch, als sich das mit dem luxus-mann richtung beziehung entwickelte und wir immer wieder probleme hatten. da schlug meine psychiaterin eine angehörigen-sprechstunde vor. ich hätte das gut gefunden, aber der luxus-mann wollte nicht."
"schade, hatte er irgendwie angst davor?"
"keine ahnung, ich denke, das interessierte ihn damals einfach nicht. vielleicht auch, weil wir noch nicht abschätzen konnten, ob das eine zukunft mit uns hat."
m. guckt nachdenklich.
"da habe ich glück mit h. gehabt. der ist zwar sonst auch eher ein gefühlslegastheniker... aber sowas macht er einfach ohne lang zu fackeln. meinst du denn, dein mann wäre inzwischen nicht vielleicht doch offen für diese sprechstunde? fragst ihn halt noch mal."
"hat glaub ich wenig sinn."
 
am zwölften abend dann habe ich die schnauze voll. ich funke den luxus-sohn an und frage ihn, ob er mir gras besorgen kann, das richtig reinhaut. 20 minuten später klingt sein dealer an meiner tür. immer wieder praktisch, wenn man partner mit kindern hat.

in seligem andenken an das objekt ziehe ich mir zwei johnnys rein und trinke whiskey dazu. bei den letzten zügen bin ich dermaßen stoned, dass ich das gefühl habe, aus dem fenster zu fallen, weil die schwerkraft plötzlich nach vorne funktioniert. eine stunde später liege ich im bett, weine noch ein bisschen, weil mir das objekt so wahnsinnig fehlt, und penne dann 13 stunden.
 
clean leben und nicht scheitern funktioniert offenbar nicht für mich. but i try. and i try...




Donnerstag, 17. November 2022

rettungsgasse sich wer kann

die klimakatastrophe wird uns den arsch aufreißen - und langsam merken das auch die größten vollidioten unser uns. laut nasa sind sich 97% aller wissenschaftler einig, dass der klimawandel menschgemacht ist. selbstverständlich kommen nun einige schwurbler und kreischen: "aber die anderen 3 %! und überhaupt ist die sonne schuld, die immer wärmer wird!"

mal ehrlich: geht´s um schuld? selbst wenn die sonne ursache der erderwärmung wäre: es macht keinen unterschied. fakt ist, wir kennen und haben irdische mittel und möglichkeiten, die klimakrise zu bremsen. nur: den arsch hochkriegen wollen nur ganz wenige. weils wehtut. weil es bedeutet, ich verzichte auf autofahren, flugreisen, importierte produkte und mein tägliches steak (ja, fuck, auch glückliche biorinder fressen und furzen). oder zumindest auf einen großen teil davon.

spätestens seit corona wissen wir leider, dass menschen verantwortungslos und selbstsüchtig bis in den letzten winkel ihrer seele sind. es wird also nix mit freiwilligem verzicht. nie im leben. und noch nicht mal im sterben. 

kurzum, verbote müssen her. hat in den 80ern übrigens mal super geklappt, falls sie sich noch an fckw und das ozonloch erinnern können. bämm, ozon-schädliche substanzen wurden verboten, die welt hat sich danach gerichtet und schwupp, ozonloch war erstmal geschichte.

einige - vor allem junge menschen - bangen aktuell um ihr leben, ihre zukunft und die ihrer kinder. die letzten hitzesommer, überschwemmungen und dürren waren nur ein kleiner vorgeschmack auf das was in den nächsten 25 bis 30 jahren kommt: massive wasserknappheit, ernteausfälle mit einhergehender hungersnot und vermehrtem extremwetter wie unerträgliche hitze, stürme und überschwemmungen.

jeder logisch denkende mensch weiß, dass spätestens bei hungersnot jegliche sicherheitssysteme zusammenbrechen und die menschen rauben, plündern und morden. in deutschland so nicht vorstellbar? dann fragen sie mal ihre großeltern, wie das im krieg war und dass selbst kannibalismus nichts wahnsinnig ungewöhnliches ist. auch im kz haben sich die insassen manchmal gegenseitig aufgegessen. hunger macht uns alle zu tieren.

es ist natürlich, dass eine solche drohende, bereits in gang gesetzte katastrophe angst macht. eine mögliche art, damit umzugehen, ist leugnung. also sitzen wir da und sagen, das stimmt alles nicht. oder: so schlimm wirds schon nicht kommen. oder aber: irgendwer wird schon was erfinden, um das alles abzuwenden.

mit der letzten generation haben sich menschen zusammengefunden, die verstanden haben, dass proteste wie von fridaysforfuture wenig erfolg haben. sie haben erkannt, dass die adressaten stattdessen lieber über fracking in deutschland diskutieren oder gas in depotischen staaten kaufen. sie wählen daher mittel, die mehr aufmerksamkeit erzeugen, weil sie stören. und manchmal auch zerstören. 

muss das sein, zum beispiel kunstwerke beschmieren? ich frage euch: was wollt ihr mit euren verkackten kunstwerken, wenn ihr hunger leidet? sie fressen, als zeichen eurer grenzenlosen kultiviertheit? 

größter aufreger war nun der tod einer radfahrerin und die behinderung der feuerwehr durch die aktivisten. allein die berichterstattung verdreht die kausalitäten. die richtige headline hätte lauten müssen: "radfahrerin starb, weil betonmischerfahrer nicht aufgepasst hat." ja, möglicherweise wäre das opfer gerettet worden, hätte man es 19 minuten früher in eine klinik gebracht. dann hätte die junge frau vielleicht als sabberndes bündel oder als wachkomaptientin ihr restliches dasein fristen können.

spekulation, i know. ich will es nicht beschönigen: es ist ganz schrecklich, wenn ein junger mensch sein leben verliert. doch die hauptschuld trägt immer der unfallverursacher. alles andere sind eventualitäten, über die man allenfalls rätselraten kann.

trotzdem wurde der vorfall von der presse massiv instrumentalisiert, um stimmung gegen die letzte generation zu machen. gnadenloses clickbaiting und leichenfledderei durch reißerische überschriften, viel hass in den sozialen netzwerken. großes rhabarber in der politik. fast schon lustig, wie gewisse oppositionspoliker sich freuten, endlich mal wieder ihren reaktionären quark zum tagesgeschehen abgeben zu können und über ihr jahrzehntelanges vollversagen als regierungspartei hinwegzutäuschen.

wie scheinheilig das ganze brimborium ist, zeigt, dass es in anderen fällen komplett ausbleibt. zum beispiel:

"nach einem unfall ist es auf der a9 bei leipzig zu unschönen szenen gekommen. übereinstimmenden medienberichten zufolge bildeten die wartenden autos keine rettungsgasse, sodass die einsatzkräfte zu fuß zum unfallort laufen mussten. sie sollen zudem übel beschimpft worden sein."

oder:

falschparker versperren rettungswege in wuppertal - feuerwehr muss 100 meter vom brennenden haus entfernt parken.

wenn also keine "klimakleber" mit von der partie sind, finden sich solche vorfälle allenfalls unter ferner liefen. aber wehe, falls doch: dann müssen menschen unbedingt in präventivhaft gesteckt werden. neue polizeigesetze erfinden ist nämlich viel einfacher, als sich ein rezept gegen die klimakatastrophe auszudenken. oder sich überhaupt damit auseinanderzusetzen. oder: am ende gar persönlich auf irgendwas verzichten.

somit geht von hier ein herzliches "fuck you und bitte verreckt alle" an medien wie die BLÖD, an allen dummen hater und hetzer, an unsere ignoranten politiker and to whom it may concern.

Samstag, 5. November 2022

die verwöhnten

hin und wieder gehen der luxus-mann und ich auf erotische partys. seit corona hatten wir diese aktivitäten komplett eingestellt, aber da wir aktuell beide nicht nur geimpft, sondern auch vor nicht allzu langer zeit genesen sind, wollten wir unser schicksal einmal herausfordern. nach fast sieben jahren beziehung und viel alltagssex würde uns ein bisschen frischer erotischer wind vielleicht mal wieder gut tun, dachte ich.

in der anvisierten location trifft man nicht nur andere aufgeschlossene menschen, sondern findet auch räumlichkeiten vor, die fantasievolle und aufwändig gestaltete kulissen für jeden geschmack bieten. kurzum, kein billiger bumsschuppen, sondern frivoles amusement auf recht hohem niveau. 

wie auf jeder party steht und fällt vieles mit dem publikum. wir hatten einige wildere abende erlebt, aber auch sehr bescheidene nächte, in denen wenig bis nichts passierte. auch heute schien ein solch lauer abend zu werden. die wenigen grüppchen, die sich für sexuelle aktivitäten in einen der räume begaben, schlossen die türen oder ließen nur frauen hinein, was den luxus-mann frustrierte.

nach einem großen rundgang saßen wir auf der couch und beobachteten zwei gut gebaute jüngere ladies in latex, die sich gegenseitig die muschis leckten. 

