Sonntag, 23. Oktober 2022

worst catsitting ever

katzensitting an der elbe. ich bin zum zweiten mal da. zwei wochen lang  soll ich eine kleine süße zarte norwegische waldkatze sitten, während die besitzer auf ibiza weilen.

da ich die katze schon kenne,  ist das briefing kurz: hier steht futter, bitte gib ihr etwas milchzucker für ihre schlechte verdauung, ansonsten bediene dich gern vom weinvorrat im keller, wenn du möchtest. die besitzer sind nett und großzügig, die katze mag mich und ist unkompliziert. ich erwarte eine schöne zeit. 

tag 1 ist samstag. die begrüßung durch die katze ist stürmisch. sie erkennt mich sofort wieder. wir schmusen und ich bleibe noch ein stündchen, schaue mit ihr auf dem schoß eine folge meiner lieblingsserie. 

tag 2. als ich morgens komme, steht das futter vom samstagabend noch unangetastet da. ich mache mir wenig gedanken, die katze frisst sehr wenig, schläft extrem viel. sie ist 13 und eher ein träger charakter. was mich beunruhigt ist, dass ich im klo kein pipi finde. 24 stunden nicht pinkeln ist seltsam. nachdem sie auch am abend nicht gemacht hat,  kontaktiere ich die besitzer. ich erfahre, dass die kleine lady eine blasenentzündung hat. toll, das hätte ich gerne vorher gewusst. 

tag 3. da die katze bislang nicht gefressen hat und nicht pinkelt, mache ich einen termin beim tierarzt. da ich kein auto habe, muss ich ein taxi nehmen. es ist ein echter montag: taxi kommt zu spät, alle straßen sind von einem mega wolkenbruch überschwemmt, tierarzt ist sauer. nun gut. tierarzt untersucht die katze und meint, er müsse röntgen, eventuell ein harnröhrenverschluss, das bedeute dann eine operation. ich falle fast in ohnmacht. röntgen entkräftet allerdings den verdacht. der tierarzt vermutet, die katze sei von den schmerzen der blasenentzündung einfach nur verspannt. er gibt ihr buscopan und schmerzmittel und weist mich an, ihr unbedingt täglich schmerzmittel zu verabreichen. außerdem verpasst er der katze ein klistier.

der heimweg wird ungemütlich. mit einer klistierten katze traue ich mich nicht ins taxi. also laufe ich 4 kilometer mit katze nachhause. selbstverständlich lässt mr. murphy den nächsten wolkenbruch auf uns niedergehen. katze bekommt meinen schirm, ich werde nass bis auf die haut. zuhause bin ich ähnlich fertig wie katze,  muss jedoch noch 2 stunden nacharbeiten, die ich durch den trip verloren habe.

tag 4. die katze hat pipi gemacht, hurra. sie frisst allerdings nach wie vor nicht, und auch das klistier hatte keine großartige wirkung. tierarzt beordert mich erneut in seine praxis. wieder ein nachmittag, an dem ich wenig arbeiten kann, meine chefin ist restlos begeistert. katze bekommt erneut ein klistier, das diesmal sofort wirkt. zuhause muss ich das kotverschmierte tierchen erstmal säubern. ich bin mit meinen nerven ziemlich am ende.

die katze ist vollkommen erschöpft. der tierarzt hat mir noch ein antidepressivum mitgegeben, das sie zum fressen animieren soll. an diesem tag geht jedoch gar nichts mehr, kaum, dass ich sie mit schmerzmitteln versorgen kann. sie nimmt einfach nichts an.

tag 5. mittwoch. am morgen liegt die katze apathisch auf der couch und hebt nicht einmal den kopf. ich mache mir riesige sorgen, rufe wieder die besitzer an. die meinen, naja, zwei tage tierarzt, das ist nur der stress. ich sage ihnen, dass sie nach wie vor nichts frisst. werde abgebügelt - das sei nicht so  schlimm.

über den tag verschlechtert sich der zustand weiterhin. am abend besucht mich die nachbarin der besitzer, die die katze gut kennt und selbst hunde hat. sie ist ähnlich besorgt wie ich. gemeinsam rufen wir noch einmal die besitzer an. diesmal bin ich emotionaler, äußere erstmals meine befürchtung, die katze könne sterben. ich werde ausgelacht. nein, das sei nicht möglich, es sei doch nur eine blasenentzündung. ich lasse nicht locker, bestehe darauf, dass der tierarzt morgen vorbeikomme solle, da ich der katze den stress des transports nicht ein drittes mal antun will.

