am donnerstag reise ich in den osten zum objekt. wie immer eine stressige eierei, da ab berlin nur bummelbahnen fahren und die typische unpünktlichkeit der bahn alles schwer kalkulierbar macht.
als ich ankomme, holt mich die objekt-mutti wie auch beim letzten mal am bahnsteig ab. sie drückt mich in der gewohnten herzlichkeit und sagt, wie sehr sie sich freut und dass auch das objekt schon ganz gespannt wartet.
danach fahren wir ins heim. das objekt liegt schon im bett, strahlt mir aber entgegen. wir drücken uns und das objekt übersät mich mit küssen.
"weißte denn noch, wer ich bin?" frage ich ihn herausfordernd.
das objekt nickt.
"er spricht leider fast gar nicht mehr", sagt die objekt-mutti. "aber so glücklich guckt er sonst nie!"
dann verabschiedet sie sich, damit wir alleine sein können.
die erste halbe stunde muss mich das objekt erstmal anschauen. sehr ernst. ab und an ein lächeln. manchmal formuliert es mühsam ein "gut". ich halte seine hände und erzähle, was ich an themen vorbereitet habe. zwei stunden später ist das objekt müde und ich verabschiede mich.
um überforderung zu vermeiden, strukturiere ich meinen besuch am nächsten tag gestückelt. statt zu einem vier-stunden-besuch komme ich insgesamt dreimal für jeweils ein bis zwei stunden vorbei. jedesmal machen wir etwas anderes. einmal packe ich das objekt in den rolli und wir fahren nach draußen. beim nächsten mal spielen wir brettspiele.
abends blättern wir durch die fotoalben, die die objekt-mutti angelegt hat. für mich der schwerste und zugleich schönste besuch, da ich das objekt von früher auf den bildern sehen kann. stolz lächelt es nach gewonnenen sportwettbewerben in die kamera, zeigt sich liebevoll mit seinem neugeborenen sohn und wirft sich nach einer klettertour oben auf einem felsen in eine helden-pose. es ist das objekt, das ich kenne: lustig, sportlich, voller leben. und verdammt attraktiv.
zwischen zwei besuchen treffe ich mich am nachmittag mit der mutti, die mich zum essen einlädt. später gehen wir wieder in den wald, den das objekt so liebt. wir unterhalten uns über das objekt, aber auch über seine freunde, die wir beide kennen.
am samstag besuche ich das objekt noch ein weiteres mal, bevor mich der zug zu einer lieben blogger-freundin nach berlin bringt.
am bahnsteig muss die objekt-mutti für einen moment weinen: "ich frage mich immer, ob ich genug für meinen sohn tue. ich würde ihm so gern besser helfen. direkt nach dem unfall hätten wir so eine spezielle operation durchführen lassen können, bei dem man die durchtrennten nerven wieder hätte zusammenfügen können. aber der erfolg dieser op ist sehr zweifelhaft, außerdem hätten wir sie nicht bezahlen können. aber vielleicht hätte sie ihn doch geheilt, und das werfe ich mir vor."
ich halte die mutti in den armen, lasse sie weinen, sage ich, wie sehr ich sie für ihre kraft bewundere und dass sie meiner meinung nach alles tut, was eine mutter nur tun kann.
als sie sich die tränen abwischt, fragt sie: "wie gut kennt dich eigentlich der objektsohnemann?"
"so fünf oder sechs jahre lang haben wir uns immer wieder mal gesehen bei meinen besuchen. er war auch bei meinem vorletzten umzug dabei. und wir haben zusammen ein wochenende zu dritt am schaalsee verbracht."
die objektmutti wiegt den kopf: "ich habe nämlich überlegt, ob ich ihm mal deine nummer gebe. er will ja nun studieren, und seine mutter ist ihm da keine hilfe. die will nur, dass er schnell auszieht und ihr nicht mehr auf der tasche liegt. du hast aber selbst studiert und kannst ihn in seinem weg eventuell ein bisschen bestätigen. ich habe sorge, dass er sich sonst vielleicht abbringen lässt."
"klar", sage ich. "ich würde auf jeden fall mit ihm reden. und ich kann ihm sowohl beim studium helfen als auch zum beispiel dabei, eine eigene wohnung zu finden. sein vater hat mir ja mal gesagt, dass er es im falle des falles gern sähe, wenn ich mich etwas um ihn kümmere. wenn der sohnemann das von sich aus auch möchte, würde ich mich sogar sehr freuen."
"wir schauen mal, was er dazu meint", nickt die mutti. dann umarmt sie mich noch einmal, bevor ich in den zug steige.
wenige stunden später komme ich berlin an. ich bin froh, den berlin-besuch als puffer eingeplant und so ein schönes kontrastprogramm zu haben. müsste ich tagsdrauf arbeiten, würde ich nach so einem besuch wenig auf die reihe bekommen, denn die gedanken wollen allesamt zu ende rattern. außerdem freue ich mich sehr, besagte bloggerin wiederzusehen.
sonntags geht die reise dann heimwärts. der luxus-mann erwartet mich schon sehnsüchtig.
"und, wie wars? macht er fortschritte?" will er wissen.
"nee. alles wie gehabt. das wird auch nicht mehr anders, denke ich."
sich mit dem status quo abzufinden, beschert mir trotz allem einen gewissen frieden. das objekt ist hat keine schmerzen und ist auch nicht unglücklich. es scheint seinen zustand nicht reflektieren zu können, sodass es weder verbittert noch depressiv ist. im heim haben die ärzte alle psychopharmaka abgesetzt und ihn inzwischen auch komplett vom morphium entwöhnt. dadurch hat er längere wachphasen und kann sich besser auf spiele und therapien konzentrieren.
in sachen kurzzeitgedächtnis hat sich leider nichts verändert. obwohl er theoretisch körperlich gesund ist, profitiert er nur marginal von therapien und verfügt auch nicht über so etwas wie einen eigenen antrieb, dinge für sich zu üben. aus diesem grund muss er nach wie vor künstlich ernährt werden und kann immer noch nicht wieder gehen.
es bleibt also wohl wie es ist. aber daran muss ich nicht verzweifeln. unsere innere verbindung hält. das ist das wichtigste für mich. die liebevollen blicke und zärtlichen gesten, das einander-erkennen und erinnern an gemeinsame erlebnisse. davon kann ich in den kommenden wochen und monaten zehren.