"ganz geile titten hat die eine", raunte der luxus-mann.
"und macht dich das an, da zuzuschauen?" fragte ich erwartungsvoll.
"nee, lesbenkram finde ich todlangweilig", zerschmetterte der luxus-mann meine illusionen.
"nicht mal, wenn die da gute titten hat? ich meine, es ist ja sehr selten, dass überhaupt mal eine frau deine diesbezüglichen idealvorstellungen erfüllt."
"die erfüllt die ja nicht! das geht nur in die richtung."
hmpf.
 
wenn der luxus-mann auf toilette war, geierten mich ein paar typen mit ausgehungerten blicken an. jedesmal sah ich zu, dass ich land gewann. an der bar sprach uns später ein pärchen an. nett, aber zu jung und kein funke zum überspringen da.

irgendwann saß ich mit dem luxus-mann im garten und schlürfte ein getränk. 
"ist das nicht traurig", sagte er auf einmal.
"wasn?"
"stell dir mal vor, du bist jetzt so ein biederpärchen vom land, die zum ersten mal hierherkommen. für die ist das doch der oberhammer! die kriegen den mund vor lauter staunen gar nicht mehr zu, dass es sowas abgefahrenes in der großstadt gibt. und wir, wir sind so verwöhnt. wir sitzen hier und langweilen uns."
"naja, wir können das halt immer haben. und dann kickt das nicht mehr so."
 
ich dachte nach. ich kannte die location seit nunmehr 10 jahren. drauf gebracht hatte mich natürlich das objekt, das mir mal von einer wilden party mit gangbang erzählt hatte. darauf war ich angesprungen. doch im grunde genommen hatte ich in all dieser zeit keine einzige wow-erfahrung gemacht. vielleicht lag es auch ein wenig an meiner überkritischen begleitung, aber ich war auch bereits allein oder mit anderen hier gewesen. 

"vielleicht ist das alles ja nur geil, weil man seine vorstellungen hat. und nach ein paar jahren, wenn all diese vorstellungen nie oder nicht mehr wirklichkeit werden, nimmt man innerlich abstand", sagte ich.
"kann sein. ist ja auch mit normalen partys so."
"absolut! wenn ich auf meiner allerersten party nicht meine erste große liebe getroffen hätte, wäre ich wahrscheinlich nie groß in discos gegangen. aber ein so mega positives erlebnis... du bleibst danach einfach dran, obwohl es nie mehr so aufregend ist."
"als ich in meinen zwanzigern mal in brasilien war, war ich dort mit meinen kumpels in ner bar. und holla die waldfee, die war voller top-mädels. wir waren vier wochen in brasilien und sind nach diesem erlebnis jeden abend wieder in diese bar gegangen, aber die mädels waren da nie wieder. trotzdem sind wir immer wieder hin und haben da unzählige todlangweilige stunden verbracht."
"vielleicht sind wir auch nicht normal."
"doch, denk schon. verwöhnt aber halt."

zwei sofas weiter nahm ein älterer typ mit glatze platz, der, wie wir wussten, immer auf der suche nach einer lady war, die ihn ordentlich mit einer reitgerte verdrischt.
"oh nein, er schon wieder."
"das will ich nicht sehen", stimmte mir der luxus-mann zu. "sollen wir gehen?"
"ja, lass mal nachhause."

draußen bekamen wir kein taxi.
"sollen wir laufen?" schlug der luxus-mann vor.
"ist aber voll weit."
"aber vielleicht ganz lustig so. und dann haben wir noch was gemacht."
"was denn? enten füttern am kleinen teich?" kicherte ich.
"nee, die schlafen doch. aber nen spaziergang, das fände ich jetzt schön."
 
so wanderten wir durch die lauschige nacht, verliefen uns ein wenig, lachten viel, knutschen bei der roten kirche, und hatten so doch noch irgendwie auf eine sehr konservative art und weise spaß. wie so ein biederpärchen aus der großstadt eben.

Sonntag, 23. Oktober 2022

worst catsitting ever

katzensitting an der elbe. ich bin zum zweiten mal da. zwei wochen lang  soll ich eine kleine süße zarte norwegische waldkatze sitten, während die besitzer auf ibiza weilen.

da ich die katze schon kenne,  ist das briefing kurz: hier steht futter, bitte gib ihr etwas milchzucker für ihre schlechte verdauung, ansonsten bediene dich gern vom weinvorrat im keller, wenn du möchtest. die besitzer sind nett und großzügig, die katze mag mich und ist unkompliziert. ich erwarte eine schöne zeit. 

tag 1 ist samstag. die begrüßung durch die katze ist stürmisch. sie erkennt mich sofort wieder. wir schmusen und ich bleibe noch ein stündchen, schaue mit ihr auf dem schoß eine folge meiner lieblingsserie. 

tag 2. als ich morgens komme, steht das futter vom samstagabend noch unangetastet da. ich mache mir wenig gedanken, die katze frisst sehr wenig, schläft extrem viel. sie ist 13 und eher ein träger charakter. was mich beunruhigt ist, dass ich im klo kein pipi finde. 24 stunden nicht pinkeln ist seltsam. nachdem sie auch am abend nicht gemacht hat,  kontaktiere ich die besitzer. ich erfahre, dass die kleine lady eine blasenentzündung hat. toll, das hätte ich gerne vorher gewusst. 

tag 3. da die katze bislang nicht gefressen hat und nicht pinkelt, mache ich einen termin beim tierarzt. da ich kein auto habe, muss ich ein taxi nehmen. es ist ein echter montag: taxi kommt zu spät, alle straßen sind von einem mega wolkenbruch überschwemmt, tierarzt ist sauer. nun gut. tierarzt untersucht die katze und meint, er müsse röntgen, eventuell ein harnröhrenverschluss, das bedeute dann eine operation. ich falle fast in ohnmacht. röntgen entkräftet allerdings den verdacht. der tierarzt vermutet, die katze sei von den schmerzen der blasenentzündung einfach nur verspannt. er gibt ihr buscopan und schmerzmittel und weist mich an, ihr unbedingt täglich schmerzmittel zu verabreichen. außerdem verpasst er der katze ein klistier.

der heimweg wird ungemütlich. mit einer klistierten katze traue ich mich nicht ins taxi. also laufe ich 4 kilometer mit katze nachhause. selbstverständlich lässt mr. murphy den nächsten wolkenbruch auf uns niedergehen. katze bekommt meinen schirm, ich werde nass bis auf die haut. zuhause bin ich ähnlich fertig wie katze,  muss jedoch noch 2 stunden nacharbeiten, die ich durch den trip verloren habe.

tag 4. die katze hat pipi gemacht, hurra. sie frisst allerdings nach wie vor nicht, und auch das klistier hatte keine großartige wirkung. tierarzt beordert mich erneut in seine praxis. wieder ein nachmittag, an dem ich wenig arbeiten kann, meine chefin ist restlos begeistert. katze bekommt erneut ein klistier, das diesmal sofort wirkt. zuhause muss ich das kotverschmierte tierchen erstmal säubern. ich bin mit meinen nerven ziemlich am ende.

die katze ist vollkommen erschöpft. der tierarzt hat mir noch ein antidepressivum mitgegeben, das sie zum fressen animieren soll. an diesem tag geht jedoch gar nichts mehr, kaum, dass ich sie mit schmerzmitteln versorgen kann. sie nimmt einfach nichts an.

tag 5. mittwoch. am morgen liegt die katze apathisch auf der couch und hebt nicht einmal den kopf. ich mache mir riesige sorgen, rufe wieder die besitzer an. die meinen, naja, zwei tage tierarzt, das ist nur der stress. ich sage ihnen, dass sie nach wie vor nichts frisst. werde abgebügelt - das sei nicht so  schlimm.

über den tag verschlechtert sich der zustand weiterhin. am abend besucht mich die nachbarin der besitzer, die die katze gut kennt und selbst hunde hat. sie ist ähnlich besorgt wie ich. gemeinsam rufen wir noch einmal die besitzer an. diesmal bin ich emotionaler, äußere erstmals meine befürchtung, die katze könne sterben. ich werde ausgelacht. nein, das sei nicht möglich, es sei doch nur eine blasenentzündung. ich lasse nicht locker, bestehe darauf, dass der tierarzt morgen vorbeikomme solle, da ich der katze den stress des transports nicht ein drittes mal antun will.

tag 6. als ich morgens ankomme, bin ich völlig schockiert. die katze möchte aufstehen, zu mir kommen, aber ihre beine tragen sie nicht mehr. es muss schlimm sein. ich rufe bei den besitzern an, die mir bestätigen, dass der tierarzt um 17 uhr vorbeikommt. so viele stunden noch, meine anspannung steigt. ich versuche, der katze etwas wasser einzuflösen und ihr schmerzmittel zu geben. sie erbricht stinkenden schaum. das gesamte wohnzimmer riecht nun nach einer mischung aus verwesung und kot. ich bin jetzt überzeugt, dass sie sterben wird.

der tierarzt kommt, untersucht die katze und bestätigt meinen verdacht: sie ist todkrank. ich bitte ihn, noch kurz zu bleiben, damit wir gemeinsam den besitzern bericht erstatten können. der tierarzt versteht meine situation, ist plötzlich sehr engagiert und freundlich. am telefon ist er glasklar: "buchen sie ihren flug nachhause. wenn sie glück haben, können sie ihr tier noch einmal sehen. ich kann ihnen aber nichts garantieren. es kann auch sein, dass sie die nacht nicht überlebt."

die besitzerin versichert uns, sofort einen rückflug zu buchen. ihr mann käme aber nicht mit. mir ist das egal, hauptsache, eine person kommt,  die verantwortung ist erdrückend. ich bestürme  den tierarzt, ob er die katze nicht mitnehmen und in eine klinik bringen könne. "ich glaube nicht, dass sie den transport schaffen würde", meint er, und ich verstehe, was nun meine aufgabe sein wird. ich richte mich für die nacht ein.

der tierarzt zieht mir eine spritze valium auf und zeigt mir, wie ich der katze eine injektion verabreiche. "manchmal werden tiere sehr unruhig, wenn sie sterben. das wird sie beruhigen." da die katze starke untertemperatur hat, hilft er mir, mir warm zu betten. wir wickeln sie in ihre lieblingsdecke und ich mache ihr eine wärmflasche.