tag 6. als ich morgens ankomme, bin ich völlig schockiert. die katze möchte aufstehen, zu mir kommen, aber ihre beine tragen sie nicht mehr. es muss schlimm sein. ich rufe bei den besitzern an, die mir bestätigen, dass der tierarzt um 17 uhr vorbeikommt. so viele stunden noch, meine anspannung steigt. ich versuche, der katze etwas wasser einzuflösen und ihr schmerzmittel zu geben. sie erbricht stinkenden schaum. das gesamte wohnzimmer riecht nun nach einer mischung aus verwesung und kot. ich bin jetzt überzeugt, dass sie sterben wird.

der tierarzt kommt, untersucht die katze und bestätigt meinen verdacht: sie ist todkrank. ich bitte ihn, noch kurz zu bleiben, damit wir gemeinsam den besitzern bericht erstatten können. der tierarzt versteht meine situation, ist plötzlich sehr engagiert und freundlich. am telefon ist er glasklar: "buchen sie ihren flug nachhause. wenn sie glück haben, können sie ihr tier noch einmal sehen. ich kann ihnen aber nichts garantieren. es kann auch sein, dass sie die nacht nicht überlebt."

die besitzerin versichert uns, sofort einen rückflug zu buchen. ihr mann käme aber nicht mit. mir ist das egal, hauptsache, eine person kommt,  die verantwortung ist erdrückend. ich bestürme  den tierarzt, ob er die katze nicht mitnehmen und in eine klinik bringen könne. "ich glaube nicht, dass sie den transport schaffen würde", meint er, und ich verstehe, was nun meine aufgabe sein wird. ich richte mich für die nacht ein.

der tierarzt zieht mir eine spritze valium auf und zeigt mir, wie ich der katze eine injektion verabreiche. "manchmal werden tiere sehr unruhig, wenn sie sterben. das wird sie beruhigen." da die katze starke untertemperatur hat, hilft er mir, mir warm zu betten. wir wickeln sie in ihre lieblingsdecke und ich mache ihr eine wärmflasche.

18 uhr. ich bin alleine und merkwürdig ruhig. ich spüre irgendwie, dass es heute nacht passieren wird. ich habe angst, aber es ist auch eine erhabene, fast feierliche stimmung in mir. ich bin die dienerin des todes. ich werde den gevatter begrüßen, ihm die kleine katze in die mächtigen hände legen und ihm auftragen, sie warm und sicher hinüberzubringen.

19:30. die nachbarin ruft an und fragt nach dem stand der dinge. sie ist geschockt, aber auch gefasst, als ich ihr sage, es wird passieren. sie fragt mich, ob sie kommen kann, sie würde die katze gern noch einmal sehen, und auch ihre tochter würde gerne vorbeischauen,  da auch sie die katze schon sehr lange kennt. ich finde das wunderbar. eine ganze stunde sitzen wir zu dritt zusammen, die tochter weint, und wir erzählen einander viel über tod und sterben. die nachbarn mussten schon zweimal ihren hund gehen lassen, daher ist ihnen das thema vertraut.

21 uhr. ich habe etwas aufgeräumt, mir ein nachtlager auf dem wohnzimmerboden neben der katze gebaut. katze ist plötzlich aktiv, krabbelt aus ihrem deckenbunker hervor, leckt etwas frischkäse. mir ist klar, dass dies keine wunderheilung ist, sondern wohl eher ein letztes aufleben.

22 uhr. die katze mauzt erbärmlich und erbricht dann erneut eine heftig stinkende flüssigkeit. ich halte ihr kleines köpfchen fest, das in den see des erbrochenen zu sinken droht und trockne alles mit küchentüchern. die katze liegt nun regungslos auf der seite und ich bin unsicher, was in den nächsten minuten passiert. ich streichle beruhigend ihren weichen körper und sage, dass sie gehen darf, dass sie nichts mehr muss. 

22:30 uhr. die katze hat sich etwas berappelt und möchte offenbar noch nicht sterben. ich bette sie zurück in ihr deckenlager. wie so oft in prekären situationen kehrt ein kindlicher glaube in mich zurück und ich bete zu höheren mächten, dass sie die kleine katze nicht mehr lange leiden lassen.

tag 7, 1:30 uhr. ich bin sehr  müde. lege mich zu katze. das nachtlager ist unbequem, ich bekomme nach kurzer zeit schmerzen. auch die katze scheint sich nicht wohlzufühlen und macht seufzende, grunzende geräusche. ich überlege, ob ich ihr noch einmal schmerzmittel geben soll oder das valium. dann ist die katze wieder still und ich lausche ihrem schwerfälligen atem.

an schlaf ist nicht zu denken. obwohl ich erschöpft bin, klopft mein herz wie wild. ich muss ständig pinkeln, habe eiskalte füße  und rückenschmerzen. ich stehe auf, trinke, gehe zur toilette, nehme eine schmerztablette. die katze verfällt  immer wieder in phasen,  in denen sie merkwürdige geräusche von sich gibt, die ich nicht deuten kann. ihre augen fokussieren nicht mehr, sondern sind starr auf das, was da kommen mag, gerichtet.