18 uhr. ich bin alleine und merkwürdig ruhig. ich spüre irgendwie, dass es heute nacht passieren wird. ich habe angst, aber es ist auch eine erhabene, fast feierliche stimmung in mir. ich bin die dienerin des todes. ich werde den gevatter begrüßen, ihm die kleine katze in die mächtigen hände legen und ihm auftragen, sie warm und sicher hinüberzubringen.

19:30. die nachbarin ruft an und fragt nach dem stand der dinge. sie ist geschockt, aber auch gefasst, als ich ihr sage, es wird passieren. sie fragt mich, ob sie kommen kann, sie würde die katze gern noch einmal sehen, und auch ihre tochter würde gerne vorbeischauen,  da auch sie die katze schon sehr lange kennt. ich finde das wunderbar. eine ganze stunde sitzen wir zu dritt zusammen, die tochter weint, und wir erzählen einander viel über tod und sterben. die nachbarn mussten schon zweimal ihren hund gehen lassen, daher ist ihnen das thema vertraut.

21 uhr. ich habe etwas aufgeräumt, mir ein nachtlager auf dem wohnzimmerboden neben der katze gebaut. katze ist plötzlich aktiv, krabbelt aus ihrem deckenbunker hervor, leckt etwas frischkäse. mir ist klar, dass dies keine wunderheilung ist, sondern wohl eher ein letztes aufleben.

22 uhr. die katze mauzt erbärmlich und erbricht dann erneut eine heftig stinkende flüssigkeit. ich halte ihr kleines köpfchen fest, das in den see des erbrochenen zu sinken droht und trockne alles mit küchentüchern. die katze liegt nun regungslos auf der seite und ich bin unsicher, was in den nächsten minuten passiert. ich streichle beruhigend ihren weichen körper und sage, dass sie gehen darf, dass sie nichts mehr muss. 

22:30 uhr. die katze hat sich etwas berappelt und möchte offenbar noch nicht sterben. ich bette sie zurück in ihr deckenlager. wie so oft in prekären situationen kehrt ein kindlicher glaube in mich zurück und ich bete zu höheren mächten, dass sie die kleine katze nicht mehr lange leiden lassen.

tag 7, 1:30 uhr. ich bin sehr  müde. lege mich zu katze. das nachtlager ist unbequem, ich bekomme nach kurzer zeit schmerzen. auch die katze scheint sich nicht wohlzufühlen und macht seufzende, grunzende geräusche. ich überlege, ob ich ihr noch einmal schmerzmittel geben soll oder das valium. dann ist die katze wieder still und ich lausche ihrem schwerfälligen atem.

an schlaf ist nicht zu denken. obwohl ich erschöpft bin, klopft mein herz wie wild. ich muss ständig pinkeln, habe eiskalte füße  und rückenschmerzen. ich stehe auf, trinke, gehe zur toilette, nehme eine schmerztablette. die katze verfällt  immer wieder in phasen,  in denen sie merkwürdige geräusche von sich gibt, die ich nicht deuten kann. ihre augen fokussieren nicht mehr, sondern sind starr auf das, was da kommen mag, gerichtet.

5:43 uhr. ich schaue ein letztes mal auf mein handy und streichle die katze, bevor ich dann doch einschlafe.

6:40 uhr. ich bin wieder wach und lausche. atmet die katze noch? ich stehe auf, mach licht. lege mein ohr auf den kleinen, immer noch warmen körper und stelle fest, dass das herzchen nicht mehr schlägt. es kommen die tränen, tränen der trauer, aber auch der dankbarkeit und erleichterung. du hast es geschafft, kleine maus. rücksichtsvoll und empahtisch wie du immer warst, hast du dich in der knappen stunde, in der ich es nicht merken konnte, auf leisen samtpfoten davongeschlichen.

ich streichle den körper, um mich zu verabschieden, zünde eine kerze an und öffne dann die terrassentür, damit ihre seele den weg in die freiheit findet.

7:00 uhr. ich rufe die besitzer an und teile ihnen den tod ihrer katze mit. sie weinen mit mir. der besitzer organisiert für mich die abholung durch die tierbestattung. am abend solle jemand kommen, damit die katze kremiert werden kann.

7:30 uhr. der tierarzt ruft mich an. die besitzer hätten ihm mitgeteilt, was passiert sei. ob ich fragen habe. "ja", sage ich. "wie soll ich die katze denn in den kommenden stunden bis zur abholung lagern?" ich habe grauenvolle bilder im kopf, dass ich sie ins gefrierfach neben die lebensmittel packen müsse und ähnliches. der tierarzt meint,  keine sorge, so schnell gehe das alles nicht. ich könne sie ein wenig abdecken, das genüge. auch verwesungsgeruch müsse ich nicht befürchten, der sei bei katzen eher dezent.

8:00 uhr. ich habe die katze nicht abgedeckt, es erscheint mir irgendwie nicht richtig. ich habe die letzten blumen aus dem garten geholt und mache ihr ein totenbett aus ihrer lieblingsdecke und den blüten.

10 uhr. ich fahre nachhause und gehe zu bett. trotz vollkommener erschöpfung schlafe ich nur eine stunde. 

16:30 uhr. ich fahre zurück zur toten katze. um 18 uhr sollen die bestatter kommen. die nachbarin hatte gefragt, ob sie dabei sein dürfe. ich bin dankbar dafür, dass diese mir inzwischen recht vertraute person anwesend sein wird. sie kommt schon vorher, wir trinken noch einen wein zusammen, unterhalten uns, bis es an der tür klingelt. dann tritt die katze ihre letzte reise an. 

19 uhr. ich räume die wohnung etwas auf, entsorge die noch gefüllten näpfe und das benutzte katzenstreu. spielzeug lasse ich liegen, vielleicht möchten die besitzer auf diese weise abschied nehmen.

19:30 uhr: die besitzer melden sich. die besitzerin hat ihren rückflug storniert. beide bleiben auf ibiza. ich sage nichts, verstehe aber, dass sie die rückkehr in die leere wohnung fürchten, vielleicht auch, dass der tod dort noch irgendwie anwesend ist. 

schade finde ich das, da respekt vor dem leben für mich auch respekt vor dem tod bedeutet. ich nutze jede begegnung mit ihm als vorbereitung auf den moment, wenn er an meine eigene tür klopft. denn dann will ich bereit sein, ihn willkommen heißen, und mein leben durch mein sterben vollenden, zu dem machen, was ihm bestimmt ist: nur ein wimpernschlag in der unendlichkeit zu sein.

Samstag, 8. Oktober 2022

patchwork-ferien

jedes jahr veranstaltet der luxus-mann einen urlaub mit seiner patchwork-familie. dann fahren töchterlein, sohn, kindermutter nr. 1 und er nach skandinavien und hängen dort in einem ferienhaus am strand ab. der luxus-mann selbst findet solche urlaube an sich langweilig, aber er genießt sie, weil er dann seine anstrengende tochter ohne deren ebenfalls anstrengende mutter um sich hat. 

dieses jahr weigert sich das verwöhnte fräulein tochter mit händen und füßen - und der luxus-mann fragt, ob ich nicht mitfahren möchte. nicht zum ersten mal, aber da ich keinen bock auf ferien mit einem faulen, empathiearmen und sämtliche aktivitäten sabotierenden pubtertätsmonster habe, hatte ich die jahre zuvor dankend abgelehnt. diesmal sage ich zu, obwohl ich gerade wieder von meinem besuch im osten zurück bin und eigentlich dringend ein wochenende für mich zum nachdenken bräuchte.

als wir nach vielen stunden fahrt endlich ankommen, bin ich zunächst leicht enttäuscht. das ferienhaus, vom luxus-mann als palast beschrieben, ist kleiner als gedacht und wirkt nicht besonders sauber. es steht auch nicht einsam auf einer düne, wie es die fotos nahegelegt hatten, sondern in nähe der straße. (tipp: buchen sie niemals etwas über booking.com, die bilder sind alle fake.)

die landschaft aber ist eine offenbarung. wir spazieren bei sturm in den sonnenuntergang. das meer brodelt wie ein kessel kochendes wasser, fast mannshohe wellen brechen am strand. die sonne lugt derweil zwischen bedrohlich schwarzen wolken hervor. der kleine hund der kindsmutter nr. 1 dreht völlig durch vor freude und versucht sich im jagen von möwen.

der sturm soll uns ganze sieben tage begleiten. am zweiten tag versuchen der sohnemann und ich uns im schwimmen. doch die wellen sind so heftig, dass wir nicht einmal richtig ins wasser kommen. der sohnemann, ein durchtrainerter athlet, versucht irgendwann, sich sitzend hineinzurobben, wird aber dennoch wieder zurückgespült. seine oberschenkel sind blutig verschrammt, weil er von den wellen über die steine am ufer gezogen wurde, und er gibt auf.

obwohl es draußen nicht mehr als 14 grad hat, frieren wir nicht, als wir nass aus dem meer kommen. unsere haut ist rot und brennt von den wellen, die sich an uns gebrochen haben. dick vermummte spaziergänger beglotzen uns neugierig, als wir durch die hohen dünen klettern, um zu unseren handtüchern zu kommen, die wir in eine sichere mulde gelegt und mit steinen beschwert haben.

als wir zurückkommen, hat die kindsmutter nr. 1 schon das abendessen zubereitet. diese aufgabe übernimmt sie jeden tag, weil sie als einzige von uns wirklich kochen kann. ich schäme mich ein wenig deshalb. die männer hingegen haben weniger skrupel und lassen uns frauen alleine mit allem, was in der küche an arbeit anfällt. sie lümmeln auf den sofas vorm fernseher, spielen x-box und sehen sich kampfsport-videos an.

auf mein drängen hin machen wir einige ausflüge in die umgebung. sogar zu einer kunstausstellung im nachbarstädtchen kann ich den luxus-mann überreden. abgesehen davon machen wir täglich eine wanderung durch die dünen, um die kalorienlastigen mahlzeiten der kindsmutter nr. 1 zu verdauen. ich nutze die gelegenheit für jogging-touren jenseits von asphalt und abgasen, und manchmal begleitet mich der sohnemann.

obwohl ich ernsthafte bedenken hatte, dass ich mich langweilen könnte, vergehen die sieben tage wie im flug. am letzten tag bin ich tatsächlich wehmütig. ein letztes mal unternehme ich eine jogging-runde durch die dünen, sauge die saubere, salzige luft in mich ein und grusle mich furchtbar beim gedanken an das dreckige, laute und müllige hamburg.