5:43 uhr. ich schaue ein letztes mal auf mein handy und streichle die katze, bevor ich dann doch einschlafe.

6:40 uhr. ich bin wieder wach und lausche. atmet die katze noch? ich stehe auf, mach licht. lege mein ohr auf den kleinen, immer noch warmen körper und stelle fest, dass das herzchen nicht mehr schlägt. es kommen die tränen, tränen der trauer, aber auch der dankbarkeit und erleichterung. du hast es geschafft, kleine maus. rücksichtsvoll und empahtisch wie du immer warst, hast du dich in der knappen stunde, in der ich es nicht merken konnte, auf leisen samtpfoten davongeschlichen.

ich streichle den körper, um mich zu verabschieden, zünde eine kerze an und öffne dann die terrassentür, damit ihre seele den weg in die freiheit findet.

7:00 uhr. ich rufe die besitzer an und teile ihnen den tod ihrer katze mit. sie weinen mit mir. der besitzer organisiert für mich die abholung durch die tierbestattung. am abend solle jemand kommen, damit die katze kremiert werden kann.

7:30 uhr. der tierarzt ruft mich an. die besitzer hätten ihm mitgeteilt, was passiert sei. ob ich fragen habe. "ja", sage ich. "wie soll ich die katze denn in den kommenden stunden bis zur abholung lagern?" ich habe grauenvolle bilder im kopf, dass ich sie ins gefrierfach neben die lebensmittel packen müsse und ähnliches. der tierarzt meint,  keine sorge, so schnell gehe das alles nicht. ich könne sie ein wenig abdecken, das genüge. auch verwesungsgeruch müsse ich nicht befürchten, der sei bei katzen eher dezent.

8:00 uhr. ich habe die katze nicht abgedeckt, es erscheint mir irgendwie nicht richtig. ich habe die letzten blumen aus dem garten geholt und mache ihr ein totenbett aus ihrer lieblingsdecke und den blüten.

10 uhr. ich fahre nachhause und gehe zu bett. trotz vollkommener erschöpfung schlafe ich nur eine stunde. 

16:30 uhr. ich fahre zurück zur toten katze. um 18 uhr sollen die bestatter kommen. die nachbarin hatte gefragt, ob sie dabei sein dürfe. ich bin dankbar dafür, dass diese mir inzwischen recht vertraute person anwesend sein wird. sie kommt schon vorher, wir trinken noch einen wein zusammen, unterhalten uns, bis es an der tür klingelt. dann tritt die katze ihre letzte reise an. 

19 uhr. ich räume die wohnung etwas auf, entsorge die noch gefüllten näpfe und das benutzte katzenstreu. spielzeug lasse ich liegen, vielleicht möchten die besitzer auf diese weise abschied nehmen.

19:30 uhr: die besitzer melden sich. die besitzerin hat ihren rückflug storniert. beide bleiben auf ibiza. ich sage nichts, verstehe aber, dass sie die rückkehr in die leere wohnung fürchten, vielleicht auch, dass der tod dort noch irgendwie anwesend ist. 

schade finde ich das, da respekt vor dem leben für mich auch respekt vor dem tod bedeutet. ich nutze jede begegnung mit ihm als vorbereitung auf den moment, wenn er an meine eigene tür klopft. denn dann will ich bereit sein, ihn willkommen heißen, und mein leben durch mein sterben vollenden, zu dem machen, was ihm bestimmt ist: nur ein wimpernschlag in der unendlichkeit zu sein.

Samstag, 8. Oktober 2022

patchwork-ferien

jedes jahr veranstaltet der luxus-mann einen urlaub mit seiner patchwork-familie. dann fahren töchterlein, sohn, kindermutter nr. 1 und er nach skandinavien und hängen dort in einem ferienhaus am strand ab. der luxus-mann selbst findet solche urlaube an sich langweilig, aber er genießt sie, weil er dann seine anstrengende tochter ohne deren ebenfalls anstrengende mutter um sich hat. 

dieses jahr weigert sich das verwöhnte fräulein tochter mit händen und füßen - und der luxus-mann fragt, ob ich nicht mitfahren möchte. nicht zum ersten mal, aber da ich keinen bock auf ferien mit einem faulen, empathiearmen und sämtliche aktivitäten sabotierenden pubtertätsmonster habe, hatte ich die jahre zuvor dankend abgelehnt. diesmal sage ich zu, obwohl ich gerade wieder von meinem besuch im osten zurück bin und eigentlich dringend ein wochenende für mich zum nachdenken bräuchte.

als wir nach vielen stunden fahrt endlich ankommen, bin ich zunächst leicht enttäuscht. das ferienhaus, vom luxus-mann als palast beschrieben, ist kleiner als gedacht und wirkt nicht besonders sauber. es steht auch nicht einsam auf einer düne, wie es die fotos nahegelegt hatten, sondern in nähe der straße. (tipp: buchen sie niemals etwas über booking.com, die bilder sind alle fake.)

die landschaft aber ist eine offenbarung. wir spazieren bei sturm in den sonnenuntergang. das meer brodelt wie ein kessel kochendes wasser, fast mannshohe wellen brechen am strand. die sonne lugt derweil zwischen bedrohlich schwarzen wolken hervor. der kleine hund der kindsmutter nr. 1 dreht völlig durch vor freude und versucht sich im jagen von möwen.

der sturm soll uns ganze sieben tage begleiten. am zweiten tag versuchen der sohnemann und ich uns im schwimmen. doch die wellen sind so heftig, dass wir nicht einmal richtig ins wasser kommen. der sohnemann, ein durchtrainerter athlet, versucht irgendwann, sich sitzend hineinzurobben, wird aber dennoch wieder zurückgespült. seine oberschenkel sind blutig verschrammt, weil er von den wellen über die steine am ufer gezogen wurde, und er gibt auf.

obwohl es draußen nicht mehr als 14 grad hat, frieren wir nicht, als wir nass aus dem meer kommen. unsere haut ist rot und brennt von den wellen, die sich an uns gebrochen haben. dick vermummte spaziergänger beglotzen uns neugierig, als wir durch die hohen dünen klettern, um zu unseren handtüchern zu kommen, die wir in eine sichere mulde gelegt und mit steinen beschwert haben.

als wir zurückkommen, hat die kindsmutter nr. 1 schon das abendessen zubereitet. diese aufgabe übernimmt sie jeden tag, weil sie als einzige von uns wirklich kochen kann. ich schäme mich ein wenig deshalb. die männer hingegen haben weniger skrupel und lassen uns frauen alleine mit allem, was in der küche an arbeit anfällt. sie lümmeln auf den sofas vorm fernseher, spielen x-box und sehen sich kampfsport-videos an.

auf mein drängen hin machen wir einige ausflüge in die umgebung. sogar zu einer kunstausstellung im nachbarstädtchen kann ich den luxus-mann überreden. abgesehen davon machen wir täglich eine wanderung durch die dünen, um die kalorienlastigen mahlzeiten der kindsmutter nr. 1 zu verdauen. ich nutze die gelegenheit für jogging-touren jenseits von asphalt und abgasen, und manchmal begleitet mich der sohnemann.

obwohl ich ernsthafte bedenken hatte, dass ich mich langweilen könnte, vergehen die sieben tage wie im flug. am letzten tag bin ich tatsächlich wehmütig. ein letztes mal unternehme ich eine jogging-runde durch die dünen, sauge die saubere, salzige luft in mich ein und grusle mich furchtbar beim gedanken an das dreckige, laute und müllige hamburg.

"willst du nächstes jahr wieder mitkommen?" fragt mich der luxus-mann auf der rückfahrt. 
"eigentlich schon", antworte ich. "allerdings habe ich wenig lust auf die anwesenheit deiner tochter."
"diese kröte wirst du wohl schlucken müssen", grinst der mann. "ich mache diesen urlaub vorwiegend für sie."
"und sie weiß es null zu schätzen", erwidere ich.
"mal sehen, ob sie überhaupt mit will", sagt der mann. "wenn sie sich wieder so anstellt, fahren wir vielleicht noch mal alleine."
"das wäre schön", sagt der luxus-sohn, denn auch er hat es genossen, dass diesmal bei unseren aktivitäten niemand ständig am nörgeln war.
 
der kleine hund der kindsmutter fiept und guckt verwirrt, als sich sein rudel der vergangenen tage plötzlich auflöst. 
"der wird euch jetzt total vermissen", kichert die kindsmutter nr. 1. "letztes jahr saß er auch noch zwei tage lang auf meinem leeren koffer und guckte verwirrt in die gegend."
wir umarmen uns alle einmal zum abschied, dann ziehen sohn und kindmutter ihrer wege. 

zuhause ist alles wie immer. studentenparty in der wg nebenan, kantinengeruch im treppenhaus, gehupe vorm haus. ich habe nichts davon vermisst.