"willst du nächstes jahr wieder mitkommen?" fragt mich der luxus-mann auf der rückfahrt. 
"eigentlich schon", antworte ich. "allerdings habe ich wenig lust auf die anwesenheit deiner tochter."
"diese kröte wirst du wohl schlucken müssen", grinst der mann. "ich mache diesen urlaub vorwiegend für sie."
"und sie weiß es null zu schätzen", erwidere ich.
"mal sehen, ob sie überhaupt mit will", sagt der mann. "wenn sie sich wieder so anstellt, fahren wir vielleicht noch mal alleine."
"das wäre schön", sagt der luxus-sohn, denn auch er hat es genossen, dass diesmal bei unseren aktivitäten niemand ständig am nörgeln war.
 
der kleine hund der kindsmutter fiept und guckt verwirrt, als sich sein rudel der vergangenen tage plötzlich auflöst. 
"der wird euch jetzt total vermissen", kichert die kindsmutter nr. 1. "letztes jahr saß er auch noch zwei tage lang auf meinem leeren koffer und guckte verwirrt in die gegend."
wir umarmen uns alle einmal zum abschied, dann ziehen sohn und kindmutter ihrer wege. 

zuhause ist alles wie immer. studentenparty in der wg nebenan, kantinengeruch im treppenhaus, gehupe vorm haus. ich habe nichts davon vermisst.

Montag, 26. September 2022

es bleibt wie es ist

am donnerstag reise ich in den osten zum objekt. wie immer eine stressige eierei, da ab berlin nur bummelbahnen fahren und die typische unpünktlichkeit der bahn alles schwer kalkulierbar macht. 

als ich ankomme, holt mich die objekt-mutti wie auch beim letzten mal am bahnsteig ab. sie drückt mich in der gewohnten herzlichkeit und sagt, wie sehr sie sich freut und dass auch das objekt schon ganz gespannt wartet.

danach fahren wir ins heim. das objekt liegt schon im bett, strahlt mir aber entgegen. wir drücken uns und das objekt übersät mich mit küssen. 

"weißte denn noch, wer ich bin?" frage ich ihn herausfordernd.
das objekt nickt.
"er spricht leider fast gar nicht mehr", sagt die objekt-mutti. "aber so glücklich guckt er sonst nie!"
dann verabschiedet sie sich, damit wir alleine sein können.

die erste halbe stunde muss mich das objekt erstmal anschauen. sehr ernst. ab und an ein lächeln. manchmal formuliert es mühsam ein "gut". ich halte seine hände und erzähle, was ich an themen vorbereitet habe. zwei stunden später ist das objekt müde und ich verabschiede mich.

um überforderung zu vermeiden, strukturiere ich meinen besuch am nächsten tag gestückelt. statt zu einem vier-stunden-besuch komme ich insgesamt dreimal für jeweils ein bis zwei stunden vorbei. jedesmal machen wir etwas anderes. einmal packe ich das objekt in den rolli und wir fahren nach draußen. beim nächsten mal spielen wir brettspiele. 
 
abends blättern wir durch die fotoalben, die die objekt-mutti angelegt hat. für mich der schwerste und zugleich schönste besuch, da ich das objekt von früher auf den bildern sehen kann. stolz lächelt es nach gewonnenen sportwettbewerben in die kamera, zeigt sich liebevoll mit seinem neugeborenen sohn und wirft sich nach einer klettertour oben auf einem felsen in eine helden-pose. es ist das objekt, das ich kenne: lustig, sportlich, voller leben. und verdammt attraktiv.
 
zwischen zwei besuchen treffe ich mich am nachmittag mit der mutti, die mich zum essen einlädt. später gehen wir wieder in den wald, den das objekt so liebt. wir unterhalten uns über das objekt, aber auch über seine freunde, die wir beide kennen. 
 
am samstag besuche ich das objekt noch ein weiteres mal, bevor mich der zug zu einer lieben blogger-freundin nach berlin bringt. 
 
am bahnsteig muss die objekt-mutti für einen moment weinen: "ich frage mich immer, ob ich genug für meinen sohn tue. ich würde ihm so gern besser helfen. direkt nach dem unfall hätten wir so eine spezielle operation durchführen lassen können, bei dem man die durchtrennten nerven wieder hätte zusammenfügen können. aber der erfolg dieser op ist sehr zweifelhaft, außerdem hätten wir sie nicht bezahlen können. aber vielleicht hätte sie ihn doch geheilt, und das werfe ich mir vor."

ich halte die mutti in den armen, lasse sie weinen, sage ich, wie sehr ich sie für ihre kraft bewundere und dass sie meiner meinung nach alles tut, was eine mutter nur tun kann.

als sie sich die tränen abwischt, fragt sie: "wie gut kennt dich eigentlich der objektsohnemann?" 
"so fünf oder sechs jahre lang haben wir uns immer wieder mal gesehen bei meinen besuchen. er war auch bei meinem vorletzten umzug dabei. und wir haben zusammen ein wochenende zu dritt am schaalsee verbracht."
die objektmutti wiegt den kopf: "ich habe nämlich überlegt, ob ich ihm mal deine nummer gebe. er will ja nun studieren, und seine mutter ist ihm da keine hilfe. die will nur,  dass er schnell auszieht und ihr nicht mehr auf der tasche liegt. du hast aber selbst studiert und kannst ihn in seinem weg eventuell ein bisschen bestätigen. ich habe sorge, dass er sich sonst vielleicht abbringen lässt."
"klar", sage ich. "ich würde auf jeden fall mit ihm reden. und ich kann ihm sowohl beim studium helfen als auch zum beispiel dabei, eine eigene wohnung zu finden. sein vater hat mir ja mal gesagt, dass er es im falle des falles gern sähe, wenn ich mich etwas um ihn kümmere. wenn der sohnemann das von sich aus auch möchte, würde ich mich sogar sehr freuen."
"wir schauen mal, was er dazu meint", nickt die mutti. dann umarmt sie mich noch einmal, bevor ich in den zug steige.
 
wenige stunden später komme ich berlin an. ich bin froh, den berlin-besuch als puffer eingeplant und so ein schönes kontrastprogramm zu haben. müsste ich tagsdrauf arbeiten, würde ich nach so einem besuch wenig auf die reihe bekommen, denn die gedanken wollen allesamt zu ende rattern. außerdem freue ich mich sehr, besagte bloggerin wiederzusehen.

sonntags geht die reise dann heimwärts. der luxus-mann erwartet mich schon sehnsüchtig.
"und, wie wars? macht er fortschritte?" will er wissen.
"nee. alles wie gehabt. das wird auch nicht mehr anders, denke ich."

sich mit dem status quo abzufinden, beschert mir trotz allem einen gewissen frieden. das objekt ist hat keine schmerzen und ist auch nicht unglücklich. es scheint seinen zustand nicht reflektieren zu können, sodass es weder verbittert noch depressiv ist. im heim haben die ärzte alle psychopharmaka abgesetzt und ihn inzwischen auch komplett vom morphium entwöhnt. dadurch hat er längere wachphasen und kann sich besser auf spiele und therapien konzentrieren. 

in sachen kurzzeitgedächtnis hat sich leider nichts verändert. obwohl er theoretisch körperlich gesund ist, profitiert er nur marginal von therapien und verfügt auch nicht über so etwas wie einen eigenen antrieb, dinge für sich zu üben. aus diesem grund muss er nach wie vor künstlich ernährt werden und kann immer noch nicht wieder gehen.

es bleibt also wohl wie es ist. aber daran muss ich nicht verzweifeln. unsere innere verbindung hält. das ist das wichtigste für mich. die liebevollen blicke und zärtlichen gesten, das einander-erkennen und erinnern an gemeinsame erlebnisse. davon kann ich in den kommenden wochen und monaten zehren.

Sonntag, 18. September 2022

das geben und nehmen

eingegraben in meine herzschale mag ich nicht feiern gehen. der luxus-mann und sein kumpel wollen indes in den lieblingsclub, ein bisschen abhängen, mal unter menschen sein. ich schiebe den anstehenden besuch beim objekt vor, sage, potenzieller spreader-event und pflegeheim passen nicht gut zusammen, und verkrieche mich im luxus-bett.

gegen halb vier weckt mich der mann, der alkohol ausdünstend neben mich in die kissen plumpst wie mehlsack. 
"du riechst nach party", sage ich und atme den dunst aus zigarettenrauch und schnaps ein, der ihn umgibt.
"hmhmnnnnm" murmelt der mann, legt ganz ungefragt die arme um mich und zieht mich an sich. ich liege mit der nase in den langen blonden haaren, die mich kitzeln, aber ich genieße die nähe so sehr, dass ich mich nicht bewege.

ich muss tanken. muss nehmen. mich nähren. die seltenen momente, in denen mir der luxus-mann so viel davon schenkt, sind ohnhin rar.

denn die nächste woche wird reich an geben sein. dann fahre ich in den schlecht erschlossenen teil des ostens dieses landes, um das objekt zu besuchen. obwohl ich mich nach ihm sehne, weiß ich, wie viel kraft mich allein der anblick wieder kosten wird.

aber ich möchte es so. sein bester freund und ich sind die letzten, die das objekt noch hin und wieder besuchen. ich sterbe innerlich, wenn ich daran denke, dass seine eltern die pflege nicht mehr ewig werden machen können. die täglichen besuche sind das objektive lebenselixier. fallen sie weg, wenn beispielweise quarantäne herrscht, verfällt das objekt geistig und körperlich innerhalb weniger wochen. 
 
beim gedanken daran klopft mein herz wie verrückt. so fällt das einschlafen schwer. der luxus-mann ist längst weggetreten, dreht sich auf die seite. ich robbe an ihn heran. sein körper ist warm. ich stelle mir vor, wie diese wärme als energie meinen eigenen kalten körper durchströmt. es funktioniert. irgendwann entspanne ich mich und falle endlich in tiefen, traumlosen schlaf.

Freitag, 16. September 2022

fäulnisprozesse

nichts läuft. für alles braucht es drei, vier anfänge, bis der anfang zum durchgang wird. und selbst beim durchgang ist nicht klar, ob er nicht eher ein abfluss ins unbrauchbare ist. wenig licht im tunnel, das ende unabsehbar.

der august hängt mir nach. meine corona-erkrankung, der plötzliche tod eines lieben freundes und einer bekannten, die schwere, wahrscheinlich ebenfalls tödliche erkrankung eines anderen. die absage für einen job, der mich für den rest des lebens von allen finanziellen sorgen befreit hätte.

der september nährt sich von meiner schwäche und beklemmung, von der rezession in allen dimensionen, bewegt sich in eine gefühlt fatale richtung, auch politisch: die cdu hat alle überholt, es würde uns eine erneute groko drohen. einzig positiv das annähern der fdp an die 5% grenze.

der eindruck, dass das leben, die gesellschaft, der gesamte planet sich in einem fäulnisprozess befindet. dahindämmern und zerfallen, das wasser bis zum hals, aber keine chance mehr, in eine andere richtung zu schwimmen.

weil ich noch immer geben will, weil es meine art ist, weil das herz weiter die alten naivschaf-lieder pfeift, hängt sich der rest des zum untergang geweihten an mich wie ein betonklotz. 

alles in mir sehnt sich nach zuhause. oder einem sehr einsamen, warmen ort. oder zumindest einer echten perspektive. bislang jedoch ist alles nur glaskugelguckerei.

Sonntag, 11. September 2022

der kleine weltuntergang

patchwork-familien-feier. kindsmutter 1 rundet und hat zum essen eingeladen. 

ihr sohn, also der luxus-sohn, kommt ein wenig später. er ist sichtlich geknickt. in einer ruhigen minute erzählt er mir, dass er die aufnahmeprüfung für sein zweitstudium vermasselt hat. 

"weia", sage ich. "dein vater ist sowieso schon angespannt, weil du seit einem dreivierteljahr an deiner diplomarbeit für dein erststudium rumbastelst. der flippt aus."
"ich weiß auch nicht, aber ich hab da irgendwie gar keine motivation, die fertig zu schreiben. ich will ja auch gar nicht wirklich in dem beruf arbeiten."
"trotzdem musste den sack auch mal zumachen. du brauchst das diplom, schon allein deswegen, damit du nachweisen kannst, dass du nicht fast 6 jahre lang rumgedümpelt bist."
"ja, ich weiß."

dann erzählt mir der luxus-sohn von seinem vierwöchigen spanientrip. ein lowbudget-roadtrip mit vier kumpels in einer alten rostlaube. seine augen leuchten beim erzählen.

"das war so geil. das war der beste urlaub meines lebens."
ich lächle.
"ich glaube, es ist sowieso die beste zeit deines lebens. ich weiß noch, als ich 23 war... ich hab mich nie glücklicher und freier gefühlt. danach kam erstmal nur noch scheiße."
"vielleicht hab ich deswegen auch keine motivation. es kann ja eigentlich nur schlechter werden, oder? also ich meine, es kann schon auch irgendwie gut werden... aber im moment ist es... einfach perfekt. ich bin so glücklich mit meinen freunden, mit dem job im imbiss, und ich feiere das alles so. ich hab gar keine lust auf einen vollzeitjob oder eine feste freundin oder darauf, mir irgendwas aufzubauen."
"kann ich verstehen. ich hatte damals auch so tolle freunde, dass ich auf keinen fall eine beziehung wollte. weil das bedeutet hätte, dass ich weniger zeit für meine freunde habe."
"genau! so ist das bei mir gerade. alles andere als das hier und jetzt fühlt sich an wie... wie zeitverschwendung."
"eine größere zeitverschwendung als das erwerbsleben gibt es strenggenommen tatsächlich nicht. du fütterst nur die konsum- und geldmaschine und betrügst dich selbst und andere."
 
"und wer weiß, vielleicht gehen wir sowieso alle bald vor die hunde", sagt der luxus-sohn dann düster.
"wie meinst du?"
"naja, wenn man die nachrichten schaut... ich hab schon angst vorm krieg. und auch vor der klimakatastrophe. und wenn das alles so kommt... lohnt sich das alles irgendwie gar nicht mehr."
"da hast du sicherlich recht. zumindest, solange uns reiche vertrottelte mittfünziger regieren, die sich sagen, och, betrifft mich ja alles nicht, aber gebt mir gern euer geld, ich kauf mir nen porsche dafür."
"deswegen geh ich auch nicht wählen. wen sollte ich denn wählen? sind alle gleich scheiße."

"jetzt musst du erstmal deinem papa beibringen, dass du noch ein halbes jahr jobben wirst", grinse ich. "das ist weltuntergang genug. ein kleiner zumindest."
"ja, fuck. der rastet aus."
"worauf du gift nehmen kannst. also komm, bringen wirs hinter uns. ich steh dir bei."

Sonntag, 4. September 2022

therapeutic confrontation

ich wohne in einer stadt mit fast 2 millionen menschen. doch mr. murphy gelingt es, mich immer  wieder mit den schatten der vergangenheit zu konfrontieren.

so begab es, dass ich vor einiger zeit die ehemalige objektgespielin plötzlich bei mir auf der straße traf. auf mein freundliches, schüchternes "hi" hin belegte sie mich mit einem finsteren blick aus ihrem verbitterten gesicht. ich ging rasch weiter, um mir eventuelle feindselige äußerungen zu ersparen.

seither hegte ich den vagen verdacht, die gespielin könne neuerdings irgendwo in meinem stadtteil wohnen. als ich mal wieder die objekt-mutti an der strippe  hatte, fragte ich daher behutsam um drei ecken, ob sie denn noch kontakt mit der gespielin habe. die objekt-mutti sagte, dass sich die gespielin noch sporadisch melde, aber sie wisse sonst kein neuigkeiten aus ihrem leben.

ich beschloss, mich nicht weiter zu beunruhigen. es konnte alles ein zufall gewesen  sein.

keine zwei wochen später erhielt ich dann eine anfrage von katzenbesitzern aus der nachbarschaft. ich freute mich, sagte sofort zu und verabredete mich mit der dame zu einem unverbindlichen kennenlernen. vertrauen ist ja wichtig, wenn es um vierbeinige familienmitglieder geht.

die katzenbesitzer wohnten nur eine bushaltestelle entfernt in einem riesigen, verschachtelten und recht schäbig wirkenden gebäudekomplex an einer großen straße. als ich endlich die hausnummer gefunden hatte und klingeln wollte, entdeckte ich den namen der gespielin auf einem der schilder.

der erste instinkt war, die beine in die hand zu nehmen und wegzulaufen. aber ich hatte ja einen termin und verbindlichkeit ist mir wichtig. also rein in die höhle der löwin. 

wie es mr. murphy wollte, wohnte die gespielin natürlich genau auf der etage der katzenleute. ich würde also beim künftigen kommen und gehen direkt vor ihrer tür herumhampeln müssen.

den kennenlerntermin hielt ich sehr kurz, murmelte etwas von "noch arbeiten müssen" und sah zu, dass ich land gewann. auf keinen fall wollte ich der gespielin auf dem flur begegnen, denn dazu war ich in diesem moment viel zu verunsichert und unvorbereitet.

die halbe nacht grübelte ich, ob ich das sitting absagen sollte. anderseits hatte mir die gespielin fast zwei jahre lang mit ihren hass-attacken das leben schwer gemacht. warum sollte ich mich weiterhin von ihr einschüchtern lassen? sie konnte mir nichts mehr. sie hatte das objekt nicht mehr unter ihrer fuchtel. 

also, sagte ich mir, kneif die arschbacken zusammen, alte, und stolziere bitte mit hocherhobenem haupt und maximal gechillt durch die flure dort! und für den fall, dass sie dir tatsächlich begegnet und dir dumm kommt, überlegst du dir halt vorher, wie du dich verhältst.

drei wege schienen mir im falle des falles gangbar:

erstens: totales ignorieren. ein wenig feige, aber recht sicher.

möglichkeit zwei wäre freundlichkeit. auf ein "was willst du hier, schlampe" könnte ich zum beispiel sehr nett sagen: "ich wünsche dir auch einen wunderschönen tag." damit würde ich es vermeiden, mich auf ihr niveau herabzulassen.

möglichkeit drei wäre ein smarter, nicht offensichtlich beleidigender konter. so ein satz, der erst fünf minuten später zündet.

sowas müsste ich natürlich souverän rüberbringen, und das konnte schwierig werden. denn auch unabhängig von ihrer neigung zu tiraden war die großgewachsene, sehr propere und wie ein alter hafenarbeiter über und über volltätowierte gespielin mit den grimmig funkelnden augen eine respekteinflößende erscheinung. da würde sich wahrscheinlich nicht einmal ein gewalt- oder triebtäter mal eben rantrauen.

während ich so nachdachte, schämte ich mich schrecklich für meinen fehlenden sozialen mumm und die tatsache, dass ich mich als mittelalte frau noch immer mit solchen teenie-problemen herumschlug. ein mutiger charakter hätte sich diebisch über die gelegenheit gefreut, den kontrahenten direkt zuhause zu überraschen und ihn dumm aus der wäsche schauen zu lassen.

aber ich war nunmal das produkt meiner erfahrungen. jahrelanges mobbing in der schule hatten meine flucht- und wegduck-reflexe gegenüber aggressiven, mir nicht wohlgesonnenen menschen sehr stark werden lassen. da musste ich dran arbeiten,  und das funktioniert laut zahlreicher psycho-ratgeber nun mal am besten durch konfrontation.

wie so oft ist die wirklichkeit dann letztlich weit weniger dramatisch als alle sorgen und gedanken. 

heute ist mein sitting zu ende und ich bin der gespielin nicht ein einziges mal begegnet.

jedesmal als ich das haus betrat, musste ich eine kleine panikattacke unterdrücken. ich reagiere häufig körperlich auf stress - mit schwindel, herzklopfen, schwächegefühl und atemnot. über die tage hinweg wurden diese erscheinungen ein klein wenig besser, insbesondere auf dem weg nach draußen. 

in einigen momenten hatte ich tatsächlich auf die konfrontation gehofft. der therapeutische effekt hätte mir wahrscheinlich gut getan. aber mr. murphy wollte mich noch nicht aus seiner daumenschraube der angst lassen. ich bin gespannt, was er für die zukunft ausheckt.

Montag, 15. August 2022

außer corona nix gewesen, teil 2

heimaturlaub stand an. seit wochen fieberte ich meinem allsommerlichen franken-besuch entgegen. nichts wie raus aus dem ungeliebten hamburg wollte ich. 

und es würde schön werden. der zeitraum in wochenlanger planung fein abgestimmt, sodass viele meiner freunde nicht gerade selbst in den ferien waren. zudem würde ich auf meine absolute lieblingsparty (ein draußen-event) gehen sowie einer lieben bloggerin in regensburg einen besuch abstatten.

tatsächlich wurde es so schön wie gedacht und ich war sehr glücklich. vier tage lang, dann entdeckte ich plötzlich vitamine und hustensaft auf dem regal meiner mutter.

"was ist los, bist du krank?" fragte ich.
"nee nee", erwiderte mutti. "nur ein bisschen halsweh. und schnupfen."

bei mir klingelten alle alarmglocken, zumal meine eltern drei tage zuvor mit einem großen clan ihrer kegelbrüder und -schwestern im restaurant waren. diese waren zwar geimpft, scherten sie aber ebenso wie meine eltern wenig um vorsichtsmaßnahmen.

"haste schon nen test gemacht?"
"waaaaas?"
"einen corona-test."
"nein, warum denn?"
"es könnte corona sein?"
"nein nein", wiegelte mutti ab. "das ist nur die trockene luft hier!"

ich rang mit mir.
"gut, dann lass es mich deutlicher sagen: ich möchte gerne, dass du einen test machst. ich muss nächste woche wieder stundenlang im zug sitzen und möchte nicht einen ganzen ice anstecken."
"ich hab gar keine tests zuhause", sagte meine mutter. 
"dann hol ich eben mal eine packung", sagte ich und wollte mich richtung drogerie aufmachen. 
"das ist bestimmt nicht nötig", bremste meine mutter.
"oh doch."

als ich mit den tests zurück war, war das größe hindernis noch nicht geschafft: dass mutti sich das teststäbchen auch wirklich in die nase schob.

"das tut mir weh, ich kann das nicht, ich mach das sowieso falsch", hieß es. "außerdem kommt da sowieso nichts dabei raus! diese tests sind nicht zuverlässig!"
"mama, du hast recht typische symptome, und sollte der test positiv sein, ist es extrem wahrscheinlich, dass du corona hast."
 
endlich war es geschafft - und schon in den ersten minuten zeigten sich ganz klar zwei striche im testfeld.
"und was heißt das jetzt?"
"du bist positiv. setz sofort deine maske auf, papa und ich machen das auch. vielleicht haben wir uns noch nicht alle gegenseitig angesteckt."
"aber der strich ist doch längst nicht so dick wie der obere!"
"das hat nichts zu sagen, steht auch hier in der packungsbeilage", zeigte ich ihr den weißen zettel. "du kannst auch gern zur apotheke und dort noch mal einen test machen, die werden dir das bestätigen."

ich holte meinen vater, um ihn zu testen. er weigerte sich zum glück nicht so theatralisch. 
"negativ", sagte ich, als das ergebnis da war. "also trag jetzt immer schön maske im haus und halte dich nicht mit mutti im selben zimmer auf. geh möglichst tagsüber raus in den garten oder so."
vaddi zeigte sich einsichtig.
"und was, wenn muttis test doch falsch ist?" fragte er mich.
"unwahrscheinlich. sie hat symptome, die passen genau ins krankheitsbild. außerdem kann sie den test jederzeit wiederholen, wenn sie sichergehen möchte."
 
ich testete auch mich, und ich war ebenfalls negativ. 
"gut, sagte ich zu meinen eltern. "also ihr wisst ja: drinnen immer maske, und möglichst abstand. morgen testen wir uns noch mal."
 
es dauerte keine halbe stunde und meine mutti stand ohne maske im bad. 
"du trägst keine maske", sagte ich.
"oh, die hab ich ganz vergessen!"
"ja, bitte unbedingt dran denken! aktuell sind weder papa noch ich positiv, es wäre toll, wenn das so bleiben könnte. gerade papa mit seinem bluthochdruck und der herzgeschichte!"
"jaja."
"dann mach hier bitte gleich ein fenster auf, damit deine viren abziehen können."
"nein, das geht nicht, es ist zu warm draußen! da kommt sonst ja die ganze hitze rein!"
 ich seufzte und trollte mich in den garten. 

ungefähr 15 minuten später eierte mutti dann maskenlos im flur herum.
"du trägst schon wieder keine maske!"
"ja, ich war kurz draußen, da hab ich wohl vergessen, die wieder aufzusetzen."
"ja, dann bitte!"

kurz darauf traf ich mutti und vaddi in der küche an. muddi schälte obst für vaddi und schittt ihm stückchen, so wie sie es jeden tag machte. selbstverständlich trug sie keine maske. vaddi saß 30 zentimeter daneben und schaufelte sein obst in sich hinein. 
 
ich explodierte innerlich. ich sah ein, dass absprachefähigkeit und mitdenken einfach nicht vorhanden waren.

ich berief den großen kriegsrat ein.
"es gibt zwei möglichkeiten: entweder es wird ab sofort konsequent maske getragen oder ich reise jetzt ab. noch bin ich negativ, ich möchte nicht warten, bis ich vielleicht doch krank werde. ich habe aber gerade das gefühl, das funktioniert alles nicht, ihr seid total unvernünftig."
wie erwartet tränen, aber es nützte ja nichts. 
"dann fahr bitte", sagte mutti. "ich will dich ja nicht anstecken."

zwei stunden später saß ich im zug. ich hatte erste klasse gebucht, um keine unnötigen kontakte einzugehen. diese rechnung war aufgegangen, ich  hatte ein sechser-abteil mit tür ganz alleine für mich. da es schon sehr spät war, stieg auch niemand mehr zu.
 
große traurigkeit stieg in mir auf, als die wohlvertrauten orte am fenster vorbeiflogen. ich hatte drei liebe freunde nicht getroffen und war nicht auf meiner absoluten lieblingsparty gewesen. gänzlich unmöglich schien es mir, so verfrüht ins verhasste hh zurückzukehren. unfaire wut auf den luxus-mann machte sich kurzzeitig breit, weil ich wegen ihm in hh gefangen war. 

aber vielleicht hatte ich ja wenigstens in sachen corona glück. ich kannte genug leute, die sich trotz gemeinsamen haushalts nicht infiziert hatten.
 
als ich am nächsten morgen in meinem bett in hh erwachte, testete ich mich erneut. ich war positiv, halleluja. fix informierte ich alle kontakte der letzten tage und hoffte, dass es niemanden getroffen hat.

danach rief ich zuhause an und fragte nach dem stand der dinge dort. vernünftigerweise hatte sich auch vaddi getestet. er war - surprise, surprise - nun ebenfalls positiv, merkte jedoch nichts. meiner mutter ging es besser, ihre symptome waren verschwunden.

nun verbringe ich also den rest meines urlaubs alleine in meiner überhitzten wohnung, mit der mutter aller kopf- und gliederschmerzen. genau davon hatte ich immer geträumt. einziger trost sind mir mein klimagerät und lieferando.

Mittwoch, 27. Juli 2022

cool bleiben mit der fdp

dir ist sehr warm wegen des klimawandels? die energiekrise verursacht dir zusätzlich schweißausbrüche? 

relax!

so kommst du in brandheißen zeiten voll auf deine kosten:

1. im porsche cariolet bei 180 km/h auf der autobahn weht immer ein kühles lüftchen.

2.  ein kaltes champagner-bad prickelt soooo schön in deine bauchnabelllll.

3. verbreite wohltuende soziale kälte, davon haben auch deine mitmenschen etwas.

4. plappere die hohlen phrasen der fdp nach, so entlässt dein kopf viel heiße luft auf einmal und lüftet sich hocheffizient durch.

5. intensives networking ist grundsätzlich sehr cool, vor allem mit den bossen großer automobilkonzerne.

6. sei stets glatt wie ein aal, denn fische schwitzen nicht.

viel spaß und nicht vergessen: einmal täglich zu christian lindner beten!




Samstag, 9. Juli 2022

das biest

in der ersten klasse hatte ich blockflötenunterricht. weil mädchen das so machen. (weil mädchen lernen müssen, wie man ordentlich bläst, würde der luxus-mann jetzt sagen.)

ungefähr die hälfte der mädels in meiner klasse besuchte also einmal pro woche den flötenunterricht bei herrn swoboda. herr swoboda war ein kleiner, kugelrunder vollbärtiger mann von großer güte und herzlichkeit. vermutlich hätten wir bei einem strengen lehrer mehr gelernt, aber bei herrn swoboda war alles ein großer spaß.

zu diesem spaß gehörte auch, dass wir mädchen ihn foppten. er reagierte stets humorvoll, wuschelte derjenigen durch die haare und nannte sie scherzhaft ein "biest". immer lachend, freundlich, versöhnlich. vor herrn swoboda hatte ich nie angst, auch wenn ich mal nicht geübt hatte.

dann wurde es november. in meiner christlichen erziehung spielte der st.-martin-tag eine große rolle. buzzamärtel nannten wir den tag in franken. traditionell kam an diesem tag ein verkleideter student zu besuch und brachte geschenke, was ich toll fand. 

ebenso traditionell fand am nachmittag dieses tages ein st.-martins-umzug statt. meine mutter, hausfrau, hatte die ehrenvolle aufgabe, mit mir dahin zu gehen, obwohl sie es blöd fand. ihre schlechte laune war stets vorprogrammiert, doch ich freute mich immer so sehr darauf, dass es mir egal war.

in diesem jahr war es sehr kalt im november und meine mutter drängte nach kurzer zeit, dass wir wieder nachhause gehen. ich wollte aber gerne noch einmal kurz etwas weiter nach vorne in der menschenmenge, weil ich den st. martin einmal von nahem sehen wollte. 

meine mutter, ohnehin gereizt, machte kehrt und ging weg. ich bekam panik, dass ich sie in der menge verlieren würde, und rannte ihr nach. als ich sie erreichte, war ich sehr erleichtert und sagte: "du bist ein biest!" durchaus nicht unfreundlich, sondern so wie ich es von herrn swoboda kannte.

meine mutter war aber nun meine mutter und reagierte wie sie normalerweise auf unartigkeiten reagierte: sie schnappte ein. wir gingen nachhause, meine mutter ohne einen blick oder ein wort an mich. langsam dämmerte mir, dass meine mutter das mit dem biest nicht richtig verstanden hatte. es war doch eigentlich nicht schlimm gemeint, immerhin sagte herr swoboda das auch dauernd und meinte es lustig.

drei oder vier tage lang ignorierte mich meine mutter. irgendwann enschuldigte ich mich unter tränen und beteuerte, es nicht böse gemeint zu haben. ich hätte nur so gerne den st. martin von näher gesehen. meine mutter schaute mich kalt an und nahm die entschuldigung herablassend und halbherzig an. doch es dauerte noch tage, bis sie wieder normal mit mir umging.

das ist die art und weise, wie ich als kind streit kennen lernte: der andere nimmt meine äußerung persönlich und setzt mich der verhältnismäßig drakonischen strafe in form von langanhaltendem liebesentzug aus. 

entsprechend habe ich noch heute große probleme, mich entspannt zu streiten. immer, wenn es zum konflikt mit dem luxus-mann kommt, bereite ich mich innerlich auf eine trennung vor, auch wenn ich im kopf weiß, dass er immer mit mir redet und wir den streit zusammen aus unserem kosmos schaffen. klar geht es manchmal  hoch her dabei, aber im grunde genommen habe ich mit dem luxus-mann einen partner gefunden, der eine sehr gute streitkultur mitbringt.

ein streit bedeutet für - ich nenne es mal so, obwohl ich den begriff hasse - das innere kind in mir eine katastrophe. ein streit ist qual, die versöhnung schwierig, und es bleibt ein ewiger nachgeschmack. ich habe als kind auf diese weise gelernt, dass ich nicht böse werden darf. viel alte wut schlummert noch in mir. gerne würde ich meiner mutter manchmal noch sagen, was für eine belastung sie oftmals für mich war. aber ich weiß, wie sie reagieren würde: es erst abstreiten und dann einschnappen, weil es frech von mir ist, sowas böses und ungerechtes zu sagen.

also arbeite ich lieber weiter mit mir und meinen verletzungen. ich bin froh, dass mir solche anekdoten immer noch einfallen, weil sie so wahnsinnig viel erklären, wie ich bin. wie ich damals fühlte und wie ich mich heute oftmals noch fühle: schuldig, traurig und mit einer riesengroßen sehnsucht nach liebe, versöhnung und verständnis.

ich weiß auch, dass meine mutter ihre sehnsüchte in sich trägt und mit ihrem eigenen zukurzgekommensein hadert. aber ich habe es abgelegt, mich deswegen so schlecht und schuldig zu fühlen wie ich es als kind tat. ich habe verstanden, dass es an ihr gewesen wäre, an sich zu arbeiten. zugleich kann ich mitgefühl empfinden, weil ich weiß, wie es ist, alleine, unverstanden und oftmals ungeliebt zu sein.

aber ich weiß auch, dass es falsch ist, diesen gestörten zustand ungefiltert und unreflektiert an einem kleinen kind auszuleben. es ist - streng genommen - emotionale misshandlung. vielleicht habe ich auch deshalb keine eigenen kinder - weil ich so viele defizite habe, dass ich nicht sicher bin, ob meine liebe für ein kind ausreichend wäre.

dass ich mir den umgang mit tieren zutraue, ist vielleicht ein erster schritt. einer, der mich sehr glücklich macht, denn tiere lieben mich in der regel. zumindest etwas, was ich offenbar richtig mache.

Montag, 27. Juni 2022

der super-gärtner und die flupp-rein-blume

ähnlich wie ich ist der luxus-mann ein großer freund von hummeln. während fliegen, wespen und spinnen gerne mal mit schmackes zermatscht werden, wird er vorsichtig, wenn die kugeligen kleinen plüschträger über seinen balkon torkeln. auch wildbienen werden höchstens sehr behutsam verscheucht, damit sie nicht noch mehr nester in die gartenstühle bauen.

am samstag stehen wir nach einem langem vormittag auf einem straßenfest im blumenladen, weil der luxus-balkon noch schöner werden soll als er ohnehin schon ist. außerdem sollen sich nicht nur menschliche augen, sondern eben auch hummeln an noch mehr blumen erfreuen dürfen.

"meinst du, die mögen die?" fragt mich der luxus-mann und hält mir eine knallrote geranie hin. "das rot ist echt cool."
"soweit ich weiß, stehen hummeln am meisten auf lila blüten. die können die wohl am besten sehen."
"ok, super, lila ist auch gut. dann kaufen wir jetzt noch lila blumen."
 
"kann ich helfen?" fragt uns eine verkäuferin.
"ich hätte gern balkon-blumen, die das ganze jahr blühen", sagt der luxus-mann, frei nach dem objektivischen motto "sei realistisch und fordere das unmögliche."
die verkäuferin guckt erschrocken und verwirrt.
"also die den ganzen sommer lang blühen", relativert der luxus-mann da ein wenig.
ich muss grinsen.
 
"die da draußen blühen eigentlich alle mehrere monate", deutet die verkäuferin auf die auslage vor der tür.
"ehrlich? bei mir werfen die nach einer woche immer alles von sich", ist der luxus-mann misstrauisch.
"die blühen schon länger, wenn man sie richtig behandelt", ergänzt die verkäuferin. "gießen und so müssen sie sie natürlich."
"ich gieß die wie blöd, aber ich muss die ständig wegwerfen und neue kaufen", berichtet der luxus-mann von seinem fehlendem grünen daumen. "aber wenn sie sagen, die da draußen blühen alle den ganzen sommer, dann nehm ich sie jetzt beim wort und kaufe welche."
 
die verkäuferin verkrümelt sich schnell richtung kasse, bevor der luxus-mann sie für ihre aussagen haftbar macht.

nach wenigen minuten haben wir bereits sieben töpfe zusammengesammelt.
"was nehmen wir noch", fragt der abergläubische luxus-mann. "einen topf brauchen wir noch, sonst ist das nämlich eine ungerade zahl, und dann gammeln die alle nach zwei tagen weg oder die börse stürzt ab oder sowas."
"die da", zeige ich auf eine pfirsichfarben blühende rose mit exquisitem duft.
"nee, das ist nicht lila, das ist nix für die hummeln", findet der luxus-mann.

"oh, hier", sagt er dann. "lass uns doch so eine flupp-rein-blume kaufen!"
"eine was?!" frage ich perplex.
"hier, so eine da, wo die hummeln immer so reinfluppen", zeigt der luxus-mann auf eine glockenblume. "das finde ich lustig."

und so kam es, dass wir mit sieben töpfen und einer flupp-rein-blume den laden wieder verließen. 

"früher als kind habe ich immer gern gewartet, bis eine biene oder hummel in so eine glockenblume reingekrabbelt war", erzähle ich. "dann hab ich schnell für ein paar sekunden die blüte zugehalten und dann summte das so ganz laut."
"tierquäler", sagt der luxus-mann vorwurfsvoll.
"einmal dann hab ich das bei einem ohrwurm gemacht, einfach so, der summt ja nicht. was ich damals aber nicht wusste, war, dass der mit seinen zangen durch die blüte kneifen kann. zack, hatte ich nen blutigen daumen."
"recht so", findet der luxus-mann.
"tiere sind hervorragende lehrer", sage ich. "alle kinder sollten mit tieren aufwachsen dürfen."

zuhause beginnt der luxus-mann schnurstracks, seine zahlreichen pötte umzugraben und die neuen blumen einzupflanzen. 
 
dann sitzen wir verschwitzt in der sonne, trinken schweren rotwein und warten, dass die ersten hummeln die flupp-rein-blume entdecken.

Mittwoch, 22. Juni 2022

cis-männliche kerosinschleudern in pseudo-grün

so etwa einmal im monat kommt man auf mich zu. man habe da diese oder jene spannende position in leitungsfunktion zu besetzen. dann habe ich meist einen personaler am ohr, der mir erzählt, wie wahnsinnig innovativ, familiär und vor allem nachhaltig es im besagten unternehmen zugeht.

heute habe ich mal wieder ein bewerbungs-zoom-meeting mit einem geschäftsführer-spacko und seinen vasallen aus dem vertrieb. auch hier betont man(n), wie wahnsinnig wichtig ökologische verantwortung im unternehmen sei und dass man sehr auf die umwelt achte, indem man beispielsweise e-mails nicht mehr auf papier ausdruckt.

blablablubb, ich bin innerlich schon am wegdösen, aber dann, lange rede, kurzer sinn: man würde mir also gerne die stelle als marketingleitung anbieten, weil es passe so vom cv irgendwie ganz gut, und - indirekt formuliert - wesen mit brüsten seien ja alle so kreativ. 

die herrenrunde wiehert jovial in cis-männlich.

doch schlechte witze sind nicht alles, was man mir zu bieten hat. denn das ach so umweltfreundliche unternehmen hat vier zweigstellen im dach-bereich. da müsse ich in meiner künftigen funktion als marketingchefin überall regelmäßig HINFLIEGEN, um sachen zu besprechen.

mein gesicht muss meine perplexität dermaßen direkt reflektieren, denn sofort kommt die rückfrage, ob das ein problem für mich sei. 

ich sagte, nein, im prinzip sei sinnloses herumfliegen und in hotels nächtigen ja ganz spaßig, aber ich möchte nicht für ein derart rückständiges unternehmen arbeiten, das unnötig co2 in die luft bläst für irgendwelche bekackten wichtigtuer-meetings, die man im 21. jahrhundert ja mal wohl genauso gut virtuell erledigen kann.

sprach´s und legte auf.

es ist mir wirklich ein rätsel, wie unternehmen immer wieder die begriffe "nachhaltig" und "geschäftsreisen" in denselben kontext bringen. business trips sind überkommene rituale, die der reinen selbstdarstellung verknöcherter 50er-jahre-mentalitäten dienen. einmal männchen machen und schwänze vergleichen, und dann noch ein paar schlechte witze und schnäpse hinterher. 

niemand wird mich dazu kriegen, dass ich solche rituale der lächerlichkeit unterstütze - und mich dafür auch noch in einen flieger setze. lieber gehe ich bei mc donalds burger braten.

Donnerstag, 9. Juni 2022

außer corona nix gewesen

der luxus-mann ist wieder im festival-fieber. anders als ich liebt er es, zwischen menschenmassen herumzustehen, bier zu saufen und metal bis zum ertauben zu hören.

was er weniger bedacht hat, ist, dass festivals leider auch 1a superspreader-events sind. 

am dritten festival-tag ruft er mich an und klagt über große müdigkeit und kopfschmerzen. am vierten tag, rückreisetag, kommen dann gliederschmerzen, fieber und schnupfen hinzu.

"mach bloß nen test", rate ich dem mann, der immer sehr geizig mit tests ist, weil er die nur in begrenzter anzahl im büro klauen kann. 
"auf jeden fall", verspricht er mir. "mir geht´s richtig scheiße, ich muss mich zuhause auch gleich hinlegen."

der test bestätigt die unschöne vorahnung. ein schnelltest in der apotheke sowie ein pcr-test nehmen uns dann die letzte hoffnung: der luxus-mann hat corona. 

das alles wäre nicht so dramatisch, wollte der luxus-mann nicht eigentlich zwei tage später in portugal sein und seinen jährlichen kumpel-urlaub zelebrieren.

"die machen ja keine tests mehr am flughafen", überlegt er. "ich flieg einfach trotzdem."
"alter, du steckst alle an! und wenn du dir schon nix aus fremden machst, deine kumpels sind ja auch dabei. meist du, die wollen alle krank in portugal festsitzen?"
"hm. aber vielleicht geht´s mir ja morgen schon besser und ich bin wieder negativ..."

dass dieser gedanke nicht sehr realistisch ist, muss ich ihm nicht erklären, das nimmt mir corona ab. am zweiten tag geht es dem luxus-mann noch schlechter und es wird ihm klar, dass er die reise canceln muss.

"ich kann so nicht fliegen", krächzt er ins telefon. "mir is so schwindelig und schwach, ich glaube, ich würde nicht mal zum flughafen kommen."

heute ist tag drei mit corona und es geht dem luxus-mann keinen deut besser. vor allem nicht, wenn er an den über 1000 € teuren urlaub denkt, den er für ein festival, das laut seiner aussage "so mittel" war, verschenkt hat.

Montag, 30. Mai 2022

never always alone

einsamkeit ist ein viel diskutiertes thema seit corona. ich glaube jedoch nicht, dass uns die pandemie einsamer gemacht hat. ich denke, sie hat uns lediglich gezeigt, dass wir falsch fokussieren und zu viele schein-beziehungen führen, die ohne tiefe sind.

ich persönlich habe unter corona kein bisschen gelitten. menschenansammlungen hasse ich ohnehin, und ich pflege aus prinzip keine freundschaften zu kollegen, denn kollegen sind immer konkurrenten. arbeiten hat exakt einen sinn für mich: geld verdienen, nicht mehr und nicht weniger. ich habe nicht die leiseste absicht, in der job-zwangsgemeinschaft mehr zeit als unbedingt nötig zu verschwenden.

auch veranstaltungen wie partys betrachte ich inzwischen geläutert und mit abstand. 2012 hörte ich depressionsbedingt auf, wochenends ständig in clubs zu rennen. dabei zeigte sich schlagartig, dass meine "freunde" dort alles nur partypeople waren, die mich ratzfatz fallen ließen, als die ewige feierei für mich erstmal vorbei war. diese desillusionierung - so gesund und nötig sie sicherlich war - machte mich furchtbar einsam. 

de facto war ich gar nicht so wahnsinnig alleine, sondern hatte nur den falschen fokus gesetzt. nämlich, dass mich die wochendlichen partys mit alkohol und drogen für all die sinnlosen qualen von montags bis freitags entschädigen würden. taten sie natürlich nicht, und dafür konnten sie nichts.

seit rund fünf jahren bin ich in der glücklichen situation, eine ganze reihe echter, tiefer und wertvoller verbindungen zu haben. dazu zählen neben meiner partnerschaft zum luxus-mann ein kleiner kreis an menschen in und um hamburg, ein etwas größerer kreis in meiner heimat sowie einzelne personen in anderen städten.

das beste dabei ist, dass der kreis jeweils gar kein kreis ist. vielmehr es sind unabhängige einzelkontakte. das heißt, ich laufe nicht gefahr, dass, falls es zu konflikten mit einer dieser personen kommt, gleich wieder der komplette kreis wegbricht. (das empfehle ich allen, die der ansicht sind, sie bräuchten unbedingt eine clique: bullshit!)

damit erfüllende kontakte entstehen, braucht es natürlich auch eine gewisse offenheit. als treudoofes naivschaf, das das herz auf der zunge trägt, habe ich da natürliche gewisse vorteile. es birgt allerdings auch immer die gefahr, verletzt oder ausgenutzt zu werden. 

deshalb, so habe ich für mich gelernt, sind emotional schwache und bedürftige phasen keine guten zeitpunkte, um kontakte zu knüpfen. denn kommt es dann zu einer verletzung, trägt man sehr lange daran. 

darüber hinaus ist man bedürftig meist kein guter gesprächspartner. man quatscht zu viel ichbezogene soße und verschreckt das gegenüber dadurch. geht so der kontakt deshalb wieder verloren, bestärkt dies das gefühl, dass man ewig einsam bleiben wird.

ich bin sehr dankbar, dass ich mich aktuell nicht mehr einsam fühle. seit dem so ist, kann ich eine sache wieder in vollen zügen genießen: das alleinsein. ich erlebe momente mit mir inzwischen mindestens als ebenso erfüllend wie einen abend mit einer guten freundin oder dem partner. 

und das, denke ich, ist im grunde genommen sehr gesund.